Arno Geiger liest aus "Selbstportrait mit Flusspferd"

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Arno Geiger - Selbstporträt mit FlusspferdWie fühlt es sich an, heute jung zu sein? Arno Geiger erzählt von Julian, einem Studenten der Veterinärmedizin, der seine erste Trennung erlebt und erstaunt ist, wie viel Unordnung so eine Trennung schafft. Um die Unordnung ein wenig zu lindern, übernimmt er bei Professor Beham die Pflege eines Zwergflusspferds, das bald den Rhythmus des Sommers bestimmt: es isst, gähnt, taucht und stinkt. Julian verliebt sich in Aiko, die Tochter des Professors, verfolgt beunruhigt, wie täglich Schockwellen von Katastrophen um den Erdball fluten und durchlebt eine Zeit des Umbruchs und Neuanfangs. Ein Roman über die Suche nach einem Platz in der Welt.

Arno Geiger – Selbstportrait mit Flusspferd

Lesung in der Darmstädter Stadtkirche am 10. Februar 2015

Arno Geiger gewann 2005 den ersten Deutschen Buchpreis mit seinem Buch „Es geht uns gut“. Es ist fast zehn Jahre her, dass ich zusammen mit anderen Lesebegeisterten in einem Literaturkreis seinen wohl auch heute noch bekanntesten Roman gelesen habe. Arno Geiger war zuvor wohl kaum jemandem bekannt. Schaut man jedoch in seine Bibliografie, dann entdeckt man bereits 1997 seinen Erstlingsroman „Kleine Schule des Karusselfahrens“, im renommierten Hanser Verlag veröffentlich, der heute nicht mehr lieferbar ist. Die FAZ besprach ihn ohne viel Wohlwollen „Die Geschichte ist ihm entglitten.“ All dies wussten wir in unserem Literaturkreis damals nicht und so wagten wir uns an diesen uns unbekannten Autor heran. Unisono waren wir enttäuscht, sowohl von der Belanglosigkeit der Handlung als auch von seiner Sprache, die uns nie nahe ging.

Auch sein neuestes Werk „Selbstportrait mit Flusspferd“ wird in Teilen der professionellen Literaturkritik äußerst kritisch behandelt, wenn man aber nun auch etliche positive Stimmen findet. Ich zitiere aber wieder die FAZ mit ihrer Negativkritik. „Der Romantitel kündigt zwar ein Selbstporträt an, aber was Geiger tatsächlich porträtieren will, ist das Lebensgefühl eines x-beliebigen Zweiundzwanzigjährigen. Doch wie zeichnet man einen Jedermann im vierten Semester, ohne dass ein Klischeebild entstünde? Das ist die zweite Frage, die dieses Buch aufwirft, und Arno Geiger kann sie nicht beantworten.“

Der Moderator in der Darmstädter Stadtkirche wusste natürlich von den Bedenken so mancher Kritiker, stellte diese Kritik in allgemeiner Form voraus und betonte zugleich die große Kunst von Geigers Beobachtungsgabe für das Alltägliche, ohne dabei in effekthascherischer Weise die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Text ziehen zu müssen. Kunst benötigt keine Botschaft. Wohl war. Ich war auf die Lesung sehr gespannt.

Geiger beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit einem 22jährigen jungen Menschen. Dieses Sujet, in der Zeit Goethes durchaus häufig gewählt, findet man in modernen Romanen eher selten.  Julian, der nicht nur zufällig so heißt, sondern hier wird auf Kleist angespielt, hat sich von seiner Freundin Judith getrennt. Besser gesagt, sie hat die Trennung herbeigeführt. In den österreichischen Dialekt Geigers muss man sich erst ein wenig einhören, die Akustik der Kirche ist auch nicht ideal für einen etwas zurückhaltenden Vorleser. Mir fällt auf, dass Alltägliches aneinandergereiht wird, ohne dass die Innensicht der Figuren mit ihren Gedankenwelten dem Leser deutlich wird. Hier ein Beispiel.

Dann kaufte ich Holz für ein Bücherregal und stahl auf dem Dachboden des Hauses ein altes Türblatt, das ich zur Tischplatte umfunktionierte. Zwei Holzböcke als Tischbeine hatte ich ebenfalls gekauft. Ich flickte meinen Karatekittel, die rechte Ärmelnaht war gerissen.

Es geht uns gutEinige amerikanische Kurzgeschichten machen dies ebenso, dort schwingt aber zwischen den Sätzen mehr mit als bei Geiger. Dies muss nicht am Autor liegen. Ich als Leser habe da womöglich ein beschränktes Empfindungsorgan. Anders ergeht es mir mit Andreas Maier, der in seinem Romanprojekt „Die Straße“ mit seinem Protagonisten zwar noch nicht im Alter von 22 Jahren angekommen ist, aber selbst die Szenen aus früher Kindheit kommen mir vertrauter vor und treffen die damalige deutsche Alltagswelt besser. Vor allem die kindliche Innenwelt spürt man bei Maier. Geiger ist Jahrgang 1968, Maier wurde 1967 geboren und ich als Leser gehöre auch diesen Geburtsjahren an. Literarisch trennen die beiden Autoren jedoch Welten.

Der Verlag bietet eine ausführliche Leseprobe, mit der sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann. Julian trifft sich mit einem Freund in einem Lokal, in dem viele junge Leute verkehren.

Ihm gefiel das Lokal, obwohl er betonte, dass er kein Interesse mehr daran habe, mit Models zu schlafen. Er hatte da wohl einschlägige Erfahrungen. ‚Die riechen immer so komisch‘, sagte er.

Ganz beiläufig bringt er den doch überraschenden Satz „Die riechen immer so komisch.“ Es wäre interessant, ob der Beischlaf mit Models so viel anders ist und wenn der Autor den unwissenden Leser an seinen Erfahrungen teilhaben lassen würde. Aber Julian greift das Thema nicht weiter auf. Und damit bleibt diese kleine Szene in meinen Augen belanglos. Der Autor nutzt nicht die Möglichkeit mehr zu erzeugen als eine kleine Irritation.

Einige Zeilen später dann folgende Feststellung des Ich-Erzählers:

Es wurden einige Wegwerfsätze über Trennungen im Allgemeinen und Speziellen gewechselt.

Da ist sie wieder, diese Sprache Geigers, wie sie in unserem Lesekreis schon viele Jahre zuvor für Unverständnis gesorgt hat. Zunächst irritiert das Wort „Wegwerfsatz“, eine durchaus originelle Wortschöpfung, aber eben an einer Stelle, die Belanglosigkeit ausdrücken soll. Dann das Wortungetüm „im Allgemeinen und Speziellen“, welches an eine wissenschaftliche Abhandlung erinnert. Bei Geiger erfährt man diese allgemeinen und speziellen Wegwerfsätze eben nicht. Mich drängt es den Autor zu verbessern und das ist der Anfang vom Ende des Lesespaßes. Und so könnte man zugleich Geigers Buch zusammenfassen: „Es wurden einige belanglose Sätze über Trennungen gewechselt.“

Das wäre zwar ein originelles Ende einer Rezension, aber ein doch zu sehr konstruierter Gag, der dem Buch nicht gerecht wird. Die Zuhörer in der gut besuchten Stadtkirche waren jedenfalls begeistert. Und wer weiß, ob ich mein Urteil, welches nur ein vorläufiges sein kann, nach der Lektüre aller Kapitel nicht noch revidieren muss.

Weiterführende Links

Offizielle Webseite

Stadtkirche Darmstadt

Webseite des Hanser Verlages

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