Anja Thieme, Jahrgang 1969, wuchs als Tochter einer Buchhändlerin und eines Verlagskaufmannes inmitten von Literatur auf. Bereits während ihrer Schulzeit arbeitete sie als freie Mitarbeiterin bei einer Tageszeitung, schrieb Kurzgeschichten und Artikel für die lokale Presse. Nach dem Abitur begann sie im Herbst 1988 ein Germanistik-Studium, das sie wegen mangelnder Berufsaussichten abbrach. Sie schrieb neben ihrem "vernünftigen" Hauptberuf weiter Kurzgeschichten und Gedichte und begann damit, zu verschiedenen Themen für einen historischen Roman zu recherchieren. Auf die spätere Christianisierung Britanniens und die vorchristlichen Sagen der Kelten (Mabinogion) aufmerksam geworden, entstand der Roman "Orkneys Söhne", eine neue Interpretation des "Artus"-Stoffes.

Literaturschock: Wie kamen Sie dazu, ein Buch zu schreiben?

Anja Thieme: Das ist eine ebenso komplexe, wie gemeine Frage und ich bemühe mich seit zwei Jahren, eine gute Antwort darauf zu haben, weil sie immer wieder gestellt wird. *lach :-) Ich habe das Buch, trotz aller Recherche, wirklich aus dem Bauch heraus geschrieben. Also war für mich die große Prüfung nicht das Schreiben des Buchs, sondern den Mut zu haben, meine Arbeit anderen Menschen zugänglich zu machen. Obwohl das Sprachgefühl und Erzähltalent zu Schulzeiten schon aufgefallen sind, habe ich erst einmal eine "richtige" Karriere gemacht. Es war wirklich eine Art Doppelleben, tagsüber Büroalltag, abends und nachts dann das Schreiben. Als "Orkneys Söhne" entstand, habe ich im Bundestag gearbeitet und nach der Arbeit bis drei Uhr morgens am Manuskript gesessen. Es ist ganz simpel - ich erzähle gerne Geschichten. Über das Schreiben kann ich also nur sagen, daß ich ständig nach Worten suche, um meine Gefühle oder Eindrücke zu beschreiben, das ist wie Atmen, beinahe unbewußt. Ich habe immer geschrieben, so lange ich mich erinnern kann.

Literaturschock: Ihr Hauptprotagonist Mordred hat mich schnell in seinen Bann geschlagen, doch in den meisten Bücher über die Arthus Sage kommt er eher schlecht weg. Weshalb haben Sie gerade ihn als "Aufhänger" für Ihr Buch ausgewählt? - Und was finden Sie an dem Thema Arthus Legende so faszinierend?

Anja Thieme: Schon als Kind habe ich Rittergeschichten geliebt. Da führt an der Artussage kein Weg vorbei, vor allem weil sie wahrscheinlich auf historischen Ereignissen beruht. Da mich Geschichte interessiert, machte ich mich diesbezüglich auf Wahrheitssuche, mir waren sämtliche Interpretationen zu sehr mit Ritterromantik überlagert (die alleine zeitlich nicht paßt). Obendrein glaube ich keinem Autor einen Bösewicht, der einfach nur grundlos böse ist. Doch so wird Mordred ja in beinahe jedem Artus-Werk dargestellt. Ich war nach nur wenigen Recherchen überzeugt, daß Artus Sohn eine Art Sündenbock ist. Er durfte in der Schlacht um Camlann nicht siegen, sei es um das Andenken an den großen König nicht zu beflecken oder weil er die falsche Religion hatte. Aber er hat diese Schlacht gewonnen, so steht es zwischen den Zeilen in der ältesten Fassung der Artussage, dem Mabinogion. Diese Erzählung berichtet zuerst heldenhaft und positiv von Artus und seinen Mannen, dann aber vom Niedergang seines Hofes und seiner Herrschaft. Und nicht zuletzt von der schönen Königin Guennera. Was sie angeht, sind bisher sämtliche Romane neueren Datums an Dichtungen des Spätmittelalters angelehnt. In den Volkssagen aber ist von der Affäre mit Lancelot (Bredwwyr) nicht die Rede, nur von Mordred. Obendrein gab es eine großangelegte Intrige (s. Zitat auf dem Cover) auf die Artus und Mordred keinen Einfluß hatten, man brachte sie gegeneinander auf und das gipfelt dann in der großen Schlacht bei Camlann. Im Vorfeld wird von falschen Entscheidungen des Königs und absolutem Herrschaftsanspruch berichtet, auch von Willkür und Missetaten seiner Krieger. Was über den Prinzen Britanniens zwischen den Zeilen oder in Nebensätzen berichtet wird, hat dazu geführt, daß ich ihn und seine Handlungen verstehen konnte. Und weil er in den Mabinogi und anderen alten Volksmärchen schlicht nicht der Bösewicht ist schildere ich ihn nicht so. Auch für mich überraschend machte der andere Blickwinkel die Sage insgesamt logischer, menschlicher und begreifbarer.

Literaturschock: Was empfinden Sie als besonders gelungen an "Orkneys Söhne"? (bezogen beispielsweise auf Inhalt, Ausstattung)

Anja Thieme: Mordreds Schlußsatz ".. und hatte endlich gelernt... ff." ist wirklich eine ganz elementare Lehre, die ich für mich aus der Arbeit am Buch mitgenommen habe. Literarisch finde ich Tristans Gedicht für Essild schön und viele Kleinigkeiten, die meine Charaktere glaubhaft machen. Sehr interessant ist für mich, daß jeder Leser einen anderen Zugang zu dem Buch hat, manche lieben die Charakterstudie als solche, das Entmystifizierte, das Zeitcolorit, den gewissen Zauber, den ich dem Druidentum durch die Grenzwissenschaften erhalten konnte, die philosophische Aussage oder das ganzheitlichere Weltbild der Kelten. Ein Mann schrieb mir sogar, meine Geschichte sei für ihn jetzt die wahre Artuslegende. Also ist es mir anscheinend gelungen, die epische Breite der Sage zu erhalten. Sehr stolz bin ich darauf, daß viele Leser sich von Mordreds authentischer Sprache mitreißen lassen, das war mir sehr wichtig. Manche Kritiker hingegen erkennen den eher unreifen Schreibstil und die sich überstürzenden Gedanken, tatsächlich nicht als Stilmittel, sondern denken, ich könne das wohl nicht besser. Wenn das so glaubhaft herüberkommt, kann ich mich eigentlich nur glücklich schätzen.

Die Aufmachung ist perfekt, sie hält dem Vergleich mit jedem großen Prosaverlag stand. Alle, die mithalfen, das Buch zu gestalten, hielten sich strikt an das Manuskript oder meine Ratschläge, was ich natürlich sehr zu schätzen weiß. Die Anmerkungen waren mir sehr wichtig, sie sollen den Leser an Sachverhalte heranführen, die mir bei den Recherchen begegneten und die ich interessant oder wissenswert fand. Mit dem goldgeprägten, harten Einband hat mein Verleger mir einen großen Wunsch erfüllt, doch auch auf Kleinigkeiten, die ich anregte - wie das Lesebändchen - ist sofort eingegangen worden. Das allein zeigt das Vertrauen, daß der Verlag in meine Arbeit hat. Darauf bin ich natürlich sehr stolz.

Literaturschock: Der Verlag "Neue Erde" zeichnet sich eher durch sein Esotheriksortiment aus. "Orkneys Söhne" scheint da nicht so ganz in das Gesamtbild zu passen. Wie kam es dazu, dass Sie Ihr erstes Buch dort veröffentlichen konnten?

Anja Thieme: "Orkneys Söhne" ist auf seine Art auch esoterisch. Es wird die Suche eines Menschen nach Schicksal, seiner Aufgabe geschildert, genau das macht jeder Mensch, der sich mit Esoterik befaßt. Auf der sachlichen Ebene enthält das Buch auch eine Einführung in die Geisteswelt und Kultur der Kelten. Alte Religionen und ihre Weisheit, gerade die Kelten, sind einer der Schwerpunkte im Programm von Neue Erde. Insofern paßt mein Buch da wunderbar hinein. Meinen Roman an Andreas Lentz und Neue Erde zu senden, war die Idee meines Vaters. Er hat mein Manuskript mitgenommen, um es zu lesen und dann einfach weitergeschickt. Andreas Lentz rief mich keine zwei Wochen später an. Wir waren uns sofort in allem einig, so wie ich es oben beschreibe. Ich habe mir schon im Vorfeld Gedanken über eine Veröffentlichung gemacht und wünschte mir vor allem, daß mit meinem Erstling respektvoll und meiner zarten Künstlerseele :-) schonend umgegangen wurde. Das war mir und meinem Verleger gleichermaßen wichtig, so daß wir wohl beide unseren Entschluß nicht bereuen.

Literaturschock: Was ist Ihnen besonders wichtig an Büchern? Genauer gesagt: Was macht ein Buch für Sie zu einem besonderen Buch?

Anja Thieme: Das kann an echten Kleinigkeiten liegen. Bücher müssen mich überraschen können, durch ihre Personen, Metaphern, spannende Dialoge, kippende Situationen und viel Freiheit für das eigene Vorstellungsvermögen. Ellenlange Beschreibungen einer gotischen Kirche bis in den letzten Spitzbogen finde ich - bei aller Liebe zur Geschichte - todlangweilig. Bücher können ganze Welten erschaffen. Wenn ein Buch es also vermag, mir seine Welt glaubhaft zu machen, dann wird es bestimmt eines meiner Lieblingswerke. Als Beispiel: Einer meiner Freunde schreibt auch. Es gibt in einem seiner Thriller (was eigentlich überhaupt nicht mein Genre ist), einen Abschnitt, der mich sehr beeindruckt hat. In acht oder neun Sätzen beschreibt er das Geschehen aus der Sicht eines kleinen Hundes, mit Gerüchen, Sinneswahrnehmungen usw. Der Hund sieht ungefiltert von Moral oder Verstand dem puren Grauen zu, das Tier riecht und hört das Dreifache von dem, was ein menschlicher Protagonist sehen, geschweige denn beschreiben könnte. So etwas ist schlicht genial.

Literaturschock: Was sind Ihre gegenwärtigen Projekte? Gibt es schon konkretere Pläne für die Zukunft?

Anja Thieme: Da soll ich wohl Geheimnisse preisgeben. :-) Ich arbeite an einem Roman über einen Dichter aus Wales. Das Buch wird humorvoller als mein erstes, und viele historische Ereignisse, vor allem die christliche Mission in Britannien, werden von meinem Helden gehörig auf die Schippe genommen. Es ist aber auch eine Liebeserklärung an die Schönheit und Macht des Worts und eine Hommage an alle Literaten, die helfen, das kulturelle Erbe der Menschen über die Jahrtausende zu retten. Ich war insgesamt sehr fleißig in den letzten zwei Jahren und habe einiges ausprobiert, man darf also gespannt bleiben, was von mir da so kommt. Konkret sind Leseauftritte geplant und ich nehme mir gerade viel Zeit zum Schreiben und zum Lesen.

Literaturschock: Kann man als Schriftstellerin überhaupt noch vorbehaltlos Bücher lesen? Oder denkt man da immer gleich "Das hätte ich aber besser gemacht"?

Anja Thieme: Vor allem, wenn man gerade selbst arbeitet, auch innerlich, ist man so im eigenen Skript, daß man für die Arbeit anderer keinen Kopf hat. Man will nicht abgelenkt werden von eigenen Gedanken. Sicher ist man sprachlich sensibler als der normale Leser oder wird auf einen zu laschen Protagonisten oder langatmige Handlungsabschnitte schneller aufmerksam. "Besser gemacht" ist aber zuviel gesagt. Das meiste an Literatur hat ja seine qualitative Berechtigung, zumindest das, was ich landläufig so lese. Und ich bin auf jeden Fall mit mir selbst viel kritischer als mit der Arbeit anderer. Mal zur Entspannung zu lesen ist bei mir wirklich eher ein Zeitproblem als berufsabhängig.

Literaturschock: Was lesen Sie zur Zeit und was sind Ihre Lieblingsbücher/autoren?

Anja Thieme: Augenblicklich lese ich Aurelius Augustinus "Bekenntnisse" um ein Gefühl für frühmittelalterliche Kirchenliteratur zu bekommen. Bis vor einigen Tagen habe ich eine Luther-Biographie und germanische Göttersagen gelesen, parallel ein Buch mit Kurzgeschichten von Marian Kynes, das ich geschenkt bekommen habe. Außerdem brauche ich meistens auch gewisse Fachliteratur zur Inspiration oder Recherche, in die ich meistens vor dem Schlafengehen hineinsehe. Eine ziemlich bunte Mischung also. Wenn's um Literatur geht, ist Goethe unschlagbar, ich mag Shakespeare, Heinrich Heine, Thomas Mann, Max Frisch u.s.w. Mein Lieblingsbuch ist in dieser Sparte der "Dorian Gray" von Oscar Wilde, vielleicht weil er zu seinem genialen Handlungsbogen auch diese leicht fantasische Komponente hat. Wenn ich nach Unterhaltung suche, lande ich meistens in der Fantasy-Ecke. "Der Herr der Ringe" steht da ganz oben auf der Liste, er ist einfach ein Meisterwerk. An aktuelleren Autoren finde ich allerdings augenblicklich nur wenig, das mich reizt, da waren der dritte Band von "Harry Potter" der Diamant unter vielen Kieselsteinen. Absurden Humor mag ich auch, ich lese den " Anhalter" Bd 1-3 von Douglas Adams immer wieder mit neuem Vergnügen. "Garp" von John Irving ist auch eines meiner Lieblinsbücher. Wie man merkt geht mein Lesegeschmack quer durch die Bank, nur das Thriller und Krimi-Genre mag ich nicht sonderlich.

Literaturschock: Vielen Dank, Frau Thieme, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben!

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