Ralf Reiter ist freiberuflicher Lektoratsredakteur und entdeckte unter anderem die deutschen Jungautoren Frances G. Hill, Markus Heitz und Harald Evers. Er wurde 1966 in Trier geboren und wohnt derzeit in Köln. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Lektoratsdredakteurs. Fälschlicherweise nahm ich zum Zeitpunkt des Interviews an, dass er als freiberuflicher Literaturagent arbeitet (naja, Shit happens *grins*), wofür ich mich entschuldigen möchte.

Literaturschock: Erzählen Sie uns doch erst einmal ein bisschen etwas über sich (Familie, Hobbys etc.)

Ralf Reiter: 35 Jahre alt, stamme aus Trier, wohnhaft in Köln, Magister Artium in Germanistik und Geschichte, wohne zusammen mit meiner Lebensgefährtin, die als Kunsthistorikerin in den Kölner Museen arbeitet. Hobby: Katzen füttern.

Literaturschock: Auf Ihrer Seite gewinnt man den Eindruck, dass Musik Ihnen sehr viel bedeutet. Hören Sie bevorzugt Rock, oder machen Sie auch Abstecher in andere Musikrichtungen?

Ralf Reiter: Vornehmlich amerikanischen Punkrock aus der Prä-Grunge-Ära und das, was heute davon noch übrig ist: Bob Mould, Wipers, Meat Puppets, Buffalo Tom, Jones Very. Es muss scheppern. "Top of the Pops" verachte ich.

Literaturschock: Was hat es mit den Schwertern auf sich? Sind Sie Sammler? Man könnte fast meinen, Sie sind auch in der Rollenspielszene aktiv?

Ralf Reiter: Nein, kein Rollenspieler. Mir geht's bloß um das tolle Design von Schwertern, hauptsächlich von solchen aus dem europäischen Mittelalter. Objekte zum Anschauen und Anfassen. Meine Exemplare sind nichts besonderes, sondern handelsübliche Nachbildungen oder Schaukampfwaffen. Auf Mittelaltermärkte oder Rollenspiele stehe ich nicht so besonders.

Literaturschock: Wie kamen Sie dazu, freiberuflicher Literaturagent zu werden?

Ralf Reiter: Ich bin KEIN Literaturagent, Gott bewahre! Ich bin freiberuflicher Lektoratsredakteur und -gutachter. Die Sache ergab sich so. Während des Studiums hatte ich bereits einige Kontakte zu verantwortlichen Lektoren oder Herausgebern. Nach dem Studium stieg ich intensiver ein, und es erwies sich, daß man davon ganz gut leben kann und der Job einem große persönliche Freiheiten ermöglicht. Ich bin wegen Unterstützung in der Anwärmphase Sky Nonhoff, Friedel Wahren und Wolfgang Jeschke zu besonderem Dank verpflichtet.

Literaturschock: Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, wenn man diesen Beruf ergreifen möchte?

Ralf Reiter: Schnell und viel lesen können, gutes Englisch, noch besseres Deutsch, Literaturstudium fand ich persönlich essentiell, um die Distanz zum Text zu trainieren und nicht auf der Ebene des Fans zu verharren. Nur dann kann man vernünftig bewerten. Nicht lange drumherum reden, keine überflüssigen Nettigkeiten und "Diskussionen", aber Fachwissen und Bildung sind vonnöten. Es geht darum, Bücher realistisch bewerten zu können. Ein individualistischer Job, der keinem klassischen Profil entspricht, der sich vielmehr einfach "ergibt".

Literaturschock: Sie sind außerdem freier Autor. Haben Sie derzeit ein Projekt, an dem sie arbeiten?

Ralf Reiter: Als "freier Autor" arbeite ich hauptsächlich im journalistischen Bereich. habe dies jedoch zugunsten der Lektoratsarbeit nahezu völlig aufgegeben. Zuletzt hatte ich ein kurzes Porträt des Musikers Bob Mould in der Mache, es ist aber noch nicht fertig.

Literaturschock: Literaturagenten: Was in den U.S.A. bereits Standard ist, ist bei uns noch sehr ungewöhnlich: Die meisten Autoren hierzulande versenden ihre Manuskripte eigenhändig an Verlage - planlos, wahllos, erfolglos. Glauben Sie, dass das eine direkt mit dem anderen zusammenhängt? Oder gibt es einfach weniger gute deutsche Autoren?

Ralf Reiter: Wie gesagt, ich bin kein Agent, sondern ein Gutachter und Redakteur, dem die Lektoren anscheinend vertrauen. Dazu kann ich nicht viel sagen. Wenn mir ein Manuskript zusagt, bin ich bereit, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten dafür einzusetzen, nachzuhaken usw. Ein Agent bringt jedoch generell mehr Ordnung in Geschehen, auch ins Finanzielle, während "Einzelkämpfer" oft das Problem haben, überhaupt bis zu den Verantwortlichen vorzudringen. Und die sind zumeist so zugekippt mit Arbeit, daß das 23. Fantasy-Manuskript für diese Woche gar nicht erst groß auffällt. Ich versuche, bei diesem "Ausmisten" behilflich zu sein und die reizvollen Texte ausfindig zu machen. Dennoch: Einen Agenten zu haben, ist noch lange kein Adelstitel. Im täglichen Betrieb geht es jedoch nicht mehr ohne, vor allem was ausländische Autoren betrifft, die hierzulande ohne solche Kanäle schwer ins richtige Fahrwasser kämen.

Literaturschock: Ihre Schwerpunkte sind Fantasy, Science Fiction, Horror, Phantastik, moderne Literatur. Das ist ein sehr breit gefächertes Gebiet. Ist das nur Ihr berufliches Interessengebiet, oder lesen Sie selbst auch privat fast jedes Genre?

Ralf Reiter: Na ja, da gäbe es noch ein paar Genre mehr, nicht wahr? Mit Krimis habe ich z.B. rein gar nichts zu tun, auch nicht privat, der letzten historischen Roman, den ich las, war Gisbert Haefs "Alexander" (phänomenal!) Ich lese SF, Fantasy und Horror seit der Kindheit, habe dann Phantastik auch studiert. Diese Genres hängen stark miteinander zusammen, ich konnte da immer schon problemlos hin- und herschalten. Zu moderner Literatur kommt man leider viel zu selten, aber ab und zu kommt mal was angerauscht. Zudem hat sich Phantastik deutlich spürbar bis in die Gegenwartsliteratur und ihre Vertreter eingeschlichen, das war eigentlich schon bei Thomas Mann oder Gerhart Hauptmann so, so daß man es sehr oft mit Mutanten und Hybridformen zu tun bekommt.

Literaturschock: Wer gehört zu Ihren Entdeckungen? Haben Sie irgendwelche geheimen Lesetipps für uns?

Ralf Reiter: Gegutachtet und schwer empfohlen habe ich seinerzeit die deutschsprachigen Newcomer Frances G. Hill, Harald Evers, Micha Pansi und Markus Heitz. Ich empfehle dem Leser generell einen Blick in die neue Fantasy/Phantastik-Reihe von Piper, die ab Herbst 2002 im Hardcover startet und ab Sommer 2003 auch im Taschenbuch. Da ist einiges zu erwarten. Jüngst gefiel mir "The Alchemist's Door" von Lisa Goldstein ganz vorzüglich, kommt beizeiten bei Piper, ist aber momentan auch in den USA noch nicht erschienen. Ein Blick in die neue Serie von John Marco (Knaur) könnte sich lohnen, ebenso die Fortsetzungen von J.V. Jones' "Das Schwert der Schatten" (Knaur), die nun ENDLICH demnächst erscheinen werden. "Demnächst" ist Verlagssprache und heißt in Alltagssprache "irgendwann in 2003".

Literaturschock: Wie gehen Sie vor, wenn Sie Manuskripte bewerten müssen? Das abschließende Urteil über ein Buch kann doch eigentlich immer nur subjektiv sein? Gibt es bestimmte Bewertungskriterien?

Ralf Reiter: Jawoll, es IST subjektiv. Literatur und Geschichtenerzählen oder -konsumieren hat die häßliche Angewohnheit, bei jedem anders zu wirken. Wäre es nicht so, könnte man die Dinge mathematisch bewerten, und für die Buchhaltungsabteilungen der Verlage würden goldene Zeiten anbrechen. Gutachter und Lektor verlassen sich auf Erfahrungen und Instinkte, mittels derer man die potentielle Durchsetzungsfähigkeit eines Manuskripts oder Buchs in etwa abschätzen kann. Man liegt häufig genug daneben, aber im Gesamtbild geht die Rechnung durchaus auf. Die Kriterien heißen "Qualität" und "Durchsetzungsfähigkeit auf dem Markt". Ein idealer Mix aus beidem ist ein sehr, sehr heißer Kandidat für den Ankauf durch den Verlag.

Literaturschock: Was muß ein Buch haben, um Ihnen zu gefallen? Und - im Gegensatz dazu - welche Bücher haben überhaupt keine Chance?

Ralf Reiter: Power, Ökonomie, Sprache und Stil, Gesicht, neuwertige Ideen - keine Chance haben gewisse Spielarten amerikanischer Military- und HiTech-Literatur, esoterische Selbsterfahrungsfantasy des wöchentlich stattfindenden "Kreativen Hausfrauenforums Kleinkleckersdorf e.V." sowie das Hobbygefasel der meisten deutschen "Book on Demand"-Helden, die herumrennen und behaupten: "Ich bin Schriftsteller!" Aber: Auch deren Schriftwerke werden probegelesen und bewertet. JEDES Buch wird grundsätzlich erst mal gelesen.

Literaturschock: Auf Ihrer Seite schreiben Sie, daß Ihre Auftraggeber drei der größten Verlage Deutschlands sind: Wilhelm Heyne, Droemer Knaur, Piper Weitbrecht. Bisher dachte ich, daß sich nur die Autoren mit Ihren Werken an Literaturagenten wenden. Wie sieht aber so ein Auftrag eines Verlages aus?

Ralf Reiter: Mißverständnis. Wer hat gesagt, ich sei Agent? Wer war das? Wer? Wer verbreitet solche Gerüchte? Nee, im Ernst: Obige Verlage schicken mir bei Ihnen eingegangene Manuskripte oder Bücher (von privat oder über die Agenturen wie Baror, Schlück, Fritz oder Mohrbooks u.a.), die ich dann auf Tauglichkeit überprüfe und ein Gutachten anfertige. Ist ein Buch besonders geeignet, setze ich mich gerne weitergehend dafür ein, sofern so etwas in meiner Macht liegt. Beispiel: Markus Heitz und seine "Dunkle Zeit", die im Wust unterzugehen drohte, aber auf den Markt gehörte. Meine Meinung ist soweit recht beliebt, wie ich glaube, aber ich sitze nicht auf dem Geld und fälle keinerlei Entscheidungen. Ab und zu, wenn's gerade angesagt ist, werfe ich den guten Ruf in die Waagschale und versuche, im Sinne des Autors zu wirken. Aber nur dann, wenn ich auch hinter der Sache stehe.

Literaturschock: Bleibt Ihnen überhaupt noch Zeit, ein Buch nur zur Entspannung zu lesen? Falls ja: Welches Buch lesen Sie zur Zeit?

Ralf Reiter: Selten. Zur Zeit Norman Spinrad, "Die Transformation". Das habe ich zwar seinerzeit auch schon gegutachtet, aber ich schaue mir gerne mal an, wie der Übersetzer all die technischen und künstlerischen Probleme gelöst hat. Sehr gelungen, in dem Fall. Spinrad ist ein eitler, arroganter, unerträglich undiszplinierter Schriftsteller und einer von den besten, die es überhaupt gibt. Ich liege ihm zu Füßen.

Literaturschock: Sehen Sie durch Ihre Arbeit Autoren und deren Werke mit anderen Augen?

Ralf Reiter: Alle kochen nur mit Wasser. Unverschämt viel Talent, danach beginnt dann die Arbeit. Gute Autoren sind entweder Bekloppte oder Stubenhocker oder "pretty normal guys" oder irgendwie alles zusammen. Ich mag sie sehr, komme aber eigentlich nur selten mit ihnen zusammen. Ist vielleicht auch ganz gut so, denn wenn man jemanden persönlich nett findet, könnte sich das zu sehr aufs eigene Urteil auswirken.

Literaturschock: Manche Menschen suchen - vor allem - in Filmen aus Spaß an der Freude nach Fehlern. Versuchen Sie grundsätzlich, Bücher, die bereits veröffentlich wurden, zu zerpflücken?

Ralf Reiter: Nein, habe anderes zu tun.

Literaturschock: Was sagen Sie zum Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki und dem aktuellen "Skandal" um das neue Walser-Buch?

Ralf Reiter: Habe das Buch nicht gelesen. Scheint mit ein Feuilleton-Hype zu sein.

Literaturschock: Glauben Sie, dass es gefährliche Bücher gibt?

Ralf Reiter: Bücher sind dann gefährlich, wenn sie langweilig sind. Dann nickt man über ihnen weg, und die brennende Zigarette im Mundwinkel setzt das Sofa in Brand.

Literaturschock: Wie schnell lesen Sie?

Ralf Reiter: Extrrrrrem schnell.

Literaturschock: Was ist ihr Lieblingsbuch bzw. ihr Lieblingsautor?

Ralf Reiter: Michael Swanwick: "Jack Faust". Norman Spinrad: "Die Transformation", Jonathan Coe: "Das Haus des Schlafs", Lieblingsautor alles in allem und unterm Strich: Iain Banks.

Literaturschock: Möchten Sie angehenden Autoren und Autorinnen noch einen Tipp geben?

Ralf Reiter: An sich arbeiten, beim Wasserkochen den Siedepunkt perfekt abpassen und dann nicht verzagen beim Manuskriptversenden. Die Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen.

Literaturschock: Vielen Dank, Herr Reiter, für das Interview!

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