Hans Waal: Die Nachhut

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Hans Waal: Die Nachhut
Verlag
ET (D)
2008
Ausgabe
Taschenbuch
ISBN-13
9783746625584

Informationen zum Buch

Seiten
336

Sonstiges

Erster Satz
28. März 2004 - Heute muß Karfreitag sein, und daran - meine liebe Liesbeth - kann selbst Otto wenig ändern.

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Als der letzte Büchsenöffner abbricht, kommt es in einem geheimen Bunker nahe des Autobahndreiecks Wittstock zur Meuterei: Nach mehr als 60 Jahren unter der Erde ist die eiserne Disziplin von vier alten Männern der Waffen-SS endgültig erloschen und sie beschließen den Ausstieg. Ans Tageslicht treten vier schwer bewaffnete Gespenster der Vergangenheit. Verfolgt von begeisterten brandenburgischen Neonazis, gejagt von Ärzten und der Polizei und begleitet von Fernsehleuten, die zunächst die große Story wittern, bevor sie das ganze Drama der verstörten Opas begreifen, schlagen sie sich durch das wiedervereinigte Deutschland bis in die "Reichshauptstadt" vor.

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Meine Meinung:

Was für eine absurde Idee, vier Original-Nazis auf unser heutiges Deutschland loszulassen... ein wagemutiges Unterfangen, das sich der Autor da vorgenommen hat. Herausgekommen ist ein Roman, der brillant konstruiert ist, nachdenklich macht und dabei aufs Beste unterhält - eine gelungene Mischung.

Mit drei verschiedenen Ich-Perspektiven wird die Aufmerksamkeit des Lesers sehr gefordert, aber ich hatte sehr schnell herausgefunden, wer nun wer ist.

Zum einen bekommen wir die Perspektive des tagebuch- und briefeschreibenden Fritz erzählt, der den Großteil seines Lebens von der Außenwelt abgeschnitten verbracht hat und nun ein Deutschland der Gegenwart durch die Augen eines 20-Jährigen SS-Mannes betrachtet. Dieser Blick auf unser Land und unsere Gesellschaft hat mich sehr fasziniert - schliesslich ist Fritz der Meinung, wir befinden uns immer noch im 2. Weltkrieg und steuern unaufhaltsam auf den Endsieg zu. Wie er das, was er zu sehen bekommt, interpretiert und sich auf seine ganz eigene Weise seinen Reim darauf macht, das ist verwirrend, amüsant, zynisch, abstoßend und bewegend. Ich musste oft lauthals loslachen - aber manchmal blieb mir auch das Lachen im Hals stecken.

Was dieser Handlungsstrang auch mit sich brachte, war eine gewisse Sympathie für diesen SS-Mann, der da so naiv durch die Gegend stolpert, aber auch ein Hauch von einer Ahnung, wie es passieren konnte, dass den Menschen damals der Blick für die Wirklichkeit verwehrt blieb bzw. wie die Wahrheit verdrängt oder verwässert wurde. Mit geschicktem Einsatz von Elementen wie zum Beispiel der Wehrmachtsausstellung oder dem Holocaust-Denkmal lässt der Autor seinen Protagonisten ganz langsam das Ausmass der Katastrophe erkennen, was zu sehr nachdenklich machenden und bewegenden Szenen führt.

Außerdem haben wir noch weitere zwei Ich-Erzähler, nämlich den Jungjournalisten Benny und Evelyn, die Leiterin eines Neonazi-Sonderkommandos, die in einer dialogartigen Weise ihre Sicht auf die Ereignisse schildern und durch deren Augen die SS-Männer einschliesslich Fritz ein ganz anderes Bild ergeben. Hier hat der Autor ganz geschickt die Rolle des Sensationsjournalismus und auch der Politik eingeflochten, und ich kann nur Beifall klatschen, wie raffiniert die Personen und Ereignisse am Ende zusammenpassen und verknüpft sind.

Sprachlich fand ich die Lektüre ebenso facettenreich wie die Figuren; der Autor hat für seinen jeweiligen Ich-Protagonisten den perfekt passenden Sprachstil benutzt. Ein Buch, das mich gleichzeitig so bewegt und auf eine skurille und zynische Art und Weise unterhält, hat in jedem Fall die Höchstbewertung verdient und ich wünsche dem Roman noch sehr viele Leser.
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Kommentare
Wall / die Nachhut
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4.7
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Sprache & Stil
 
4.0
Lieber Hr. Waal,

was für ein Buch, danke, dass ich so was lesen durfte!

Ich bin 1965 in der DDR geboren und habe die Segnungen der sozialistischen Erziehung genossen, was bis zur Pubertät tatsächlich auch OK war.
Erstmalige Zweifel kamen mir mit Beginn meiner Lehrzeit, die auch durch strenge vormilitärische Ausbildung geprägt war (…keinerlei Privatsphäre und schleifen, bis die Ellenbogen bluten).
Als ich dann 19jährig meinen 18-montigen Armeedienst antrat, brachen endgültig alle Illusionen. Jugendlich naive Weltbilder, wie Pazifismus und freie Gedanken wurden definitiv gebrochen (was dieser Satz bedeutet kann nur der nachvollziehen, der es erlebt hat!).
Nach der Grundausbildung wurde ich in die Nähe von Berlin versetzt, zur Bewachung eines noch im Bau befindlichen Bunkers, der – wie ich nach der Wende erfahren habe (während meiner Dienstzeit wurde selbst den Bewachern nicht klar vermittelt, was genau sie da bewachen) - der Führungsbunker des Innenministers (Armeegeneral Dickel) im Kriegsfall gewesen wäre. Auch das diese Einheit später dem MfS unterstellt wurde, ist nie vermittelt worden (es hat auch keiner gefragt – eine Alternative gab es nicht).
Die NVA entsprach moralisch handelnd in jeder Hinsicht preußischer Tradition. Aber auch jugendliches Ego (so sehe ich es heute) wurde gezielt gefördert (das Kampfsportabzeichen a.d. Jahr 1986 liegt noch heute in einer meiner Schubladen).
Die Kapo-Struktur, wie man sie auch aus der Wehrmacht, den KZ sowie in Haftanstalten kennt, war Ordnungsprinzip – und (das muss man erst mal verstehen) funktionierte; die Konsequenzen waren gnadenlos. Warum wird heute so gut wie nicht über das Armeegefängnis in Schwedt berichtet? Man begriff den Sinn des Wortes „Befehl“ sehr schnell: die Konstellation ist alternativlos! Dankbar bin ich, dass ich nie in eine Situation gekommen bin, die ein Menschenleben gekostet hätte!

Nach meiner Armeezeit habe ich studiert (zwar nicht das, was ich eigentlich wollte, dafür hätte ich mich mindestens für 3 Jahre Armeezeit verpflichten müssen), aber trotzdem war es eine positive Offenbarung in jeder Hinsicht.

Ich bin unendlich dankbar, dass die Mauer am 9.11.89 fiel, die Möglichkeiten und Chancen die sich damit ergeben haben erscheinen mir noch heute wie ein Wunder. Ich bin dankbar, dass ich heute in einem System lebe, in dem solche Bücher erscheinen dürfen. Die Geschichte hat es mit uns Deutschen wahrlich nicht immer gut gemeint – vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, wie Sie die Biographien der Protagonisten darstellen ehrlich und erfrischend! Es ist in jeder Hinsicht ein sehr klug und mutig geschriebenes Buch.

Eine Anmerkung habe ich: wenn man die Typen, die ihre Freizeit in Tankstellen verbringen als Gradmesser für die Qualität der Schulbildung – und damit der Lehrer – heranzieht, so kann man nicht nur in Ostdeutschland die Hände über den Kopf zusammenschlagen!

Trotzdem - nochmals Danke für das Buch!

Walter


W
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