Jean-Luc Seigle: Ich schreibe Ihnen im Dunkeln

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Jean-Luc Seigle: Ich schreibe Ihnen im Dunkeln
ET (D)
2017
Ausgabe
Gebundene Ausgabe
Originaltitel
Je vous écris dans le noir
ET (Original)
2015
ISBN-13
9783406697180

Informationen zum Buch

Seiten
207

Sonstiges

Originalsprache
französisch
Übersetzer/in

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Handlungsort

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Einfühlsam und poetisch erzählt Jean-Luc Seigle in diesem dichten, intensiven Roman von der Leidenschaft und den Wünschen einer Frau, die, attraktiv und talentiert, mit ihrem Begehren immer wieder scheitert. Es ist eine wahre Begebenheit, die Jean-Luc Seigle in seinem neuen Roman von der Hauptfigur Pauline erzählen lässt, als sie, in einem Haus in Marokko sitzend, ihre Geschichte aufschreibt. Die tragische Geschichte einer jungen und begabten Frau, die während der deutschen Besatzung Frankreichs für einen deutschen Militärarzt arbeitet und dessen Geliebte wird. Nach der Befreiung Frankreichs üben Männer der Résistance fürchterliche Rache an ihr. Später studiert Pauline in Paris, will sich ihrer großen Liebe Félix offenbaren und wird wegen ihrer Vergangenheit von ihm abgewiesen. Im Affekt tötet sie Félix. Sie wird 1950 zum Tode verurteilt, die Strafe wird in lebenslänglich umgewandelt. Währenddessen dreht der Regisseur Henri-Georges Clouzot auf der Grundlage ihres Schicksals den Film "Die Wahrheit" mit Brigitte Bardot in der Hauptrolle. Aus dem Gefängnis entlassen, muss Pauline sich mit diesem Film konfrontieren und weicht schließlich nach Marokko aus. Wieder verliebt sie sich, wieder will sie sich erklären, will herausfinden, was denn ihre Wahrheit ist.

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Der französische Schriftsteller und Drehbuchautor Jean-Luc Seigle hat sich in seinem Roman „Ich schreibe Ihnen im Dunkeln“ an eine in Frankreich bis heute heiß diskutierte Geschichte gewagt. Das tragische Leben bzw. Schicksal der Französin Pauline Dubuisson (1927-1963, Porträt siehe Cover) wurde sogar mit Brigitte Bardot in der Hauptrolle verfilmt. Doch dieser Film mit dem programmatischen Titel „Wahrheit“ (1960) zeigt eben nur eine Wahrheit, nämlich die der Rechtsprechung. Dort wird Paulines Leben eindimensional porträtiert und sie zur kaltblütigen „Mörderin“ degradiert. Der Autor Seigle konnte sich nicht länger mit dieser vorgefertigten Sichtweise von außen abfinden und hat deshalb dieses spezielle Buchprojekt ins Leben gerufen. Ein Projekt, bei dem der Autor versucht, die nach dem Selbstmord von Pauline verloren gegangenen Hefte und Tagebücher selbstständig und unter Zuhilfenahme von Quellen zu rekonstruieren.

„Paulines Verbrechen nimmt einen winzigen Moment in ihrem Leben ein, die Zeit, um drei Revolverkugeln zu verschießen, kaum eine Minute. Man kann sie mit dem schöpferischen Augenblick vergleichen, dem geheimnisvollen Phänomen des künstlerischen Schaffens, derselbe Taumel, dieselbe plötzliche Inspiration, dasselbe Von-sich-selbst-Fortsein, um mit Stefan Zweig zu sprechen. Doch das Verbrechen ist kein Wunder der Kreativität, es ist eine Lücke in Paulines Leben, ein Riss der sich in ihrem Dasein auftut, eine unendlich kurze verdichtete Zeit.“
(S. 10)

Pauline Dubuissons Leben enthält mehr Schatten als Licht. Sie wurde in eine schwere Zeit hineingeboren, nämlich zwischen die beiden Weltkriege. Zwei der drei Brüder fielen im Ersten Weltkrieg, woraufhin die Mutter schwer depressiv wurde. Und Pauline schaute mehr zu ihrem machtvollen Vater, einen altgedienten Offizier auf. In dieser für ihre Familie katastrophalen Zeit kümmerte sich niemand um die 15-Jährige, so dass sich das hochintelligente Mädchen menschliche Wärme bei Matrosen suchte, was ihr nicht nur den Ruf als Schlampe einbrachte, sondern auch den Schulplatz am Gymnasium kostete. Doch ihr Traum, Medizin zu studieren, war zu stark und bereits mit 16 Jahren machte sie ihr Abitur auf eigene Faust. Danach verlangte der Vater von ihr wegen des Kriegszustands und der angeschlagenen Gesundheit der Mutter erst einmal eine Ausbildung zur Krankenschwester im Heimatort zu machen. Was folgte war eine lehrreiche wie aufregende Zeit für Pauline. Weil sie sich mit ihrem Ausbilder, einen deutschen Arzt, eingelassen hatte, wurde sie kurz vor Kriegsende von Kräften der Résistance öffentlich gedemütigt. Kahlgeschoren und mehrfach missbraucht holte sie ihr Vater zurück nach Hause. Nach einer Phase der Rekonvaleszenz begann sie in Lille Medizin zu studieren; was weit weg von der Heimatstadt Malo-les-Bains lag. Hier lernte sie den jungen Medizinstudenten Félix Bailly kennen und lieben. Die Trennung im Jahr 1953 hat sie alles andere als gut verkraftet. Als sie Félix ein letztes Mal besucht, erschießt sie ihn im Affekt. Danach wird sie von der medialen Öffentlichkeit zur persona non grata erklärt, gar als neue „Messalina“ betitelt, und muss für neun Jahre hinter Gitter. Als Pauline mit 30 entlassen wird, ist sie eine andere, einsame und leere Frau. Sie beendet ihr Studium und wandert nach Essaouira (Marokko) aus. Dort nimmt sie den falschen Vornamen Andrée an und führt ein freies Leben ohne Vorwürfe. Zum ersten Mal fühlt sie sich angekommen.

„Es herrscht vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Stein und meinem Körper, zwischen dem Mittelpunkt des Hauses und meinem Herzen, zwischen seinem Schatten und meinem Innersten – genau das Gegenteil vom Gefängnis, wo es nur Trennung gibt zwischen Mauern und Körpern.“ (S. 28)

Bis Jean in ihr Leben tritt und sie heiraten möchte. Doch als er die Wahrheit erfährt, ist alles vorbei und Pauline wieder allein. Die Konsequenz – ihr Suizid - erscheint so traurig wie folgerichtig, denn niemand liebte sie mehr…

Jean-Luc Seigles einfühlsame wie unverstellte Herangehensweise nimmt den Leser ab der ersten Zeile gefangen. Unterteilt in drei fiktive Hefte zeichnet Seigle Paulines Schicksal minutiös nach. Dabei rollt er die Geschichte von hinten auf, indem er mit Paulines marokkanischer „Exilzeit“ beginnt. Auf diese Weise taucht der Leser Seite für Seite in deren Leben ein. Ihre Entbehrungen, ihre Sehnsüchte, ihre Begierden sowie ihre dunkelsten Erfahrungen, Seigle lässt nichts unausgesprochen und ist vor allem dann am stärksten, wenn er Paulines Leid und seelische Zerrissenheit nachzeichnet. Hierbei schlüpft er täuschend echt in Paulines Rolle und agiert als Ich-Erzählerin. Dies tut er auf eindringliche, stark metaphorische und erschreckend realistische Weise. Kriege und männliche Gewalt haben Paulines Leben hart zugesetzt und letztendlich ist sie trotz ihres starken Willens daran zerbrochen.

FAZIT
Ein berührender Roman, der auf einer wahren Geschichte basiert und selbst nach Beendigung noch lange nachwirkt.
Ein literarisches Meisterstück.
JH
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Eine literarische Rehabilitation - und ein aufwühlender "Hochkaräter" !!
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"Ich schreibe Ihnen im Dunkeln" von Jean-Luc Seigle ist im C.H. Beck-Verlag (2017, HC gebunden) erschienen und wurde von Andrea Spingler vom Französischen ins Deutsche übersetzt. Der Autor zeichnet wie in einem außergewöhnlichen, ja spektakulären Aufsatz das Leben von Pauline Dubuisson (1927 - 1963) nach. Das Leben dieser Frau, die hier in der Ich-Form zu Wort kommt und deren 'Beichte' man in Rückblicken in ihr Leben, das eine Kette tragischer Verstrickungen - und mehr - gewesen ist, versuchte Jean-Luc Seigle auf sehr empathische, zuweilen poetische Weise, gleichzeitig aber auch sehr nüchtern und realitätsbewusst, nachzuzeichnen. Meiner Meinung nach ist ihm dies überaus gut gelungen. Die Geschichte um den Prozess von Pauline, die danach 9 Jahre inhaftiert war, da sie im Affekt ihren Ex-Verlobten Félix tötete, wurde von Clouzot mit Brigitte Bardot in der Hauptrolle verfilmt ("La Vérité, Die Wahrheit", 1960).

Pauline, die sich nach ihrer Haftstrafe Andrée nennt, flieht nach diesem Film nach Essaouire, Marokko und möchte nicht noch einmal von vorne anfangen, sondern ein neues Leben beginnen und schreiben...
Der Film war eher des Gegenteil als "Die Wahrheit" über ihre Geschichte und besiegelte für sie die Tatsache, von der Gesellschaft geächtet und als Mörderin verdammt zu sein. Der Vater beging nach dem Urteil über die Tochter Selbstmord, was die Mutter, die hier als 'Ernährerin' und im Grunde starke Frau dargestellt wird, ihr niemals vorwirft, die Tochter aber auch nicht beschützen kann. Aufgewachsen ist Pauline mit 3 Brüdern, von denen zwei im Krieg fielen; was bei der Mutter verständlicherweise später zu Depressionen führte. Zum Vater hatte sie ein enges Verhältnis, ihn verehrte und vergötterte sie beinahe.

Als Jean, in den sich Andrée (also Pauline) verliebte, sie heiraten möchte, holt das Schicksal sie abermals ein... Gegen Ende des 1. Heftes sind die Fragen der Ich-Erzählerin Pauline förmlich zu spüren, die sich in ihr auftun, wenn es um das Recht geht, ein glückliches Leben leben zu dürfen (und es auch zu können); ihre große innere Zerrissenheit und ihre Verletzungen sind sichtbar.
Der Schreibstil von Jean-Luc Seigle gefällt mir sehr gut, er ist von großer Empathiefähigkeit geprägt, sehr intensiv und trotz der Sprachdichte und kurzer Sätze von großer Tiefe und Bedeutsamkeit. Gegliedert ist der Roman in drei Hefte, einem Vorwort und einem Epilog sowie Hinweisen, die Erklärungen zum Romaninhalt sind.

Sehr ergreifend ist der Beginn des zweiten Heftes, in dem Pauline beschreibt, wie sie sich während ihres Prozesses und im Gefängnis fühlte; sie erlebt als angeklagte Mörderin Abscheuliches, hat das Gefühl, als werde sie (die Medizin studieren wollte und sehr intelligent sowie empfindsam ist) am lebenden Körper geöffnet, seziert - nur um nach Bösem zu suchen; nicht aber nach ihren Idealen, Tugenden, nichts, was Gutes in ihr und Menschlichkeit hätte zeigen können... In Rückblicken erzählt Pauline von ihrer Kindheit, von der Verehrung für ihren Vater und es wird deutlich, wie sehr die beiden Weltkriege das Familienleben bestimmte, z.B. was das Essen betraf und das Bedürfnis ihrer Mutter, die Familie zu bekochen. Ganz besonders berührt hat mich ihr Rückblick, in dem es um den Staatsanwalt und dessen Rolle geht, der "das Böse benutzt, um im Namen der Gerechtigkeit Rache zu üben" (Zitat, S. 80). Im Gefängnis helfen ihr Dostojewski und andere Bücher, wie sie sagt, nicht verrückt zu werden... Der dritte, jüngere Bruder wendet sich von ihr ab, stellt ihr jedoch einen integren Anwalt zur Seite: "Er kannte seine Grenzen. Das ist ein Vorteil im Leben". (Zitat, S. 101)

Diese Sätze machen diesen unglaublich menschlichen, authentisch und sehr einfühlsam geschriebenen Roman für mich aus - schnörkellos und direkt. Aus dem erzählten Zusammenhang des Verlusts ihrer Brüder und dem familiären Trauerklima, das darauf folgt, sucht Pauline ein Pendant zu dieser Trauer und entdeckt ihre sexuelle Neugier, sieht darin das Leben und sehnt sich danach, auch dies wird ihr später zur Last gelegt. Der Vater sorgt dafür, dass die Tochter eine Stelle als Krankenschwester bekommt, um indirekt seine Frau glücklich zu machen: Der deutsche Arzt während der Besatzungszeit, an dessen Seite Pauline fortan arbeitet, erhält lukullinarische Delikatessen von den Klienten, die somit teilweise auf dem Küchentisch der Mutter landen, die sie in köstliche Mahle verwandelt. Pauline wird sowohl vom Vater als auch von der Mutter für deren Ziele und Zwecke benutzt; als Kind zum Jagen, als Jugendliche wird sie in Form von Naturalien entlohnt, die die Rolle der Mutter als 'Ernährerin' wiederaufleben lässt; alles wird für sie 'vorgezeichnet'. Die Wehrlosigkeit, Verlorenheit und unfassbare Demütigung durch das "Geschoren werden", das Frauen, die sich mit den deutschen Besatzern eingelassen hatten, zuteil wurde bis hin zu Vergewaltigungen mit berechtigter Todesangst symbolisieren auch die 'inneren Tode' von Pauline, die Befreiung war in ihrem Falle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit - und gegen die Frau.

Gegen Ende des Romans geht es um "Die Wahrheit", um den Tag des Geschehens, als Pauline auf Félix schoss - und den Auslöser, den es für sie dazu gab. An Tragik, aber auch an Zurückweisung und Verletzlichkeit ist diese Szene kaum zu überbieten. Besonders mutig und aufrichtig fand ich die Offenheit, ja die Ehrlichkeit der sensiblen Pauline, die ihr Haus des Glücks und der Liebe nicht auf Lügen aufbauen wollte und einen Weg der Wahrheit bis zum Schluss suchte - und erneut scheiterte....
Nach dem Lesen dieses Buchs ist man fassungslos, auch ratlos - auch ein Gefühl der Wut machte sich in mir breit mit der Frage, wie viele Verletzungen, Zurückweisungen, Demütigungen, Gewalt ein Mensch ertragen kann; im Falle von Pauline Dubuisson war es viel zu viel, finde ich; auch die manipulativen Eingriffe des Vaters in ihr Leben ließen mich schaudern. Umso dankbarer bin ich Jean-Luc Seigle, ihre Geschichte aufgeschrieben zu haben, trotz meines Bedauerns, dass das 'cahier', das Originaldokument von Pauline unauffindbar verloren ist.

Fazit:

Eine zutiefst ergreifende, erschütternde Geschichte um die Biografie von Pauline Dubuisson, die auf wahren Begebenheiten beruht und von Jean-Luc Seigle nachgezeichnet wurde. Eine intelligente, starke und aufrichtige Persönlichkeit und angehende Ärztin wird m.E. das Opfer ihrer Zeit und all jener, die sie zu ihren Zwecken und Zielen benutzt - ja missbraucht haben. Die Verfilmung trug ihrerseits dazu bei, eine Frau zu verleumden und auszulöschen, die gerne ein glückliches und erfülltes Leben gelebt hätte! Eine tiefe Verneigung vor dem Autor sowie 5 * mit einer absoluten Leseempfehlung, besonders für Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn!
S
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