Yuris Vater erzählt seinem Sohn allabendlich auf dem Balkon wunderbar melancholische Lügengeschichten, in denen er der Star ist, ein toller Hecht, eine Legende. In den sechziger Jahren aus Lettland emigriert, ignorieren Yuris Eltern hartnäckig, dass sie ihren amerikanischen Traum in den Sand gesetzt haben. Um jeden Preis wollen sie im öden Brauereinest Milwaukee heimisch werden. Yuris Vater ist schon mal von Wodka auf Bourbon umgestiegen, seine Mutter pflastert die Wände mit Werbeanzeigen, beide sprechen ausschließlich Englisch, wenn auch ein recht zweifelhaftes, und bemühen sich überhaupt, amerikanischer zu sein als jeder Amerikaner. Nur Yuri scheint irgendwie aus der Art zu schlagen. Seit er sich in die Jungkommunistin Hannah verliebt hat, zitiert er beim Essen neuerdings Marx und Lenin. Für seine Eltern bricht eine Welt zusammen. Trotzdem lassen sie den Sohn seine eigenen Erfahrungen machen. Und das tut dieser auch ausgiebig, bis ein nächtlicher Ausflug mit Hannah, der schlimme Folgen hat, ihn über Nacht erwachsen werden lässt. Und gerade noch rechtzeitig versteht Yuri, dass das Leben wirklich so irre ist, wie sein Vater immer behauptet - und alles, aber auch alles möglich.
Autoren-Bewertungen
2 Bewertungen
Gesamtbewertung
4.0
Plot / Unterhaltungswert
4.0
Charaktere
4.0
Sprache & Stil
4.0
Yuris Eltern sind in den 60er Jahren aus Lettland vor dem Kommunismus geflüchtet und in die USA eingewandert. Sie leben dort ein ärmliches Leben in Milwaukee. Der Vater arbeitet nachts in einer Autowerkstatt und versinkt tagsüber im Alkohol. So kann er sich das Leben schöner machen, so schön, wie er den Amerikanischen Traum wohl ursprünglich erwartet hatte und der doch nicht so eingetroffen ist, wie er es erhoffte. Nichtsdestotrotz leben er und seine Frau diesen amerikanischen Traum, sind stolz auf ihren neuen Wohnort und wollen vor allem, dass ihr Sohn Yuri ein amerikanisches und damit freies Leben führen kann. Dafür leben sie selbst betont amerikanisch, reden sogar nur englisch und sind stolz auf ihre neue Heimat.
Yuri hat mitten in seiner Pubertät nun aber so ganz andere Dinge im Kopf, die auch noch weiblich und kommunistisch sind. Über die Vergangenheit seiner Eltern hat er sich bisher nie viel Gedanken gemacht, er leidet sogar ein bisschen darunter, dass er seine Wurzeln kaum kennt. Für Politik hat er sich nie interessiert, deshalb hat er auch kein Problem damit, eine kommunistische Zeitung zu verkaufen, nur um seinem Schwarm nahe zu sein. Ihr zu imponieren und zu gefallen ist sein vorrangiges Ziel, dass ihn sogar eine Straftat begehen lässt.
Durch die Folgen dieser Tat aufgerüttelt, fängt er an, sich mit seinem Vater und dessen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Hilfreich ist auch Familienbesuch aus Lettland, der sich in die kleine Wohnung drängt und so gar nicht mehr zurück möchte. Yuris Vater blüht dabei so richtig als Fremdenführer auf, wird dabei aber auch um so mehr an sein früheres Leben und sein Scheitern erinnert. Nostalgische Gespräche mit seinem Vater auf dem Balkon, bringen Yuri seinem Vater und seinen eigenen Wurzeln nach und nach näher. Seine neue Freundin möchte er aber auch nicht verlieren.
Mit viel Liebe für seine Figuren erzählt der Autor eine oft melancholische Geschichte über einen gescheiterten Neuanfang, der einmal so hoffnungsvoll begonnen hatte, eine Geschichte über einen alten Traum, aber auch eine Geschichte über das Zueinanderfinden einer Familie.
Humorvolle, traurige, liebevolle, tragische, hoffnungsvolle und niedergeschlagene und doch wieder viele lustige Momente bietet diese Geschichte, die ganz besonders durch ihre so sympathischen und liebevollen Figuren lebt und einen am Ende trotz all der Tragik doch mit einem etwas traurigem Lächeln zurücklässt.
Durch seine besondere Sprache, die er Yuris Eltern gibt, versteht es der Autor sehr gut, einem die osteuropäischen Personen nahe zu bringen und ihre Gefühle und Ansichten gut zu verstehen. Aber auch Yuri, der westliche Sohn, kommt einem sehr nahe und man spürt sehr gut, wie schwierig es für ihn ist, sich zu finden.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, ich hoffe es gibt irgendwann einen weiteren Roman dieses Autors.
Yuri Balodis ist der Sohn lettischer Einwanderer, die sich in Amerika ein besseres Leben erhofften. Während sie versuchen, amerikanischer als amerikanisch zu sein und somit ihr früheres Leben hinter sich zu lassen, sieht Yuri nur die Unzulänglichkeiten ihres Alltags. Er schämt sich für die kleine Wohnung in einer Plattenbausiedlung, für seinen trinkenden, als Hausmeister arbeitenden Vater und seine Mutter, die sich regelmäßig mit dem polnischen Delikatessenverkäufer anlegt. Als Hannah in sein Leben tritt, wird plötzlich alles anders. Um in ihrer Nähe zu sein, schließt er sich einer Gruppe Kommunisten an, die sich um Hannahs Vater scharen, womit er seine eigenen Eltern tief trifft. Schließlich begeht er sogar eine Straftat, um Hannah zu imponieren. Als wäre das nicht genug, quartieren sich lettische Verwandte in der kleinen Wohnung ein, in der es nun keine ruhige Ecke mehr gibt. Yuri beginnt, sich mit der Vergangenheit seiner Eltern auseinanderzusetzen.
Obwohl die Ereignisse um Yuri alles andere als alltäglich sind, schafft Toutonghi sehr schnell eine Nähe zu ihm, indem er Details einbaut, die wahrscheinlich jeder so oder ähnlich selbst erlebt hat. Schön ist auch, wie Yuris besondere Beziehung zu Büchern beschrieben wird. Immer wieder flüchtet er sich in die Welt der Literatur, teils um Abstand von seinem lärmenden Leben zu bekommen, teils um Antworten zu finden. Durch die Ich-Perspektive wird Yuri sehr lebendig, doch auch die anderen Protagonisten sind mit all ihren Ecken und Kanten dargestellt.
Einerseits ist der Roman einer über das Erwachsenwerden und den Weg zu sich selbst. Über die erste Liebe und die Rebellion gegen die Eltern, erzählt mit der rückblickenden Erkenntnis, dass diese auch nur aus Liebe gehandelt haben. Andererseits handelt er von den Problemen der Einwanderer in zweiter Generation, wobei nicht nur die Schwierigkeiten der Eltern dargestellt werden, sondern auch und besonders die des Sohnes. Hin und her gerissen zwischen dem american way of life und dem Wunsch, mehr über die Kultur seiner Eltern zu erfahren, ja, einfach ihre Sprache verstehen zu können.
Die Handlung pendelt zwischen witzigen, locker erzählten Passagen und Ernsthaftigkeit, woraus sich genau die richtige Mischung ergibt. Nichts erscheint in dem Moment, in dem man es liest, übertrieben oder konstruiert. Noch nicht mal der übermäßige Alkoholkonsum, der das ganze Buch durchzieht, erschien mir negativ, denn er ergibt sich aus den Geschehnissen und hat somit seine Berechtigung. Darüber hinaus wird er nicht verklärt, sondern mit all seinen Konsequenzen dargestellt.
Insgesamt ein Buch, das mich nicht nur sehr gut unterhalten, sondern auch durch seine Tiefe überrascht hat. Für die volle Rattenzahl fehlt allerdings der letzte Funke Begeisterung, ohne dass ich sagen könnte, woran dies liegt.