Bewertungsdetails

Gegenwartsliteratur 5270
Eine verkorkste Familie
Gesamtbewertung
 
2.7
Plot / Unterhaltungswert
 
3.0
Charaktere
 
2.0
Sprache & Stil
 
3.0
Gil Coleman, Schriftsteller und leidenschaftlicher Büchersammler (fast könnte man schon Bücher-Messie sagen), stöbert gerade wieder einmal in der örtlichen Buchhandlung, als er glaubt, er habe gerade Ingrid vorbeigehen sehen. Ingrid, seine Frau, die seit zwanzig Jahren verschollen ist, die ihn damals mit den zwei Töchtern alleine zurückließ, deren Verbleib nie geklärt werden konnte. Außer sich verlässt er den Laden, um die Frau zu suchen, doch er stürzt und verletzt sich schwer; die Frau ist weg.

Weil er wegen der Unfallfolgen vorerst nicht alleine leben kann, reisen seine Töchter zu ihm, und es kommt, wie es kommen muss, die alten Konflikte und unverarbeiteten Probleme brechen sich neue Bahn.

In Briefen, die Ingrid kurz vor ihrem Verschwinden an Gil geschrieben und in diversen Büchern versteckt hat, wird parallel dazu die Vorgeschichte deutlich: Mitte der 70er Jahre kommt die Norwegerin Ingrid zum Studium nach England und verwickelt sich in eine Affäre mit Gil, ihrem Professor, eine stürmische Angelegenheit mit vielen Aufs und Abs.

Als Ingrid ungeplant schwanger wird, heiraten die beiden und ziehen in ein Häuschen auf einer Insel im Süden, einen zum Wohnhaus umgebauten früheren Badepavillon. Nach der Geburt ist Ingrid mit dem Baby mehr oder weniger auf sich gestellt, Gil zieht sich in sein "Schreibzimmer" in einem Nebengebäude zurück und beteiligt sich kaum am gemeinsamen Leben.

Das geht in den darauffolgenden Jahren so weiter, und Ingrid fragt sich immer öfter, ob das jetzt alles war - Kinder, Alltag, nicht mal ein abgeschlossenes Studium und nur wenig Anerkennung von ihrem Mann. Trost findet sie nur beim Schwimmen im Meer, und selbst das nimmt ihr Gil manchmal krumm, während er sich nach wie vor ins Schreiben und in seine Bücher flüchtet.

Das Buch beginnt vielversprechend mit dem Satz "Gil Coleman blickte aus dem Fenster der Buchhandlung im ersten Stock und sah seine tote Frau unten auf dem Gehweg", der die Neugier weckt und Appetit auf eine ungewöhnliche Familiengeschichte macht. Auch der Aufbau des Buches, in dem sich die auktorial erzählte Gegenwartshandlung mit Ingrids Briefen, in denen sie ihre eigene Geschichte schildert, abwechseln, ist geschickt gewählt. Bei den Colemans wirkt sich die Vergangenheit besonders stark in die Gegenwart hinein aus.

Mit den Personen warmzuwerden fällt allerdings recht schwer. Insbesondere Flora, die jüngere Tochter, aber auch Ingrid und Gil sind spröde und schwer fassbar, ihre Beziehung zu anderen sind nicht ohne Gefühle und Leidenschaften, aber durch die Bank verkorkst und manchmal sogar regelrecht ungesund. Selbst die Anfänge von Gils und Ingrids Studentin-Professor-Affäre kommen seltsam freudlos und humorlos daher, und Ingrids weiteres Leben ist auch weitgehend trostlos, sie verliert sich selbst, während sie auf der Insel quasi festsitzt und von ihren Mutterpflichten und düsteren Gedanken erdrückt wird.

Die Figuren erscheinen oft überspannt, tun Dinge, die kaum nachzuvollziehen und spürbar auf "Merkwürdigkeit" hin konstruiert sind: Flora malt ihrem Freund mit Edding ein Skelett auf die Haut, das er tagelang nicht abwäscht; Ingrid versteckt ihre Briefe in Büchern, statt sie Gil zu geben; Flora läuft ständig in einem alten Ballkleid herum, das mal ihrer Mutter gehört hat ... Für mich war das zuviel des Guten bzw. Seltsamen und dem Gesamteindruck des Buches ziemlich abträglich.

Bei aller Kritik hat mich das Buch aber trotzdem bei der Stange gehalten, weil ich wissen wollte, was wirklich mit Ingrid passiert ist und weil es in beiden Handlungssträngen einige überraschende Wendungen gab. Am Ende war ich dann auch halbwegs versöhnt.

Eine Extra-Erwähnung verdient das schlicht-schöne Cover und das in hübschem Wellenmuster gehaltene Vorsatzblatt.

Die Übersetzung hingegen hat mich oft geärgert, hier wurde viel zu viel wörtlich übersetzt, im Deutschen unübliche Begriffe verwendet (beispielsweise heißt es Fruchtblase, nicht Fruchtwasserblase) oder ganz falsch übersetzt. Und kein Mensch sagt in einem alltäglichen Familiengespräch "Mobiltelefon". Ich habe mich immer wieder gefragt, ob mir das Buch im Original nicht vielleicht um einiges besser gefallen hätte, wenn mir nicht ständig solche sperrigen Stellen das Lesen verleidet hätten.
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