Bewertungsdetails

Krimis & Thriller 1661
Feine Erzählkunst
Gesamtbewertung
 
4.7
Plot / Unterhaltungswert
 
4.0
Charaktere
 
5.0
Sprache & Stil
 
5.0
Vor zwanzig Jahren war Corso Bramard Kommissar und verfolgte den Serienmörder Autunnale. Als der Mörder dann Bramards Frau getötet hat und seine Tochter verschwindet, wird er untragbar für den Polizeidienst und scheidet aus. Heute lebt er in seinem einstigen Elternhaus, in einem der schönsten Dörfer Italiens, gibt einige Stunden Unterricht an einer Schule. Er ist ein schweigsamer Mann, am liebsten klettert er auf die umliegenden Berge und genießt die Einsamkeit. Nur wenige Freunde hat er im Dorf. Wie jedes Jahr erhält er auch jetzt einen Brief vom Mörder mit einer Strophe eines Leonard Cohen Songs. Diesmal ist allerdings ein Haar enthalten. Ein Haar des ersten Opfers. Des einzigen Opfers, welches Autunnale überlebt hat.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das Buch viele “Mainstream”-Leser anzieht (so wie es mich eher abgeschreckt hat) und dann enttäuscht. Das Stichwort Serienmörder hat quasi eine magische Wirkung auf viele Krimileser. Davide Longo macht es seinen Lesern nicht einfach, denn sein Stil ist gewöhnungsbedürftig, aber dabei höchst literarisch. Der Autor gibt nicht alles preis, vieles muss man als Leser hinein interpretieren. Wäre im Klappentext nicht das Schicksal seiner Frau und Tochter beschrieben, man würde es im Buch erst spät mitbekommen. Der Fall eröffnet sich nur langsam, viel mehr Platz bekommt die Landschaft, das Dorf, Bramard selbst aber auch die Dorfbewohner. Es ist eine Skizze Italiens, so wie man es nicht kennt. Melancholisch, schweigsam, düster – etwas, dass man nur langsam öffnen kann und Geduld beweisen muss, um dann am Ende umgehauen zu werden.

Bramard ist ein gebrochener Mann, kriegt sein Leben aber nach einem tiefen Fall wieder einigermaßen auf die Reihe. Freunde hat er nur dediziert, überhaupt würde ich nur Cesare so bezeichnen, einen alten Mann aus dem Dorf, der ihn sein lässt, wie er will. Als nun das Haar im Brief auftaucht, zieht Bramard Arcadipane hinzu, seinen Nachfolger bei der Kriminalpolizei. Bramard war einst sein Vorgesetzter, doch nun ist er auf Arcadipanes Gutmütigkeit angewiesen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Fall nach 20 Jahren zu lösen, tendiert gegen Null, doch Bramard kennt den Täter nicht als nachlässig, so muss es einen Grund haben, dass das Haar sich im Umschlag befindet. Arcadipane stellt ihm die junge Isa zur Seite, eine sehr gute Polizistin, die allerdings Schwierigkeiten hat, sich in das Team der Polizei einzufügen. Überhaupt hat sie Probleme mit dem Wörtchen “einfügen”. Und zudem erinnert sie ein wenig an Lisbeth Salander, was Davide Longo aber gerne zugibt und im Text als Isa gleich mal erwähnt, um den Vergleich dann abzulehnen.

Auch der Täter, Autunnale, darf im Buch immer wieder zu Wort kommen und man verfolgt seine Vorbereitungen zum Finale. Das ist allerdings weit weniger actionreich als man vermuten möchte, allerdings durchaus der letzte Stoß, um Bramard zu zerbrechen. Ob es dazu kommt, bleibt offen, doch natürlich unterstreicht das, wie perfide der Täter seine Taten geplant hat, wie akribisch er Bramard in seine Vorstellungen eingebaut hat und offenbart seine Vorgehensweise endgültig. Doch auch hier weniger reisserisch als vermutet, fast schon quälend offen und mit viel Interpretation vom Leser auszufüllen. Davide Longo macht es seinen Lesern nicht einfach, er lässt sie knobeln und nachdenken, dies allerdings erzählerisch grandios verpackt.

Italien ist für mich literatisches Neuland – Donna Leon habe ich nie gelesen und spontan ist sie schon die einzige italienische Krimischriftstellerin, die mir einfällt. Davide Longo hat es aber mit diesem Buch geschafft, auf meiner Liste ganz nach vorne zu preschen. Wie gut, dass ich zu Weihnachten “Der aufrechte Mann” erhalten habe. Zwar gehört dieser Titel nicht in die Bramard Reihe, aber die literarische Qualität erwarte ich natürlich auch hier – zusammen mit einem spannenend Blick in die Zukunft Italiens! Davide Longo sollte man auf jeden Fall im Auge behalten!

Fazit:
Ganz sicher nichts für die Masse, aber wirklich feine Erzählkunst, gestrickt um einen gebrochenen Kommissar und einen lebenslangen Fall. Grandios!
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