Muriel Spark - In stumzerzauster Welt. Die Brontës.

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  • Muriel Spark: In stumzerzauster Welt. Die Brontës.
    OT: The Essence of the Brontës.


    Zum Buch: Muriel Spark (1918-2006) ist nicht die erste britische Schriftstellerin, die sich für die Brontës interessiert und eine Biographie schreibt. Auch wenn ihre Beweggründe sicher völlig verschieden von Elizabeth Gaskells (Charlottes erster Biographin) sind, so steht sie in gewisser Weise doch in deren Tradition.
    Sparks Buch ist keine Biographie im herkömmlichen Sinne, die Autorin schreibt ihr Ziel sei eine "Autobiographie" der Brontës gewesen. Tatsächlich besteht etwa die Hälfte des Buch aus Briefen (vorwiegend von Charlotte geschrieben), die Spark unkommentiert, aber auch ungekürzt stehen und für sich selbst sprechen lässt. Eine Auswahl Emilys Brontës Gedichten nimmt nochmal rund 70 Seiten ein. Die Autorin rundet dies ab durch einen längeren Abriss des Lebens von Emily und drei kürzere Essay, über Heathcliff, über einen Besuch Sparks in Haworth und das Gouvernanten- und Lehrerdasein der Brontës.


    Mein Eindruck: Es handelt sich nicht um ein geschlossenes Werk, sondern mehr um ein Sammelsurium dessen, was Spark im Laufe ihres Lebens über die Brontës geschrieben und veröffentlicht hat. Leider hat sie dabei die Schriften über Anne weggelassen, da sie nicht mehr von deren schriftstellerischer Qualität überzeugt war. So haben hauptsächlich Charlotte (in ihren Briefen) und Emily eine Stimme im Buch.
    Die Briefe findet man so oder ähnlich auch in die meisten anderen Biographien eingeflochten - sie so pur zu lesen, lässt einem aber viel Freiraum der Gedanken und ist ein ganz neues Erlebnis. Sehr gut gefallen hat mir auch die "kleine" Biographie Emilys, weil Spark hier versucht, die nach ihrem Tod entstandenen Legenden auszuklammern und nur Zeugnisse, die während ihres Lebens entstanden, zu verwenden. Dass mir die Gedichte weniger gefielen, ist zwei Tatsachen geschuldet: übersetzte Gedichte verlieren immer viel an "Flair" und Lyrik ist allgemein nicht meine Welt - sicher ist dies weder Spark noch Emily Brontë anzulasten!
    Unter den Essay stach für mich der erste "Lehrer und Gouvernanten" heraus, der zu beleuchten versucht, ob es denn an den Arbeitgebern lag, dass die Geschwister alle ihre Stellen als Zumutung empfunden haben, oder ob die Probleme nicht auch in deren Charakter zu suchen seien.
    Meiner Meinung nach ein sehr schönes und persönliches Buch (sowohl der Biographierten, als auch der Biographin), allerdings eher geeignet für Leser, die sich mit dem Leben der Brontës nicht zum ersten Mal auseinandersetzen.


    Meine Bewertung : 4ratten


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    Extratipp: Noch gibt's das HC für ca. 10€ bei Jokers


    Katia


    Titel an Forumskonventionen angepasst (illy)

  • Muriel Spark - In sturmzerzauster Welt: Die Brontës

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    OA:1993
    OT:The Essence of the Brontës
    560 Seiten
    ISBN: 978-3257235555


    Inhalt:
    In sturmzerzauster Welt: die Brontës, wie sie wirklich waren und wie sie sich selbst sahen - der Versuch einer Autobiographie in Briefen, Gedichten und Selbstzeugnissen, kongenial zusammengestellt und nacherzählt von Muriel Spark.


    Eigene Meinung:
    Ich muss gestehen, dass ich anfänglich ein wenig skeptisch war, was den Unterhaltungswert dieser Lektüre betraf und befürchtete, dass dieses Buch stellenweise sehr trocken und langatmig sein könnte, aber dem war nicht im mindesten so, denn das Leben der drei Schwestern war nicht gewöhnlich und ich fand es ausgesprochen interessant zu erfahren, wie sie lebten, wo sie arbeiteten und welchen Einfluss all dies auf ihre Romane und Gedichte nahm. Ich denke schon, dass ich nun die Bücher dieser drei Frauen mit anderen Augen und vor allem vor einem anderen Hintergrund sehen werde.
    Die Befürchtung, dass mir Grundwissen fehlen könne, wenn ich nicht alle Bücher der Schwestern gelesen hätte, erwies sich als unbegründet. Es ist nicht wirklich relevant, alle Werke zu kennen. Im Gegenteil, denn es ist schön, dass die Biografie dieser drei aussergewöhnlichen Frauen eher dazu animiert, auch noch die verbleibenden Romane zu lesen, welches ich auch im nächsten Jahr in tun werde.
    Das meiste erfährt man über Briefe von Charlotte an Bekannte und vor allem an ihre enge Freundin Ellen.
    Es ist berührend ihre Briefe zu lesen, denn hier wird klar, dass diese keine Fiktion ist, sondern das wahre Leben und so schmerzte es auch sehr, vom Tod der beiden Schwestern zu lesen, so wie auch vom Tod Charlottes, welcher durch ihren Mann mitgeteilt wurde.
    Muriel Spark selbst, erzählt gar nicht so viel von diesen drei Frauen. Sie hält sich eher im Hintergrund, erläutert eher und lässt ansonsten vorwiegend die drei Frauen selbst zu Wort kommen, was mir sehr gut gefiel, denn dies sind einfach unverfälschte Worte und Zeitzeugen der ersten Wahl.
    Die Seiten flogen nur so dahin und die Mädels, welche mir zu beginn des Buches doch vom Charakter her, sehr fremd waren, nahmen immer mehr vertraute Züge an und ich begann wirklich Anteil an ihrem Leben zu nehmen.
    Diese Biografie hat mir sehr gut gefallen und ich habe Lust bei meinem nächsten Aufenthalt auf der grünen Insel im wilden Yorkshire vorbeizuschauen um einen Abstecher in die Heimat dieser drei großartigen Autorinnen zu machen.
    Schade, dass sie niemals erfuhren, wie sehr die Menschen auch heute noch ihre Arbeit schätzen. Das hätten sie verdient.


    5ratten

  • "In sturmzerzauster Welt", in der kargen Abgeschiedenheit eines Pfarrhauses in der Moorlandschaft von Yorkshire, wachsen drei der heute noch bekanntesten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts auf. Charlotte, Emily und Anne Brontë und ihr Bruder Branwell werden nach dem frühen Tod der Mutter vom Vater, einem Landpfarrer, und ihrer unverheirateten Tante großgezogen. Schon als Kinder machen sie ihre ersten begeisterten Schreibversuche, entwickeln gemeinsam phantastische Reiche oder halten ihren Alltag schriftlich fest.


    Während Branwell sich als junger Erwachsener hauptsächlich durch einen liederlichen Lebenswandel hervortut, mit ähnlich veranlagten Freunden trinkt und Schulden macht, versuchen alle drei Schwestern sich mit mäßigem Erfolg als Gouvernanten oder Lehrerinnen, doch ihre Leidenschaft gilt immer noch der Schriftstellerei.


    Charlotte, die Älteste, ergreift die Initiative und sucht einen Verleger, der die Werke der Schwestern unter männlichen Pseudonymen herauszubringen bereit ist. Der Rest ist Geschichte - insbesondere Charlottes Meisterwerk "Jane Eyre" und Emilys verstörende "Sturmhöhe" gehören sicherlich zu den meistgelesenen Klassikern aus jener Zeit.


    In diesem Buch stehen verschiedene ältere biographisch-literaturwissenschaftliche Dokumente, die Muriel Spark über die Brontës verfasst hat, neben einem sehr umfangreichen Abschnitt mit Originalbriefen aus der Feder der vier Geschwister. Diese lesen sich heute noch erstaunlich frisch und unverstaubt, wenn man die zeittypischen Manierismen beiseite lässt, und zeigen, dass es sich bei den Brontës mitnichten um verschüchterte graue Stubenhockermäuse handelte, auch wenn sie sicherlich alle eher dem introvertierten Spektrum zuzurechnen waren.


    Muriel Spark lässt die Briefe unkommentiert für sich stehen, greift aber in ihren eigenen Texten einige Aspekte heraus, und versucht, unter den vielen im Laufe der Jahre gewachsenen Mythen die "echten" Brontës herauszuschälen, mit einem besonderen Augenmerk auf Emily, die im Gegensatz zu Charlotte relativ wenige Briefe oder andere Selbstzeugnisse hinterlassen hat.


    Einzig die Analysen zu Emilys Gedichten und die abgedruckten Gedichte selbst konnten mich nicht so sehr begeistern, was aber sicher daran liegt, dass mir die Übersetzung der Gedichte nicht gefallen hat, nicht nur, weil die Reime im Deutschen komplett baden gegangen sind, sondern auch, weil die Verse schwerfällig und langatmig wirken, die (wie ich hinterher festgestellt habe) im Original trotz der häufig düsteren Sujets elegant und leichtfüßig klingen.


    Eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich für englische Klassiker und insbesondere diese geheimnisumwitterten, begabten und alle leider tragisch früh verstorbenen Schwestern interessieren, und eine schöne Abwechslung zu konventionellen Biographien.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Unter den Essay stach für mich der erste "Lehrer und Gouvernanten" heraus, der zu beleuchten versucht, ob es denn an den Arbeitgebern lag, dass die Geschwister alle ihre Stellen als Zumutung empfunden haben, oder ob die Probleme nicht auch in deren Charakter zu suchen seien.


    (Obwohl der Beitrag schon älter ist...)


    Kann es nicht eher am System gelegen haben? Gouvernanten sollten zwar den Höheren Töchtern die Grundlagen für ihr späteres privilegiertes Leben beibringen, waren aber doch selbst eher gering angesehen - sie hatten halt meist keinen Mann gefunden oder andere Makel wie geringe soziale Stellung/ kein Geld, die sie zum Arbeiten zwangen etc. Was hat die Gouvernante denn getan? Überspitzt gesagt, in einem meist doch recht kleinen, schäbigen Zimmer geschlafen, den ganzen Tag auf irgendwelche Gören aufgepasst und versucht, sie zu bilden, die meist wenige Achtung für die Gouvernante und überhaupt eigentlich etwas Besseres zu tun hatten. Dabei noch Distanz zur Familie waren - Standesunterschiede/ -angemessenheit - und ständig darauf achten, "Vorbild" zu sein, aber in dem Bewusstsein, dass all ihre Bildung, die sie weitergaben, nichts daran ändern würde, dass sie selbst relativ tief in Bodennähe des sozialen Fasses saßen, während die Schützlinge doch stetig zur Oberfläche schwammen (Hochzeit, "gutes Leben", verglichen mit Möglichkeiten und Ansehen der Gouvernanten sicherlich sehr gutes Leben, verglichen mit späteren Frauen vielleicht nicht aufgrund mangelnder Selbstverwirklungsmöglichkeiten etc.).


    Egal, wie gut die Arbeitgeber waren und wie engagiert die Gouvernanten, wenn diese einigermaßen kritisch auf die gesellschaftlichen Normen blickten, mussten sie doch frustriert werden, oder nicht? Und evlt. konnten sich die Brontes da nicht so beherrschen und ihnen entgleiste mal die Mimik oder auch mehr? Man musste sich ja doch SEHR arg zurück halten, selbst als angesehene Ehefrau!


    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • Ich glaube eher, dass die Schwestern Brontë für diesen Beruf nicht "gemacht" waren und lieber geschrieben hätten, als das gesellschaftlich Anerkannte und Erwünschte zu tun. Geldprobleme hätten sie, wenn ich das Buch richtig verstehe, auch ohne diese Arbeit nicht gehabt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich denke auch, dass ihr eigentlicher Beruf das Schreiben war. Sie waren mit Leib und Seele Schriftstellerinnen und dies war die einzige Möglichkeit in der damaligen Zeit als Frau den Mund aufzumachen und sich kritisch zu äußern, wenn auch unter einem männlichen Pseudonym aber immerhin.