Charles Dickens - Große Erwartungen

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  • "Große Erwartungen" von Charles Dickens


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    Während seiner allwöchentlichen Besuche bei der reichen Miss Havisham verliebt sich der kleine Pip in die Adoptivtochter der alten Dame und beginnt von Reichtum und Bildung zu träumen - schier unerfüllbare Wünsche für einen Waisenjungen und Schmiedelehrling. Plötzlich will ihn ein unbekannter Gönner zu einem Gentleman erziehen lassen. Bald hat Pip sein einfaches Leben vergessen und führt in London ein verschwenderisches Dasein. Unversehens gerät er in eine lebensgefährliche Lage. Charles Dickens (1812 - 1870) hatte eine harte Jugend hinter sich, als er zu schreiben begann und bald zum gefeiertsten Autor seiner Zeit wurde. In fieberhaftem Tempo schrieb er seine sozialkritischen, immer unterhaltsamen Romane, die weltweit gelesen werden.


    Eine Rezi kann ich noch nicht schreiben, bin erst auf Seite 117. Das Buch las ich zuletzt vor 20 Jahren und kann mich nur an Weniges aus dem Roman erinnern. Die eine Verfilmung, die ich gesehen habe, hat mich nicht sonderlich begeistert, mir aber wieder Lust auf das Buch gemacht.


    Der Roman ist in Ich-Form geschrieben und lässt sich erstaunlich leicht lesen. Mit "Klein Dorrit" hatte ich mehr Probleme, jenes Buch zähle ich zu "schwierigen" Büchern. Mit dem kleinen Pip dagegen bin ich sofort warm geworden, er erinnert mich zeitweise an Oliver Twist, so wie er von den Erwachsenen in seinem Umfeld behandelt wird.


    Das Buch ist übrigens auf meiner 2007-Leseliste gelandet, weil ich "In einem anderen Buch" von Jasper Fforde auf meinem SUB habe :zwinker: .


    ***
    Aeria

  • Ui Große Erwartungen möchte ich auch schon lange einmal lesen. (Auch aufgrund der Verfilmung, die sich ja nur an der Handlung orientiert und sonst recht modern ist) Ich bin gespannt auf deine Abschließende Meinung!

  • Rezension:


    Pip wächst bei seiner Schwester und deren Mann, einem Schmied, auf. Eines Tages wird er zum Spielen zu der reichen alten Dame Miss Havisham geschickt. Im halb verfallenen Haus, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, trifft er auf Estella, die Adoptivtocher Miss Havishams. Weil sie so schön, vornehm und unnahbar ist, verliebt sich Pip sofort in sie. Von diesem Tag an hat er nur einen Wunsch - ein Gentleman zu werden und Estellas Herz zu erobern. Dieser Wunsch scheint sich einige Jahre später zu erfüllen, als ein unbekannter Wohltäter Pip mit "großen Erwartungen" ausstattet, sprich: ihn als seinen Erben einsetzt.
    Aber am Ende kommt natürlich alles ganz anders als erwartet.


    Normalerweise stellt man sich, sobald man den Namen Dickens hört, schwierige Lektüren vor. Jedenfalls ist das bei mir immer der Fall. Um so größer war meine Überraschung, als sich "große Erwartungen" als ein leicht zu lesendes Buch herausstellte. Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, in einem kuscheligen Sofa vor dem Kamin zu sitzen und jemandem zuzuhören, der mir Pfeife rauchend seine Lebensgeschichte in einfachen Worten erzählt.
    Dickens schafft es, sogar den unbedeutendsten Nebenfiguren Leben einzuhauchen. Ob Mr. Pumblechook, Mrs. Pocket oder Trabbs Laufbursche - all diese Figuren kann man sich beim Lesen genau vorstellen.
    Die Geschichte selbst zieht einen von der ersten Seite an in ihren Bann, als Leser ist man Zeuge, wie das Kind Pip zum Teenager und schließlich zum Mann wird, wie ihn die großen Erwartungen verändern und er nach und nach zu sich selbst findet.


    "Große Erwartungen" hat es in meine Klassiker-Top 5 geschafft und wird dort sicher noch eine ganze Weile bleiben.


    5ratten


    ***
    Aeria

  • Charles Dickens – Great Expectations (1860/61)


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    Inhalt:


    Der Waise Pip wächst bei seiner strengen Schwester und deren Mann Joe auf. Eines Tages wird er von Miss Havisham, der reichsten Frau der Gegend, eingeladen. Bei der alten, exzentrischen und ziemlich verrückten Dame lernt er Estella kennen; Estella ist die wunderschöne Adoptivtochter von Miss Havisham und wird von dieser als Rachewerkzeug gegen die Männerwelt erzogen. Obwohl Miss Havisham Pip warnt, dass Estella ihm eines Tages das Herz brechen würde, verliebt er sich in sie und träumt davon ein Gentleman zu werden. Später bekommt Pip unerwartet Besuch von dem Anwalt Jaggers, der ihn informiert, dass ein geheimer Gönner (sein Klient) Pip in London eine Ausbildung zum Gentleman finanziere. Pip, der hinter dieser Förderung Miss Havisham vermutet, die ihn und Estella zusammenbringen will, zieht also nach London, um seine Erziehung zu erhalten.



    Meine Meinung:


    Im Vordergrund steht (zumindest für mich) die v.a. charakterliche Entwicklung von Pip. Zu Anfang ist er ein lieber, gutgläubiger Junge, der unter der Strenge und den ständigen Vorwürfen seiner Schwester leidet, und den eine tiefe Freundschaft zu deren Mann Joe verbindet. Mit dem Auftreten Estellas und damit der Welt der Reichen in seinem Leben entsteht ein neuer Wesenszug: Pip beginnt, sich für seine Herkunft zu schämen und sein zu Hause und Joe mehr und mehr geringschätzig zu betrachten. Als er dann von seinem geheimen Gönner und seinen großen Erwartungen erfährt, scheint der Traum, das Dorf zu verlassen und durch die Ausbildung zum Gentleman würdig für Estella zu sein, wahr zu werden. Nach der Ankunft in London allerdings scheint er sich kaum weiterzuentwickeln; es verändert sich sein Lebenswandel (er wird zusehends verschwenderischer), aber charakterlich kann man keine großen (und eigentlich auch keine kleinen) Bewegungen entdecken. Vor allem in der Mitte des Werks wurde es mir dann etwas zu langatmig und zu langweilig. Das Ende allerdings hat mir wieder sehr gut gefallen.
    Die Sprache ist auch im Englischen gut verständlich, der Stil ist elegant und gewandt. Ich war überrascht, wie leicht sich das gesamte Buch lesen ließ, weil ich bei Dickens doch mit ein paar schwerverdaulichen Elementen gerechnet hätte. Auf welches Buch sich diese amazon-Beschreibung beziehen soll, ist mir allerdings schleierhaft:


    „In diesem Kindheits- und Jugendroman, in dem er seine eigenen bedrückenden Kindheitserlebnisse verarbeitete, thematisiert Charles Dickens das erbärmliche Leben der Menschen im England des 19. Jahrhunderts in außergewöhnlich verdichteter Atmosphäre. Er zeichnet ein lebendiges Gesellschaftsgemälde der Viktorianischen Zeit, in dem sich Charakteristika seiner Werke wie scharfe Beobachtungsgabe, psychologisches Feingefühl und Sozialkritik vereinen. Dickens kritisiert in diesem Spätwerk das Gentleman-Ideal der von Materialismus und Moralheuchelei geprägten viktorianischen Gesellschaft. Die geradezu surrealistisch anmutende Erzähltechnik kündigt eine Hinwendung zur Moderne an.“


    Das das erbärmliche Leben der Menschen im England des 19. Jahrhunderts thematisiert wurde, muss mir wohl entgangen sein; auch die Sozialkritik fand ich nicht allzu augenscheinlich. Ich weiß zwar nicht, was der Verfasser unter einer surrealistischen Erzähltechnik versteht, aber sie scheint sich grundlegend von meiner Auffassung zu unterscheiden.
    Sehr gut gefallen hat mir die Beschreibung der Nebenfiguren: Miss Havisham beispielsweise in ihrer ganzen Exzentik, oder Joe, der gutherzige, aber ungebildete Schmied.
    Ich empfand dieses Buch als nette Unterhaltungslektüre, die im Anfang und im Ende große Stärke, in der Mitte jedoch auch einige Schwächen aufweist. Zwar ist die Handlung interessant und gibt es wirklich berührende Passagen und ausgezeichnete Beschreibungen, insgesamt war mir „Great Expectations“aber ein wenig zu belanglos.



    Film:


    Dieser Verfilmung ist aus dem Jahr 1998 mit Gwyneth Paltrow und Ethan Hawke. Die gesamte Handlung wurde in das heutige Amerika adaptiert und dementsprechend abgeändert, was weitgehend auch gut gelungen ist. Allerdings kamen meines Erachtens einige Elemente des Buches bedeutend zu kurz, so zum Beispiel, dass die Figur des Herbert gestrichen wurde,


    Paltrow fand ich absolut fehlbesetzt; von ihr gespielt wirkte Estella immer, als würde sie die Kälte und all das schauspielern und nicht, als wäre sie wirklich so. Und zumindest meinem Empfinden nach musste die Estella aus dem Buch so etwas nicht heucheln. Auch wirkte sie im Film immer wie verliebt in Finn/Pip, was ich wiederum im Buch nicht so interpretiert hätte.
    Und was mich wirklich entsetzlich genervt hat – das Grün! Wie im Buch bei Miss Havisham alles weiß ist, ist im Buch alles grün. Das fand ich im Bezug auf Miss Havisham und Estella ja immer noch ganz charmant, aber ich halte es für absolut überflüssig und völlig übertrieben, dass auch Finn meistens irgendetwas Grünes anhatte. Das war dann doch zu viel des Guten.
    Also im Fazit kann ich sagen, dass ich die grundsätzliche Umsetzung des Stoffs gut gelungen finde, aber in der Ausführung in vielen Bereichen doch versagt.



    Liebe Grüße,


    mondpilz

  • mondpilz: Interessante Rezi, ich habe in diesem Jahr das ungekürzte Hörbuch gehört und würde der Bewertung im großen und ganzen zustimmen.


    Gruß, Thomas

  • Seitdem ich die Bücher rund um Thursday Nex von Jasper Fforde gelesen habe, bin ich irgendwie ganz scharf auf den Roman geworden^^ Ich habe mir gerade beide Rezensionen nocheinmal durchgelesen und bin nun umso gespannter, vorallem auch darauf wie mir Dickens Stil zusagt. Mein letzter Dickens ist nämlich schon eine ganze Ecke her.

  • Hi!


    Ich kann mich mondpilz' Bewertung des Werkes im Grossen und Ganzen anschliessen, hier ist meine detaillierte Meinung:


    Inhalt:
    Der kleine Pip wächst in ärmlichen Verhältnissen bei seiner Schwester und deren Mann, dem Schmied Joe Gargery, auf. Während seine Schwester ihn und ihren Mann terrorisiert, sind Joe und Pip sehr gute Freunde. Eines Tages scheint Pips Leben eine Wende zum Guten zum nehmen: Er wird in ein Herrschaftshaus im Dorf eingeladen, wo er der neue Spielkamerad für Estella, die Adoptivtochter von Miss Havisham, werden soll. Allerdings stimmt mit der reichen Miss Havisham und Estella so einiges nicht: Während die Alte – die offenbar vor dem Altar versetzt wurde – immer noch ihr Hochzeitskleid trägt und kein Tageslicht sehen möchte, ist die äusserst hübsche Estella ganz schön garstig zu Pip, der sich trotzdem auf der Stelle in sie verliebt.
    Ein paar Jahre später scheinen Pips lange Stunden des Spielens (und Leidens) in Miss Havishams Anwesen endlich Früchte zu tragen: Er bekommt von einer unbekannten Person eine grosszügige Rente bezahlt und soll nach London ziehen, um dort ein Gentleman zu werden. Für Pip geht ein Kindheitstraum in Erfüllung und er zieht mit grossen Erwartungen in die Stadt.


    Meine Meinung:
    Eine nette und tragische Geschichte, gespickt mit all den unwahrscheinlichen Zufällen, die ich auch von anderen Klassikern her kenne. Offenbar hat man Geschichten früher anders erzählt. «Grosse Erwartungen» liess sich für mich nicht immer ganz einfach lesen, da sich die englische Sprach in den letzten 150 Jahren (logischerweise) entwickelt und mich zum langsamen Lesen gezwungen hat. Das ist zwar kein Problem für mich, aber stellenweise fand ich die Lektüre ein wenig mühsam, was aber auch an mir liegen kann.
    Aber auch sonst konnte mich das Buch nicht so recht begeistern. Pips Geschichte ist zwar nicht uninteressant, aber ich wurde nie so richtig warm mit ihm. So ist er zwar ein herzensguter Mensch, der lieber auf andere als auf sich schaut. Dass er es mit diesen Eigenschaften aber trotzdem nicht fertig bringt, seinen alten Kumpel Joe öfter zu besuchen oder sonstwie den Kontakt aufrecht zu erhalten, scheint mir in keiner Weise logisch und entsprechend hat es mich auch gestört. Da wäre mir eine Entwicklung zum richtigen Schnösel lieber gewesen.
    Auch sonst enthielt das Buch für mich wenig Faszinierendes, der spannendste Charakter war Wemmick, der Sekretär des ewig mürrischen Anwalts Mr. Jaggers. Seine Art, Beruf und Privatleben konsequent voneinander zu trennen und seine daraus resultierenden zwei Gesichter waren interessant zu verfolgen. Seine Auftritte haben mir die Lektüre versüsst und letztlich auch gerettet.
    Ein weiterer (und leider auch schon der letzte) Pluspunkt der Lektüre war die teils sehr witzig formulierten Passagen, in denen Pip erzählt, was er dachte, fühlte und beobachtete. Aber im Allgemeinen konnte ich der Geschichte nicht viel abgewinnen, da vieles zu vorhersehbar war.


    5 von 10 Punkten

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Pips Geschichte ist zwar nicht uninteressant, aber ich wurde nie so richtig warm mit ihm. So ist er zwar ein herzensguter Mensch, der lieber auf andere als auf sich schaut. Dass er es mit diesen Eigenschaften aber trotzdem nicht fertig bringt, seinen alten Kumpel Joe öfter zu besuchen oder sonstwie den Kontakt aufrecht zu erhalten, scheint mir in keiner Weise logisch und entsprechend hat es mich auch gestört.


    Pip ist auch nicht als Figur angelegt, mit dem der Leser / die Leserin "warm werden" soll, finde ich. Klar, er ist kein rabenschwarzer Unhold, aber so schlecht und egoistisch, wie ein gewöhnlich Sterblicher halt sein kann. "Herzensgut" ist nun ein Adjektiv, das mir bei ihm nie in den Sinn gekommen wäre ...


    Und klar ist die Story für uns heute vorhersehbar. Weil sie in den letzten 150 Jahren Tausende Male von Dickens abgekupfert worden ist ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Pip ist auch nicht als Figur angelegt, mit dem der Leser / die Leserin "warm werden" soll, finde ich.


    Mit "warm werden" meine ich nicht mal, dass er mir symphatisch sein müsste. Aber ich konnte mit ihm so gar nichts anfangen, ich fand im Vergleich zu ein paar Nebenfiguren ziemlich langweilig.



    Und klar ist die Story für uns heute vorhersehbar. Weil sie in den letzten 150 Jahren Tausende Male von Dickens abgekupfert worden ist ...


    Das spielt sicher auch eine Rolle. Es ist aber auch so, dass ich bei den Klassikern, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, oft auf äusserst unwahrscheinliche Zufälle stiess, mit denen heute nur noch schlechte Thriller-Autoren durchkommen. Egal, ob "Die Elenden", "Der Graf von Monte Christo" oder eben "Grosse Erwartungen": Immer, wenn es um menschliche Dramen und das Auffinden von unbekannten Verwandten geht, kommt Schema F zum Zug. Einer der Helden der Geschichte findet durch einen unwahrscheinlichen Zufall etwas über das meist ebenfalls unwahrscheinliche Verwandtschaftsverhältnis (meist geht es um Kinder, die ihre wahren Eltern nicht kennen) einer geplagten Kreatur heraus. Und meist hatte der Held schon seit Jahren Kontakt zum verschollenen Verwandten etc.


    Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass das schon seit den alten Griechen so ist (wie gross ist denn bitteschön die Chance, dass Ödipus unter allen Griechen tatsächlich seinen Vater erschlägt?), dass sowas einen Teil des Dramas ausmacht (wohl wahr) und dass es früher viel weniger Leute gab - ergo steigt die Wahrscheinlichkeit solcher Konstruktionen. Nur nimmt es mir manchmal einen Teil des Lesevergnügens, wenn ich ein Buch lese und dann schon weiss, dass als nächstes dieses oder jenes passieren wird. Und der andere Teil des Lesevergnügens war bei diesem Buch jetzt auch nicht so überragend, dass ich über die störenden Teile grosszügig hinweg sehen mochte.


    Wie auch schon erwähnt, ich beurteile Klassiker nicht nach ihren objektiven Qualitäten - dazu bin ich mangels entsprechender Ausbildung gar nicht in der Lage. Ich beurteile diese (und auch alle anderen Bücher) streng danach, wie gut sie mir gefallen haben. Und da habe ich von "Grosse Erwartungen" vielleicht zu viel erwartet :breitgrins:


    Lieber Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Charles Dickens ~ Große Erwartungen



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    Seiten:612
    Verlag: insel Taschenbuch
    Erscheinungsjahr:1860


    [hr]



    Der Waisenjunge Pip (eigentlich Philipp Pirrip) wird von seiner älteren Schwester und deren Mann, dem Schmied Joe Gargery, im Marschland in der Nähe von London aufgezogen. Seine grobschlächtige und cholerische Schwester gibt ihm stets das Gefühl, unerwünscht, ja eine Last für sie zu sein. Mit dem sanften, herzensguten, aber einfach gestrickten Joe Gargery verbindet Pip allerdings eine tiefe Freundschaft, die ein Leben lang halten soll. Auf dem Friedhof, wo seine Eltern begraben sind, begegnet Pip einem entflohenen Verbrecher, der Pip unter Gewaltandrohung dazu zwingt, für ihn Lebensmittel und eine Feile zu stehlen, mit der er sich von seiner Fußfessel befreien kann. Pip gehorcht, der Verbrecher flieht. Doch fortan lebt Pip in ständiger Angst, dass er dem Mann irgendwann wieder begegnen könnte. Eines Tages wird Pip zum "Spielen" zu einer zurückgezogen lebenden, exzentrischen Dame namens Miss Havisham geschickt und verliebt sich sofort in deren Pflegetochter Estella, die ihn allerdings kalt und überheblich behandelt und zu verstehen gibt, dass er nur ein armer schmutziger Bauernjunge und ihrer unwürdig ist. Nicht zuletzt durch diese Begegnung mit Estella wächst in Pip der sehnlichste Wunsch, ein vornehmer und wohlhabender Gentleman zu werden. Er hofft, dadurch ihr Herz gewinnen zu können. Pips Wünsche scheinen in greifbare Nähe zu rücken, als Pip von einem unbekannten Wohltäter erfährt, der ihn nach London holen und ihm eine vornehme Ausbildung zu Gute kommen lassen möchte. Für Pip steht ein großes Vermögen als Erbe in Aussicht. Er beginnt, sich seiner einfachen Herkunft und für seine Familie zu schämen und kehrt ihr den Rücken, um fortan in London ein vornehmes Leben zu führen. Doch er kann Estella nicht vergessen...



    Große Erwartungen war mein erster Dickens und ich war, wie viele andere hier auch, angenehm überrascht von der Erzählweise. Mit wenigen Worten schafft Dickens eine dichte und gespannte Atmosphäre, die den Leser von Anfang an in den Bann zieht. Dickens beschreibt die Kindheit Pips sowie seine Empfindungen und Ängste sehr detailliert, sehr einfühlsam und verständnisvoll. Kinder wurden zu damaliger Zeit als Quälgeister angesehen und so wurden sie auch behandelt. Seine Mitmenschen (außer Joe) sehen nur Schlechtes in Pip, sind ungerecht zu ihm und halten ihn klein. Verwundert war ich über die stoische Art, mit der Pip alles über sich ergehen lässt, nicht einmal aufbegehrt oder Widerstand zeigt, obwohl er innerlich kocht. Wirklich sympathisch ist Pip zu keinem Zeitpunkt, ich denke das war auch nicht Dickens' Absicht. Pip ist ein absoluter Durchschnittsjunge mit sowohl guten als auch schlechten Charaktereigenschaften, zuweilen etwas langweilig und passiv. Interessanter ist da die Ausgestaltung der Nebencharaktere, die sehr lebendig und vielseitig daherkommen - zum Beispiel die eigenwillige Miss Havisham, die damals von ihrem Bräutigam sitzengelassen wurde und fortan zurückgezogen in ihrem Haus ohne Tageslicht lebt - sie trägt stets ihr altes Brautkleid, das mit der Zeit vergilbt ist, und gibt sich ihrer Melancholie und Verbitterung hin. Diese zunächst seltsam anmutende Person entwickelt sich aber zu einem für Pip sehr prägenden Charakter, es entsteht eine Art Freundschaft zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Menschen.


    Menschliche Fehler und Schwächen, Dünkelhaftigkeit und Bigotterie stellt Dickens mit sehr viel Ironie und Humor dar. Manche Charaktere sind so verblendet und wähnen sich überlegen, dass sie nicht merken, was für kleinkarierte Speichellecker sie sind. Ihre Meinung von anderen Mitmenschen dreht sich wie ein Fähnlein im Winde - so wird Pip von seinen Mitmenschen aus dem Dorf plötzlich mit Freundlichkeit überschüttet, als diese von seinem Vermögen erfahren, und schließlich verachtet und fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, als Pip arm und verschuldet zurückkehrt. Selbst sind diese Menschen natürlich die Ausgeburt der Tugend. :zwinker:


    Pip verändert sich natürlich durch die Zeit in London. Er vernachlässigt seine Schwester und Joe, fährt sie so gut wie nie besuchen und schämt sich nach wie vor für ihre Einfachheit. Pip ist peinlich berührt, als Joe ihn in London besucht, und findet, er passe nicht hierher. Entsprechend kühl wird ihr Verhältnis zueinander. Doch als das Geheimnis um Pips Wohltäter gelüftet wird, stellt das seine Welt wieder einmal auf den Kopf. Er muss sich eingestehen, dass "bewegliches Vermögen" vergänglich ist und letztendlich nur das etwas wert ist, was man sich selbst mit seinen eigenen Händen erschaffen hat. Echte Freundschaft ist durch nichts einzutauschen, denn die Menschen, die uns ehrlich verbunden sind, werden uns auch in schlechten Zeiten nicht hängen lassen. Pip hat großes Glück, so gute Freunde in seinem Leben zu haben. Ohne sie wäre er nichts.


    Zeigt das erste Drittel des Romans große Stärken, vor allem in der Darstellung der Charaktere, so zieht sich der Mittelteil etwas ereignisloser dahin. Im letzten Drittel reiht sich eine Geheimnislüftung an die andere, was für meinen Geschmack mit zu viel Zufall und leider auch Kitsch gespickt wurde. Ich muss in diesem Punkt Alfa_Romea recht geben, man hat das alles schon einmal so oder so ähnlich gelesen, und nicht nur bei Dickens anderen Romanen! Diese Idee mit verworrener Verwandtschaft, die plötzlich ans Tageslicht tritt, ist nicht sonderlich glaubhaft und hat mich hier leider auch ein wenig ums Lesevergnügen gebracht. Vor der Auflösung hatte ich schon einen Verdachtsmoment, was passieren könnte, und genau das ist auch eingetreten. So machte der Plot zum Ende hin dann einen recht abgewetzten Eindruck, da man dieses Schema F nur allzu gut aus anderen Romanen kennt. Das dick aufgetragene Happy End hat den Leseeindruck dann nocheinmal ins eher Negative gezogen.


    Unterm Strich: Man kann es lesen, aber ein Meisterwerk ist es nicht.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hallo!


    Ich bin mal gespannt, den Roman habe ich auf Englisch im Regal stehen und mich noch nicht so recht rangetraut.


    Ich habe ihn mir am Freitag aus der Bib ausgeliehen. Mr. Dickens und ich sind nicht unbedingt Freunde, aber Große Erwartungen steht auf der BBC-Liste und da sollte ich es zumindest mit dem Buch versuchen :rollen:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hallo!


    Ich habe es tatsächlich mit dem Buch versucht- und den Versuch abgebrochen. Dabei hat mir die Schilderung der Begegnung mit dem Sträfling sogar noch recht gute gefallen, aber nach und nach habe ich immer mehr den FAden verloren und auch gemerkt, dass ich ihn eigentlich gar nciht wiederfinden will. Deshalb habe ich das Buch beiseite gelegt. Mr. Dickens und ich werden in diesem Leben wirklich keine Freunde mehr werden.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hallo allerseits,


    Ich hatte ähnliche Bedenken wie Kirsten. Dickens und ich haben uns zwar in der Weihnachtsgeschichte kennen und mögen gelernt, aber Oliver Twist war - wenn auch letztendlich gut - eine mühsame Angelegenheit für mich. Diesmal war meine Angst jedoch unbegründet.


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    Inhalt:
    Eine meisterhafte Geschichte über den kleinen Pip, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und davon träumt, ein Gentleman zu sein. Er hat große Erwartungen an sein Leben und setzt alles daran, es in London zu Wohlstand und Glück zu bringen. Und durch einen unbekannten Wohltäter scheinen seine Erwartungen zum Greifen nah...


    Meine Meinung:
    Gleich von Anfang an war ich gespannt, was der junge Pip erleben wird. Dass Dickens ihn schon in Kapitel eins auf einen entlaufenen Gefangenen treffen lässt und somit Pips gesamtes Leben umkrempelt, war für mich eine positive Überraschung. Kein langes Drumherum, sondern gleich loslegen mit der Geschichte. Pip selbst ist so ein sympathischer Protagonist, dass ich mich stets um sein Wohlergehen gesorgt habe. Besonders beeindruckend fand ich, wie er sich schon als Kind selbst analysiert. So empfindet er nicht nur Schuld und ein schlechtes Gewissen, weil er seiner Schwester sein Geheimnis verschweigt, sondern denkt auch darüber nach und ist sich dessen genau bewusst.


    Ich wurde vor allem deshalb auf dieses Buch neugierig, weil ich Miss Havisham - die exzentrische alte Dame, die immer nur ihr altes Brautkleid trägt und deren Herz vor langer Zeit gebrochen wurde - in Jasper Ffordes Thursday Next Romanen vorkommt und mir da extrem ans Herz gewachsen ist. Auch im Original ist sie eine schrullige, aber liebenswerte Lady. Pip verliebt sich in ihre Adoptivtochter Estella, weiß aber, dass er als einfacher Schmied-Lehrling nie eine Chance haben wird, mit der reichen Schönheit zusammenkommen zu können. Doch dann passiert plötzlich das Unerwartete - Pip kommt durch einen unbekannten Wohltäter zu Wohlstand. Er zieht nach London und trifft auch dort wieder allerlei schräger und liebenswerter Charaktere.


    Mir sind manche Charaktere sofort ans Herz gewachsen, allen voran der gute Joe, der wie ein Fels immer hinter Pip steht. Die Geschichte ist durchgehend spannend, die Dialoge toll geschrieben und ich frage mich wirklich, warum ich mich so lange vor einem weiteren Dickens gedrückt habe. Dieses Buch war eine tolle Überraschung für mich, denn statt quälend langsamer Seiten habe ich mich durchgehend gut unterhalten und war teilweise fast zu Tränen gerührt. Auch das Ende fühlt sich schön rund an und macht Lust auf mehr Charles Dickens. :breitgrins:


    4ratten


    Liebe Grüße,
    Wendy

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Charles Dickens - Great Expectations


    Zum Inhalt: Waisenjunge Pip wächst bei seiner deutlich älteren, ziemlich tyrannischen Schwester auf, wo er aber zumindest von deren Mann Joe geliebt wird. Er hat kein sonderlich glückliches Leben, zwei Begebenheiten verändern es jedoch unerwartet. Zum einen ist da der Sträfling, dem er hilft, was dieser später unerwartet dankt, zum anderen sind die sehr exzentrische Miss Havisham, die aus sogenanntem "guten Hause" ist und Pip unerwartet als Spielkamerad für ihre Nichte Estella herbestellt. Die Damen sind allerdings alles andere als zuvorkommend. Miss Havisham wurde ziemlich offensichtlich vorm Altar sitzengelassen und lebt ausschließlich in der Vergangenheit und hat ihre Nichte dementsprechend kalt erzogen. Trotzdem fühlt Pip sich zu ihr hingezogen. Wirklich verändern tut sich sein Leben dann aber, als er unerwartet von einem reichen Gönner angenommen wird und in London zum Gentleman gemacht werden soll.


    Meine Meinung: Wie ich es von Dickens nicht anders erwartet habe, ist das Buch sprachlich wunderschön und angenehm zu lesen. Ich mag die Schachtelsätze, den Detailreichtum und die Beschreibung der zum Teil wirklich exzentrischen Personen sehr. Pips Schwester ist wunderbar als Hausdrachen charakterisiert, der arme Joe als irgendwie liebenswerter aber vor ihr katzbuckelnder Kerl, Miss Havisham völlig durchgeknallt... wirklich jede Person im Buch hat ihren ganz eigenen Charakter und ihre Besonderheiten. Die Geschichte selbst ist natürlich in vielen Teilen vorhersehbar, was aber auch daran liegt, dass es auch beim ersten Lesen keine neue Geschichte mehr ist, sondern eben eine sehr bekannte. Daran kann man bei solchen Klassikern einfach nichts ändern und große Überraschungen habe ich von daher nicht erwartet und finde das auch nicht negativ.
    Trotzdem bin ich mit dem Buch an manchen Stellen nicht ganz warm geworden. So konnte ich zu Beginn z.B. nicht recht verstehen, was Pip an Estella findet, da die Gute zunächst einmal eine ziemlich kalte Zicke ist. Wobei er nette Frauen nun von Haus aus nicht kennt. Und das Ende, naja, weniger Happy End wäre ehrlicher und eher meins gewesen. Ansonsten kann man Pips Werdegang, seinen Aufstieg und Fall gut nachvollziehen und sieht ein sicher recht treffendes Porträt der Gesellschaft seiner Zeit vor sich. Die Macht des Geldes, plötzlicher Aufstieg und abrupter Fall, echt und falsche Freund führen einem gut vor Augen wie es damals war - und natürlich oft auch heute noch so ist. Insgesamt fand ich "A Tale of Two Cities" runder, obwohl auch da natürlich einiges ganz schön konstruiert ist. Ein "trauriges", aber realistisches Ende hätte mir bei "Great Expectation" einfach besser gefallen.


    4ratten

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted