Franz Kafka - Der Prozess

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  • dass es für sie vielleicht sogar die Essenz des Lesens ist :smile:


    Für mich wäre das zu weit gegangen. Aber irgendwann fragte ich mich, ob es nicht mehr gibt als schöne Geschichten. Die wenigsten Geschichten können mich im Inneren erschüttern, Kafka gelingt dies bis zu einem gewissen Grad. Und als ich dann Kafka für mich verarbeitet hatte, kam ich zu den herkömmlichen Geschichten wieder zurück ...


    Gruß, Thomas


  • Natürlich kann man lernen, das "Gekrakel" zu lesen, indem man sich mit abstrakter Malerei beschäftigt


    Na, ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Man kann das nicht "lernen", indem man sich mit abstrakter Malerei beschäftigt. M.E. müsste der Lernprozess genau anders herum ablaufen. Man muss sich mit der realistischen Malerei auseinandersetzen und wirklich jedes, jedes Bild, welches irgendwo im Museum hängt, mal betrachten. Und dann sich fragen, ob diese Bilder heute noch zum Weltverständnis beitragen. Ob sie das Unglück des 2. Weltkrieges erklären können, ob sie die eigene depressive Phase abbilden. Das können sie nämlich nicht. Ob sie überhaupt einen Sonnenuntergang richtig darstellen. Bildlich gesehen schon, gefühlmäßig mag man aber mehr bei Turner oder van Gogh empfinden. Und das ist dann schon halb abstrakt. Der nächste Schritt dann vielleicht zu Picasso, dessen Guernica das Grauen des Krieges symbolisiert und man empfindet das auch, wenn man vor dem riesengroßen Original steht. Kein einziges Mal muss man bei Bildern zu Sekundärliteratur greifen. Man muss seine Sinne für solche Dinge schärfen, sich öffnen. Und ich behaupte, dass es bei Literatur nicht anders ist. Aber wer gleich mit Joyce beginnt, wird wohl scheitern.


    Gruß, Thomas

  • Wer kennt nicht das Gefühl, dass man die Welt nicht mehr versteht, wenn man vom geliebten Partner vollkommen überraschend verlassen wurde. Es gibt keine Gründe, es gibt keine Erklärungen, die passen. Wie verzweifelt war man selber in solchen Situationen? Diese Verzweiflung erlebt auch Kafkas Protagonist, er wird ohne Begründung verhaftet. Er sucht nach Antworten und findet (zunächst) keine. Kafka versucht solche Gefühlswelten in Literatur zu gießen.


    Gruß, Thomas


  • Man muss seine Sinne für solche Dinge schärfen, sich öffnen. Und ich behaupte, dass es bei Literatur nicht anders ist. Aber wer gleich mit Joyce beginnt, wird wohl scheitern.


    Das hat was - ich merke, wie sich mein Lesegeschmack mit der Anzahl der gelesenen Bücher und der (teilweise) intensiveren Auseinandersetzung damit ändert. Besonders fällt mir das auf, wenn ich wieder mal zu einem Buch von früheren Lieblingsautoren greife und merke, dass ich ihre Bücher heute anders einstufe als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Und "Buddenbrooks" hätte ich mit 20 wohl noch vor der Hälfte in die Ecke geworfen, mit 30 habe ich die Lektüre grösstenteils genossen...


    Allerdings scheine ich bei Kafka (und auch anderen Autoren wie zB Oscar Wilde, Robert Walser) an Grenzen zu stossen, die ich ohne zu Murren akzeptiere --> OK, Jungs, ich habs mit euch probiert - das wird nichts mehr.
    Ob das jetzt die Grenzen meines Geschmacks oder meines Verständnisses sind, spielt für mich dabei keine grosse Rolle. Es funkt einfach nicht (im Gegenteil!) und das wird es wahrscheinlich auch nie. Wenns mich dann in ~20 Jahren juckt, werde ich es wohl nochmal probieren und vielleicht eine Überraschung erleben - oder auch nicht. :smile:

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Ich möchte an dieser Stelle noch einen Grundsatzkommentar zum Lesen von Büchern abgeben. Meines Erachtens ist der in der Schule gewählte Ansatz, sich Büchern über gelehrte Interpretationen zu nähern der falsche. Büchern sollte man sich über Empathie erschließen (ebenso wie bei bildlichen Kunstwerken) - oder anders gesagt "Der Funke muss überspringen". Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Resignation, Depression lassen sich mit "herkömmlichen" Geschichten schwer ausdrücken. Also suchten Autoren andere Formen. Ich unterstelle, dass jeder erwachsene Leser diese Empathie aufbringen kann. Man muss sich jetzt fragen, warum es dennoch so schwer fällt, dass bei Kafka der Funke überspringt. Kafkas Sprache benutzt keinen besonderen Wortschatz und der Satzbau ist für einen heutigen Leser auch nicht sonderlich kompliziert. Also muss es noch an etwas anderem liegen.


    Betrachten wir mal den Anfang vom Prozess: http://gutenberg.spiegel.de/buch/157/2


    An Kafkas erstem Kapitel irritiert der Inhalt. Da kommt ein fremder Mann in die Wohnung und das erste was der Protagonist darauf hin sagt, ist: »Anna soll mir das Frühstück bringen«. Das ist eine unwirkliche Reaktion in einer scheinbar wirklichen Welt, die hier dargestellt wird. Und so reiht sich eine Merkwürdigkeit an die andere, die den Leser im Ungewissen lässt, vielleicht auch am eigenen Verstand zweifeln lässt, was denn das ganze soll. Und dann fängt man an unaufmerksamer zu lesen und sperrt sich innerlich gegen diesen "Quatsch". Wie man diese verständliche Reaktion eines Lesers nun überwinden kann, darauf habe ich noch keine Antwort.


    Gruß, Thomas


    P.S. Ich glaube, ich habe hier ein sehr spannendes Thema für eine Dissertation :zwinker: aufgeworfen - Literaturvermittlung in der Schule.

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Kafka war mir immer suspekt. Ein Klassiker, einer den man nur verstehen kann, wenn man meterweise Sekundärliteratur daneben legt. Folterinstrument für diverse Schülergenerationen. Aber irgendwie gehörte er zu den Autoren, die man meiner Meinung nach zumindest mal ausprobiert haben sollte, wenn man sich als leidenschaftlichen Leser bezeichnen will. Und so habe ich völlig freiwillig "Der Prozess" gekauft, erst mal verstauben lassen, weil ich ich doch nicht daran traute und schliesslich gelesen.


    Die meisten Probleme, die ich mit dem Buch hatte, lagen an meiner ziemlich preisgünstigen Ausgabe vom Anaconda-Verlag:

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    Es war nämlich ziemlich eng gedruckt und erforderte deshalb einiges an Konzentration. Da ich das Buch nicht für Schule oder Uni lesen musste, brauchte ich es schließlich nicht zu analysieren, sondern konnte mich tragen lassen. Ja, die Geschichte besteht aus einer Menge Merkwürdigkeiten, aber ich gucke auch David-Lynch-Filme und lese gerne japanische Romane, gerade wegen ihrer Fremdheit und Merkwürdigkeiten. Bei mir überwog bei diesem Buch mein Ärger über K. und eigentlich die ganze Gesellschaft, die sich einer Verurteilung unterwirft, die auf keiner Rechtsgrundlage aufbaut.


    Ich werde vermutlich nicht zum Kafka-Fan mutieren, mir aber doch irgendwann mal seine weiteren Romane zu Gemüte führen.


    4ratten


  • Man muss sich jetzt fragen, warum es dennoch so schwer fällt, dass bei Kafka der Funke überspringt.


    Das Problem hatte ich beim "Prozess" (wie auch bei "Amerika") überhaupt nicht. Mit den Kurzgeschichten tue ich mich bis auf ein paar Ausnahmen etwas schwerer, aber wenn Kafka eine ganze Romanlänge zur Verfügung hat, um sich zu entfalten, zieht er mich mit Haut und Haar in seinen Strudel.


    Wer Kafka kennt, der weiß ja schon, dass gewisse Merkmale sehr typisch für ihn sind - die prägnante Sprache (schlicht und elegant), die skurrilen Nebenfiguren, die absurden Situationen, der (alp-)traumartige Aufbau, gewisse wiederkehrende Symboliken und psychologische Momente ... wenn einem das alles nicht "schmeckt", verstehe ich schon, dass man keinen rechten Zugang zu Kafka findet. In seinem Werk ist das für ihn Typische wirklich sehr dominant, und vielleicht hängt bei ihm tatsächlich mehr als bei anderen Autoren von der grundlegenden Sympathie oder Antipathie ab.


    Mir macht er jedenfalls sehr viel Spaß. Mir hat ja seinerzeit schon "Amerika" extrem gut gefallen, aber der "Prozess" ist doch noch komplexer und bringt mehr Aspekte ins Spiel. Ich muss aber dazusagen, dass ich im Vorhinein absichtlich überhaupt keine Interpetationen oder andere Sekundärliteratur gelesen habe, sondern das Buch zuerst einmal ganz unvoreingenommen auf mich wirken lassen wollte. Jetzt freue ich mich aber schon auf Hintergrundrecherche und bin gespannt, was von meinen eigenen Gedankengängen ich bei anderen wiederfinde und was ich jetzt noch entdecken werde, worauf ich von alleine nicht aufmerksam geworden bin.


    5ratten

    [color=darkblue]"Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Anfangs tat ich mich mit Kafka schwer, aber damals war ich wohl noch zu jung. Vor einigen Jahren habe ich "Die Verwandlung" noch einmal gelesen und fand mich schon eher damit zurecht. Seit einiger Zeit habe ich wahnsinnig Lust, den Prozess zu lesen.
    Man weiss ja in etwa, worum es geht und kann sich bereits seine Gedanken machen. Aber ich würde es sehr gerne auch selber einmal lesen und mich in Kafkas Universum umsehen.

    //Grösser ist doof//

  • Dann würde ich es auf jeden Fall ausprobieren, Jari, abbrechen kannst du immer noch, wenn es dir doch nicht gefällt. :smile:


    Was ich noch erwähnen wollte - ich habe auch die hier schon mehrfach verlinkte Anaconda-Ausgabe gelesen, und das ist sicher nicht die beste Wahl. Es stecken ganz merkwürdige Druckfehler darin - nämlich solche, als ob jemand, der die deutsche Sprache nicht kann, von einer unleserlichen Handschrift abgetippt hätte. Spontan im Kopf habe ich z.B. noch "seinem Unken Arm" (statt "seinem linken Arm") oder "der Richter Heß" (statt "der Richter hieß" - anders ergibt der restliche Satz nämlich gar keinen grammatikalischen Sinn).


    Also, es ist zwar ein recht hübsches billiges HC, aber es geht auf jeden Fall besser.

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  • Komisch, ich finde Anaconda eigentlich toll und hätte zum Lesen auch diese Ausgabe gewählt... Seltsam..

    //Grösser ist doof//

  • Spontan im Kopf habe ich z.B. noch "seinem Unken Arm" (statt "seinem linken Arm") oder "der Richter Heß" (statt "der Richter hieß" - anders ergibt der restliche Satz nämlich gar keinen grammatikalischen Sinn).


    OCR. Und dann sich drauf verlassen, dass die Rechtschreibekorrektur schon alles richtig stellt. Kennen wir ... Leider ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • OCR. Und dann sich drauf verlassen, dass die Rechtschreibekorrektur schon alles richtig stellt. Kennen wir ... Leider ...


    Jetzt musste ich googeln - Optimal Character Recognition. Dann wohl doch eher suboptimal ...

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  • Oh. :redface:
    Suboptimal optical recognition meinerseits ...

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  • Franz Kafka


    Der Prozess


    Josef K. gerät in einen „Prozess“. Die Vergehen der jeweiligen Beschuldigten sind geheim, somit ist eine rationelle Verteidigung nicht möglich. Nach und nach frisst der schwebende Prozess Josef auf, er ist nicht mehr in der Lage, seinen Beruf auszuüben und sein Leben zu leben. Alles dreht sich nur noch um die Möglichkeit, das Gericht irgendwie positiv zu beeinflussen.



    Ein Text wie ein Alptraum, surreal und wirklich nicht meine Kragenweite. Und dann diese verfügbaren Frauenfiguren, och nööö!

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.