Ian McEwan - Am Strand

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 4.173 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Ian McEwan: Am Strand (On Chesil Beach)


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    Ich habe das Original gelesen:

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    Ian McEwan neuer Roman, eher eine Novelle, führt uns an den "Chesil Beach" in Dorset, wo Edward und Florence auf Hochzeitsreise sind. Es beginnt mit einem romantischen Dinner, das so schön sein könnte, wenn da nicht die nachfolgende Hochzeitsnacht wäre ...
    Wir schreiben das Jahr 1962, den Frischgetrauten fehlen die Möglichkeiten und Worte ihre Ängst und Hoffnungen zu artikulieren. Florence hat als "Beistand" nur ihr Handbuch für junge Bräute und was sie da liest kann ihr die Angst vor Schmerzen, die Scham, nicht nehmen. Edward, auch praktisch ohne Erfahrung, bemerkt die Ängste seiner Frau kaum, ihn beschäftigen seine eigenen, aber auch die Vorfreude "es" endlich erleben zu dürfen.


    McEwan komponiert seine Geschichte sehr genau, in langen Rückblenden erfährt der Leser viel von der Vergangenheit des Paars, ihrem Umfeld, ihrer bisherigen Beziehung. Die Handlung wird abwechselnd aus Edwards und Florence Sicht erzählt, so dass der Leser immer ein bisschen über den beiden steht, ihr Verhalten besser beurteilen kann als die beiden, die nur ihre eigenen Gefühle, Ängste und Begierden kennen.


    Ein wunderbarer, einfühlsamer kleiner Roman, ich halte es ausnahmsweise mal mit Elke Heidenreich: Lesen!



    5ratten


    Katia

  • Was für ein wunderschöner Roman! So traurig und melancholisch. Ian Mcewan versteht es meisterhaft die Gefühle seiner Figuren zu ergründen und dem Leser preis zu geben. Von Anfang an versteht man beide Seiten sehr gut und erlebt mit wie ein Missverständnis dazu führen kann das ein ganzes Leben verändert wird. Die Figuren sind zutiefst menschlich und viele Fehler der beiden erkennt man auch ein Stück weit als die eigenen, oft dachte ich einfach: genauso fühlt man sich in so einem Moment! Der Autor wird dabei nie Stereotyp auch wenn er zutiefst menschliche Gefühle und Ängste beschreibt. Im Grunde geht es aber weniger um die Handlung selbst als um die verborgenen Wünsche und Bedürfnisse der beiden Figuren, ihrem Schweigen, einem Schweigen dass zu genau den Ereignissen führt die im Buch geschildert werden. In mehreren Rückblenden wird auf die Gegenwart der Figuren eingegangen und hier versteht man erst weshalb es überhaupt dazu kommen kann das sich diese Beiden so ganz anders verhalten als sie es eigentlich möchten.


    Kein Aufregender Roman aber dafür dicht am Leben und einfach nur wunderbar geschrieben.


    4ratten

  • Edward und Florence sind frisch verheiratet und sitzen nun in ihrem Flitterwochenhotel am Abendessenstisch. Besonders Florence ist äußerst nervös, steht ihr doch die Hochzeitsnacht bevor. Dem prüden Geist der frühen 60er Jahre entsprechend weiß sie so gut wie nichts darüber, was da geschehen soll, und das Wenige, was sie weiß, stößt sie ab.


    Edward hingegen freut sich darauf, seine Frau endlich ganz intim kennenzulernen und hat mit ihrer Reaktion auf seine Annäherungsversuche so nicht gerechnet ...


    Nur ein schmales, groß gedrucktes Büchlein, aber Ian McEwan ist Meister darin, Stimmungen einzufangen, die gesamte Persönlichkeit eines Menschen durch dessen Gedankenwelt, seine Handlungen und Gefühle zu charakterisieren. Hier herrscht nach der Hochzeit keine fröhliche Euphorie, sondern Unsicherheit, Angst, ja sogar Ekel seitens Florence, den ihr nichts und niemand nehmen zu können scheint.


    Während das Drama der Hochzeitsnacht seinen Lauf nimmt, werden Rückblenden eingestreut, in Edwards und Florences ganz unterschiedlich verlaufene Kindheit - Florences eher intellektuelle Familie einerseits, Edwards chaotischer Haushalt mit der Mutter, die seit einem Unfall geistig behindert ist, die Studienzeit, das Kennenlernen in Oxford ...


    Einziges Mängelchen für mich war die Kürze des Ganzen, ich mag McEwan noch etwas lieber, wenn er sich ein bisschen mehr Raum gönnt, die Geschichte zu entwickeln.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ian McEwan gelingt es in diesem schmalen Büchlein wirklich, ein gelungenes Zeit-, Stimmungs-, und Gefühlsportrait zu schaffen.


    In einem Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wird die Geschichte des Hochzeitspaares dem Leser erst nach und nach enthüllt. Die dramatischen Ereignisse der Hochzeitsnacht werden immer wieder unterbrochen von Rückblenden, die dem Leser die Protagonisten und ihre Beziehung näher bringen. Auch die unterschiedliche Gefühlswelt der beiden wird im Wechsel nachgezeichnet, und der Autor versteht es auf besondere Weise, die innere Verzweiflung und Zerrissenheit darzustellen, den Widerspruch zwischen den eigenen Wünschen und den Erwartungen des Umfelds und die absolute Unfähigkeit, mit dem Menschen, den man unendlich zu lieben glaubt, darüber zu sprechen.


    Schade finde ich allerdings, dass meine Erwartungen, natürlich durch den Klappentext, mal wieder etwas irregeleitet wurden. Abgesehen davon, dass das Ende vorweggenommen wird, ist der entscheidende Punkt im Roman nicht der Zeitgeist. Die Idee des Autors war offenbar zu zeigen, wie gefangen die beiden Protagonisten in ihrer Zeit sind, schon 10 Jahre später wäre alles anders geworden. Dieser Punkt wird jedoch durch den

    zunichte gemacht, das Problem wird dadurch ein anderes und mir auch dadurch etwas zu „einfach“. Da dies aber nur zum Teil die Schuld des Autor ist, gibt es von mir noch

    4ratten

    Die Literatur gibt der Seele Nahrung,<br />sie bessert und tröstet sie.<br /><br />:lesen:<br />Alfred Kerr: Die Biographie

  • Im prüden England des Jahres 1962 steht das frisch gebackene Ehepaar Edward und Florence vor ihrer ersten gemeinsamen Nacht, der Hochzeitsnacht.
    Sie, ein musikalisch begnadetes, gebildetes Mädchen aus der Oberschicht und er, ein Absolvent des Geschichtsstudiums aus einfachem Hause, unterscheiden sich nicht nur aufgrund ihrer Herkunft. Während er es kaum erwarten kann, "es" endlich mit seiner großen Liebe zu tun, die sich so lange geziert hat, sich ihm hinzugeben, fühlt Florence sich vor der ersten gemeinsamen Nacht, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Voller Angst und Ekel, obwohl sie ihren Mann über alles liebt, windet sie sich vor ihm und seiner körperlichen Zuneigung. Es kommt zu einem "Schlamassel", wie sie selbst sagen, was das Ende ihrer kurzen Ehe einläuten soll.


    Ian McEwan vermag es, den Leser von der ersten Seite an zu faszinieren. Er schreibt sehr unverblümt, aber niemals obszön, sondern sehr einfühlsam von der schönsten Nebensache der Welt. Dabei unterbricht der Autor die Szenerie im Schlafzimmer von Ausführungen der Vergangenheit des Paares. Man erfährt, aus welchen Verhältnissen beide kommen - Florence aus einem sehr konservativen Elternhaus, Edwards Familie mutet eher chaotisch an - und wie sie sich kennen gelernt haben. Es wird mehrfach erwähnt, dass FLorence von ihrer Mutter während ihres ganzen Lebens niemals körperlich berührt wurde, weder in den Arm genommen noch sonstwie berührt wurde. Sexualität ist etwas, woran sie am liebsten überhaupt nicht denkt, und wenn, dann erfüllt es sie mit Abscheu und Hass. Keine gesunde Einstellung. Sie weiß es genau, doch sie traut sich nicht, mit ihrem Ehemann in spe diese Dinge zu bereden, zu groß ist die Scham. Und diese Kommunikationsarmut ist es auch, die die Hochzeitsnacht in einem Eklat enden lässt. Florence verlässt angewidert das Hotel und flüchtet an den Strand. Er kommt nach, voller Wut, beide haben nur gegenseitige Anschuldigungen und Vorwürfe füreinander übrig.


    McEwan will uns weismachen, dass die Prüderie der 60er Jahre (noch vor der großen Revolution) schuld daran ist, dass dieses junge, sich angeblich so liebende Paar, entzweit wird wegen einer misslungenen Hochzeitsnacht. Letztendlich scheinen sie vielleicht doch nicht so gut zusammen zu passen oder die Hochzeit war einfach viel zu früh, denn ich finde, man gewinnt leicht den Eindruck, dass diese Beziehung vielleicht nicht allzu tiefgründig war.


    Doch ich weiß nicht, ob es seine Absicht war, nur ganz nebenbei und zwischen den Zeilen einzustreuen, dass



    Man hätte es dann auch dabei belassen können, dass die Hochzeitsnacht in einem Fiakso endet, doch es wird noch Edwards weiteres Leben sehr kurz und knapp umrissen. Das Fazit, dass Edward zu seiner kurzen Ehe mit Florence zieht, fand ich nicht sehr überzeugend.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    Einmal editiert, zuletzt von Ophelia ()

  • "Am Strand" fand ich auch sehr gelungen. Ein Buch, in dem "nicht viel passiert", aber die Gefühle und Ängste der beiden Frischverheirateten sehr ausführlich beschrieben, fast schon seziert werden. Sehr gut gefallen hat mir McEwans Kunstgriff, nach der minutiösen Schilderung der Hochzeitsnacht die darauf folgenden Jahrzehnte in wenigen Absätzen abzuhandeln. Meinen einzigen Kritikpunkt haben Ophelia und Madicken schon genannt - den Grund für Florences Ängste fand ich auch zu "einfach". Trotzdem ein sehr lesenswertes Buch.

  • Ian McEwan


    Am Strand


    On Chesil Beach


    Edward und Florence heiraten. Die Geschichte erzählt von der Hochzeitsnacht und springt immer wieder in die Vergangenheit, erzählt Episoden aus dem Leben des Brautpaares.


    Edward stammt aus einfachen oder besser gesagt schwierigen Verhältnissen. Seine Mutter erlitt bei einem Unfall einen Schädelbruch, infolge dessen sie dauerhaft geistig beeinträchtigt geblieben ist. Der Haushalt wird von Edwards Vater, einem Lehrer, mehr schlecht als recht nebenbei erledigt. Edward studiert und hofft, nach seinem Abschluss endlich sein eigenes Leben führen zu können, möglichst frei von der Familie und gesellschaftlichen Zwängen.


    Florences Familie ist besser gestellt, der Vater hat eine Firma. Auch Florence steht der eigenen Familie distanziert gegenüber, normal für diese Entwicklungsphase, und sehnt sich nach Abnabelung.


    Mit der Heirat steht das neue Leben also vor der Tür. Edward sieht sich vor der Erfüllung seiner bisher notwendigerweise unterdrückten sexuellen Wünsche und Träume – endlich Sex, für Unverheiratete im England der 60er Jahre eine schwierige Sache. Und genau diesen Punkt fürchtet Florence übermäßig. Sie ekelt sich sogar vor Berührungen und Küssen. Somit verspricht die Hochzeitsnacht, schwierig zu werden.


    Obwohl dieser Roman nur 208 Seiten kurz ist, hat er trotzdem seine Längen und konnte mich nicht immer fesseln. Wie die Geschichte ausgeht

    , kam für mich unerwartet – eine durchaus positive Überraschung.




    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Einsortieren würde ich dieses Buch allerdings im Bereich Liebesromane.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Ich habe das Buch vor etwa zwei Jahren auf englisch gelesen und mir hat es sehr gut gefallen. Ich kann mich noch sehr gut an die Stimmung erinnern, die in dem Buch transportiert wird und die mich damals gefesselt hat.
    Die Kürze des Buches fand ich eigentlich sehr passend, ich hatte das Gefühl, dass alles gesagt wird, was gesagt werden sollte und die eigentliche Geschichte behandelt ja nur einen Abend. Auch das Ende hat mir gefallen, eben weil es genauso ausgeht, wie es eben ausgeht :zwinker:

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Der Inhalt ist in den vorherigen Beiträgen schon sehr gut dargestellt worden und auch Lob und Kritik teile ich in vielerlei Hinsicht.

    Das Genre des Kurzromans, der wohl nur Roman heißt, weil er durch seine Rück- und Vorblenden viele Jahrzehnte umfasst, die Beziehungsgeschichte, ist etwas, was McEwan sehr gut kann, schon in vorherigen Romanen und auch später immer wieder variiert.

    In diesem Roman geht es ja eigentlich nur um ca. zwei Stunden - das Dinner zu zweit und die darauffolgende, aber schnell abgebrochene Hochzeitsnacht. Am Anfang hat mit der Roman gar nicht gefallen, es wurde mir zu psychologisch und zerquält. Die Rückblenden haben dann allerdings wieder das ganze Können des Autors vorgeführt, seinen analytischen Blick für Familienverhältnisse und die wunderbare Schilderung englischer Landschaften und Stimmungsbilder. Wie Madicken und @Ophelia finde auch ich die unterschiedlichen Begründungsansätze für Florences Verhalten störend und motivationstechnisch misslungen.

    Außerdem glaube ich nicht, dass so ein riesiger Gegensatz zwischen dem Anfang und dem Ende der Sechziger herrschte. Erstens erwähnt McEwan selbst, dass es auch zu dem Zeitpunkt von Florences und Edwards Eheschließung schon häufig zu vorgeschlechtlichem Sex zwischen verlobten Paaren kam, und zweitens griff die sogenannte sexuelle Revolution ja nicht sofort auf alle über, so dass sich noch viele Jahre später zumindest in vielen gesellschaftlichen Gruppen keine große Freizügigkeit breitmachte. Es war nicht so ein massiver Vorher-Nachher-Kontrast, wie er öfters beschrieben wird. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass es Florence später vielleicht genauso ergangen wäre, wenn sie vielleicht dann auch noch nicht verheiratet gewesen wäre. Aber für die gemeinsame Liebe wäre es eine ebensolche Katastrophe geworden.
    Es war eine z.T. reizvolle Lektüre, aber für mich hat McEwan bessere Bücher geschrieben.