Fjodor Dostojewskij - Der Idiot

Es gibt 35 Antworten in diesem Thema, welches 11.906 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Mäusedudler.

  • Hallo!


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    Inhalt:


    Der junge Fürst Myschkin leidet an Epilepsie und kommt nach einem längeren Kuraufenthalt in der Schweiz zurück nach Russland. Er hat bei seiner Ankunft kein Geld in der Tasche und nur ein kleines Bündel mit seinen Habseligkeiten dabei. Dafür hat er innere Werte wie Ehrlichkeit und Offenheit - diese sind in der St. Petersburger Gesellschaft allerdings nicht immer gefragt. Er wird in sehr undurchsichtige Intrigen verstrickt, aus denen er sich nicht retten kann.


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    Teilnehmer:


    bane77
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    mäusedudler
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    IcaTea?
    babgoldie
    gretchen
    mombour


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    Eine kurze Bitte: Damit das ein bisschen angenehmer zu lesen ist, postet erst, wenn ihr angefangen habt. Die Beiträge "Buch liegt bereit, ich fange heute Abend an" ziehen das ganze immer so sehr in die Länge.


    Interessant für Leserunden-Neulinge ist sicherlich die Leserunden-FAQ. Dort findet ihr auch Informationen z.B. zu Spoilern etc.


    Viel Spaß, fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Hallo,


    es hat mir wieder Freude gemacht, in diese Seiten einzutauchen. Es beginnt im Zug. Der Zug damals noch ein sehr modernes Fortbewegungsmittel; es sei zu bemerken, dass Tolstois "Anna Karenina" auf einem Bahnhof beginnt.


    Im Zug trifft Myschkin schon auf Rogoschin, der erzählt in Filippowna verliebt zu sein. Diese Personen spielen im weiteren Verlauf eine große Rolle.


    Myschkins Aussenseiterstellung wird schon dadurch bekräftigt, dass er einer der letzten der Myschkins ist. Nur noch mit Lisaweta Prokofjewna Jepantschina ist er verwandt.


    Im zweiten Kapitel befindet sich das Plädoyer gegen die Todesstrafe, und man spürt hier Dostojewskij selber, der auch mal zum Tode verurteilt wurde, und kurz vor dem Erschießen begnadigt wurde. Hier spricht aus Myschkin Dostojwskij selbst. Das andere, was diese Szenerie aufzeigt, ist, Myschkin vertritt das Gute in der Welt. Nun, wir werden darüber noch hören.


    Das ist mein erster Eindruck.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo :winken:


    Erst mal muss ich sagen, dass ich momentan ein paar persönliche Probleme habe und deshalb nicht weiß, wie viel ich zum Lesen komme und ob ich mich darauf konzentrieren kann :sauer:


    Ich habe bisher das erste Kapitel gelesen und das hat mir sehr gut gefallen. Ich wusste vorher gar nicht, um was es geht, weil auf meiner etwas älteren Ausgabe kein Klappentext steht und ich weiß immer noch nicht, was für eine Art Geschichte ich jetzt erwarten muss. Aber Myschkin und Rogoschin scheinen ja ganz sympathische junge Herren zu sein. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht!


    LG, Stefanie

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Hallo,


    auch habe bisher nur das erste Kapitel geschafft und muss sagen, es zog mich schon auf den ersten Seiten in seinen Bann.


    Die Figurenbeschreibungen von Rogoschin und Myschkin sind wirklich sehr bildlich dargestellt. Auch die Situation, dass sich zwei Personen im Zug gegenüber sitzen und miteinander ins Gespräch kommen wollen, ist immer noch sehr aktuell. Wie oft sitze ich in der Bahn und warte darauf mit jemand anderen reden zu können. Was ist da einfacher, als zu fragen ob es einem zu kalt ist bzw. ob man evt. das Fenster öffnen könnte.


    Der Beamte kommt auch ganz gut bei dem Gespräch, obwohl er ja eher ein nerviger Typ ist, der nur darauf wartet sich einmischen zu können.


    Ich bin jedenfalls gespannt wie es mit den beiden Kerlen und Nastasja sowie anderen noch nicht bekannten Charakteren weitergeht.


    Da ich weder Klappentext noch andere Rezensionen oder Kritiken gelesen habe sehe ich den nächsten Seiten erwartungsfroh entgegen.


    Frühabendliche Grüße
    babgoldie

    Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun (Ebner-Eschenbach)

  • Hallo,


    Natassja Filippowna tritt immer mehr in den Mittelpunkt des Romans. Alles dreht sich um sie:


    Rogoschin ist in sie verliebt, Myschkin betrachtet ihr Bild und findet es schön (Kap.III). Natassja hegt gegenüber Tozkij Rachegefühle, weil er sich an ihr vergangen hatte, als sie ein Mädchen war. An ihrem Geburtsag soll abends die Entscheidung fallen, ob Natassja eine Verbindung mit Ganja eingeht. Sie ist sehr ambivalent. Ganja ist von seinen Leidenschaften hin und hergetrieben, neigt zu Wut und Gefühlsausbrüchen. Ein sehr umtriebiger Charakter, den Dostojewskij herrlich zeichnet. Dieser nun, muss sich zwischen Aglaja, der jüngsten der Töcher der Generalin Lisaweta Jepantschina, und Natassja entscheiden und setzt sich damit maßlos unter Druck.


    Herrlich auch die Szenerien mit der Generalin, ihren Töchter und Myschkin. Sie haben den Fürsten unterschätz, er scheint gar nicht so ein „Idiot“ zu sein. Die Töchter kichern zu anfangs über ihn. Schließlich ist zu erkennen, das Lisaweta diejenige ist, die für Myschkin Partei ergreift. Es bandelt sich hier eine Freundschaft mit Myschkin an und Myschkin sieht in dem Bild Natassjas, dass die Frau leidet.


    Wir können auch schon sehen, wie Myschkin in den Strudel von Ereignissen hineingerissen wird, die ihn eigentlich nichts angehen, wofür er nichts kann, und aus Missverständnissen zum „Idioten“ gestempelt wird. Ich erinnere an sie Szene von Ganjas Brief an Aglaja und an Natassja Filippownas Reaktion gegenüber Myschkin am Ende des achten Kapitels. Eine geradezu schon groteske Szene, zum Lachen, aber auf Kosten Myschkins.


    Sämtliche Lesehemmungen gegenüber diesen Wälzer sind nun gebrochen, und ich lese gespannt weiter. :klatschen:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hi,


    ich habe erst die ersten vier Kapitel geschafft - bei dem guten Wetter hier im Norden muss die Zeit für den Garten genutzt werden ;)


    Gleich im ersten Kapitel treffen sich die beiden Hauptpersonen. Während der Fürst durchaus sympathisch wirkt - allerdings auch extrem vertrauensselig gegenüber den ihm unbekannten Personen, wirkt Rogoschin auf mich doch sehr suspekt. Seine Sprechweise scheint recht ungeschliffen, fast möche man sagen bäurisch (nix gegen Bauern, aber zu der Zeit, als der Roman spielt, waren das ja riesige Unterschiede), sein Verlangen nach Nastassja ist wohl eher krankhaft als alles andere. Immerhin kennt er sie quasi nicht.
    Absolut unsympathisch ist mir Tozkij, der ein verwaistes Mädchen ausnutzt und sich dabei auch noch im Recht fühlt - bis Nastassja in Petersburg auftaucht und den Spieß umdreht. Mitleid kann ich mit Tozkij nun wirklich nicht haben. Den General samt Frau und Töchtern kann ich irgendwie noch nicht richtig einschätzen - besonders auf die Töchter bin ich gespannt, denn die scheinen ja ihren eigenen Kopf zu haben.


    Bis jetzt muss ich sagen, dass mir unglaublich gut gefällt, wie Dostojewski die Personen beschreibt und wie sie praktisch beim Lesen lebendig werden. Jeder hat seine ganz eigene Ausdrucksweise und ist gleich zu Anfang des Romans interessant. Allerdings musste ich auch erstmal 50 Seiten lesen, um mich an die russischen Namen zu gewöhnen.


    Bin sehr gespannt, wie's weitergeht :breitgrins:

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted

  • Hallo mäusedudler,


    es freut mich, dass es dich auch in die Lektüre zieht. Soweit ich das überblicke, erfahren wir Rogoschins Berufsstand nicht, aber mit dem bäuerlichen sind wir auf der richtigen Spur, denn in meiner Übersetzung, Swetlana Geier, werden Rogoschins Worte in einem leichteren Dialekt übersetzt, was ja auf das volkstümliche hinweist.


    Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf Myschkins Verhalten im Gegensatz zu den anderen. Rogoschin scheint ein völliger Gegenpol zu Myschkin zu sein. Ich werde später noch darauf eingehen, denn wir bekommen im Zweiten Teil des Romans noch direktere Einblicke. In Kap. 3 warnt General Jepantschin Myschkin vor Rogoschin. Das will was heißen.
    Hier sei nur erwähnt, Myschkin behält in allen Situationen immer seine innere Ruhe, er ist vorausschauend (er scheint Natassja sehr gur zu kenen, obwohl er bisher nur ihr Portrait gesehen hat). Bemerkenswert, Myschkin ist in Kalligraphie besonders begabt (auch Kap. 3 in Buch 1). Sonst erwartet man solch eine Fähigkeit doch nur von Mönchen des Mittelalters oder von einem Ikonenmaler.


    Liebe Grüße
    mombour


    PS: In meiner Ausgabe gibt es hinten ein Namenverzeichnis. Eine große Hilfe.

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Myschkin scheint ja ein richtiger Menschenkenner zu sein. Er weiß, wie der General auf seinen Besuch reagiert, kann Nastasja anhand eines Bildes beschreiben, obwohl er sie noch nie vorher gesehen hat oder tut er nur so?
    Ich fand es gut, wie er mit nichts gekommen ist und auch nichts vom General wollte und er ihm aus freien Stücken heraus seine Hilfeleistung bei Wohnungs- und Jobsuche angeboten hat.


    Und was hat es mit seinem Schreibtalent auf sich? War er vielleicht Klosterschüler oder wo hat er sich die schönen Schriften angeeignet, da er scheinbar in allen europäischen Schriften gut bewandert ist. Ob er dadurch wieder in den Kreis der "Höher-Betuchten" aufgenommen wird und in der Petersburger Oberschicht Fuß fasst?


    fröhliches weiterlesen
    babgoldie

    Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun (Ebner-Eschenbach)

  • Hallo babgoldie,


    Ich habe da so eine Theorie. Die besonderen Fähigkeiten von Myschkin sollen einfach nur Aufzeigen, dass Myschkin etwas besonderes ist, wie auch die Evangelisten dem Jesus Wunder zugeschrieben haben. In einer Szene auf Natassjas Geburtstag, will Gawrila seine Schwester schlagen, Myschkin geht dazwischen, und bekommt einen Schlag ins Gesicht. Auch hier ein christliches Motiv, das Leiden anderer auf sich zu nehmen. Christus hat ja das Leiden der Welt auf sich genommen. Das Motiv der Liebe des Fürsten zu Natassja ist dasselbe.


    Myschkin kopiert die Handschrift des Heiligen Pafnutij von Borowsk (1394 - 1477), der Prior in einem Kloster war. Aufgrund einer schweren Erkrankung musste er sein Amt aufgeben und lebte als Einsiedler am Ufer der Trotwa.


    Es fällt auf, auch Myschkin leidet an einer schweren Erkrankung. Pafnutij war Mönch, Myschkin ist impotent.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo Ihr,


    wollte mich nur kurz mal melden, damit Ihr seht, ich bin auch noch da, aber ich hatte eine wahnsinnsstressige Arbeitswoche und kam kaum zum Lesen und ich bin immer noch auf den ersten Seiten :redface: :redface: :redface: und schäme mich auch ganz fürchterlich.


    Nichts desto trotz möchte ich anmerken, dass sich das Buch wirklich - auf jeden Fall für mich - überraschend gut liest, irgendwie hatte ich es mir viel schwieriger vorgestellt.
    Ich bin zwar noch bei der Zug-Szene, aber ich möchte jetzt einfach mal posten, dass mir der Stil bisher sehr gut gefällt und auch liegt und ich so die Hoffnung habe, mein Manko Euch gegenüber schnell aufgeholt zu haben.
    Natürlich gibt es bisher auch noch nichts zu diskutieren oder zu interpretieren, alles ist im grünen Bereich.


    Liebe Grüße bis denmächst


    gretchen :winken:

  • Hallo Ihr,


    ich habe jetzt den Besuch Myschkins beim General beendet.
    Bisher plätschert für meine Begriffe die Geschichte so dahin.


    Was mir fehlt, ist ein Hinweis darauf, in welcher Zeit die Geschichte spielt.
    Der Hinweis auf das Bärtchen a la Napoleon läßt mich vermuten, dass wir uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts befinden, da Napoleon I. keinen Bart hatte - zumindest weiß ich nichts davon, es sich also um Napoleon III. handeln muß und dieser war wohl zwischen 1850 und 1870 Präsident beziehungsweise Kaiser der Franzosen.



    Das Gespräch über die Todesstrafe und die Gedanken hierzu fand ich sehr interessant, über diese Aspekte habe ich noch nie nachgedacht.


    Gruß


    gretchen :smile:

  • Hallo,


    im Ersten Buch, Kapitel VIII heißt es:


    Zitat

    Ein kurzer dunkelblonder Bart zeigte, daß er kein Beamter war.


    Ich habe etwas verwundert darüber hinweggelesen, bis ich hinten im Buch in den Anmerkungen herumblätterte und las, das Zar Nikolaus I. im jahre 1837 befehligte, Beamte dürfen keinen Bart tragen. Dieser Beschluss hielt wohl lange an.


    Das der Roman wie schon erwähnt natürlich später spielt, lässt sich anhand der Entwicklung der russischen Eisenbahn belegen. Die erste Kurzstrecke in Russland wurde 1837 eingeweiht, nur 23 km von Petersburg bis zur Zarenresidenz Zarskoje Selo . Im Zweiten Buch, Kap V wird sogar diese Bahnstrecke erwähnt:


    Zitat

    Und der Fürst wäre für sein Leben gern, vorhin, auf den Bahnhof der Zarskoje Selo-Eisenbahnlinie, als er in den Waggon einsteigen wollte, um zu Aglaja zu fahren....



    Zwischen 1851 und 1862 baute man ander Stecke Warschau- Petersburg. "Der Idiot" entstand 1868. Wir können also davon ausgehen, das der Roman in natürlich in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts spielt. Jedem Leser im neunzehnten Jahrhundert war natürlich klar, der Roman spielt in gegenwärtiger Zeit. Im 21. Jahrhundert muss man ein wenig recherchieren, aber das macht ja Spass, gell?


    Auch herrlich die Diskussion um die Eisenbahn im Dritten Buch, Kap. IV:


    Zitat

    > Es ist zu laut und zu betriebsam um den Menschen geworden, er findet keine geistige Ruhe<, klagt ein Denker, der sich von der Welt zurückgezogen hat. >Mag sein, aber das Rattern der Wagenräder, die der hungernden Menschheit Brot bringen, ist vielleicht besser als geistige Ruhe<


    Dieses Grundproblem allzu großer Betriebsamkeit haben wir heute auch noch. Nun bin ich ein paar Kapitel zuweit nach vorne gedrungen, aber, wenn ich schon bei der Eisen bahn bin... :zwinker: Auf jedenfall zeigen diese Diskussionen die Aktualität, wie sie damals war.


    Ich komme zurück, letztes Kapitel vom Ersten Buch, Natassjas Geburtagesfeier:


    Natürlich habe ich mich gewundert. Erst will Natassja dem Fürtsen die Entscheidung fällen lassen, wen sie heiraten soll, und dann bleibt sie doch bei Rogoschin. Hier wieder das zaghafte Verhalten Myschkins. Er ist gut, selbstlos, aber hat kaum Einflluss auf die Handelnden seiner Umgebung. Myschkin liebt sie nur aus Mitleid, im christlichen Sinne, er will sie gar nicht haben.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo Mombour,


    vielen Dank für die Informationen bezüglich der russischen Eisenbahn. Ich finde das hochinteressant.


    Auch habe ich nicht gewußt, dass der Roman 1868 entstanden ist. Klar war natürlich das 19. Jahrhundert. Da war das Eisenbahnfahren noch ein Abenteuer, zumal in Russland.




    Ohne jetzt besserwisserischer wirken zu wollen, aber in Russland hat bereits Zar Peter I. im 17. Jahrhundert allen Männern das Tragen von Bärten bei Strafe verboten. Es gab sogar eine Bartsteuer und er hat eigenhändig den Bart abgeschnitten, er hat quasi im wahrsten Sinne des Wortes "alte Bärte" abgeschnitten, um zu erreichen, dass sich Russland dem Westen öffnen kann und Anschluß findet. Er hat damit einen Sturm der Entrüstung bei den traditionellen Russen hervorgerufen, die auf ihre langen Bärte nicht verzichten wollten und auch dem Westen skeptisch gegenüberstanden.
    Er hat quasi moderne Zeiten für Russland verordnet.


    Die Geschichte plätschert immer noch so richtig schön vor sich hin, seitenlang wurde erörtert, warum er sich entschlossen hat, von Nastassja zu lassen und warum sie wen heiraten soll. Es ist so richtig poetisch.


    Gruß


    gretchen :winken:

  • Hallo :winken:
    Mich gibt's auch noch und ich bin auch schon in kleinen Etappen bis Kapitel 10 vorgedrungen. Das Buch gefällt mir immer noch sehr gut, ich mag die ruhige Erzählweise einfach. Viel passiert zwar irgendwie nicht und es ist schon ganz schön anstrengend, immer den Überblick über die russischen Namen zu behalten, aber dafür bin ich auch gleich immer wieder so richtig drin in der Geschichte.


    Sehr interessant fand ich die Ausführungen über die Todesstrafe, ich hab mir über dieses Thema selbst schon viele Gedanken gemacht und finde es erstaunlich, dass das Thema damals schon zu den gleichen Diskussionen führte wie auch heute noch.


    Was ich nicht ganz verstanden habe, was hat Tozkij denn Nastassja angetan, was ihr gemeines Verhalten rechtfertigen würde? Ich hab da wohl was überlesen? Die junge Dame scheint mir ja nicht sonderlich sympathisch zu sein...

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Was ich nicht ganz verstanden habe, was hat Tozkij denn Nastassja angetan, was ihr gemeines Verhalten rechtfertigen würde? Ich hab da wohl was überlesen? Die junge Dame scheint mir ja nicht sonderlich sympathisch zu sein...


    Hallo Stefanie,


    es wird tatsächlich nur nebenbei so erwähnt, Tozkij habe Natassja sexuell missbraucht, als sie noch minderjährig war.


    Erstes Buch, Kap.IV


    Tozkij

    Zitat

    ...gestand offenherzig, er könne sein anfängliches Verhalten ihr gegenüber nicht bereuen, denn er sei ein eingefleischter Lüstling und somit nicht Herr seiner selbst,....


    Erstes Buch, Kap XVI


    Natassja zum Fürst Myschkin:


    Zitat

    " Und du wirst dich nicht schämen, wenn man dir später sagt, daß deine Frau Tozkijs Mätresse war?"


    Ihr schwanken zwischen der leidenschaftlichen Liebe Rogoschins und der platonischen Myschkins soll vielleicht Natassjas Unfähigkeit zur physischen Liebe andeuten. Myschkin lebt doch keusch.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Sry, dass ich solang nicht geschrieben habe, aber ich bin die letzten Tage nicht so recht zum Lesen gekommen.


    Immerhin bis Kapitel 10 habe ich es jetzt geschafft (nebenbei auch die Übersetzung von Swetlana Geier). Nastassja ist nun endlich auch als Person und nicht nur als Bild/Erzählung aufgetaucht. Sie scheint sehr sprunghaft und rätselhaft zu sein, wenn man ihr Verhalten beim Besuch von Ganjas Familie betrachtet. Interessant fand ich auch wie der Fürst sich vor Wanja stellt, als ihr Bruder sie schlagen will. Auch wenn dieser sich später entschuldigt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Szene später keine Rolle mehr spielen wird, das Verhalten des Fürsten führt allen anderen Ganjas Charakter eindeutig vor Augen.

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted

  • Hallo,


    im letzten Kapitel des ersten Buches wird zum ersten Mal Natassjas einbrechende Geisteskrankheit bemerkt. Dieses sprunghafte Verhalten zwischen Myschkin/Rogoschin löst sich im Zweiten Buch, Kap. III. auf.


    Und warum ist den Natassja so durcheinander, sprunghaft usw. Naja, wie ich schon erwähnt, ihre Unschuld in der Jugend brutal genommen. So ist sie der körperlichen Liebe unfähig (wie Myschkin).



    Herrlich das Spiel zwischen der selbstlosen und der habgierigen Liebe in Kap.III. Dieses und das Kap.IV sind für mich zentrale Stellen des Romans. Die Frage nach der Religion wird anhand von Myschkins Erlebnissen erläutert. Beeindruckend das Gebet des Mörders während er seinen Freund umbringt. Die Religion ist hier genauso gegenwärtig wie in der Szenerie mit der Mutter und dem Kind. Dostojewskij will aufzeigen, die Religion in Russland kann man in den Herzen der Menschen entdecken, egal in welcher Situation sich ein Mensch befindet (kurz vor einem Mord. oder das Lächeln einer Mutter zu ihrem Baby).



    Schließlich kennt die Liebe Gottes keine Grenzen. Ich glaube, Dostojewskij will gerade dieses zu dem Leser sagen.


    Was mir noch nicht ganz klar ist, ist die Sache mit dem Gemälde von Holbein (übrigens haben Myschkin und auch Dostojewskij selbst dieses Gemälde in der Schweiz gesehen. Im Roman heißt es, beim Anblick des Bildes könne man den Glauben verlieren. Weil Christus aus Liebe zu den Menschen gestorben ist? Vielleicht hat jemand von euch eine Idee dazu (sonst muss ich doch im Nachwort nachschlagen :breitgrins: ). Über Ideen, Interpretationen freue ich mich natürlich.


    Ich bin ein wenig vorgeprescht, sorry, ein wenig zu übertrieben largomäßig kommt mir die Leserunde aber schon vor; verwundert besonders darüber, dass etwa die Hälfte (oder mehr) gar nicht mitliest. Mein Gott, was entgeht euch. :breitgrins:

    Zur Lesetechnik des Romans:
    Da man sich manches wieder zusammenpuzzeln muss, ist es nicht verkehrt, in diesem Falle zügiger zu lesen (es sei denn, man macht sich Notizen) Manches Gesagte wird nach über hundert Seiten und mehr wieder aufgenommen. Darum sind größere Leseunterbrechungen sehr ungünstig. Das nur als Tipp.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo liebe Leserunde,
    och, ... ich würde mich schon ganz gerne ab und zu an diesem Gespräch hier beteiligen, wenn es noch möglich ist. :breitgrins:
    Ich lese im Moment das gleiche Buch. Ich hoffe, das ist in Ordnung.


    Dann lege ich mal direkt los:

    Zitat

    Myschkin, die herrliche Personifikation der christlichen Liebe. Er liebt aus Mitleid.


    Das hast du schön formuliert, mombour. Er liebt und lebt aus Mitleid. Den "Idioten" in ihm sehen die anderen hauptsächlich, weil er wie ein Kind ohne Hintergedanken denkt und spricht, voller Demut und Mitgefühl für alle.
    In der Nähe von Kindern fühlt er sich wohl, weil sie eine reine Seele haben, die sich in seiner spiegelt. Zwischen den Erwachsenen fühlt er sich falsch und unsicher, als würde er sich verstellen müssen.
    In Myschkins Wesen ist auch viel östliches Denken enthalten. Dieses Vergeben, das Empfinden von Mitleid (was, ja seine Liebe zu Nastassia darstellt), dieses Blicken ins Innere und Erkennen an gutem Kern im anderen Menschen.


    Mit dem Gemälde von Holbein hat es folgende Bewandtnis:
    Dostojewski hat Holbeins Gemälde "Der tote Christus" (übrigens handelt es sich hier um Hans Holbein der Jüngere) in Basel gesehen, wo es einen unheimlich starken Eindruck auf ihn gemacht hat, so intensiv, dass er es später dann im „Idioten“ verarbeiten musste.
    Myschkin sagt:

    Zitat

    Ich habe das Original im Auslande gesehen, und seitdem kann ich dieses Bild nicht mehr vergessen.


    ... und hier spricht der Schriftsteller zu uns.
    Das Bild zeigt einen liegenden Christus auf weißem Tuch. Das Bild ist genauso lang wie der dort ausgestreckte, abgezerrte Christus und hat auf mich dadurch die Wirkung, als würde dieser Tote in einem Sarg liegen. Auch sind seine Augen offen, sogar aufgerissen, ebenso wie der Mund. Der Christus ähnelt dadurch also mehr einem Menschen als einem „Gott“, worüber Dostojewski auch seinen Menschgott erfindet (später dann ausgeprägter in "Die Dämonen"). Rogoshin sagt, ihm könne nach diesem "Bilde jeder Glaube vergehen", weil er darin nichts Göttliches, sondern vielmehr Menschliches erkennt. Hier hat Dostojewski seine ersten Gedanken dazu geäußert, was später dann in den "Dämonen" von ihm herrlich ausgearbeitet wurde.
    Die Verneinung Gottes zieht unausweichlich die Bejahung des Menschen nach sich.


    Zu dieser Erkenntnis gerät das russische Volk aber sehr schleichend. Myschkins Eindruck, dass ein Atheist

    ist auch ein schöner Hinweis. Was dadurch zurückbleibt ist der desillusionierte Atheist - ein ängstliches und darum auch "rohes" Wesen. Er hat Gott zwar verloren, hat sich aber noch nicht auf sich selbst besonnen und seinen Gott in sich erkannt.



    Liebe Grüße
    PessoA

    Einmal editiert, zuletzt von PessoA ()

  • Hallo PessoA,


    herzlichen Dank für deinen Weitblick bis zu den "Dämonen". Ich habe mir Holbeins Bild nun auch genauer angesehen. Christen sagen ja, Christus ist genauso Mensch wie Gott, darum bin ich sehr gespannt, was Dostojewskij über den "Menschengott" in den "Dämonen" sagt.


    Die Krankheit (Die Epilepsie) wird im Roman vergeistigt. Es geht um die Aura, über die Dostojewskij (Myschkin :zwinker:)sagt,



    Dieser Zustand wird deutlich abgegrenzt von Rauschzuständen durch Drogen, "die den Verstand herabwürdigen und die Seele verwüsten."


    Die Krankheit, es heißt ja auch seit den Griechen 'die Heilige Krankheit, wird zu religiösen Sphären erhoben (zumindest die Aura). Interessant auch in der Hinsicht, weil Dostojewskij durch das Leid in sibirischer Gefangenschaft seinen Weg zur Religion gefunden hat.


    Zenta Maurina, Dostojewskijbiografin, bringt es auf einen Punkt:


    Zitat

    Ernst Wiechert verlor im "Totenwald" seinen Glauben an Gott, Dostojewskij gewann ihn im "Totenhaus".


    "Suche im Leid das Glück" spricht Sossima in den "Brüder Karamassow"


    und Nietzsche: "Wo Leid ist, ist geweihte Erde."


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo mombour,


    es ist ein ganz wunderbares Bild, nicht wahr? Ich finde es auch sehr beeindruckend.
    Die Auswirkungen des Anfalls, die Myschkin in seiner Mystik beschreibt, faszinierten mich ebenso.
    Diese Verwirrung zuvor, in der er nicht mehr klar denken kann und der Taumel hinein in diesen Anfall (wie eine langsame Vorbereitung), der ihm eher als Licht erscheint, nicht als etwas Negatives, auch als eine Art von kurzer Erlösung. Wir, die Außenstehenden sehen dieses krampfende, mit verdrehten Augen und Gliedern zuckende Wesen in seiner Krankheit, der Kranke selbst erfährt darin eine Offenbarung und eine Erhellung seiner Bedrückung, erlebt dabei scheinbar einen kurzen (Aus)Weg aus dem Leid:


    Bei den "Dämonen" gibt es eine ähnliche Stelle. Kirilloff, der Selbstmörder, sagt:

    Zitat

    Es gibt Sekunden, es sind im ganzen nur fünf oder sechs auf einmal, und plötzlich fühlt man die Gegenwart der ewigen Harmonie, der vollkommen erreichten. Das ist nicht irdisch; ich rede nicht davon, ob es himmlisch ist, sondern ich will nur sagen, dass ein Mensch in irdischer Gestalt das nicht aushalten kann. Man muss sich physisch verändern oder sterben. Dieses Gefühl ist klar und unbestreitbar. Als ob man plötzlich die ganze Natur empfände, und plötzlich sagt man: ja, es ist richtig.
    (…) Das Furchtbarste ist, dass es so schrecklich klar ist und eine solche Freude. Wenn das länger als fünf Sekunden dauerte … würde die Seele es nicht aushalten und müsste vergehen.


    Auch hier beschreibt Dostojewski den Zustand während des Anfalls. Ich führe die Vergleiche zu den "Dämonen" nur zur Vervollständigung an, um Dostojewski hier klarer zu erkennen. :smile:


    Bei dem Fürsten heißt es weiter:



    ... eben, wie du sagst, ein vergeistigter Zustand.
    Deshalb ist es gar nicht so sehr ein "trotzdem", sondern Myschkin sieht darin keine Krankheit, sondern etwas Auserwähltes, einen plötzlich klaren Blick.


    In meiner Übersetzung heißt es wunderbar über die Wirkung im Vergleich zu den Drogen:


    Zitat

    (…) Denn das waren doch in diesem Moment nicht irgendwelche geträumten Visionen, wie nach dem Genuss von Haschisch, Opium oder Alkohol, die die Denkfähigkeit herabsetzen und die Seele verzerren, unnormale und unwirkliche Trugbilder.


    ... die die Seele verzerren. Großartige Beschreibung. Also ist es ein für den normalen Menschen nicht fassbarer Rausch, der den Geist nicht verzerrt, sondern öffnet.
    Da frage ich mich, ob Dostojewski es wirklich so für sich empfunden hat. Diese Sekunden müssen unerträglich sein, aber für den Kranken nur deshalb, weil sie so voller Glück und Freude sind. Der Epileptiker verliert ja jede Kontrolle, warum Myschkin auch

    Da kann man sich vorstellen, dass dabei eine ganz andere "Welt" aufgeht.


    Es heißt ja auch, dass sich die epileptischen Anfälle von Dostojewski während seiner Gefangenschaft stark verschlimmerten. Möglich, dass er auch durch diese Anfälle Gott und den Glauben in sich fühlte.


    Zum Fürsten selbst habe ich mir auch noch ein paar Gedanken gemacht:
    Keller fasst Myschkin gut zusammen:


    Fürst Myschkin ist kein Idiot, und er ist auch nicht einfältig. Er ist nur unfassbar gutgläubig, unfassbar für sein Umfeld, das sich im eigenen Klassendenken suhlt.
    Der Fürst ringt einfach zu oft mit sich selbst, was einen klaren Blick auf die Dinge für ihn nicht möglich macht. (Auch, darum wirkt er manchmal wie ein „Idiot“, und als Leser benötigt man hin und wieder viel Geduld mit der all zu guten Seele, die dadurch nicht besonders geistreich und fesselnd erscheint, was Myschkin zwar sympathisch, allerdings auch anstrengend macht.) Während er einen Verdacht hegt, verachtet er sich wegen des schlechten Gedankens über einen anderen Menschen. So herrscht in Myschkins Innerem immer der Kampf zwischen der Ahnung und seinem eigenen Vorwurf gegen diese Ahnung. Selbst, wenn er erkennt, dass er im Recht war (dass der Andere in schlechter Absicht handelte), muss er gerade aufgrund dieser Erkenntnis dem Anderen verzeihen und ihm noch etwas Gutes tun, für den Anderen das Leben verschönern, weil er schlecht über ihn gedacht hat. Auch das sind die Auswirkungen seines Mitleids für die Menschen. Dieses Ringen mit sich selbst deutet er mit solchen Worten an:

    Zitat

    … das eine ist nur ganz zufällig zum anderen gekommen, zwei Gedanken sind sich begegnet, wie das sehr oft geschieht.


    Er nennt es später die „Doppelgedanken“, gegen die man machtlos ist, bei denen Myschkin voraussetzt, dass sie in jedem Menschen vorhanden sind. So kann er sich auch gegen niemanden zum Richter erheben, wenn man ihn um ein Urteil bittet.

    Zitat

    Am besten ist, man überlässt das Ihrem eigenen Gewissen, was meinen Sie?“

    sagt er zu Keller. Auch hier wieder ein Nichtwerten (östliche Weisheit).
    Hinzu kommt: Einmal ist es sein Wissen über die eigene Unzulänglichkeit, was ihm kein Urteil erlaubt, zum anderen auch das Bedürfnis, immer nur das Gute im Menschen sehen und erkennen zu wollen. Über wen er zu Gericht sitzt, ist er selbst.


    Die Erschütterung über den "Idioten", die ich beim Lesen hin und wieder empfinde (diese Empörung, dass ein Mensch wissentlich alles auf sich nimmt, sich wissentlich hintergehen lässt und sich dann noch dafür schämt, dass er in seinem Verdacht Recht behalten hat), ist eher eine Art Beschützerinstinkt, weil man das gute Herz des Fürsten nicht von all diesen Gierigen ausgenutzt sehen will. :grmpf:


    Liebe Grüße
    PessoA

    Einmal editiert, zuletzt von PessoA ()