Hier ist meine dritte Rezension im Rahmen des SUB-Wettbewerbs.
Haruki Murakami – Afterdark
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Eine einzige Nacht in einer japanischen Großstadt. Verschiedene Menschen treffen sich mehr oder weniger zufällig: Die 19jährige Mari sitzt in einem Café und versucht, diese Nacht herumzubekommen. Der junge Musiker Takahashi ist eigentlich auf dem Weg zu seiner Bandprobe, setzt sich aber zu ihr. In einem Stundenhotel arbeitet die resolute Kaori, in einem stillen Zimmer schläft Eri Asai einen viel zu tiefen Schlaf und in einem verlassenen Büro arbeitet ein unheimlicher Büroangestellter, der ein Geheimnis zu haben scheint…
Murakami macht wieder das was er am besten kann: beobachten. Er beschreibt Situationen immer sehr sachlich und genau, hier treibt er es auf die Spitze, indem er den Leser durch den Blick einer neutralen Kamera durch die nächtliche Stadt schickt. Sehr klar tun sich die Szenarien vor dem inneren Auge auf, und wie oft in seinen Romanen und Erzählungen geht es auch hier wieder um die Fragen: Was ist Identität? Und wie real ist eigentlich die Realität?
Das Surreale hält auch in „Afterdark“ wieder Einzug, etwa im Zimmer der schlafenden Eri Asai, in dem ein Fernseher sich selbst einschaltet und den Blick frei gibt auf eine zweite, unheimliche Wirklichkeit. Auch den anderen Protagonisten haftet immer wieder diese zweite Welt an.
Trotz der nüchternen (aber guten!) Erzählweise ist vor allem die Atmosphäre des Romans sehr schön. Der Stadtteil, in den es die Figuren verschlagen hat, ist eine eher kriminelle Gegend, und im Zusammenhang mit der zweiten, surrealen Wirklichkeit bekommt der Begriff „Zwielicht“ eine andere Gewichtung. Eben weil alles anders ist als am Tag führen die Protagonisten, die sich gerade erst kennen gelernt haben, ehrliche und echte Gespräche, für Smalltalk ist kein Platz. Auch das ist eine Stärke des Romans.
Trotzdem bietet „Afterdark“ nicht alles, was Murakami kann. Der Roman ist mit 237 Seiten recht dünn und liest sich auch noch viel zu schnell, er bietet ein eher kurzweiliges Vergnügen, und das wird Murakami nicht gerecht. Baut er in „Kafka am Strand“ oder „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ wunderbar abgefahrene, komplexe Geschichten mit vielen Facetten auf, bleibt „Afterdark“ doch irgendwie flach. Fast scheint es mir, als sei der Roman eher eine stark ausgebaute Kurzgeschichte. In einem Sammelband hätte er mir besser gefallen, so war das Ganze doch ein bisschen zu wenig.
Sicherlich nicht Murakamis bester Roman, aber für Fans wie mich wieder ein netter Abstecher in seine Zwischenwelten.