Tom Rob Smith - Kind 44

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    Tom Rob Smith, Kind 44
    (DuMont Verlag, Januar 2008)
    ISBN 978-3-8321-8056-0
    507 Seiten; € 19.90 (HC)
    Originaltitel: Child 44



    Zum Autor (Klappentext):


    Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. 2001 graduierte er in Cambridge und ging für ein Jahr nach Italien, wo er "Creative Writing" studierte. In den letzten fünf Jahren arbeitete Tom Rob Smith als Drehbuchautor, unter anderem half er fünf Monate lang in Phnom Penh, Kambodschas erste Soap Opera zu entwickeln. Kind 44, Tom Rob Smiths erster Roman, wird derzeit in 17 Sprachen übersetzt[...].


    Zum Inhalt (ebenfalls Klappentext):


    Moskau, 1953. In der Sowjetunion herrscht die nackte Angst. Stalins letzte große Säuberungswelle wütet im Land. Die Staatssicherheit hat Ohren und Augen überall - und jeder denunziert jeden, in der Hoffnung, die eigene Haut zu retten.
    Der hochdekorierte Kriegsheld und Offizier des NKWD Leo Demidow wird zu einem Kollegen geschickt. Fjodors kleiner Sohn ist ums Leben gekommen - und Fjodor besteht darauf, dass es kein Unfall war, sondern brutaler Kindsmord. Diese Behauptung kann die Familie das Leben kosten - denn die herrschende Ideologie sagt: Im real existierenden Sozialismus gibt es kein Verbrechen. Warum sollte in der perfekten Gesellschaft jemand Grund haben zu töten? Es gelingt Leo, den verzweifelten Vater zum Schweigen zu bringen - aber er selbst kann des tote Kind nicht vergessen.


    Leo beginnt heimlich im Fall des ermordeten Jungen zu ermitteln - und stellt fest, dass einem bestialischen Killer immer mehr Kinder zum Opfer fallen. Aber seine Nachforschungen bringen Leo in tödliche Gefahr: Der Apparat bestraft die kleinste Abweichung mit gnadenloser Härte. Aus dem Karriere-Offizier wird ein Gejagter. Irgendwann hat er nur noch ein Ziel: den Mörder zu stoppen, ehe die NKWD-Kollegen Leo selbst zur Strecke bringen...



    Meine Meinung:


    Meine ersten Gedanken waren: klasse, ein Krimi, der in Russland spielt und noch dazu zu einer solch "interessanten" Zeit. Aber, zugegeben, ich war auch skeptisch: kann das ein noch so junger Autor überhaupt schreiben? Der zudem ein solches Leben nie selbst erfahren hat? Stimmen die historischen Fakten und Zusammenhänge?
    Vorweg: ich habe während der Lektüre immer wieder bestimmte Dinge (Orte, Gebäude, Hierarchien, etc.) recherchiert und siehe da: Tom Rob Smith bleibt zumindest -soweit ich das berurteilen kann- immer bei der historischen Wahrheit.


    Aber nun zum Buch an sich. Über weite Strecken der 507 Seiten würde ich Kind 44 nicht als Krimi oder gar Thriller im herkömmlichen Sinne bezeichnen. Es ist zu jeder Zeit spannend (auch dank eines gelungenen Aufbaus) - aber es geht weniger um den Kindsmord als um Leo Demidows Entwicklung. Anfangs noch als linientreuer und auch nicht gerade zimperlicher NKWD-Agent unterwegs, fängt er schon recht bald (im Buch) an, das System innerlich zu hinterfragen. Zunächst bleibt es bei diesen Fragen, aber Leo wird bewusst, dass er mit diesen Fragen zunehmend Gedanken zulässt, die die Kritik an der stalinistischen Diktatur immer deutlicher heraufbeschwört. Aber ebenso klar wird ihm die stetig wachsende Gefahr, in die er sich damit begibt, denn schließlich kennt er Methoden und Gefängnisse des Geheimdienstes nur zu gut.


    Diese Entwicklung Leos ist im Grunde in eine Art "Sittengemälde" der 1950er Jahre in der Sowjetunion eingebettet. Und nun kommt das eigentlich entscheidende für mich: dieses Buch "verfolgt" mich. Kind 44 hat während des Lesens eine derartige Beklemmung ausgelöst, wie es vermutlich keine SchwarzWeiß-Dokumentation zur damaligen Zeit schaffen hätte können. Anhand der beschriebenen Personen konnte ich mich unglaublich gut in so manche Situation einfühlen und deshalb beschäftigt mich dieses Buch nahezu durchgängig, obwohl ich es "zwanghaft" an einem Stück lesen "musste".


    Für mich ist Kind 44 eine totale Überraschung und ich kann mir schon gut vorstellen, dass dieses Buch in einigen Monaten einen echten Durchbruch erreicht - wenn es von einigen wirklich "entdeckt" worden ist.
    Es ist deutlich mehr als ein Krimi, es ist aber auch nicht nur ein historischer Roman - vermutlich kann man es auf beide Arten lesen, aber vielleicht sollte man diesmal Schubladendenken einfach komplett vermeiden.


    Fazit:
    In meiner Signatur habe ich mein Lieblingszitat zum Thema Bücher von Oscar Wilde. Auf Kind 44 trifft dieses Zitat zu! Für mich ein absolutes Highlight und deshalb
    5ratten und ein :tipp:



    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Huhu dubh,


    ich habe mir dieses Buch aufgrund deiner Rezension hier letzten Freitag gekauft und es gestern Abend angelesen. Leider war es schon kurz nach 00:00 Uhr, was ich sofort bereut habe, denn ich war direkt gefesselt von der Stimmung, die das erste Kapitel vermittelt. Mir wurde, trotz dass ich im warmen Bett lag, plötzlich ganz kalt und nach 40 Seiten habe ich mich zwingen müssen, das Licht auszuschalten.


    Heute Abend lese ich direkt weiter und berichte danach, wie es mir erging :zwinker:



    Viele Grüße
    Muertia

    :lesen: Rebecca Gablé - Der dunkle Thron<br />SuB: 6 (+16 bereits bestellte Bücher, um den SuB mal ein wenig aufzuwerten)

  • die story klingt wirklich nid übel, ich muss allerdings bis dato zugeben, dass mich die Vorstellung des Buches bei der Heidenreich bzw. eigtl vielmehr der danach ansteigende Kauf des Buches etwas abgeschreckt hat - ich bin halt oft ziemlich allergisch gegen dieses Herdenverhalten, obwohl das ja irgendwie auch etwas blödsinnig ist, Jonathan Littells Die Wohlgesinnten werd ich mir ja mit rechter Sicherheit anschaffen.


  • ich bin halt oft ziemlich allergisch gegen dieses Herdenverhalten, obwohl das ja irgendwie auch etwas blödsinnig ist, Jonathan Littells Die Wohlgesinnten werd ich mir ja mit rechter Sicherheit anschaffen.


    Naja, aber es wäre doch doof, wenn man ein gutes Buch nicht liest, weil es gerade auf der Bestseller-Liste (was selten genug vorkommt) steht, oder?
    Bei Littell hingegen ist es - zusätzlich zum französischen Preis (für den sich hierzulande sonst kaum jemand interessiert) - ein polarisierendes Thema und vor allem eine gute Marketing (FAZ-Vorabdruck).


    Schöne Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Ich habe Kind 44 inzwischen auch gelesen und eine kleine Rezi verfasst:


    (Die Infos zum Autor und zum Inhalt lasse ich hier weg, siehe in dubh´s Beitrag :winken:)


    Meine Meinung:


    Ich habe das Buch vor ca. einer Woche ausgelesen, brauchte aber erst mal einige Tage um die vielen Gedanken zu ordnen, um meine Meinung zusammenfassen zu können. Und so geht es mir nicht oft. Selten hat mich ein Buch so aufgewühlt zurückgelassen, schon gar nicht ein Krimi. Ich schlug das erste Kapitel von Kind 44 auf, und eine merkwürdige Kälte legte sich auf meine Haut. Diese Kälte, verbunden mit einer Gänsehaut und einer tiefen Traurigkeit verließ mich erst, nachdem die letzte Seite gelesen war. Man wird durch verschiedene Situationen geführt, die nicht unbedingt alle etwas miteinander zu tun zu haben scheinen. Und auch nachdem der tote Junge auf den Schienen gefunden wird, hat man nicht unbedingt den Eindruck, als stünde diese Tatsache fortan im Vordergrund der Handlung. Eher im Gegenteil. Und gerade das hat mich immer neugieriger gemacht. Die persönliche Entwicklung der Hauptfigur Leo war für mich das Interessanteste von allem. (Leider kann ich an dieser Stelle nicht mehr verraten ohne zu spoilern). Anfangs ist man eher Zuschauer von außen, am Ende steckt man mitten drin!


    Der Leser erhält hier nicht nur einen Krimi, er bekommt eine hintergründige, gut durchdachte, vielschichtige und vor allem sprachlich sehr schöne Geschichte aus dem Russland der 50er. Ich habe in einer Rezension auf Amazon.de gelesen, dass der Plot zu konstruiert wirken sollte. Das finde ich überhaupt nicht. Ich kann allerdings nachvollziehen, dass es so auf den Leser wirken kann. Wenn man allerdings der Typ Leser ist, der sich gut auf Geschichten einlassen kann, sollte man damit überhaupt keine Probleme haben.


    Fazit:


    Absolut lesenswert! Für mich das bisher beste Buch dieses Jahr!


    5ratten


    Viele Grüße
    Muertia

    :lesen: Rebecca Gablé - Der dunkle Thron<br />SuB: 6 (+16 bereits bestellte Bücher, um den SuB mal ein wenig aufzuwerten)


  • Absolut lesenswert! Für mich das bisher beste Buch dieses Jahr!


    Hallo Muertia,


    das freut mich aber! Mir erging es ja genauso - und für mich ist es seit Monaten das beste Buch... Wenn Du es schaffst - und es in Deiner Nähe ist - dann solltest Du unbedingt auf eine Lesung von Tom Rob Smith gehen: der Typ ist der absolute Hit! Sehr schüchtern, jung und super sympathisch...
    Und den deutschen Part liest Bernd Michael Lade! :herz: Ich war jedenfalls restlos begeistert.


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Das hört sich ja wirklich gut an. Ich habe nur leider keine Homepage gefunden, auf der eventuelle Lesungen vermerkt wären... :grmpf:


    Ich finde es ja total sympathisch, wenn Autoren schüchtern sind. Tom Rob Smith würde ich mir also gerne mal live ansehen!



    Viele Grüße
    Muertia

    :lesen: Rebecca Gablé - Der dunkle Thron<br />SuB: 6 (+16 bereits bestellte Bücher, um den SuB mal ein wenig aufzuwerten)

  • Hallo Muertia,


    ja, stimmt - ich habe leider auch keine Seite dafür gefunden. Der DuMont Literaturverlag weist aber immerhin noch auf zwei Lesungen hin: Am 25. April in Koblenz und am 26. April in Braunschweig... Allerdings können das eigentlich nicht alle Veranstaltungen sein (es sei denn, der Großteil ist schon gelaufen), denn "meine" in Hamburg ist/war auch nicht dabei. :confused:


    Hilft Dir vielleicht einer der beiden April-Termine?


    Liebe Grüße
    dubh


    PS. Tom Rob Smith war anfänglich richtig rot als er auf seinen Platz eilte... :herz: Aber er hat super gelesen und vor allem ein ziemlich cooles Englisch. Die anschließenden Fragen hat er sehr ehrlich und ausführlich beantwortet.
    [size=6pt](Und er hatte verdammt silber-glitzernde Sneakers an... :breitgrins:)[/size]

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Tom Rob Smith – Kind 44


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    Inhaltsangabe:


    Leo Demidow ist linientreuer Offizier des MGB in der stalinistischen Sowjetunion und ein hoch dekorierter Kriegsheld. Ohne Skrupel befolgt und erteilt er Befehle, die fast ausnahmslos zum Tode seiner aus welchem Grund auch immer in Verdacht geratenen Mitmenschen führen.
    Die ersten Zweifel kommen ihm erst, als er mitten in eine gegen ihn gerichtete, karrierepolitische Intrige gerät und selbst unter dem Verdacht staatsfeindlicher Aktivitäten steht. Er wird aber nicht zum Tode verurteilt, sondern „nur“ auf die allerunterste Stufe degradiert und zur Miliz in die russische Provinz geschickt. Hier stößt er auf eine Anzahl ungeklärter Morde an Kindern und Jugendlichen. Zusammen mit seiner Frau Raisa setzt er alles daran, diese Morde aufzuklären. Dies stößt aber nicht auf Zustimmung seiner Vorgesetzten, denn diese sind der Meinung, dass es in einem perfekten Staat keine Verbrechen geben kann, also auch keine Mörder und keine Ermittlungen ...
    Der Roman spielt im Jahr 1953 im russischen Teil der damaligen Sowjetunion.


    Der erste Satz:


    „Da Maria beschlossen hatte zu sterben, würde ihre Katze sich allein durchschlagen müssen.“


    Meine Meinung zum Buch:


    Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das mich über die reine Lesezeit hinaus so beschäftigt hat. Ich bin absolut von der Geschichte fasziniert.


    Die Krimihandlung spielt in diesem Roman eine eher untergeordnete Rolle. Bedeutender ist die persönliche Entwicklung der Hauptperson Leo Demidow, die sich im Laufe der Geschichte komplett wandelt. Smith beschreibt sehr genau, was in Demidow vorgeht, wie er sich zunächst in allem was er tut völlig sicher ist und wie ein Körnchen Zweifel nach dem anderen dazukommen, wie Leo selbst und sein Leben völlig zusammenbrechen und wie er schließlich lernt, sich der Realität zu stellen und seinen Weg zu gehen. Alle Hauptfiguren sind sehr glaubwürdig beschrieben und handeln für den Leser nachvollziehbar. Aber den größten Eindruck hinterlässt ohne Zweifel Leo – selten habe ich einen Protagonisten kennengelernt, der so tief charakterisiert wird.
    Nur eine Person lässt für mich ihre Motive verschlossen, das ist Leos Intimfeind Wassili. So ganz klar wurde mir der Grund des Hasses nicht, mit dem er Leo verfolgt hat.


    Sehr beklemmend ist die Atmosphäre in diesem Buch. Ich konnte mir nie vorstellen, wie groß der Druck in der Stalinzeit auf die Bevölkerung tatsächlich war! Die Ereignisse in diesem Buch haben mich zunächst den Kopf schütteln lassen, denn sie widersprechen jedem gesunden Menschenverstand. Dass es in der perfekten stalinistischen Gesellschaft keine Verbrechen geben kann und daher jeder Mord, egal wie offensichtlich, entweder als Unfall deklariert werden muss oder der Mörder zwangsläufig nur ein Verrückter oder ein feindlicher Ausländer sein muss – wie kann man so etwas festlegen? Und wie können denkende Menschen sich danach richten und danach handeln? Wie eine meiner Vor-Rezensentinnen habe ich auch bei diesem Buch angefangen, über die Stalinzeit zu recherchieren und bin auf Dinge gestoßen, die mich aus allen Wolken haben fallen lassen. Ich habe begriffen, was „Staatsterror“ sein kann. Über diese Zeit will ich unbedingt mehr erfahren!


    Von der Sprache her ist dieses Buch sehr gut und flüssig zu lesen. Die Sätze sind klar, nicht verschnörkelt, und das mag ich bei Büchern.


    Die Spannung, die sich durch dieses Buch zieht, hat es mich oft nicht aus der Hand legen lassen, auch wenn mir in der Nacht schon fast die Augen zufielen. Aber ich musste einfach weiterlesen. Dabei haben wir hier keine „Thrillerspannung“, bei der ein Ereignis das andere jagt, sondern die Spannung wird durch eine wachsende Beklemmung begleitet und man fragt sich, wie Leo sich aus der Auswegs- und Hilflosigkeit befreien kann, um seine Sache weiter zu verfolgen. Man ist beim Lesen ganz „dabei“.


    Ich gebe 5ratten Das ist ein absoluter :tipp:


    Viele Grüße von Annabas :winken:

  • Ich kann euch nur aus vollem Herzen recht geben. "Kind 44" war letztes Jahr für mich der Krimi des Jahres. :smile:

  • Normalerweise lese ich keine Krimis, aber dieses Buch hatte es mir angetan.
    Zuerst griff ich es mir nur aus Langeweile, doch dann hat es mich nicht mehr losgelassen.


    Weg vom klassischen Krimi war es vor allem dieser Mix aus Zeitgeschichte und Drama;
    die Positionswechsel zwischen Täter, Opfer und 'Ermittler' und die besonders tiefgründigen Charaktere, die mich beeindruckten.
    Vor allem Wassili, welcher eine Art Gegenpol zu Leo darstellt und für die grausamen Menschen, die in den 50er Jahren in dem sowjetischen Staat ihren legalen Platz fanden, steht.


    Jedoch wirkt für mich persönlich das Handeln der Menschen, die Leo und Raisa im letzten Teil des Buches helfen, ziemlich unrealistisch.
    Sie helfen ihnen, obwohl sie dafür ihren Tod riskieren. Diese Morde an den Kindern betreffen sie nicht direkt; und ich denke nicht, dass in einer solchen Verfolgungs(wahn)geprägten Zeit ein ganzes Dorf seine Existenz für die Ermittlungen zweier Fremder riskiert hätte. Diese Stelle ist für mich der Schwachpunkt des Buches.
    Als die Dorfbewohner ihnen schließlich helfen, aber die Spürhunde sie entdecken - welche speziell darauf abgerichtet sein müssten, Flüchtige aufzuspüren -, diese sich ablenken ließen und NICHT anschlugen - das war für mich völlig unverständlich.


    Aber abgesehen von diesen Kritikpunkten hat mich das Buch gefesselt. Die wiederkehrenden Opferperspektiven waren sehr eindrucksvoll. In diesen Momenten hätte ich am liebsten das Buch weggeworfen, mir das ahnungslose Kind geschnappt und nach Hause geschleppt.
    Als Leser scheint man genau zu wissen, was nun im nächsten Moment (wieder) passieren müsste - aber es wäre kein guter Roman, wenn dies wirklich so wäre.



    Auf Grund der kleinen unlogischen Stellen bekommt das Buch von mir: 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:



    @ Annabas:
    Ich denke, Leo war für Wassili als Feind eine Art Notwendigkeit.
    Eine Herausforderung, die es zunächst zu überwinden galt, um an den höheren Posten zu kommen.
    In seinem Verhalten zu Leo drückt sich auch seine Grausamkeit aus, es scheint ihm ein Vergnügen zu bereiten, seinen ehemaligen Vorgesetzten, der ihn demütigte, nun in der schwächeren Position zu sehen. Als Leo scheinbar vernichtet war, fühlte Wassili sich unzufrieden und hatte keinerlei Antrieb mehr. Andererseits versucht er ja auch, ihm indirekt zu helfen. Wassili ist ja der Meinung, dass Leo Raisa denunzieren sollte. Damit hätte dieser nicht seinen Posten verloren und wäre weiterhin 'im Spiel' gewesen.
    Für mich ist dieses Verhalten schon eher eine Art Hassliebe.

    &quot;Eine Welt ohne Magie ist unmöglich. Magie ist das, woran die Menschen glauben, und an irgendetwas werden sie immer glauben.&quot;

    Einmal editiert, zuletzt von Grotesque ()

  • Ich lese dieses Buch gerade und bin bisher hellauf begeistert. Und schockiert über die Verhältnisse im Russland zur Stalinzeit. Die normalerweise so trockenen Kenntnisse aus der Schule usw. werden hier durch gut geschilderte Personen und Ereignisse wahrhaftig lebendig. Kein Problem, wenn da der Krimi an sich zur Nebenhandlung wird.

    &quot;Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler&quot; (Philippe Dijan)<br /><br />[url=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/11612.0.html]Mein SUB[/url

  • Ein wirklich hervorragendes Buch :tipp: , was nicht nur eine großartige Geschichte beinhaltet, sondern zudem auch einen Einblick in das Fühere Russland gibt. Ich fand dieses Buch sehr gut und kann es nur weiterempfehlen. Ein Buch, das man nicht weglegen möchte! Selbst die Tatsache, das man wusste wer der Täter war, hat die Spannung nicht gemindert. Nur das Ende hat mir nicht so ganz gefallen, ich glaube für mich hätte es ruhig etwas dramatischer sein können :smile:

  • "Kind 44" ist weniger Thriller, als Gesellschaftsstudie der Sowjetunion zur Zeit Stalins. Die Morde an den Kindern sind eigentlich nur der rote Faden des Buches.


    Dieses Buch hat mich tief bewegt und erschüttert. Den ganzen Überwachungsapparat, diese Gesetzlosigkeit und Willkür des Staates fand ich noch viel erschreckender als die Morde an den Kindern. Ich fand es einen sehr spannenden Einblick in den Verwaltungsapparat des Sowjetunion mit ihren Foltermethoden und Spitzeleien.


    Bewegt hat mich auch die Anfangsgeschichte mit diesem fürchterlichen Hunger. Ein Glück, dass man das heute nicht mehr nachfühlen kann. Wie grausam muss das gewesen sein!


    Die Geschichte wird aus verschiedensten Perspektiven erzählt, das macht den Roman wunderbar abwechslungsreich und spannend. Betroffen gemacht haben mich immer die Geschichten der Opfer. Es war sehr bedrückend zu lesen und zu wissen, dass sie nicht mehr zu retten sind.


    Die Conclusio fand ich zu aufgesetzt.

    Das war das einzige, was mir negativ aufgestoßen ist. Ich hätte da am Ende mehr erwartet.


    Aber wer ein tolles, bewegendes, menschliches und tiefgründiges Buch sucht, nicht nur einen spannenden Thriller - ist mit diesem Buch bestens bedient.


    Für mich:


    4ratten

  • ein wirklich gutes buch, welches auch den historischen horizont erweitert. hab, während ich das buch gelesen habe, etliche bücher über stalin und seine politik auf meine amazon-wunschliste gesetzt

  • Bei dem außerordentlich starken Rattenaufkommen in diesem Thread frage ich mich langsam, ob ich das gleiche Buch lese wie ihr. Ich hänge um Seite 80 herum und überlege, ob mir meine Zeit dafür nicht doch zu schade ist. Zum einen kommt mir nicht nur die Handlung, sondern auch die Sprache ziemlich plump vor, zum anderen lässt mich das erste richtige Spannungshoch befürchten, dass da noch mehr Unwahrscheinliches auf mich zukommt.


    Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass



    Könnt ihr mir sagen, ob es in dem Stil weitergeht? Ich wäre schon neugierig zu erfahren, was den Erfolg dieses Buches ausmacht.


    Grüße
    Doris

  • Hallo Doris,


    ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber ich glaube, es gab schon ein paar Stellen, die mir nicht ganz logisch erschienen. Das Motiv selbst fand ich auch nicht völlig glaubwürdig. Trotzdem hat mir das Buch sehr gut gefallen. Es ist (finde ich) ein richtig toller Pageturner und sehr atmosphärisch. Bei mir sind die Seiten jedenfalls regelrecht dahingeflogen und den nächsten Teil habe ich auch schon dastehen.


    Nicht so gut gefallen hat mir der Schluss des Buches:


    Meine Bewertung: 4ratten

  • Bei mir sind die Seiten jedenfalls regelrecht dahingeflogen ...


    Nun ja, dahingeflogen sind die Seiten bei mir auch, was allerdings an dem relativ einfachen Stil des Buches liegt. Etwas Spannung kam zum Schluss hin doch noch auf, wenn auch teilweise durch weitere unglaubwürdige Szenen. Das für mich wichtigste Thema des Buches, die Schilderung der Zustände in der damaligen Sowjetunion, wird in diesem Buch als Mittel zum Zweck verwendet, indem sehr einseitig ständig neue Gewaltszenen oder der Machtmissbrauch der Obrigkeit ausführlich beschrieben werden. Die Figuren blieben dagegen blass, es fehlte an Fingerspitzengefühl für die charakterlichen Eigenheiten. Durch die oberflächliche Darstellung blieben manche Handlungen der Protagonisten für mich auch angesichts der Schnelligkeit der Geschehnisse schlecht nachvollziehbar.


    Die Handlung stützt sich auf einen wahren Fall, aber die Umsetzung dieses Themas finde ich nicht besonders gelungen. Die Gewalt wird zu sehr in den Vordergrund gerückt bzw. zu effekthascherisch dargestellt. Viele Einzelszenen, die zu wenig ausführlich behandelt werden. Es liest sich alles ein bisschen wie das Drehbuch für einen Kinofilm.


    2ratten

  • Mich hat das Buch auf jeden Fall animiert, mich näher mit dem Thema zu beschäftigen. Während des Lesens habe ich eine ganze Reihe Bücher über Stalin und Rußland auf meine Wunschliste gesetzt. Jetzt muss ich die bloss noch abarbeiten. :zwinker:


    In einer Kritik bei Amazon schrieb jemand, er fühlte sich eher an die McCarthy-Ära erinnert (noch so etwas, über das ich kaum etwas weiß). Keine Ahnung, auf jeden Fall möchte ich aber noch mehr darüber lesen!

  • Die eigentliche Geschichte beginnt damit, dass MGB (Vorgänger des KGB) -Mitarbeiter Leo der Familie eines kleinen toten Jungen erklärt, dass es kein Verbrechen, sondern ein Unfall war und die Gerüchte, der Junge wäre nackt gewesen, Lügen. Würden die Eltern darauf bestehen, wäre das staatsfeindliches Verhalten – und welche Folgen das in der stalinistischen Sowjetunion hat, weiß jeder der Anwesenden und auch dem Leser wird das System deutlich gemacht:


    Ein vielsagendes Beispiel, wie man im MGB aufsteigen kann: V. hat seinen Bruder wegen eines Anti-Stalin-Witzes (in betrunkenem Zustand gemacht) angezeigt und damit ins Gulag gebracht. Das hat ihm zu einer Beförderung verholfen. Als der Bruder dann aber ausbrach, kam es zu einer Degradierung. Und da er keinen weiteren Bruder zum Denunzieren mehr hatte, sucht er nun andere Möglichkeiten zum Aufstieg...


    Doch dann wird Leo aufgefordert wird, zu untersuchen, ob seine Frau eine Spionin ist. Und es gilt die Devise, dass verdächtig im Normalfall mit schuldig gleichgesetzt wird!


    Leo ist ein Überzeugungstäter. Solange er glaubt, für ein gutes Ziel zu arbeiten, rechtfertigt das Ziel praktisch sämtliche Mittel. Aber als er seinen Glauben ans System verliert, ist er genauso bereit, für ein anderes Ziel alles zu riskieren und zu opfern. Er ist von einer Konsequenz, die man in gewisser Weise nur bewundern kann und kann deswegen, trotz manchmal unsympathischer Handlungsweisen, die Sympathie des Lesers erringen. Seine Frau wirkt am Anfang wie ein blasses Anhängsel, entwickelt sich aber im Verlauf der Geschichte zu einer Persönlichkeit. Das Verbrechen, welches Leo auf eigene Faust untersucht, hat zwar einige Schwächen bezüglich der Motivation des Täters, ist aber gut geschildert und würde alleine bereits für jeden durchschnittlichen Thriller ausreichen. Es spielt aber trotzdem für mich nur eine Nebenrolle, neben der Darstellung eines unmenschlichen Systems. Ich wusste ja eigentlich schon, dass die Stalin-UdSSR eine miese Diktatur war und auch dass unzählige Personen in Lagern verschwanden, aber die Dimensionen, mit denen dieser Staat in das Leben der einzelnen, eigentlich unpolitischen Menschen eingegriffen hat, waren mir nicht so sehr bewusst.


    Ich konnte mir bis kurz vor Schluss von „Child 44“ nicht vorstellen, wie der Autor ein glaubwürdiges Ende hin bekommen sollte, das eine Fortsetzung erlaubt, aber er hat das Problem sehr gut gelöst und deswegen steht der Folgeband bereits auf meinem Wunschzettel, ich hoffe er wird genauso interessant und spannend wie dieses Buch.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:
    :tipp: