Thomas Mann - Der Zauberberg

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  • Ich finde diese unterschiedliche Wahrnehmung von Büchern durch einzelne Leser ziemlich interessant. Mir persönlich hat der "Zauberberg" gut gefallen, wobei ich halt auch ein Mensch bin, der ausschweifende Beschreibungen nur sehr selten auf der Negativseite der Lesebilanz verbucht ;) Gleichzeitig verstehe ich, dass derartige Detailverliebtheit wohl vielen Lesern auf die Nerven gehen kann.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Nein, nein, wie gesagt Detailverliebtheit ist in Ordnung! Aber, dieses vätische (gibt es das Wort)...dieses, "ich muss jetzt erklären wie das ist, weil dem Leser trau ich das nicht zu, zu erahnen, warum der jetzt so handelt, wie er handelt."
    Ich wünsche mir einfach mehr Freiraum in den Gedanken. Bitte, bitte, ist jemand meiner Meinung?


  • Nein, nein, wie gesagt Detailverliebtheit ist in Ordnung! Aber, dieses vätische (gibt es das Wort)...dieses, "ich muss jetzt erklären wie das ist, weil dem Leser trau ich das nicht zu, zu erahnen, warum der jetzt so handelt, wie er handelt."
    Ich wünsche mir einfach mehr Freiraum in den Gedanken. Bitte, bitte, ist jemand meiner Meinung?


    Ohne Zitate lässt sich das jetzt schwer beantworten.

  • Na ja, was ich meinte.
    "Sein Gesicht glühte und er sagte zu Joachim: Berühre mein Gesicht, so heiß ist es." Und im selben Moment war es ihm peinlich, weil er mag das ja normalerweise nicht, wenn man ihn angreift...


    Irgendwie so geht das in der Art.

  • Andererseits sagt es sehr viel über den Autor aus: detailversessen. Er will jedes Detail genau beschreiben, für den einen langweilig, für den anderen interessant.


    Vielleicht sollte ich dem Schinken ja doch noch mal eine Chance geben.


    Katrin



    Nein, nein, wie gesagt Detailverliebtheit ist in Ordnung! Aber, dieses vätische (gibt es das Wort)...dieses, "ich muss jetzt erklären wie das ist, weil dem Leser trau ich das nicht zu, zu erahnen, warum der jetzt so handelt, wie er handelt."
    Ich wünsche mir einfach mehr Freiraum in den Gedanken. Bitte, bitte, ist jemand meiner Meinung?



    Na ja, was ich meinte.
    "Sein Gesicht glühte und er sagte zu Joachim: Berühre mein Gesicht, so heiß ist es." Und im selben Moment war es ihm peinlich, weil er mag das ja normalerweise nicht, wenn man ihn angreift...


    Irgendwie so geht das in der Art.



    Hi cori,


    wo du danach fragst, will ich kurz antworten. Für mehr Freiraum in den Gedanken bin ich auch. Aber mitunter ist dies vielleicht nicht das Problem, wenn ein Autor stark ins Detail geht.


    An manchen Stellen, wie der von dir angegebenen, stimmen zwei Erzählebenen nahezu überein. An anderen Stellen gehen sie weit auseinander. Aussagen sind nicht immer durch den Erzählerkommentar verständlich, sondern mitunter nur durch das Verhältnis der Erzählebenen. Man kann sich fragen, warum es Korrespondenzen oder Widersprüche gibt etc. etc.


    Warum fasse ich die von dir angesprochene, abgeschürfte braune Tasche an, die ich im Normalfall nie berühren würde, statt einfach nur eine Tasche in die Hand zu nehmen? Vielleicht ist es ja nicht egal und geht auch weniger um die Tasche, mehr um die Eigenschaften. Warum bewegt sich ein Mädchen auf einer nicht mehr ganz heilen Schaukel, statt sich auf einen Baumstumpf zu setzen?


    Vielleicht geht es ja nicht (nur) um Detailverliebtheit und darum, ob man etwas kürzer sagen könnte. Auch geht es nicht unbedingt darum, dass ein arroganter, selbstverliebter oder wie auch immer gearteter Autor uns dummen Lesern zeigen will, wie dumm wir sind.


    Aber das betrifft nun eine ganz andere Ebene der Beschäftigung mit einem Buch als die der Emotionen oder des Geschmacks.


    Grüße,
    mohan :winken:

  • Kurze Ergänzung aus dem Bereich Film:


    In manchen Kriminalfilmen z.B. gibt es mitunter eine Übereinstimmung von überlagerter Erzählerstimme und dem, was wir zu sehen bekommen. Da könnte man fragen, warum wir mit Informationen doppelt versorgt werden. Bedeutung erhält diese Übereinstimmung von Wort- und Bildinformationen aber in anderen Momenten, in denen der Erzähler in den Bildern etwas ganz anderes macht, als er uns erzählt.


    Vielleicht akzeptieren wir solche formalen Geschichten in Filmen eher als in Büchern, keine Ahnung. Sollte dies aber der Fall sein, wäre eine Antwort auf die Frage nach dem "Warum" interessant.

  • Hmm. (Gedankenpause)


    Vielleicht ja, ist es einfach nur eine Geschmacksfrage.
    Ich bin eine große Freundin von Adjektiven, aber sie müssen gut eingesetzt sein. Manchmal reicht mir "nur" eine Tasche. Ob sie braun, schwarz oder groß ist, ist mir dann gleich.
    Wenn jemand von der Natur schreibt, dann möchte ich das "spüren, riechen und schmecken" was ich lese. Da ist Mann, zB, unser Fall hier, sehr genau und das gefällt mir.
    Aber beim Zauberberg - ich lese tapfer weiter heute Abend und werde berichten, ob es mir persönlich wieder so negativ auffallen wird - bin ich 100 % sicher, dass das Buch genauso "gut" oder "schlecht" (je nach Geschmack) geworden wäre, wenn er diese "Bemerkungen" oder besser "Anmerkungen" gelassen hätte.


    In der Strudelhofstiege (Doderer) fand ich diese Gedankensätze und Zusätze zum Beispiel wieder notwenig. Ich weiß gar nicht warum, aber es passte zum Text.
    Beim Zauberberg löst es in mir unbehagen aus. Vielleicht ist unser Freund Castorp schon in meinem Herzen durchgefallen, weil ich ihn als Schnösel betrachte? Als Stadt"ingeneur", der grad noch grün hinter den Ohren ist? So, wie er sich benimmt, kann man ihn schon auf den ersten Seiten nicht mögen, wenn Joachim Lungenkrank ist und meint, dass er noch ein halbes Jahr (vermutlich länger) dort bleiben muss, weil ...(Fachausdruck) und er meint darauf: Was! So lange! Das geht nicht und warum und wieso und das ist unerträglich....
    Anstatt ihn aufzubauen, lacht er sich halb tot über Krankheiten und Ärzte und die Situation und ist für mich ein verwöhnter Bengel und ich mag ihn nicht.
    Und wenn man einen Protagonisten nicht mag, dann ist das Buch kein Lesegenuss.
    Aber, wie dem auch sei, ich möchte nicht unfair sein und werde weiterlesen.


    Wir wissen, wenn wir uns dafür interessiert haben, dass Thomas Mann sehr genau in seiner Arbeit war. Er saß ja stundenlang am Schreibtisch. DAS MERKT MAN. Ich finde, die Geschichten an Sich kommen nicht aus dem HERZEN, sondern aus dem Grammatikbuch.
    Sie sind konservativ und steril. Ja, steril, das richtige Wort.


    Könnte man Mann und Bernhard wirklich vergleichen, so geht mir das geschimpfe von Bernhard näher, als die fein säuberlich konstruierten Geschichten Manns.


    Oh ja, es gibt eine Ausnahme: Mario der Zauberer. Das war Mal nett. Selbst Krull, der Felix, nervte mich. Schade, dabei war die Geschichte in Ordnung.


    mohan: Es ist schon okay,w enn jemand ins Detail geht. Aber, mir kommt vor, hier tut es Mann mit dem erhobenen Zeigefinger, so auf die Art: "HÖRE! ES IST SO!"

  • So, mein Experiment ist weiter gegangen und ich habe den Schlüssel auf Seite 87 der Fischer Taschenbuch Ausgabe gefunden: (Settembrini) Mein Kummer ist, dass ich verurteilt bin, meine Bosheit an so elende Gegenstände zu verschwenden. Ich hoffe, sie haben nichts gegen die Bosheit, Ingenieur? In meinen Augen ist sie die glänzendste Waffe der Vernunft gegen die Mächte der Finsternis und der Häßlichkeit. Bosheit, mein Herr, ist der Geist der Kritik, und Kritik bedeutet den Ursprung des Fortschrittes und der Aufklärung."


    Das ist es. Ich finde, es gibt bis jetzt (und ich bin hier stehengeblieben) so viel Boshafte Szenen, dass ich gestern Abend wirklich schon böse wurde!
    Castorp ist ein gefühlskalter Tölpel. Siehe die Spanierin, die BEIDE Söhne verlieren wird. Er macht sich lustig über sie. Die Russen, die sich als Eheleute im Zimmer vergnügen, will er einerseits nie vorgestellt werden und andererseits frägt er Joachim über sie aus.


    Frauen sind prinzipiell in dem Buch hässlich, haben Leberflecke, sind Kleingewachsen, nicht besonders hübsch oder alt. Das fällt mir wirklich schon negativ auf, obwohl ich nicht so eine "super-Feministin" bin.
    Augen sind halb offen und die Person wirkt gleich dümmlich; die Näherin nimmt sich zu viel heraus, wenn sie erzählt, wie sie sich fühlt, weil sie ist ja eine Näherin.


    Joachim gefällt mir. Man merkt, dass er sich nicht 100%ig wohl fühlt in der Gesellschaft Castorps. Er erzählt ihm eine Sterbeszene und dann noch eine und Castorp lacht so immens, bis ihm "wieder Mal" (seufz) die Augen tränen.


    Ja, man will weiterlesen. Ich weiß schon gar nicht mehr warum, weil ich wirklich schon einen Zorn habe!


    In dem Kapitel, wo Mann den Castorp "einführt" und ihn beschreibt, tut er mir Anfangs fast leid. Man könnte meinen, dass der Autor selbst nicht viel von seiner Hauptfigur hält. Er meint, er sei nicht wirklich "mittelmässig", das wäre nicht das richtige Wort, aber er beschreibt ihn als einfaches Gemüt. Ja, da hat er mir das erste Mal Leid getan.


    Die Sprache ist schön. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Selbst der "erhobene Zeigefinger" tut mir nicht mehr viel weh, jedoch... eh schon wissen.



    So, ich hab wieder weitergelesen. Es ist ein Buch, das man nicht weglegen kann. Ich mag Hans Castorp noch immer nicht und denke, dass er der unmöglichste Typ aller Zeiten ist, jedoch die anderen Charaktere sind sehr interessant. Besonders mag ich den Settembrini, der mich mit seiner humanistischen Ader sehr fasziniert.

    Einmal editiert, zuletzt von cori ()

  • Hallo Mac Oss, ich gestehe, ich hab ihn vergessen, aber wenn ich mir meinen Unmut durchlese, so müsste ich ihn direkt weiterlesen. Werd ich machen. Ich hab ja jetzt viel Zeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln.


    Hast du ihn gelesen?


    Liebste Grüsse
    Cori

  • Ja, und mir hat er sehr gut gefallen. Man muss sich aber auch drauf einlassen und darf nicht zu ungeduldig sein. Da wirst Du in den öffentlichen Verkehrsmitteln noch viel Zeit benötigen. :zwinker:

  • Im Ernst, WIE KAM DIR CASTORP rüber? Der ist doch roh und seltsam, oder?

  • Naja, seltsam vielleicht, aber roh - ich weiß nicht. Ich habe ihn eher als Sensibelchen erlebt, das zwischen all' den anderen Rohlingen da oben zerrieben wird und zudem auch noch unglücklich in die schöne Mme Chauchat verliebt ist.

  • Ja, aber er lacht oft die Leute aus, da frag ich mich. Na ja, ich muss selber weiter lesen.

  • Für mich ist Hans Castorp eher eine Figur, die alles tut, um geschützt in seinem "gläsernen Turm" bleiben zu können. Aus alter, reicher Familie, gute Schule, der Beruf ist auch schon vorgezeichnet, alles gradlinig und in Ordnung. Und diese Ordnung will er behalten, deshalb fühlt er sich auf dem Berg ja auch so wohl, da muss er sich nicht mit der Realität draußen herumschlagen. Im Gegensatz zu seinem Cousin Ziemßen - der will so schnell wie möglich wieder raus in die Welt.


    Seine "Rohheit" und sein Spott habe ich als Schutzmechanismen verstanden, die er auffährt, wenn irgendetwas seine Ordnung gestört hat. Hans Castorp ist für mich ein ganz armer Hund, der "draußen" keine Überlebenschance hatte.


    Meine Meinung eben. :smile:


    Grüße von Annabas :winken:

  • Ich habe Castorp ebenfalls als jemanden wahrgenommen, dessen Leben in vorgefertigten Bahnen verläuft. Manchmal hatte ich sogar ein wenig den Eindruck, als würde es fast zwanghaft sein...Ich glaube alleine wäre er kaum in der Lage klar zu kommen.Aber als grob habe ich ihn auch nicht empfunden.

    Mein Patronus ist eine Büchereule

  • Wie gesagt, ich muss ja weiterlesen, dann kann ich da besser eine Gesamtmeinung abgeben. Liebe Grüsse, Cori

  • @cori: Da hast du sicher Recht. Viel Spaß und Durchhaltevermögen dabei :zwinker: Ich habe es allerdings sehr gerne gelesen :winken:

    Mein Patronus ist eine Büchereule

  • BITTE! Er liegt schon neben mir.... ein Schritt ist getan! :klatschen: