Alice Munro - Das Bettlermädchen. Geschichten von Flo und Rose

  • Alice Munro – Das Bettlermädchen. Geschichten von Flo und Rose


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Klappentext:
    Rose kann die kleinbürgerliche Enge ihrer Familie nicht mehr ertragen. Au der Suche nach dem eigenen Leben verlässt sie die kanadische Provinz, fängt an zu studieren, stürzt sich in eine Ehe, beginnt Affären. Mit ihrem unvergleichlichen Gespür für die Wirrnisse des Alltags, für Hochgefühle und Hilflosigkeiten hat Alice Munro ein kleines Meisterwerk geschaffen.


    Mein Lieblingszitat aus diesem Buch:
    "Worüber sie sich beim Spielen schämte, war der Umstand, dass sie vielleicht auf die falschen Dinge geachtet hatte, während es immer noch etwas mehr gab, einen Ton, eine Tiefe, ein Licht, das sie nicht erreichen konnte und nicht erreichen würde. (...) Alles, was sie je getan hatte, konnte einmal als Fehler angesehen werden."


    Meine Meinung zum Buch:


    Es handelt sich bei diesem Buch nicht um einen Roman im üblichen Sinn, sondern um eine Sammlung von zehn aufeinander bezogene Geschichten um die Hauptperson Rose.
    Man lernt viele Menschen in diesem Buch kennen: Roses Stiefmutter Flo, Roses Vater, ihren Halbbruder Brian, ihren Ehemann Patrick und einige spätere Liebhaber und Freunde. Auch die manchmal etwas skurrilen Mitmenschen aus Hanratty, Roses Geburtsort, werden detailgetreu dargestellt.
    Roses Leben ist aber der rote Faden, der sich durch alle Geschichten zieht. Als Leserin habe ich sie durch ihre Schul- und Studienzeit, ihre Ehe und den dadurch bedingten sozialen Aufstieg, ihre Scheidung und ihre Zeit als allein erziehende Mutter begleitet. Jede Geschichte beschreibt eine Station in ihrem Leben.


    „Das Bettlermädchen“ ist das zweite Buch von Alice Munro, das ich gelesen habe. Wie schon beim letzten Buch hat mich beeindruckt, wie präzise Alice Munro ihre Figuren beschreibt. Sie gebraucht dazu nur ganz wenige Worte und trotzdem kann ich mir die Personen teilweise besser vorstellen als bei anderen Autoren, die dies sehr ausführlich tun.
    Außerdem gefällt mir sehr, wie Alice Munro mit der Zeit spielt. Die in eine Geschichte eingeführten Personen werden nicht einfach nur zu dem Zeitpunkt beschrieben, sie bekommen auch eine Vergangenheit und (für mich ungewöhnlich) eine Zukunft. Damit meine ich, dass Alice Munro am Ende einer Geschichte einen Blick darauf wirft, was aus den Figuren geworden ist und wie ihr Leben verlaufen ist: z. B. erzählt Munro eine Geschichte von „Horse“ Nicholson, der wegen einer Wette eine Mitschülerin verführt. Ein paar Seiten später erfährt man, dass die Mitschülerin später an Brustkrebs starb und „Horse“ Nicholson ein erzkonservativer Politiker wurde. Das finde ich hoch interessant und immer wieder sehr überraschend und lebendig.


    Munros Erzählungen empfinde ich als sehr vielschichtig. Sie sagt mit ihnen mehr als das, was geschrieben steht. Nicht immer kann ich alles zwischen den Zeilen lesen, viel bleibt mir verborgen, aber immer habe ich das Gefühl, dass sich mir noch etwas sagen will. Die Geschichten haben mich auch nach dem Lesen noch beschäftigt.


    Alice Munro schreibt ihre Geschichten mit großem Abstand zu den Figuren. Sie beobachtet völlig neutral und beschreibt auch üble Ereignisse ohne Emotion und ohne Wertung. Als Leserin habe ich mich dabei manchmal allein gelassen gefühlt, aber letztendlich hat mir diese Art der Erzählung besser gefallen, als wenn ich alles fertig „vorgekaut“ bekomme.
    Ein Nachteil aber ist, dass die Personen durch den Erzählstil nicht wirklich sympathisch wurden und ihre Motive mir teilweise verborgen blieben. Die Folge davon war, dass mir Roses Verhalten manchmal gehörig auf den Geist ging, in meinen Augen blieb sie zu passiv und ich hätte sie hin und wieder richtig durchschütteln wollen.


    Nicht alle Geschichten haben mir gleich viel gegeben, unter den zehn waren auch einige, die mir wenig gesagt haben. Auf der anderen Seite waren auch absolut brillante darunter, z. B. die mit dem Titel „Buchstabieren“. Wenn ich an die denke, bin ich immer noch sprachlos. Alice Munro ist auf jeden Fall eine große Erzählerin, von der ich sicher noch weitere Bücher lesen werde.


    Noch ein Wort zu meiner Buchausgabe (Berliner Taschenbuchverlag)
    Diese Ausgabe enthält einen Anhang für Literaturkreise: eine Kurzbiografie über Alice Munro, ein Interview mit ihr und 14 Diskussionspunkte.
    Die 14 Diskussionspunkte waren mit teilweise zu sehr am Deutschunterricht orientiert, trotzdem haben einige von ihnen mir zu einem tieferen Verständnis einzelner Textpassagen verholfen. Ich weiß auch nicht, ob ich das erwähnte Gemälde von Edward Burne-Jones so intensiv betrachtet hätte, wenn ich in diesem Abschnitt nicht so explizit darauf angesprochen worden wäre.


    Ich gebe 4ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken: