Guy Gavriel Kay - Die Fürsten des Nordens

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    Guy Gavriel Kay - Die Fürsten des Nordens


    Der Sohn eines von der Insel Rabady verbannten Mannes stiehlt das Pferd seines verstorbenen Herren. Bei diesem hatten seine Mutter und er gelebt, nachdem der Vater verbannt wurde und Rabady die Insel verlassen hatte. Der Tradition gemäß soll das Pferd mit dem Verstorbenen verbrannt werden. Bern aber stellt sich gegen die Tradition und möchte das gute Tier nicht sinnlos opfern. Auf seiner Flucht trifft er auf den Frauenhof – die dort lebenden Frauen verfügen angeblich über magische Kräfte…


    Meine Meinung


    Erzählt wird die Geschichte von drei verschiedenen "Stämmen", den Anglcyn, Erlingern und Cyngael. Der Autor erzählt Begebenheiten aus den unterschiedlichen Sichtweisen der Stämme, so unähnlich sich diese selbst wähnen, so ähnlich sind sie sich in Wirklichkeit in all ihrem Handeln und Denken. Kay gelingt es dem Leser einen oft sehr nahegehenden Einblick in die einzelnen Lebenswelten zu vermitteln. Ich vermute hinter den Stämmen Vorbilder bei den Wikingern, Walisern und Kelten, da ich mich da aber bisher noch nicht sehr gut auskenne, kann ich die Vermutung nicht mit Fakten belegen. Ein besonderes Lob möchte ich dem Autor für die Einschübe aus Vergangenheit und Zukunft aussprechen – diese Einblicke gewähren noch einmal einen ganz besonderen Blick auf die Geschehnisse.


    Das Buch ist durchzogen von vielen Kämpfen, die durchaus blutig dahergehen. Oft steht der Leser aber wie als entfernter Zuschauer dabei und kann daher auch keine rechte Anteilnahme den Opfern gegenüber aufbringen. Leider bin ich mit den handelnden Personen und deren Stammzugehörigkeit trotz Personenliste im Buch, immer wieder durcheinandergekommen. Viele sind mir vermutlich auch daher einfach fremd geblieben. In meiner Taschenbuchausgabe vermisste ich eine Karte, um mir die verschiedenen Orte auch geographisch vorstellen zu können. In starkem Kontrast standen die Ausflüge in die märchenhafte von feenhaften Wesen bevölkerte Zwischenwelt. Der Glaube der Menschen hat sich mittlerweile anderen Göttern zugewendet, trotzdem haben noch viele Respekt vor den Feenwesen.


    Trotz der mir zuerst etwas fremd bleibenden Charaktere, schaffte es der Autor mich besonders im letzten Drittel des Buches zu fesseln. Die Authenzität der Personen überzeugte mich und bewirkte bei mir noch die ein oder andere Gänsehaut. Das Buch liest sich viel weniger wie ein Fantasyroman, denn ein historischer Roman. Die Schilderungen der Zwischenwelt würde ich auch in einem historischen Roman über diese Zeit und Region erwarten.


    Mein Fazit:
    Keine leichte Kost - etwas Durchhaltevermögen ist vonnöten, die Belohnung ist ein einfühlsames Bild der Menschen dieser Epoche. Dies war zwar mein erstes aber ganz sicher nicht mein letztes Buch dieses Autors!


    4ratten

  • Gelesen habe ich die Hardcover-Ausgabe:


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    Inhalt: Der Statthalter der Insel Rabady ist verstorben und soll nach allen Ehren der Erlinger bestattet werden. Auch sein Pferd soll mit ihm verbrannt werden, aber das wurde gestohlen. Die Suche konzentriert sich schnell auf Bern Thorkellson, dessen Vater nach einem Mord von der Insel verbannt wurde, während Bern nun als unfreier Knecht auf einem Hof dient, während Berns Mutter die zweite Frau des Statthalters wurde. Bern hatte sich an die „Hexen“ des Frauenhofs erfolglos um nächtliche Hilfe gewandt. Niemand weiß jedoch, daß eine der jungen Dienerinnen des Frauenhofs, die zum einen Grund hat, sich an der Volur zu rächen, zum anderen Bern mag, diesem geholfen hat. Bern befindet sich längst auf dem Festland, auf dem Weg nach Jormsvik, um dort nach Möglichkeit in die Gemeinschaft der Söldner einzutreten. Dies ist nur möglich, wenn man einen der Söldner im Zweikampf besiegt und damit quasi dessen Platz einnimmt.


    Während Bern sein Leben neu ausrichtet, überfällt eine Erlingerhorde einen Gutshof in Cyngael. Dessen Besitzer ist als der Volganstöter, der Mörder Siggur Volgansons, bei den Erlingern bekannt, und Siggurs Enkel Mikkel und Ivarr wollen Rache. Der Angriff schlägt völlig fehl, Ivarr allerdings kann entkommen, verfolgt von Alun ap Owyn, einem Cyngael-Prinzen, dessen älterer Bruder bei diesem Überfall den Tod gefunden hat. Während der Verfolgung gerät Alun die Zwischenwelt, die Welt der Feen, die ihm von da ab immer wieder begegnen wird – sehr zum Mißfallen des Priesters Ceinion, der darin eine Bedrohung des Glaubens an Jad sieht. Ceinion will Alun bei seiner Trauer um den Bruder helfen und überredet diesen, ihn Aeldred, dem König der Anglcyn, zu begleiten. Ein erneuter Raubzug von Erlingern ins Anglcyn-Gebiet, dem Aeldred mit seinen neu strukturierten Verteidigungsmitteln begegnet, entpuppt sich als von Ivarr angezettelte Fahrt von Jormsvikingern, denen er Beute in Anglcyn versprochen hat, um damit sein eigentliches Anliegen, die Rache für den Großvater in Cyngael zu vertuschen ...



    Meine Meinung: Die Vorlagen, die Kay hier gewählt hat, sind auch ohne sein Nachwort mehr als offensichtlich. Bei den Erlingern geht die Verwandtschaft zu den Wikingern so weit, daß sogar die Mythologie paßt, denn auch hier gibt es einen einäugigen Obergott, dessen Tiere Raben sind, einen Hammerschwinger und einen Weltenbaum, der am Ende der Zeiten eingeht. Ebenso deutlich haben die Anglcyn ihr Vorbild in den Angelsachsen und die Cyngael unter den Walisern. Bei letzteren zeigt sich das vor allem auch an den Namen, die teils recht unaussprechlich wirken mögen, wenn man nicht weiß, daß im Walisischen z. B. ein w immer wie ein u gesprochen wird. Und auch die Geographie folgt ausgesprochen realen Vorbildern, denn der erwähnte Rheden-Wall, der Anglcyn und Cyngael trennt, hat seine Entsprechung im Offa’s Dyke.


    Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn sich ein Autor für einen Fantasy-Roman in historischen Zeiten bedient, allerdings erwarte ich dann zumindest ein gewisses Maß an Verfremdung, sonst könnte ich schließlich auch gleich einen historischen Roman oder noch besser ein Sachbuch lesen. Und das Gefühl hatte ich hier durchaus. Der ganze Roman machte auf mich den Eindruck, als habe Kays eigene Phantasie für einen Fantasy-Roman nicht ausgereicht, er den Rechercheaufwand für einen historischen Roman aber nicht betreiben und vor allem sich dessen durch die Fakten gegebenen Beschränkungen nicht unterwerfen wollen. So ist ein Zwischending herausgekommen, das in keiner Richtung zu befriedigen vermag. Das wird auch noch unterstützt durch einen Plot, der für den Umfang des Romans zu dünn ist, und eine recht behäbige Erzählweise. So habe ich Seite um Seite gelesen, immer in der Hoffnung, daß doch noch irgendetwas wesentliches passieren müsse, wenn man schon solche Typen zusammenführt (denn da gibt es durchaus interessante Ansätze in Alun ap Owyn, Aeldreds Tochter Kendra und ein, zwei weiteren), aber auch mit dem Ende blieb Kay der zuvor gewählten Linie treu, so daß ich mich nach dem Zuklappen einfach nur fragte: „Und? Was sollte das jetzt alles?“ Nein, weitere Romane von Kay werden nach dieser Erfahrung wohl nicht unbedingt den Weg zu mir finden.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Guy Gavriel Kay hat mit „Die Fürsten des Nordens“ eine Mischung aus historischem Roman und Fantasy geschrieben. Der Fantasy-Anteil ist allerdings ziemlich gering und beschränkt sich auf das tatsächliche Vorhandensein mystischer Wesen, wie zum Beispiel Feen. Diese Mischung erinnert mich an Marion Zimmer-Bradleys „Die Nebel von Avalon“, allerdings ist Kays Roman deutlich männlicher geprägt. Als alter Zimmer-Bradley-Fan hat mir diese Mischung grundsätzlich ganz gut gefallen und gegen eine maskulinere Stimmung hatte ich auch nichts einzuwenden. Weniger gut gefiel mir, dass Kay zwar deutliche Anleihen bei Angelsachsen, Wikingern etc. macht, sich aber weigert, dem Leser historische Details zu liefern, wobei ich besonders eine Karte vermisst habe. Noch schöner wäre es dann gewesen, wenn man nicht nur eine Landkarte zur räumlichen Orientierung, sondern auch eine Zeittafel und ein Personenregister an die Hand bekommen hätte. So konnte ich Entfernungen, Zeitabläufe und Beziehungen nur schwer abschätzen


    Dadurch, dass der Autor noch dazu mit einer Menge an Handlungssträngen und unterschiedlichen Zeitebenen hantiert, dauerte es eine ganze Weile, bis ich mich in die Geschichte eingefunden hatte. Es gab auch immer wieder Einschübe, in denen er sorgfältig über 2-5 Seiten eine Figur mit ihrem Hintergrund einführte, nur um sie nach einer Seite Interaktion mit dem Hauptgeschehen wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Die ganzen doch recht fremd klingenden Namen machten es noch dazu nicht gerade einfacher, ihm zu folgen. Der Autor blickte häufig vor und zurück und setzte so die Zukunft und Vergangenheit in Beziehung zur Gegenwart, zeigte welche Taten wodurch erst geschehen konnten und wie sie dann wiederum irgendwann andere Geschehnisse beeinflussen würden. Durch die Vielzahl an Handlungssträngen, die sich irgendwann tatsächlich vereinten, vertuscht Kay in gewisser Weise, dass die eigentliche Geschichte in zweieinhalb Sätzen erzählbar wäre.


    Leider hatte ich nämlich den Eindruck, dass er zu viele Geschichten nur anerzählt hat, ohne sie zu beenden und so fand ich „Die Fürsten des Nordens“ zwar interessant, wäre es mein erster Kay-Roman, würde mich dieses Buch jetzt aber bestimmt nicht zu einem Fan machen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Ich kann die scharfe Verurteilung, die einige Rezensenten Guy Gavriel Kays "Die Fürsten des Nordens" angedeihen lassen, nicht teilen. Es ist richtig, daß Kay sich sehr stark an die Geschichte verschiedener Teile Britanniens als Schauplatz seiner Handlung anlehnt und der Roman eher im Reich des nacherzählenden historischen Romans als im Genre Fantasy anzusiedeln ist, obwohl er in einem fiktiven Paralleluniversum spielt. Aber bis auf das Fehlen einer Karte läßt sich darin kein Nachteil sehen. Im Gegenteil - die eher nüchterne Sachlichkeit und der weitgehende Verzicht auf überschwengliches Pathos und Gefühlsduselei ist sehr zu begrüßen. Die abgehandelten Stoffe und Nebenstränge wie auch die zurückhaltende Erzählweise haben die nordischen Sagas zum Vorbild. Kay spielt mit Versatzstücken dieser Erzähltradition, anstatt sie in epischer Breite á la Avalon auszuwalzen. Er hat bei früheren Adaptionen von Sagenstoffen und freier Fantasy hinlänglich bewiesen, daß er auch anders vorgehen, psychologisch in der Tiefe gründeln, heftige Emotionen beschwören und auf die Tränendrüse drücken könnte. Aber er tut es hier angenehmerweise nicht, sondern beläßt es bei Andeutungen. Das entspricht dem Wesen der eher nüchternen Erzählweise nordischer Sagas. Deren Crux besteht darin, zwar von vielem zu erzählen und menschliche Schicksale vor dem Ohr des geneigten Lesers auszubreiten, aber bei Einzelheiten eher unbestimmt zu bleiben.


    Es ist richtig, daß hinter den "Erlingern" die sogenannten Wikinger stehen - jedoch in einer vagen Gesamtheit, die sowohl die Noch-Nicht-Wikinger Angeln und Sachsen im Stadium ihres ersten Fußfassens in Kent im 5. Jahrhundert einschließt als auch die zeitlich viel späteren Danen und Norweger, die mit den inzwischen britischen Angelsachsen ab dem 8. Jahrhundert im Clinch lagen. Der fiktive Söldnerverbund von Jormsvik ist eine Mischung aus dem gleichnamigen Jormsvik an der Ostsee des 10. Jahrhunderts und dem authentischen, nordenglischen Jorik (heute York) des 9. Jahrhunderts. Ersteres lag am Meer und war eine Wikingerfestung, um die sich eine blutige Saga rankt, letzteres Zentrum eines eigenständigen Königreichs im nordenglischen Binnenland. Ein ähnliches Konglomerat stellt die beiläufig erwähnte zweimalige Plünderung eines weiß der Kuckuck wo liegenden "französisch" klingenden Klosters durch die erlingischen Jormsviksöldner dar. Pate stand wohl einerseits der Überfall auf Lindisfarne im ausgehenden 8. Jahrhundert als auch normannische Raubzüge im gallischen Binnenland des 6. Jahrhunderts.


    Hinter den Cyngael lassen sich nicht nur die Kelten des Rückzugsgebiets Wales vermuten, denn es sind auch Anklänge nach Irland sowie zu den keltischen Stämmen Südostenglands feststellbar. Hinter den Anglcyn stehen nicht nur die Angelsachsen und Alfred der Große sowie ihr Clinch mit den Wikingern aus York und skandinavischen Horden, sondern es deuten sich auch Bezüge zu den keltisch-romanischen Briten aus East-Anglia des 5. Jahrhunderts an. Chronologisch reicht die Spannweite vom 5. Jh.n.Chr. bis zum 10.Jh.n. Chr. und der geografische Bezugsrahmen konzentriert sich zwar auf die Osthälfte Englands und Wales (im Westen), greift aber "überseeisch" bis nach Frankreich und an die Gestade der östlichen Ostsee aus. Den zeitlich wie geographisch kunterbunt durcheinandergewürfelten Sachbezügen ist vermutlich teilweise die manchmal schwer vorstellbare Streckenführung der fiktiven Infrastruktur und die eher vage bleibende allgemeine Geographie geschuldet. Betrachtet man Märchen und Legenden als Teil der Realität, beschränkt sich die Fantasy in "Die Fürsten des Nordens" auf die Verlegung der Handlung und der Personenpalette in ein Paralleluniversum, denn Mythologie und Gehalt an übernatürlichen Wesen stellen lediglich eine extemporierte Adaption authentischer Vorlagen dar und warten nur spärlich mit Neuschöpfungen wie z.B. der neckischen Idee von der Degeneration der Elfen auf.


    Man kann Kay wahrhaftig nicht vorwerfen, zu wenig und nicht gründlich genug recherchiert zu haben oder die gewonnenen Sachinformationen unstimmig umzusetzen. Die Handlung ist sauber, wenn auch knapp, doch ohne lose Enden konstruiert und die dahinter stehenden Motivationen sind glaubwürdig geschildert. Das Buch gewinnt geschichtliche Tiefe durch die eingestreuten, nacherzählenden Episoden, die in gedrängter Form die Vorgeschichte der charakterisierten Personen referieren sowie durch einige erzählerische Seitenableger, die für den Fortgang der Handlung zwar meist ohne Bedeutung sind, aber für Lokalkolorit (Land und Leute) sorgen. Allenfalls könnte man kritisieren, daß dieses Buch keine Fantasy ist, sondern ein Sachbuch, das sich als Fantasyroman kostümiert, um nicht an der grundsätzlich allen historischen Romanen innewohnenden Problematik zu scheitern, Geschichte nur mit dem Vorwissen des Nachhinein durch eine neuzeitliche Brille betrachten zu können, ohne den natürlichen Vorsprung an Wissen oder moderne Werturteile (inkl. politische Ambitionen) gänzlich ausblenden zu können.


    Fazit = Ein gut geschriebenes, glaubwürdiges Buch, das Personen und Handlungen zwar in eine Parallelwelt transferiert, aber bei den der wirklichen Welt entlehnten sachlichen Hintergründen und Informationen auf jene Art künstlerischer Freiheit verzichtet, die unweigerlich zu Falschdarstellungen führt, über die man sich in vielen historischen Romanen wegen ihrer frech als "wahr" behaupteten Unstimmigkeit fürchterlich ärgern kann. Deshalb:


    5ratten