Volker Kutscher - Der nasse Fisch

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  • Was ich noch hinzufügen will, sind die Ähnlichkeiten zu "Berlin Alexanderpaötz", das wir ja gerade in einer Leserunde hier im Forum lesen.
    Kutschers Roman spielt 1 1/2 bis zwei Jahre später als Döblins Roman, übernimmt aber eine ganze Menge Lokalkolorit.


    Das finde ich ja interessant, da mir das Lokalkolorit hier gerade besonders gut gefallen hat. An Döblins "Berlin Alexanderplatz" bin ich vor 25 Jahren gescheitert. Vielleicht sollte ich mir das Buch doch nochmal vornehmen?

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Gereon Rath ist erst vor kurzem aus seiner Heimatstadt Köln zur Berliner Polizei gewechselt, nicht ohne Grund - Gereons Vater hatte die Finger im Spiel, um seinen Sohn nach einem unglückseligen Vorfall aus der Schusslinie zu bringen. Der ist zwar darüber nicht unglücklich, hat sich im "Chicago an der Spree" von 1929 aber noch nicht so richtig einleben können und hat auch nie davon geträumt, bei der Sittenpolizei zu arbeiten ... doch er weiß, dass er momentan keine Wahl hat.


    Als eines Tages ein stinkwütender Russe in sein Pensionszimmer stürzt, offenbar auf der Suche nach Gereons Vormieter, ebenfalls Russe, wundert er sich nur ein bisschen. Doch dann wird eben jener Mann wenig später unter seltsamen Umständen tot aus dem Landwehrkanal gefischt. Gereon ist sich ziemlich sicher, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht, und fängt an, auf eigene Faust ein bisschen zu recherchieren, wobei er schnell feststellt, dass er da in einer ziemlich weitverzweigten und komplizierten Angelegenheit herumstochert.


    Zu Beginn war mir die Sprache ab und an einen Tick zu modern, die Dialoge klangen manchmal eher nach Tatort als nach den Zeiten von Erich Kästner, doch das blieb zum Glück nicht so störend. Ansonsten ist der durch die TV-Serie "Babylon Berlin" noch bekannter gewordene erste Teil von Volker Kutschers Krimireihe ziemlich gut gelungen, vor allem in der Darstellung der Zeit, in der er spielt. In Berlin wird getanzt, gefeiert, getrunken, gekokst und kopuliert (und gebaut, gebaut, gebaut), während die SA bereits ihr Unwesen treibt und die Polizei eine linke Demonstration zum 1. Mai brutal niederschlägt. All das bleibt nicht nur Hintergrundfolie, sondern wird regelrecht lebendig.


    Auch die Machenschaften, denen Rath auf die Spur kommt, sind hochbrisant und politisch aufgeladen, er hat mit seinen naseweisen Ermittlungen auf eigene Faust ein ganz schönes Fass aufgemacht, dem ich nicht immer bis ins allerkleinste Detail folgen konnte, wobei Kutscher es durchaus versteht, einen roten Faden in all den komplizierten Verstrickungen beizubehalten.


    Rath handelt nicht immer edel und gut und klug, aber gerade deshalb gefiel er mir als Hauptfigur sehr. Die Nebenfiguren fand ich ebenfalls gut gemacht. Vor allem natürlich die pfiffige Charlotte Ritter, Sekretärin der Mordkommission, die manchmal auch mit dem berühmten "Mordauto" zum Tatort mitfahren darf, nebenher Jura studiert und auf die Rath ein Auge geworfen hat.


    Dem ersten Band dieser spannenden Mischung aus Krimihandlung und Zeitgeschichte werde ich sicher recht bald den nächsten folgen lassen, es hat mich richtig gepackt.


    Ich habe übrigens die "Filmausgabe" gelesen mit einigen Farbfotos aus der Serie und einem sehr interessanten Interview, in dem sich Kutscher auch zu den doch teilweise recht gravierenden Abweichungen zwischen Buch und Serie äußert. Der Fall an sich ist zwar derselbe, aber die Charaktere, insbesondere Charlotte, sind ja in "Babylon Berlin" ganz anders gezeichnet.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Es sei nur so viel verraten: Tom Tykwer und Co. hatten Kutschers Segen, die Figuren so frei zu interpretieren, wie sie es tun :)

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    Leonard Cohen





  • Meine Meinung


    „Der nasse Fisch“ ist der Auftakt zu einer Krimireihe von Volker Kutscher, welche Ende 2018 unter dem Titel „Babylon Berlin“ in der ARD zu sehen war und in den 20er/ 30er Jahren in Berlin spielt. Der Protagonist und Ermittler Gereon Rath wird nach einem – zunächst im Dunklen gelassenen - Vorfall von der Mordkommission Köln zur Sitte nach Berlin „straf“-versetzt und ist mit sich und seiner Lage und seiner Arbeit äußerst unzufrieden. Dies ändert sich, als er auf eigene Faust und ungefragt Nachforschungen zu einem Fall der Berliner Mordkommission anstellt und dabei Hilfe von Charly, einer aufgeweckten und cleveren Stenotypistin des Polizeireviers erhält.


    Genau wie unser Ermittler sich zu Beginn des Romans nur schwer mit seiner neuen Situation abfinden konnte, hatte auch ich Schwierigkeiten mich in dem Roman anzufreunden. Die Ermittlungen bei der Sitte sind zwar nicht uninteressant, aber der Fall „Wassermann“ der Mordkommission interessierte mich deutlich mehr. Dies änderte sich mit der Zeit, als die verschiedenen Fäden der Geschichte langsam aber sicher zu einem großem gesamtes Werk zusammenliefen, auch wenn ich im Endeffekt nicht wirklich glücklich mit dem Buch war und meine hohen Erwartungen, die vor allem meine Schwester geschürt hatte, nicht erfüllt wurden.


    Spannenderweise kann ich mich heute, beim Schreiben der Rezension, und ein Jahr nachdem ich das Buch gelesen habe, noch ziemlich gut an den Roman und Einzelheiten erinnern, womit ich jetzt nicht gerechnet hätte. Und mit diesem Abstand finde ich das Buch auch besser, als ich es die ganze Zeit in grober Erinnerung hatte. Denn Volker Kutscher mal ein äußerst vielfältiges Bild der Zwanziger Jahre in Berlin, die nicht nur golden sind sondern auch ganz eindeutig ihre Grauschattierungen haben. Und auch die Figuren sind alles andere als eindimensional und agieren mitunter in einem Graubereich des Erlaubten bzw. auch schon weit darüber hinaus. Aber – und das ist der große Kritikpunkt für mich – sie kamen bei mir nicht wirklich an. Vor allem mit unserem Hauptprotagonisten konnte ich nicht wirklich viel anfangen. Er ist mir zwar noch genauso lebendig im Gedächtnis wie sein Vorgesetzter Wolter, der nun wirklich kein Sympath ist, aber Gereon Rath ist für mich nicht wirklich besser.


    Allerdings glaube ich inzwischen auch, dass ich das Buch in einer für mich ungünstigen Zeit gelesen habe. Ich hatte im Sommer 2018 eine heftige Leseflaute zu der berufliche Veränderungen hinzukamen, die mich und meine Gedanken ziemlich in Beschlag genommen hatten, so dass ich den Kopf nicht wirklich frei hatte, um in die Welt meiner Bücher einzutauchen. Ich denke ich hätte in dieser Phase andere Bücher gebraucht, die mich aus diesen Gedanken hätten rausreißen können – auch wenn es der 100ste Re-Read meiner Lieblingsbücher gewesen wäre. Die wirklich äußerst gräuliche Atmosphäre von „Der nasse Fisch“ genau wie die wenig sympathischen Figuren, haben mich noch eher tiefer in die Leseflaute gerissen als dass sie mir und meinen eher trüben Gedanken gut getan hätten.


    Gut möglich, dass mir das Buch heute, wo ich mich im absoluten Lesefieber befinde und so gerne Krimis und Thriller lese, besser gefallen würde, aber momentan kann ich mir nicht wirklich vorstellen, dem Buch eine zweite Chance zu geben oder die Reihe fortzusetzen. Dafür gibt es zu viele andere Bücher in meinem SUB und auch andere Reihen, die mich deutlich mehr reizen. Aber wer weiß denn heute schon, was morgen ist.


    3ratten

  • Gereon Rath wird nach einem Presseskandal nach Berlin versetzt und soll in der dortigen Polizeistelle im Sittendezernat arbeiten. Nach seiner Stelle in der Mordkommission ein Rückschritt und so kann Rath auch gar nicht anders, als sich in einen Mordfall rund um kommunistische Untergrundgruppen, einem alten Schatz und Polizistenmorden verwickeln zu lassen...


    Ich habe die Serie "Babylon Berlin" verschlungen. So stand die Reihe schon lange auf meiner Leseliste und nun bin ich endlich dazu gekommen. Mal wieder so eine Reihe, bei der ich mich frage, warum ich nicht schon längst damit angefangen habe.


    Rath ist ein sympathischer Zeitgenosse - ein wenig eigen, aber nicht so verschroben, wie man das oft von anderen Kriminalkommissaren aus dem Genre kennt. Mit Charlotte Ritter bekommt er eine Frau an die Seite gesetzt, die weiß, was sie will und selbst für heutige Maßstäbe emanzipiert ist. Ich finde sie erfrischend und sie gibt dem Buch einen ordentlichen Schwung. Mir gefällt die Liebesgeschichte, die liebevoll aber nicht zu kitschig daher kommt, aber auch nicht den eigentlichen Kriminalfall übertönt.


    Der Fall an sich ist spannend - ein wenig wusste ich noch von der Serie, aber gelesen wirkt es für mich nochmal strukturierter und logischer. Und trotz Vorkenntnisse hat sich irgendwann ein Lesesog eingestellt, dem ich mich kaum entziehen konnte. Der flüssige Schreibstil tut dabei natürlich sein übriges.


    Kurz und bündig: Ich bin begeistert und freue mich, dass ich noch einige Bände vor mir habe!

  • Ich hatte diese Woche spontan Lust, die Reihe so nach und nach noch mal zu lesen bzw. in meinem Fall zu hören. Und es ist echt immer noch so gut, wie ich es in Erinnerung habe. Bin total froh, das ich auf diese Idee gekommen bin. Das Hörbuch, gelesen von David Nathan ist einfach mega gelesen. Und Gereon ist halt echt eine meiner Lieblingsfiguren überhaupt. Charly sowieso.


    Edit:

    Finde grade spannend, meine Meinung von vor über 10 Jahren noch mal zu lesen. Würde ich für mich persönlich immer noch so unterschreiben. Seither weiß ich durchs Studium noch mehr über die Hintergründe der gesamten Reihe und bin immer wieder begeistert, wie Kutscher es gelingt, historische Fakten einzubauen, ohne das man sich belehrt vor kommt.

  • Das Hörbuch, gelesen von David Nathan ist einfach mega gelesen. Und Gereon ist halt echt eine meiner Lieblingsfiguren überhaupt. Charly sowieso.

    Das klingt nach einer phänomenalen Idee. Mal gucken, ob es die Hörbücher irgendwo günstig gibt. Ist Teil 1 ungekürzt?

    :lesen:





  • P.S. Gerade gegoogelt. Liest das wirklich Nathan und nicht Grothe?

    Sonst hätte ich das nicht erwähnt . Es gibt vom ersten Teil 2 Versionen. Die ungekürzte ist gelesen von David Nathan. Außerdem kenn ich natürlich seine Stimme ?

    Ich höre das auf Deezer. Dort gibt es fast alle Fãlle ungekürzt (gibt's ebenfalls auch auf spotify) und alle gelesen von David Nathan.

  • bin immer wieder begeistert, wie Kutscher es gelingt, historische Fakten einzubauen, ohne das man sich belehrt vor kommt.

    Diese Kunst beherrscht er wirklich perfekt - im Gegensatz zu so manchem anderen Autoren.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • P.S. Gerade gegoogelt. Liest das wirklich Nathan und nicht Grothe?

    Sonst hätte ich das nicht erwähnt . Es gibt vom ersten Teil 2 Versionen. Die ungekürzte ist gelesen von David Nathan. Außerdem kenn ich natürlich seine Stimme ?

    Ich höre das auf Deezer. Dort gibt es fast alle Fãlle ungekürzt (gibt's ebenfalls auch auf spotify) und alle gelesen von David Nathan.

    okay, kaufen kann man die aber nicht, scheint es

    :lesen:





  • Nachdem ich irgendwann in Babylon Berlin reinschauen will, habe ich kürzlich diese Leselücke geschlossen.


    So ganz warm bin ich mit dem ersten Teil der Gereon Rath Serie aber nicht geworden. Der Roman ist gut geschrieben und die damalige Zeit wird auch sehr atmosphärisch beschrieben. Wie auch andere hier schon schreiben, habe ich auch ein paar historische Umstände dazugelernt.

    Nach der Hälfte ist mir aber ein wenig die Luft ausgegangen und ich fand, dass sich die Geschichte dann etwas gezogen hat. Zur Verteidigung des Romans muss ich aber auch sagen, dass ich gerade generell Schwierigkeiten habe, dass ich mich voll und ganz von einem Buch fesseln lasse.

    Ich war auch noch nie in Berlin, deswegen sind die Schauplätze für mich vielleicht auch nicht so greifbar gewesen.


    Auf die Serie freue ich mich trotzdem und vielleicht probiere ich mich irgendwann auch an den Folgeteilen.

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • In die Serie haben sie noch ein paar zusätzliche Dinge rein gepackt, vielleicht um diese Längen zu schließen? Ich weiß auf jeden Fall, was du meinst. Aber ich mag das Buch trotzdem. :)

  • An Volker Kutschers Gereon Rath kommt man fast nicht mehr vorbei, es war daher nur eine Frage der Zeit, wann ich dem Trend nachgebe. Als Gelegenheitskrimileserin achte ich eher auf Lokalkolorit und Zeitgeschehen sowie die Charaktere als auf den eigentlichen Kriminalfall.


    Tatsächlich gefiel mir besonders die Darstellung Berlins. Die Geschichte der Stadt und die damalige Stimmung erscheinen mir perfekt eingefangen. Wie Kutscher fast nebenbei interessante Details einstreut, ist wirklich gut.

    Der Kriminalfall selbst war mir etwas zu “drüber”. Rath ist neu in Berlin und im Job und stolpert mitten in eine verzwickte Verschwörung internationalen Ausmaßes mit politischer Komponente und ein paar dicken Fischen des organisierten Verbrechens? Natürlich. Und dabei hilft ihm entweder der Zufall oder er trifft mit seinen ungewöhnlichen Methoden voll ins Schwarze, statt abgestraft zu werden. Im Gegenteil, durch seine familiären Verbindungen steht er im guten Austausch mit der Chefetage.


    Rath selbst mag ich als Protagonisten, da er Ecken und Kanten hat und authentisch wirkt. Allerdings war ich erstaunt, womit er ungeschoren davon kommt, was mit seinen ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden beginnt und bei seinem Umgang mit Frauen noch nicht endet. Wie oft er unbedarft in brenzlige Situationen schlittert, darf man gar nicht zählen, genauso wenig seine überheblichen und manchmal sogar aggressiven Ausbrüche.

    Die weiteren Figuren sind durchmischt - manche haben Profil und wirken überzeugend, andere sind Statisten, die ein Klischee bedienen. Charly bedient mir zu sehr die Klischees einer starken Frau, die sich in einer Männerdomäne behauptet und bei der Wahl der Liebhaber eher freizügig agiert. Ich hoffe, sie wird in den Folgebänden authentischer.


    Wirklich nervig fand ich die ständigen Bettgeschichten, die konstante Bewertung der Frauen, denen Rath begegnet, und vor allem die Tatsache, dass er scheinbar unwiderstehlich ist und sich ihm fast jede Dame an den Hals wirft. Darauf verzichte ich zukünftig sehr gerne.


    Übrigens habe ich das Hörbuch, gelesen von David Nathan, gehört. Nathan gibt den verschiedenen Charakteren eigene Stimmen und liest sehr angenehm. Auch wenn's mal komplizierter wurde, konnte ich gut folgen.


    Insgesamt sehr knappe 4ratten

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges