Günter de Bruyn - Zwischenbilanz / Vierzig Jahre

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  • Günter de Bruyn: Zwischenbilanz - Eine Jugend in Berlin

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    Aus dem Klappentext:


    Günter de Bruyn erzählt von seiner Jugend in Berlin zwischen dem Ende der zwanziger und dem Beginn der fünfziger Jahre. Die Stationen sind: seine Kindheitserfahrungen während des Niedergangs der Weimarer Republik, die erste Liebe im Schatten der nationalsozialistischen Machtwillkür, seine Leiden und Lehren als Flakhelfer, Arbeitsdienstmann und Soldat, und schließlich die Nachkriegszeit mit ihrem kurzen Rausch anarchischer Freiheit und die Anfänge der DDR.


    Über den Autor:


    Günter de Bruyn wurde am 1. November 1926 in Berlin geboren. 1943 wurde de Bruyn als Luftwaffenhelfer zum Kriegsdienst einberufen und war noch einige Monate Soldat. Nach Kriegsgefangenschaft und einem kurzen Intermezzo als Landarbeiter absolvierte er 1946 einen Neulehrerkursus in Potsdam und war dann bis 1949 Lehrer in einem märkischen Dorf, bevor er eine Ausbildung an der Bibliotheksschule in Ost-Berlin machte. Von 1953 bis 1961 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralinstitut für Bibliothekswesen in Ost-Berlin. Seit 1961 lebt er als freier Schriftsteller in Ost-Berlin und einem märkischen Dorf. Er wurde u.a. mit dem Heinrich-Mann-Preis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Heinrich-Böll-Preis und dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ausgezeichnet.


    Meine Meinung:


    Günter de Bruyn, den ich als Autor von (unter anderem) "Buridans Esel", "Märkische Forschungen", "Neue Herrlichkeit" und in jüngerer Zeit "Preußens Luise" kenne und schon lange schätze, beschreibt in diesem ersten Teil seiner Autobiographie seine Jugend: die Kindheit in einer katholischen Familie, die etwas anders ist als die Familien der Nachbarn/Mitschüler, die in ihm strenge Wertmaßstäbe aufbaut, und in der vieles unausgesprochen, angedeutet bleibt. Wir lernen ihn kennen als stillen, zurückhaltenden Menschen, als jüngsten von vier Geschwistern, über deren Lebensschicksale uns das Buch ebenfalls informiert.


    In der Nazizeit entzieht er sich, soweit es ihm möglich ist, dem Mittun in der Hitlerjugend. Obwohl er seinen Protest nicht lautstark äußert, wird zweifelsfrei deutlich, daß er sich mit der Nazidiktatur keinesfalls identifiziert. Gegen Kriegsende wird er mit 16 Jahren als Luftwaffenhelfer eingezogen. Nun versucht er, da er nicht mehr physisch flüchten kann, sich wenigstens innerlich zu entziehen. Trotzdem muß er als halbes Kind noch in den Krieg ziehen, wird verletzt und gerät in Kriegsgefangenschaft. Das Buch endet mit den Anfängen der DDR.


    Die beeindruckendsten Passagen im Buch waren für mich seine Zeit als Soldat, seine Verletzung, die ihm zeitweilig das Sprachvermögen raubt und wie er mühsam versucht, dieses wiederzugewinnen, und sein Heimweg quer durch Deutschland nach Kriegsende. Auch die Beschreibung des Berlins der zwanziger und frühen dreißiger Jahre fand ich interessant. Stellenweise vor allem in der Mitte des Buches gab es Längen (die ersten Liebesgeschichten fand ich etwas zu ausführlich beschrieben). Trotzdem ist "Zwischenbilanz" ein unbedingt empfehlenswertes Buch.


    4ratten

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Günter de Bruyn: Vierzig Jahre - Ein Lebensbericht


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    Klappentext


    Die Gründung der DDR erlebte de Bruyn im Alter von 22 Jahren - ihr Ende, als er 63 Jahre alt geworden war. Von den vierzig Jahren, die dazwischen liegen und den größten Teil seines Lebens ausmachen, berichtet er in diesem Buch - und setzt damit seine vielbeachtete autobiographische Zwischenbilanz fort. Günter de Bruyn erzählt sein Leben farbig, lebendig und fesselnd, aber er prüft dabei auch sein Handeln und Unterlassen als Bürger eines diktatorischen Staates gewissenhaft und ohne Schonung für sich selbst. Er beschreibt seine frühen Arbeitsjahre als Bibliothekar in Ost-Berlin, seine ersten Erfolge als Schriftsteller mit Romanen, die seinen Namen auch im Westen bekanntmachten. Er schildert Begegnungen mit Autoren wie Heinrich Böll, Wolf Biermann und Christa Wolf, mit SED-Funktionären wie Hermann Kant und Klaus Höpke, aber auch mit unbekannten Freunden und Kollegen.



    Meine Meinung


    Der zweite Teil der Autobiographie "Vierzig Jahre" gefällt mir besser als "Zwischenbilanz" - unter anderem weil ich einen Teil dieser Zeit selber erlebt habe, vielleicht auch, weil de Bruyn die als Erwachsener erlebte Zeit reflektierter beschreibt.


    Das Buch ist in Kapitel unterteilt, die den jeweils behandelten zeitlichen Lebensabschnitt mit einer Art Motto versehen, das jedesmal sehr passend ist. Schon immer habe ich Günter de Bruyns Schreibstil genossen, der es schafft, das Wesentliche mit geschickten, sparsamen Worten auszudrücken, und wo nötig zu umschreiben und anzudeuten, und zwar so, daß der Leser problemlos versteht.


    "Vierzig Jahre" ist interessant für jeden, der die jüngere deutsche Geschichte nicht zu schnell vergessen und verdrängen möchte. Günter de Bruyn erzählt ohne zu beschönigen seinen Lebensweg in vierzig Jahren DDR, in denen er lavieren mußte zwischen Anpassung und Widerstand. Er war einer von denen, die aus Verbundenheit mit Land und Leuten in der DDR blieben, sich aber von Staat und Partei nicht vereinnahmen ließen, sondern immer noch ihrem "inneren Kompaß" folgten und ihr Leben, ihren Protest und Widerstand (wie so viele in dieser Zeit) in Nischen und mit Kompromissen auslebten. Es gelingt, er findet seinen Weg, ohne sich allzusehr zu verbiegen. Er lebt ein stilles und zurückgezogenes Leben, steht nicht gern im Licht der Öffentlichkeit. Bezüglich der DDR-Machthaber setzt er die in der Nazizeit bereits praktizierte Strategie des Sich-Entziehens fort, aber die hohen Moralmaßstäbe, die er an sich selber anlegt, bereiten ihm deshalb des öfteren ein schlechtes Gewissen, er hält sich für allzu opportunistisch und nicht mutig genug und erzählt davon mit schonungsloser Offenheit, ohne sich selbst in ein besseres Licht zu stellen. Für diese persönliche Integrität hat Günter de Bruyn meinen vollsten Respekt. Aus rückblickender Perspektive finde ich, daß er oftmals zu streng mit sich selbst ist - beispielsweise im Kapitel "Streng geheim", in dem er von einem Stasi-Anwerbeversuch erzählt, den er seiner Meinung nach nicht vehement genug abgelehnt hat. Er hatte aber mit den ihm vorliegenden Informationen damals gar keine Chance, anders zu reagieren. Nebenbei erhalten wir einen Einblick in gängige Stasimethoden (so auch im Kapitel "Pornographisches"). Darüber kann meiner Meinung nach gar nicht oft genug erzählt werden, damit dieses Kapitel deutscher Geschichte nicht zu schnell in Vergessenheit gerät. Die Wende 1989/90 empfindet er als befreiend, behält aber auch hier seinen kritischen Blick auf die Ereignisse.


    Diesem Buch kann ich ohne Bedenken die volle Punktzahl erteilen.


    5ratten:tipp:


    Abschließend noch eine sehr treffende Bemerkung aus dem Klappentext:


    »Wenn man unter den deutschsprachigen Schriftstellern unserer Jahrzehnte denjenigen auszeichnen wollte, der die Arroganz bis zum letzten Hauch aus seiner Sprache getilgt und die Fairneß zur Arbeitsmoral erhoben hat, gehörte Günter de Bruyn der Preis.«
    Sibylle Wirsing, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

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    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Danke für Deine schönen Rezis. Ich habe beide Bücher auf meinem SUB und werde sie bald lesen. Ich bin Deiner Meinung: die Beschäftigung mit Geschichte ist immer wichtig und über die jüngste deutsche Geschichte kann man gar nicht genug wissen.