Assia Djebar - Fantasia

  • Die Eroberungs- und Befreiungskriege Algeriens im 19. und 20. Jahrhundert bilden den Hintergrund für diesen vielschichtigen Roman. Assia Djebar verarbeitet in diesem Buch die längst nicht abgeschlossene Kolonialgeschichte ihres Landes. Vorherrschende Perspektive ist dabei die der Frauen - Frauen als Opfer und Täter, Frauen auf der Suche nach ihrer Identität.


    Die Frauen der algerisch-berberischen Kultur stehen im Mittelpunkt dieses weiten Panoramas über fast zwei Jahrhunderte. Die blutige, brutale Geschichte der Kriege gegen die französischen Kolonisatoren wird hier nicht in Form eines Nationalepos oder Heldenmythos aufgearbeitet. Stattdessen werden die Menschen im Hintergrund in den Mittelpunkt gerückt - und es wird deutlich, dass niemand unbeteiligt bleiben kann. Djebar versucht, den häufig analphabetischen, unterdrückten und im öffentlichen, veröffentlichten Leben kaum wahrnehmbaren Frauen eine Stimme zu geben. Es sind einfache Frauen, die sie hier zu Wort zu kommen lässt - Bauersfrauen, Witwen einfacher Soldaten.


    Den Krieg zu beschreiben fällt schwer. Je mehr die Frauen, die Djebar zu Wort kommen lässt, erlebt und erlitten haben, desto stummer werden sie. Entsprechend gebrochen ist auch der Stil des Romans, entsprechend schwer zu fassen der Inhalt. Historische Berichte über Schlachten und Feldzüge wechseln ab mit den persönlichen Erinnerungen von Mädchen und Frauen, unterschiedlichste Szenen aus verschiedenen Epochen sind scherenschnittartig aneinander gesetzt. Zwischendurch meldet sich immer wieder die Autorin selbst zu Wort, reflektiert über das Gehörte und ihr eigenes Verhältnis dazu. Sie setzt sich mit ihrer eigenen Existenz als Schriftstellerin auseinander, mit ihrem Verhältnis zur eigenen Muttersprache und zur Sprache der Feinde, dem Französischen, in der sie ihre Bücher schreibt.


    Faszinierend ist dabei der Gegensatz zwischen diesen einzelnen Passagen. Die stilistisch ausgefeilten, oftmals sogar poetischen und mit einem theoretischen, eurozentristischen Weltbild unterlegten Berichte von Offizieren und Kriegsberichterstattern sind beängstigend zu lesen. Die Auslöschung eines ganzen Stammes durch Ausräuchern in einem Höhlensystem ist nunmal eine grauenvolle Begebenheit, auch wenn sie noch so bejubelt wird. Noch beängstigender wirken sie allerdings im Kontrast zu den eingestreuten Erzählungen der Frauen, die voller Demut daherkommen.


    Umso befreiender wirken dann die menschlichen, lebensbejahenden Anekdoten. Wenn der Vater der Erzählerin seine Frau plötzlich in der Öffentlichkeit gegen jede Tradition beim Namen nennt, damit zu ihr steht und ihr in einer feindlichen Welt eine Identität gibt, ist dies unglaublich berührend. Und die französischen Schulen, die auch den Mädchen die Chance auf Bildung und damit des Ausbruchs aus den Traditionen geben, machen Hoffnung. Studierte Mädchen müssen keinen Schleier tragen, suchen sich ihre Männer selbst aus und können in der Welt selbständig ihren Weg gehen - allerdings um den Preis, dass die französische Sprache ihre Muttersprache(n), das Berberische und das Arabische, langsam aber sicher als Mittel des Ausdrucks überwindet. Die Sprache und Schrift der Eroberer erweisen sich letztendlich als stärker als die alten Erzählungen, Gesänge und Tänze, und eine Balance ist schwer zu finden.


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