Meir Shalev - Fontanelle

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  • Meir Shalev - Fontanelle


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    Klappentext:
    Die bizarre Familiengeschichte des Joffe-Clans, erzählt aus der Sicht eines Mannes, dessen Fontanelle auch im Erwachsenenalter noch nicht geschlossen ist udn der dadurch mehr wahrnimmt, als ihm manchmal lieb ist.


    Meine Meinung:
    Dieser Klappentext hat mich damals ungeheuer neugierig gemacht. Ich war gespannt, was dieser Mann alles bei seinen Mitmenschen wahrnehmen wird, was sonst im Verborgenen bliebe. Doch am Ende des Buches musste ich leider feststellen, dass diese offene Fontanelle gar nicht wirklich relevant für die Geschichte war. Genauso gut hätte man die Familiengeschichte der Joffes auch ohne Michaels Fontanelle erzählen können.


    Die Geschichte der Joffes ist wirklich an Skurrilität kaum zu überbieten. Die Großmutter, die auf den Schultern des Großvaters durch die Wüste reitet und den Ort bestimmt, an dem der Hof des Joffes begründet werden soll. Eine Tochter, die so schön ist und nicht altert, da ihr Mann ihr verbietet das Haus zu verlassen; eine Tochter, die nur mit einem Mann an der Seite schlafen kann; eine Tochter, die einem ganz besonderen Gesundheitswahn verfallen ist und eine Tochter, die einen Deutschen liebt - entstehen aus dieser Verbindung. Jeder Einzelne in dieser Familie, ob zugeheiratet oder darin geboren, hat etwas Besonderes. Diesen Teil des Buches zu lesen war ungeheuer aufregend. Leider wird die Geschichte nicht als ein chronologischer Faden erzählt, sondern Michael - die Fontanelle - schreibt die Familiengeschichte auf, innerhalb des Buches. Dadurch wird das Ganze stellenweise ziemlich undurchsichtig, da sich Erinnerungen, Jetzt und Geschriebenes ohne Abgrenzung vermischen.


    Daneben wird noch die Geschichte von Michael erzählt. Er ist der Enkel und Sohn der Hypervegetarierin. Als 5-jähriger verbrennt er fast in einem Feld, doch wird er von Anja, der Frau des Schulleiters - die an jenem Tag neu in den Ort kommen - gerettet. Diese Frau wird die Liebe seines Lebens. Die Entwicklung ihrer Beziehung zueinander fand ich extrem befremdlich. Da hätte ich gut und gerne darauf verzichten können.


    Shalev hat meines Erachtens aus einer guten Idee, extrem wenig gemacht. Die Fontantelle spielt eine viel zu geringe Rolle. Er hätte sich entweder auf dieses Thema mehr einlassen sollen oder aber nur die Familiengeschichte schreiben. Die ersten 60 Seiten sind nur Vorläufer, für die wirklich Geschichte der Familie und wäre dieses Buch nicht ein Wettbewerbs-Sub-Buch, so hätte ich es in die Ecke geknallt. So aber habe ich mich durchgerungen und auch viele schöne Momente im Buch gehabt.


    Die Geschichte der Joffes hätte 5 Ratten verdient, jedoch die Geschichte von Michael und Anja, sowie die stellenweise Undurchsichtigkeit, der extrem langweilige Anfang, haben mir das Lesevergnügen doch etwas vermiest. Deshalb gibts nur:


    3ratten


    lg
    bane

  • Meir Shalev - Fontanelle

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    OT: Fontanella
    OA: 2002
    574 Seiten
    ISBN: 978-3257235548


    Inhalt:


    'Fontanelle' ist die bizarre Familiengeschichte des Joffe-Clans, erzählt aus der Sicht eines Mannes, dessen Fontanelle auch im Erwachsenenalter noch nicht geschlossen ist und der dadurch mehr wahrnimmt, als ihm manchmal lieb ist.


    Eigene Meinung:


    Meir Shalev erzählt die Geschichte der Familie Joffe mit „o“. Dieses Familie ist mir auf den 574 Seiten des Buches so sehr ans Herz gewachsen, dass ich das Gefühl habe, ich habe sie gekannt. Diese Familie ist eigentlich völlig verrückt, aber nicht minder liebenswert. Sie sind nicht perfekt, aber genau das macht sie so liebenswert und authentisch. Sie haben genau die Eigenschaften in ihrer Mitte versammelt, welche wir alle mehr oder minder auch von uns kennen. In so manchem Mitglied dieser Familie erkennen wir auch einen Teil von uns. Diese Familie, auch wenn wie oben schon erwähnt ist ein wenig schrullig und verrückt, aber niemals auch noch ansatzweise lächerlich dargestellt. Der Grund hierfür ist Shalevs Art Geschichten mit solch einer Herzenswärme, mit Liebe und Humor zu erzählen, wie ich sie von ihm bereits in vielen seiner Bücher kennengelernt habe. Es gibt Stellen, die sehr traurig sind, die nachdenklich machen, aber auch solche, die einen laut und herzlich lachen lassen. Es sind Geschichten des alltäglichen Lebens, welche uns erzählt werden, welchen der Autor einen ganz besonderen Zauber verleiht. Er schenkt seinen Protagonisten Würde und Werte welche heute leider oftmals an Bedeutung verloren haben. Er erzählt von dem Zusammenhalt einer Familie, auch in den unglaublichsten Situationen, von Freundschaft, einer großen Liebe, einer vergangenen Liebe, einer verlorenen Liebe, großen Sehnsüchten und dem Vertrauen zueinander.
    Wie schon so oft, hat es auch dieses Mal Meir Shalev geschafft mich von der ersten Seite an in seinen Bann zu ziehen, mit dem Zauber seiner Figuren berührt und mit seiner Geschichte meine Seele getroffen. Ein Buch von Meir Shalev zu lesen ist für mich, als würde mein Geist nach Hause kommen.


    5ratten und auf alle Fälle ein :tipp:


    Tina

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    Michael Joffe hat eine Besonderheit: seine Fontanelle, die weiche Stelle am Kopf, die sich normalerweise im Babyalter schließt, ist offen geblieben, und er ist dadurch sehr empfänglich für Stimmungen und Vorahnungen.


    Er wächst in einem Dorf in Israel in einer Großfamilie auf, in der es zahlreiche Familienlegenden, -traditionen und -gewohnheiten gibt, die von Generation zu Generation weitergereicht werden, und überlebt als Fünfjähriger einen Brand im Getreidefeld, weil ihn eine neue Nachbarin rechtzeitig entdeckt und rettet. Sie ist dann auch (ziemlich Irving-like) diejenige, mit der er die ersten erotischen Berührungen erlebt (etwas verstörend, das).


    Anfangs ist diese Familiengeschichte ein wenig anstrengend zu lesen, weil sie nicht linear erzählt wird, sondern sich Gegenwart und Vergangenheit mit den Familienmythen vermischen und Michael seine eigene Erzählung noch mit Einschüben kommentiert. Irgendwann habe ich mich dann aber entschlossen, den märchenhaften Touch und die verschlungene, ausschweifende Erzählweise einfach hinzunehmen, und jetzt gefällt es mir ganz gut, denn die Sprache ist schön und das Personal interessant.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Michael Joffe wächst im noch jungen Staat Israel auf einem Selbstversorgerhof auf, wie auch sein ungefähr gleichaltriger Cousin Gabriel. Während letzterer als frühgeborenes Kind lange recht zart ist und von allen umsorgt wird, gibt es bei Michael eine andere, bleibende Besonderheit: seine Fontanelle, die Knochenlücke am Kopf, die bei Babys noch offen ist, schließt sich nie ganz. Das bedeutet körperlich nicht viel mehr, als dass sich Berührungen dort unangenehm anfühlen, doch seine Fontanelle verleiht Michael besondere Empfindsamkeit für zwischenmenschliche "Schwingungen" und manchmal sogar regelrecht prophetische Fähigkeiten.


    Nur wenige Menschen wissen davon, abgesehen von seinen Eltern und seiner Frau. Und Anja, die Frau des Lehrers, die ihn als Kind aus einem brennenden Kornfeld gerettet hat und zu der er eine besondere Bindung entwickelt, wie sie zu ihm.


    Ansonsten ist er ein Kind wie alle anderen, das Familienleben ist geprägt von den Gegensätzen zwischen seinen Eltern - der Vater, ein lebenslustiger Kriegsveteran, hat im Einsatz zwar einen Arm, aber nicht die Libido verloren (seine "Zatzkes", Geliebte, sind ein offenes Geheimnis), die Mutter hingegen ist eine verbissene Gesundheitsapostelin, die Fett, Zucker und Fleisch den Kampf angesagt hat und eigentlich nur glücklich ist, wenn sie draußen arbeiten kann - und den Geschichten des Großvaters, regelrechte Legenden, die sich um seine Ankunft in der heutigen Siedlung ranken und um die Schicksale seiner vier Töchter und die man sich immer und immer und immer wieder erzählt.


    Shalev präsentiert auf vielen Seiten eine überbordende, ausschweifende Familiengeschichte, die zur britischen Mandatszeit beginnt und sich über die nächsten gut 50 Jahre erstreckt, jedoch nicht linear verläuft, sondern sich in wilden Windungen durch die Zeitebenen schlängelt. Diese mäandernde Erzählweise macht die Lektüre manchmal anstrengend, ebenso wie die vielen schon fast märchenhaft anmutenden Elemente, was bewirkt, dass die Figuren nicht gänzlich lebendig werden, sondern eher Märchen- oder Legendengestalten bleiben.


    Nicht nur die Fontanelle als besondere "Antenne" und Hort der Prophetie ist ein solches Element, sondern etwa auch, dass die Joffes allesamt kompletten Gedächtnisverlust erleiden, wenn sie Blut verlieren oder Kinder stillen. Diese und viele andere Anklänge an den magischen Realismus konnten mich nicht so recht begeistern, genausowenig wie verstörende Episoden wie die sexuelle Initiation eines kleinen Jungen durch eine erwachsene Frau oder die Tante, die ihren Verlobten jung verloren hat und seitdem nur einschlafen kann, wenn sich ein junges männliches Familienmitglied im Bett an sie schmiegt.


    Geschichten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle in diesem Buch. Diesen Prozess der Legendenbildung, bei dem man sich Anekdoten so oft erzählt, bis sie so etwas wie einen innerfamiliären Kanon bilden, und die Entwicklung eines für Außenstehende völlig unverständlichen Familienslangs, der sich wiederum häufig aus den legendären Episödchen von anno dunnemals speist, hat Shalev schön beobachtet und eingefangen. Gar so viele Wiederholungen von Familiendönekens und bestimmten Erzählmotiven wären allerdings nicht nötig gewesen.


    Interessant ist der Einblick in den frisch gegründeten Staat Israel, seine Entstehung und seine Weiterentwicklung. Dem Verständnis dabei sehr dienlich ist das recht umfangreiche Glossar am Ende des Buches. Als Familienroman hat mir das Buch jedoch weniger gut gefallen. Es ist natürlich auch kein Buch, dass sich gut in stressigen Phasen lesen lässt, vielleicht war das (mit) der Fehler.


    3ratten

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