Lion Feuchtwanger - Die Jüdin von Toledo

Es gibt 1 Antwort in diesem Thema, welches 5.226 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von kaluma.

  • "Die Jüdin von Toledo" (dtsch. 1955 unter dem Titel "Spanische Ballade")


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Mit Lion Feuchtwangers Roman „Die Jüdin von Toledo“ gehen wir zurück in die Geschichte, in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts, als Alfonso VIII. König von Kasilien war. Doch bevor wir in diese Zeit rücken, erzählt Feuchtwanger uns die Vorgeschichte, wie die Moslems nach Spanien gekommen sind, dort herrschen und wie gut es den Unterworfenen, den Christen und den Juden, unter des moslemischen Herrschaft geht. Moslemische Gelehrte übersetzen die Evangelien ins Arabische. „Den zahlreichen Juden, die von den christlichen Westgoten unter strenges Ausnahmerecht gestellt worden waren, räumten sie bürgerliche Gleichheit ein“. Die Juden haben damals in Spanien eine glückliche Zeit, sie stellen in dem Kalifenstaat sogar höhere Beamte, Minister und Leibärzte, sie gründen Fabriken, treiben Handel bis über die Meere hinweg, entwickeln philosophische Systeme und und und...Kurzgefasst lässt sich sagen, damals entwicklt sich in Spanien eine Hochkultur, in der Christen, Juden und Moslems friedlich in hoher kultureller Blüte zusammenleben. Doch hält das nicht ewig. Über dreihundert Jahre später wird dieses friedliche Miteinander zerstört. Es kommt die Zeit der Kreuzzüge und im Norden Spaniens ziehen sich christliche Westgoten zurück und bilden „kleine unabhängige Grafschaften“, daraus sich schließlich das Königreich Kastilien entfaltet.


    Spanien ist gespalten. Alfonso VIII. führt im Norden, in Toledo, ein christliches Reich, der Süden Spaniens mit Sevilla als Hauptsitz ist den Moslems überlassen. Offiziell ist im moslemischen Süden den Juden der Aufenthalt verboten. Die Juden, die in Sevilla bleiben, schützen sich, indem sie sich offiziell zum moslemischen Glauben bekennen, pflegen im Untergrund aber ihre jüdischen Gebräuche und Gebetshäuser. So lebt auch der reiche jüdische Kaufmann Ibrahim in Sevilla offiziell als Moslem, wird aber ins christliche Kastlilien berufen, um dort als Minister (Escrivano) das wirtschaftlich angeschlagene Kastilien wieder zum Wohlstand zu führen, und da er dort wieder als Jude leben kann, nennt er sich wieder so, wie er geboren war: Jehuda Ibn Esra.


    Als christlicher Ritter fühlt sich Alfonso zum Kreuzzug getrieben, er ist aber an einem achtjährigen Friedensvertrag mit dem Emir von Sevilla gebunden. Der diplomatischen Kunst Jehudas ist es zu verdanken, dass Alfonso lange Zeit vom Krieg ferngehalten, stattdessen der wirtschaftliche Aufschwung angekurbelt wird.


    In dem Roman spielt eine gewisse innere Dramatik eine große Rolle, hier wird gerungen mit Gewissensentscheidungen. Das hat mir sehr gefallen, weil wir auf dieser Ebene auch mal von den chronischen Ereignissen wegkommen und menschliche Seiten hervorgekehrt werden. Vor allem wird das religiöse Gewissen ins Zentrum gerückt. Der im multikulturellem Raum aufgewachsene muslimische Gelehrte Musa, Jehudas Freund und Berater, hat kein Problem damit, wenn er über den Propheten Jesaja sagt: „Das war ein großer Dichter, vielleicht ein größerer als der Prophet Mohammed und der Prophet der Christen.“ Man mag ihm eine gewisse Laxheit des Glaubens ansehen zu wollen, wie das im Roman auch getan wird, aber er ist doch viel mehr. Er tritt im Roman als großer weiser Mann auf, ein Mann, der in den Philosophien der damaligen Welt zu Hause ist, egal ob sie aus dem Judentum oder aus dem Islam kommen. Er verkörpert noch die kulturelle Einheit, die mal in Spanien alltäglich war. Die religiösen Gewissenskämpfe setzen mit Jehudas Kindern ein, der schönen Raquel, die zu Alfonsos Nebenfrau wird, der ihr das Haus „La Galiana“ schenkt, durch sie, er, Alfonso, seine Frau Doña Leonor vergisst, wie auch schon ein Dichter sagt: „Der König verliebte sich heftig in eine Jüdin, die den Namen Fermosa, die Schöne, trug, und er vergaß sein Weib.“(Alfonso el Sabio, Crónica General, um 1270). Und dann ist da noch der Sohn Alazar, der sich zum Ritter bilden lässt und sich von Jeduha, dem diese Angelegenheit so ziemlich plagt, immer mehr entfernt. Doch kehren wir zu Raquel zurück, die im Roman eine wesentliche Rolle spielt. Allmorgendlich betet sie die Eingangssure des Korans, macht sich aber Gedanken, ob sie, sich zum Propheten bekennend, „überhaupt in dem Großen Buch der Juden lesen“ dürfe, wo doch im siebenten Verse geschrieben steht „Allah möge seine Gläubigen fernhalten vom Wege derer, denen er zürne.“ Das Problem, was Lion Feuchtwanger hier anspricht, ist die Assimilation von Religionen, bei der in diesem Beispiel die jüdische Zugehörigkeit fast vergessen wird. Wenn man den Gelehrten Musa anschaut, möge man auch daran denken, aber bei Jehuda ist das nicht möglich, denn der überaus kluge Jehuda Ibn Isra, möchte unter keinen Umständen, dass sich seine jüdische Tochter zum Christentum bekennt, wie Alfonso das fordert. In Wahrheit hebt sich wie am es am Beispiel der großen Liebe zwischen Alfonso und Raquel vorgeführt wird, die Liebe über alle Glaubensdifferenzen. Ich glaube, dieses wollte Feuchtwanger uns sagen.


    Die ganzen für mich sehr komplexen Verhältnisse zwischen Aragon und Kastilien lasse ich hiermal weg. Letztendlich sind es aber doch die menschlichen Seiten, die den Roman für mich unvergesslich machen. Durch Doña Leonor wird Alfonso doch in den Krieg getrieben, der für Alfonso ein „Heiliger Krieg“ ist, aber der Autor des Romans zeigt dem Leser, dass dieses doch anzuweifeln ist. Es ist Alfonsos Überheblichkeit und Kriegsgier, die ihn in die Niederlage gegen die Muslime in der historisch verbürgten Schlacht bei Alarcos treibt. In der Auseinandersetzung, ob der Krieg heilig ist oder nicht, schenkt uns Feuchtwanger einen kleinen Einblick in historische Quellen.


    Zitat von "Feuchtwanger"

    Der Domherr schlug den Montanisten Tertullian auf: „Ein Christ wird nicht Soldat“, hieß es da, „und wenn ein Soldat Christ wird, tut er am besten, den Dienst zu verlassen.


    Wird im Mittelalter als vorgeschobener Grund die Brunnenvergiftung für Progrome gegen Juden gegeben, ist es jetzt die Schuld an der Niederlage bei Alarcos, die als Vorwand zur Gewalt gegen Juden gilt, außerdem so sagt man, habe Alfonso sich mit der Jüdin Raquel versündigt.


    „Die Jüdin von Toledo“ bezieht sich zwar auf Ereignisse des 12. Jahrhunderts in Spanien, gegründet ist der Roman aber im Alten Testament, im Buch Esther. Ereignisse und Personen von dort werden ins mittelalterliche Spanien transportiert (im fünften Kapitel des Zweiten Romanteiles wird auf das Buch Esther ausführlich verwiesen). Der Roman kristallisiert sich dadurch noch stärker als ein Roman mit jüdischen Wurzeln heraus. In Westdeutschland erschien der Roman 12 Jahre nach dem zweiten Weltkrieger erstmals im Jahre 1955 unter dem Titel „Spanische Ballade“, in dem zu lesen ist


    Zitat von "Feuchtwanger"

    ...aber nirgendwo waren bisher die Juden grausamer verfolgt worden als in deutschen Landen...


    Der von großer Menschenfreundlichkeit geprägte Roman zeigt auf, dass die Hoffnung auf Frieden nie vergehen wird, und für Juden eine „bürgerliche Gleichheit“ zur Selbstverständlichkeit wird.


    Zitat von "Feuchtwanger"

    Ein Jahrhundert lang hatten jüdische Ratgeber ihre kastilischen Könige zur Vernunft gemahnt.


    Zum 50. Todestag des Autors sendet 3Sat am 21.12.2008 um 11.30Uhr "Zeugen des Jahrhunderts: Marta Feuchtwanger."

    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Inhalt:


    Eine tragische Liebesgeschichte


    La Fermosa, die Schöne, wird im mittelalterlichen Spanien Raquel, die Tochter des angesehenen Juden Jehuda Ibn Esra, genannt. In König Alfonso VIII. von Kastilien erwacht bald eine tiefe Leidenschaft für die gebildete, schöne junge Frau, und was für Raquel als politisches Opfer im Interesse der Vernunft und des Friedens begann, wächst auch bei ihr zu einer stürmischen Liebe für den mutigen König.


    "Liebesszenen von glühender Leidenschaft und der heißen Sinnlichkeit südlicher Temperamente." (Marcel Reich-Ranicki)



    Meine Meinung:


    Zum Glück habe ich die Inhaltsangabe und den Kommentar von Marcel Reich-Ranicki auf der Rückseite des Buches erst gelesen, als ich schon mitten im Lesen war. Sonst hätte mich das wohl abgeschreckt.


    Es handelt sich hier keineswegs um eine reine Liebesgeschichte, sondern um einen Roman mit sehr vielen Aspekten, und immer noch hoher Aktualität.


    Wir befinden uns im Spanien des 12. Jahrhunderts. Die Zeit wird nicht explizit genannt, was es mir anfangs etwas schwer machte, den Roman zeitlich einzuordnen, denn in der Geschichte Spaniens bin ich nicht zuhause. Erst als auch Frankreich und England erwähnt wurden, fand ich mich zurecht.


    Es geht hier auch um Liebe, aber vor allem um Geschichte, um Politik, um Moral, um menschliche Entscheidungen und Gewissenskonflikte. All das ist in Feuchtwangers klarer, bildhafter und leichtverständlicher Sprache geschrieben, die ich so liebe. Es gelingt ihm einfach, die Dinge so zu schildern, dass man richtig eintauchen kann ins Spanien des Mittelalters. Sein Text ist voll von Details, die ihn lebendig machen, und dabei bringt er die wesentlichen Dinge sehr klar auf den Punkt.


    Hochspannend fand ich es, die Politik und die Intrigen von König Alfonso VIII., seiner Frau und seiner Widersacher zu verfolgen. In dieser Zeit existierten in Spanien Islam und Christentum nebeneinander. Feuchtwanger gibt uns einen kurze geschichtliche Zusammenfassung der Hin- und Her-Eroberungen zwischen Christen und Moslems, und über die Lage der Juden, die zwischen den Fronten steckten und zur Aufgabe ihrer Religion gezwungen wurden. Folglich ist auch eines der Themen des Buches das Nebeneinander der drei großen abrahamitischen Religionen: Judentum, Islam, Christentum. Hier wird vorgeführt, wie viel Unheil aus dem Streit darum erwächst, welche Religion die richtige ist. Jede Religion bezeichnet die anderen gleichermaßen als "Ungläubige". Man fühlt sich an Lessings "Nathan der Weise" erinnert. Die sympathischsten, weil friedlichsten und klügsten Vertreter der drei Religionen im Buch haben denn auch gar kein Problem miteinander, sondern kommen bestens miteinander aus.


    Ein weiterer Aspekt, der mir beim Lesen wichtig schien, war die Klarheit, mit der Feuchtwanger die Absurdität des mittelalterlichen Rittertums und Eherbegriffs herausarbeitet. Ein guter Ritter hält nicht viel vom Frieden, und schon gar nicht davon, durch friedliche Arbeit Reichtum zu mehren. Nein Reichtum gewinnt man, indem man Gebiete erobert und plündert und also anderen mit Waffengewalt die Früchte ihrer Arbeit wegnimmt. Ganz toll.


    Nächster Aspekt: Jehuda Ibn Esra, eine der Hauptpersonen des Buches und Berater des Königs, heute würde man Wirtschaftsminister sagen, nutzt seine hohe Stellung, um klug zu planen, den Reichtum des Königs zu mehren und Frieden und Wohlstand für das ganze Land zu erreichen, was auch seinen jüdischen Volksgenossen zugute kommt. Doch der Erfolg steigt ihm zu Kopf, er sieht sich von Glück begünstigt und in Versuchung, hochmütig zu werden, zu spielen, seine Macht zu gebrauchen und zu mehren. Auch eine höchst aktuelle Fragestellung: vergessen wir nicht manchmal über allem, was uns gelingt, die Tatsache, dass wir unser Schicksal nicht komplett selber in der Hand haben und eine Veränderung der Umstände alle unsere Pläne zunichte machen kann? Und dass Macht nicht missbraucht werden sollte? (wie es übrigens König Alfonso ständig tut).


    Was sind die Beweggründe unserer Entscheidungen - Jehuda muss sein persönliches Wohl und das seiner Tochter gegen das Wohl von Tausenden Juden in Toledo abwägen. Er entscheidet nach bestem Gewissen, befindet sich jedoch mehr als einmal in Gewissensnöten. Übrigens gibt es hier Parallelen zur Bibel: die Geschichte Jehudas und seiner Tochter Raquel ähnelt stark dem Buch Esther.


    König Alfonso, der christliche Ritter, der unbedingt seinen Kreuzzug gegen die Moslems führen will, macht gegen Ende des Buches eine Wandlung durch. Zunächst willkürlicher, gewalttätiger Herrscher mit einem Faible für Krieg und Kampf, wird er durch die Liebe zu Raquel von seinen Plänen abgelenkt und kommt durch die doppelte Verlusterfahrung (im Krieg und in der Liebe) am Ende tatsächlich zu der Einsicht, wie segensreich Frieden sein kann.


    In der Schilderung seines Feldzuges gegen die Moslems wird die Sinnlosigkeit des Krieges an sich gezeigt, denn hier erleben die Personen der Geschichte, "... wie Dummheit und wüste Wut immer von neuem fortspült, was die Erkenntnis und die Arbeit von Jahrhunderten aufgerichtet haben." (S. 456)


    Deutlich wird auch, wie leicht es möglich ist, durch falsche Ehrbegriffe und eine merkwürdige Auffassung von Heldentum viele Menschen dazu zu bringen, mit Begeisterung in einen Krieg zu ziehen (kommt das uns Deutschen aus dem vergangenen Jahrhundert nicht irgendwie bekannt vor?) Feuchtwanger nimmt im Nachwort dazu Stellung: "Sichtbar machen wollte ich, wie die Magie dieses Kriegertums sogar jene anzieht, die seine Verderblichkeit durchschauen. Raquel spürt, wie unheilvoll sich Alfonsos Tollkühnheit auswirken muß - und liebt ihn. Was sie, die Wissende, an dem unheilvollen Manne lockt, sollte zum Sinnbild werden aller Verführung, die von dem Kriegerischen, dem Abenteuerlichen ausstrahlt und zuweilen auch die Erkennenden blendet." (S. 505)


    Fazit: Für mich ist dies nicht nur ein unterhaltsamer historischer Roman, nicht direkt eine Liebesgeschichte, sondern in allererster Linie ein Antikriegsbuch.


    5ratten + :marypipeshalbeprivatmaus::tipp:

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.