Kate Chopin - Das Erwachen

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  • Das war mir gar nicht bewusst. Ich hatte sie im Geiste eher Mitte des 20. Jahrhunderts einsortiert :redface:


    Und ich hatte sie eher in die Sparte "Seichte Frauenliteratur" gesteckt. Aber das ist ja ein Schicksal, das vielen älteren Schriftstellerinnen widerfährt, die eigentlich mit ihren männlichen Kollegen durchaus mithalten konnten. Ich denke da z. B. an Tania Blixen.


    Das Beschaffungsproblem habe ich dennoch nicht, da das Buch schon seit Ewigkeiten bei mir subt. Danke für die Buchvorstellung, tina!

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Über Weihnachten habe ich Das Erwachen gelesen. Obwohl es bereits 1899 erschien ließ es sich schnell und angenehm lesen, Chopins Stil ist toll, ihre Beschreibungen sehr bildhaft und auch zwischen den Zeilen gibt es viel lesen. Es hätte mir gut gefallen, wenn ich mich mit der Hauptperson Edna hätte anfreunden können. Sie war mir quasi von Beginn an unsympathisch, ihre Launen, ihr ständiges Schwanken und ihr "Gejammer" sprachen mich so gar nicht an. Natürlich muss man die damalige Gesellschaft bedenken und dass Edna nicht viele Möglichkeiten hat, zumindest nicht ohne einen Skandal zu provozieren, trotzdem kann nicht mit ihr mitleiden. Auf der einen Seite nimmt sie sich das Recht heraus zu tun was sie will, ohne Erklärung für irgendjemanden, auf der anderen Seite bringt sie dann aber nicht den Mut auf, es mit ganzer Konsequenz zu tun. Auch ihr Verhältnis zu ihren Kindern ist mir völlig unverständlich, ihr Umgang mit ihnen scheint mir ziemlich oberflächlich, immer so wie es gerade ihrer Laune entspricht, aber ohne echte Liebe, vom Verhältnis zu anderen Personen ganz zu schweigen. Das Ende fand ich dementsprechend nicht verwunderlich. Es hat mich leider ziemlich kalt gelassen, ganz im Gegensatz zu den Kritiken und Chopins Schicksal...dass sie nach den Verrissen nie wieder einen Roman schrieb finde ich sehr schade, es muss sie sehr getroffen haben :sauer:


    Ihre Antwort auf die Kritiken finde ich bezeichnend und ziemlich traurig...


    Zitat

    „Ich hatte eine Gruppe von Leuten zu meiner Verfügung und dachte, es könnte (für mich selbst) unterhaltsam sein, sie zusammenzuwürfeln und zu sehen, was geschehen würde. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Mrs Pontellier das Spiel derart verderben und so auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten würde, wie sie es schließlich tat. Hätte ich auch nur die leiseste Ahnung davon gehabt, dann hätte ich sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Aber als ich herausfand, was sie vorhatte, war das Spiel halb vorbei, es war schon zu spät.“

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Edna Pontellier ist 28 Jahre alt und Gattin eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Wie immer verbringt sie den Sommer in der Ferienkolonie auf einer Insel in Louisiana, wie immer tun viele Bekannte und Freunde dasselbe, wie immer frönt man der gepflegten Langeweile mit Essenseinladungen, Strandspaziergängen und geistreichem Geplänkel. Dazu gehört auch, ein wenig mit dem gutaussehenden Robert Lebrun zu flirten, wie es auch die anderen Damen gerne tun.


    Doch als ihr Robert endlich das Schwimmen beibringt und Edna sich zum ersten Mal alleine hinauswagt, spürt sie, dass sich in ihr etwas verändert, dass sie mehr ist als die Ehefrau von Léonce Pontellier, die Mutter zweier kleiner Söhne, die gewandte Dame von Welt, die alle Regeln der Gesellschaft beherrscht. Da ist etwas in ihr, das nur ihr allein gehört, ein Freiheitsdrang, der tief empfundene Wunsch, einfach nur sie selbst sein zu dürfen, ohne dass man von ihr erwartet, eine Rolle zu spielen und in dieser voll und ganz aufzugehen.


    Ednas Selbstfindungsprozess schildert Kate Chopin in kleinen, zarten Szenen voller Poesie und Einfühlungsvermögen. Für die damalige Zeit - das Buch spielt Ende des 19. Jahrhunderts - sind Ednas Gedanken unerhört, geradezu skandalös. Eine Frau, die mehr als Ehefrau sein will, die nicht nur Mutter sein will, die einfach ihren Gefühlen folgt und darüber auch einmal ihre Pflichten sausen lässt, kann in dieser Zeit und gerade in ihrer gehobenen Gesellschaftsschicht nicht auf Verständnis anderer hoffen, und mehr als einmal ist Edna selbst ganz überfordert mit diesem Umbruch, der sich auf einmal in ihr abspielt.


    Auch ich als Leserin konnte nicht immer ganz nachvollziehen, wieso Edna so und nicht anders handelt, hätte mir manchmal gewünscht, sie hätte etwas lieber bleiben lassen oder aber anders angepackt, aber gerade dadurch, dass sie nicht immer überlegt agiert oder widersprüchlich ist, wurde ihr Gefühlsdurcheinander so greifbar. Und als ich anfing, mir vor Augen zu führen, wie wenig Wahl- und Einflussmöglichkeiten eine Frau in ihrer Stellung seinerzeit hatte, konnte ich sie deutlich besser verstehen und war so unglaublich dankbar, dass mir heute praktisch alle Türen offen stehen, wenn ich nur will.


    Ganz wunderbar auch die Sprache. Besonders schön fand ich diese Passage über das Meer:


    Zitat

    The voice of the sea is seductive; never ceasing, whispering, clamoring, murmuring, inviting the soul to wander for a spell in abysses of solitude; to lose itself in mazes of inward contemplation.


    The voice of the sea speaks to the soul. The touch of the sea is sensuous, enfolding the body in its soft, close embrace.


    4ratten


    EDIT: ich habe gerade gesehen, dass Tina die Passage ebenfalls zitiert hat, und außerdem noch ein weiteres Zitat genannt hat, das ich mir auch rausschreiben möchte :bussi:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Meine Meinung

    Vor der Lektüre hätte ich Das Erwachen auch später und in ein anderes Genre eingeordnet. Beim Lesen hat sich der Eindruck komplett geändert. Die Geschichte von Edna Pontellier zeigt, wie sehr eine Frau in ihrer Zeit zu funktionieren hatte. Sie sollte an der Seite ihres Mannes stehen, seinen Haushalt führen und die Kinder erziehen, aber keine eigene Meinung geschweige denn eine eigene Lebensvorstellung haben.


    Dass Edna eigene Ideen und Wünsche hat, kann ihr Mann nicht verstehen. Er tut es als Launen ab, die Frauen nun mal haben und ist eher irritiert, weil ihm das Unannehmlichkeiten bereitet. Ich hätte Edna nicht so eingeschätzt, dass sie ihre Wünsche in die Tat umsetzt. Da habe ich sie unterschätzt.


    Ein kleines, aber feines Buch.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.