Immaculée Ilibagiza - Aschenblüte (ich wurde gerettet damit ich erzählen kann)

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 4.348 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von leseliese.

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    Inhalt
    Immaculée Ilibagizas Kindheit und Jugend in einem kleinen Dorf in Ruanda verlaufen glücklich. Die Familie lebt in einem für dortige Verhältnisse luxuriösem Haus und kann es sich leisten alle Kinder zur Schule und später zur Universität zu schicken. Sie gehören zum Stamm der Tutis doch das ist für sie nicht wichtig denn Politik oder Stammeszugehörigkeit interessieren keinen von ihnen. Das ändert sich schlagartig als 1994 der Bürgerkrieg in Ruanda ausbricht und die Tutsi um ihr Leben fürchten müssen. Immaculée ist zu diesem Zeitpunkt an einer Universität in einer größeren Stadt doch nach Kriegsausbruch kehrt sie heim in ihr Dorf um bei ihrer Familie zu sein. Das ist ein verhängnisvoller Fehler denn auf einmal taucht eine Todesliste auf und sie und ihre Familie stehen ganz oben. Immer mehr Flüchtlinge versammeln sich um das Haus ihrer Eltern. Der Vater schickt sie und ihren jüngsten Bruder zu einem befreundeten Priester, doch der kann nur Immaculée verstecken. Drei Monate leben sie und sieben andere Frauen in einem kleinen Raum in dessen Haus. Immer wieder dringen Killer in der Haus ein und suchen sie doch sie finden das Versteck. als das Sclimmste vorbei ist und sie ihr Versteck verlassen kann ist sie die eine der Wenigen, die überlebt hat.


    Meine Meinung
    Immaculées Geschichte teilt sich in zwei Teile. Wenn sie von ihrem Leben vor dem Krieg erzählt spürt man deutlich die Liebe in ihrer Familie. Aber man sieht auch wie naiv gerade ihre Eltern der Gefahr gegenübergetreten sind. Sie glaubten nur weil sie gute Menschen und überall beliebt waren würde man ihnen nichts antun. Wie falsch dieser Gedanke war mussten sie nur zu schnell erfahren.
    Die Erlebnisse während des Kriegs erzählt Immaculée ganz anders. Sie distanziert sich von den Personen in der kleinen Kammer. Man erfährt nicht viel über die anderen Frauen und auch nicht viel über ihre eigenen Gefühle in dieser Zeit. Immaculée war schon immer religiös, aber jetzt ist Glaube das was sie am Leben erhält. Sie hat Visionen in denen Gott ihr sagt dass sie überleben wird und ihr Ratschläge gibt was sie nach dem Krieg tun wird. Genau damit habe ich meine Probleme. Ich kann verstehen dass jemand in dieser Situation sein Heil im Gebet findet aber dass man praktische Ratschläge bekommt geht mir doch ein bisschen zu weit vielleicht auch weil ich es nicht nachvollziehen kann.
    3ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich bin ja grundsätzlich kein Freund solcher medial verwerteten Lebensberichte oder -beichten, weil sie nicht nur unter literarischen Gesichtspunkten oft schlecht, sondern auch inhaltlich mangels Distanz fragwürdig sind – von Übertreibungen zugunsten eines Marketingeffekts (die nicht unbedingt auf die jeweiligen Autoren zurückgehen!) mal ganz abgesehen.


    Einiges dazu sollte man aber vielleicht schon sagen. Hutus und Tutsis sind nicht wirklich verschiedene „Stämme“ (ein Wort, das mir sowieso immer Bauchschmerzen verursacht). Vielmehr handelt es sich im wesentlichen um eine durch die Kolonialherrschaft im Sinne eines Divide-et-impera-Prinzips verstärkte soziale Schichtung, die in sog. „invented ethnicities“ aufgegangen ist. Will sagen: Es wird inzwischen als ethnischer Unterschied empfunden, obwohl ein solcher nicht biologisch oder wie auch immer nachweisbar ist, er ist konstruiert.


    Was die Naivität der Eltern angeht, die Du hier ansprichst, Kirsten – ich glaube, das kann man als Externer nur schwer beurteilen. Es gab natürlich Anzeichen, so den berüchtigten Radiosender Mille Collines (Ruanda wird das Land der tausend Hügel genannt), der schon vor den Massakern entsprechende Aufrufe gegen die Tutsis verbreitete. Aber niemand hat sich vorstellen können, daß es bereits Waffenlager und vorbereitete Listen für den Tag X gab. Wobei Waffen hier Macheten, Knüppel und ähliches „High-Tech-Gerät“ meint. Die Gewaltwelle selbst brach für die Nicht-Eingeweihten sicher im Zeitpunkt selbst und im Ausmaß überraschend los, sie dauerte etwa drei Monate und kostete rund 1 Mio Menschen das Leben: Eine Tagesquote, die selbst die Nazis nicht erreicht haben ... Zu verstehen ist der Genozid aber nur in einem längeren ruandischen Kontext sowie einem solchen des Nachbarlandes Burundi, das gleichfalls Konflikte zwischen Hutus und Tutsis kennt (von den Auswirkungen auf den Ost-Kongo, die es nicht einmal mehr in die Nachrichten schaffen ganz zu schweigen). Wer sich in diesem Zusammenhang mal darüber schämen will, Europäer zu sein und Politiker zu haben, die gerne ein „Nie wieder Ausschwitz!“ auf den Lippen führen, im Zweifelsfall aber lieber wegsehen, dem sei das Buch des verantwortlichen UN-Offiziers Roméo Dallaire empfohlen, das ich nur in Kleinstetappen lesen kann, weil es mich so furchtbar aufregt:


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    Shake Hands with the Devil (Handschlag mit dem Teufel, in Deutsch oop)


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo!


    Einiges dazu sollte man aber vielleicht schon sagen. Hutus und Tutsis sind nicht wirklich verschiedene „Stämme“ (ein Wort, das mir sowieso immer Bauchschmerzen verursacht). Vielmehr handelt es sich im wesentlichen um eine durch die Kolonialherrschaft im Sinne eines Divide-et-impera-Prinzips verstärkte soziale Schichtung, die in sog. „invented ethnicities“ aufgegangen ist. Will sagen: Es wird inzwischen als ethnischer Unterschied empfunden, obwohl ein solcher nicht biologisch oder wie auch immer nachweisbar ist, er ist konstruiert.


    Ups, das wußte ich nicht :redface: Vielen Dank für die Aufklärung.


    Was die Naivität der Eltern angeht, die Du hier ansprichst, Kirsten – ich glaube, das kann man als Externer nur schwer beurteilen.


    Da muss ich dir recht geben. Ich konnte aber nicht verstehen wie Immaculées Vater sich in die Höhle des Löwen begeben hat und um Hilfe bitten wollte. Schliesslich waren das diejenigen die auch die Mörder schickten. Jeder normale Mensch wäre geflohen weil er sich ausmalen konnte was passieren würde. Aber vielleicht ist es manchmal von aussen wirklich leichter zu beurteilen wie sich eine Situation entwickelt.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Ups, das wußte ich nicht :redface: Vielen Dank für die Aufklärung.


    Bitte, bitte, und das braucht Dir auch überhaupt nicht peinlich zu sein. Angesichts der verkürzten und vereinfachten Berichterstattungen, die uns hier typischerweise erreichen und angesichts dessen, daß das allgemein verbreitete Wissen über die Ereignisse 1994 in der Zeit seitdem nicht unbedingt zugenommen hat (nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“), sind derartige Mißverständnisse nicht überraschend. Ich nutze dann ja auch gerne solche Vorlagen, um ein paar Erläuterungen hinterherzuwerfen :zwinker:



    Da muss ich dir recht geben. Ich konnte aber nicht verstehen wie Immaculées Vater sich in die Höhle des Löwen begeben hat und um Hilfe bitten wollte. Schliesslich waren das diejenigen die auch die Mörder schickten. Jeder normale Mensch wäre geflohen weil er sich ausmalen konnte was passieren würde. Aber vielleicht ist es manchmal von aussen wirklich leichter zu beurteilen wie sich eine Situation entwickelt.


    Von außen und rückblickend. Gerade in der Anfangszeit haben es viele sicher wirklich nicht glauben können und wollen. Woher auch? Wer rechnet dann damit, daß der Nachbar, mit dem man sich gut versteht, mit dessen Kindern die eigenen spielen usw., einen auf einmal mit einer Machete umbringt, nur weil ein paar durchgeknallte Idioten Hetzparolen verbreiten? Außerdem gab es ja auch schon eine UN-Mission im Land. Mußte man denn nicht annehmen, daß die „Weltgesellschaft“ in Form der UN so etwas nicht zulassen würde? Maßnahmen ergreifen würde?


    Dallaire schreibt, daß Mitte April 1994, als die Massaker schon begonnen hatten, eine Gruppe Bürokraten vor Ort die Situation inspizierte und erklärte, sie würden ihrer Regierung kein Eingreifen empfehlen, da die Risiken hoch seien und es ja nichts weiter als Menschen hier gäbe. Deutlicher kann man seine Verachtung nicht machen. Von François Mitterand, dessen Sohn an Waffengeschäften in afrikanischen Bürgerkriegsgebieten (v. a. Angola) verdient hat, ist überliefert, er habe gesagt, ein Völkermord in diesen Ländern sei nicht so wichtig. Dallaire wurde auch die Verwendung des Begriffs „Völkermord“ in diesem Zusammenhang verboten, weil die UN dann gemäß Völkermordskonvention hätte intervenieren müssen. Stattdessen hat man die Mission verkleinert und Dallaire schon auf seine Warnungen Anfang 1994 hin alle Maßnahmen untersagt, die er überhaupt zur Verhinderung oder Eindämmung hätte unternehmen können. Zuständiger Leiter des Peacekeeping-Departments der UN war übrigens seinerzeit ein gewisser Kofi Annan ...


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Danke, Aldawen, für deine Infos. So etwas finde ich immer sehr spannend! Die Berichterstattung hier ist ja immer sehr gefärbt insbesondere wenn es Afrika betrifft.


    Ich habe vor kurzem "Ach, Afrika" von Bartholomäus Grill gelesen und habe da auch erst die Hintergründe des Bürgerkriges in Ruanda verstanden. Und habe mich mal wieder für uns Menschen geschämt... :redface: Insbesondere die Kolonialstaaten haben wirklich unglaubliches angerichtet.

    :leserin:<br />Walter Moers - Die Stadt der träumenden Bücher