Annette Pehnt - Mobbing

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    Über den Autor:


    Annette Pehnt (* 25. Juli 1967 in Köln) ist eine deutsche Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin mit Wohnsitz in Freiburg im Breisgau.


    Quelle: Wikipedia




    Klappentext:


    Wenn das Schlimmste passiert ist, muss man sich endlich nicht mehr davor fürchten, sagte Joachim. Er warf den Briefumschlag auf den Küchentisch. Und mit einem merkwürdigen Ausdruck der Erleichterung fügte er hinzu, sie haben es geschafft. Was sie gegen ihn vorbrachten, war gelogen. Aber Feinde, Gespenster, Verschwörungen gehörten seit Jahren zu unserem Leben. Jetzt musste er wenigstens nicht mehr über die Arbeit reden, jetzt hatte er keine Arbeit mehr. Was aber würde aus ihm werden, was aus uns? - Annette Pehnts klarer, feinsinniger Roman »Das Haus der Schildkröten«, von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen, widmete sich einem großen Tabu, dem Altern. Mit »Mobbing« gelingt ihr jetzt in der Verbindung aus Anteilnahme und literarischer Distanz ein glänzender Roman um ein drängendes Thema.




    Meine Meinung:


    Zitat

    „Es ärgert mich, wie Katrin über uns Bescheid zu wissen meint, ihre Bemerkungen geben mir das Gefühl, wir durchliefen eine Fallgeschichte, sie nimmt mir die Einzigartigkeit meiner Verzweiflung.“[ * ] (S.46)


    Der Verlust des Arbeitsplatzes, der damit verbundene finanzielle und soziale Abstieg einer mittelständischen Familie, die Veränderungen innerhalb der Paar-Beziehung mit redundant ablaufenden Gesprächen, bestehend aus Vorwürfen, Missverständnissen und Rückzug voreinander. Joachim ist der Protagonist von Annette Pehnts Roman „Mobbing“ - Er ist der Träger der Familie, das finanzielle Standbein, mit dem das schöne Haus im Grünen, der Kindergarten und sämtliche Freizeitangebote für zwei Kinder beglichen werden. Und doch berichtet nicht der Familienvater, sondern dessen Ehefrau. Sie berichtet von Anfeindungen gegenüber Joachim an seinem Arbeitsplatz, von der entstehenden Isolation, vom Mobbing durch die neue Vorgesetzte, durch die Kollegen; von der fristlosen Kündigung und den damit verbundenen Existenzängsten, von der eigenen Hilflosigkeit sich gegen die Ungerechtigkeit zu wehren und von Joachims Rückzug aus der Ehe, den vielen Gesprächen, die misslingen, weil beide nicht in der Lage sind ihre Gedanken zu formulieren; den Gesprächen, die nur aus Vorwürfen bestehen, aus der eigenen Isolation bestehen.
    Die Öffnung gegenüber dem Partner findet nicht statt – Joachim zieht sich zurück, wird ein einsamer Kämpfer und fühlt sich von seiner Ehefrau nicht genügend unterstützt. Sie weiß nicht, wie sie mit ihm umgehen soll, kann ihn nicht rückhaltlos unterstützen, will ein differenziertes Bild statt der einseitigen Beschreibung ihres Mannes. Das eigentliche Thema des Romans – das Mobbing – bleibt ein beinahe ausgespartes Thema; vieles deutet sich an, vieles bleibt im Ungefähren. Die Beschreibungen sind kryptisch und vielseitig auslegbar. Nur in Ausschnitten und zwar dialogisch, im Gesprächsszenen mit seiner Ehefrau, berichtet Joachim von den Problemen an seiner Arbeitsstellen – das Bild wirkt im Roman trotz der Ambivalenz deswegen so scharf gezeichnet, weil die Autorin gekonnt diese Gesprächsfetzen mit anderen Perspektiven verbindet. Immer wieder sind es Freunde und Bekannte, die wenig unterstützend wirken – die Ehefrau reflektiert diese, fühlt sich sogar ausgeschlossen, abgestoßen und missverstanden. Immer wieder gibt es Sequenzen von seiner Arbeitsstelle, wiederum nur kryptisch, die meisten sehr missverständlich, vieldeutig. Es entsteht der der Eindruck, dass das eigentliche Thema des Romans nicht das Mobbing ist, sondern hier eine Fallstudie präsentiert wird, wie sich der Verlust des Arbeitsplatzes auf das Leben einer gesamten Familie auswirken kann. Und geradezu stilistisch perfekt reihen sich da die Dialoge ein:


    Zitat

    “Hier erklang zum ersten Mal der Refrain, der uns seitdem begleitet. Er kann verschiedene Formen annehmen, sich in unterschiedliche Wendungen kleiden und sich unter anderen Vorzeichen in unsere Gespräche drängen.


    Er: Du warst nie dabei. / Sei froh, dass du nicht dabei warst. / Du hast keine Ahnung. / Du kannst dir das nicht vorstellen. / Das versteht nur einer, der es selbst erlebt hat.
    Sie: Dann halte ich lieber gleich den Mund. / Dann gehe ich eben ins Bett. / Was soll ich da noch sagen. / Wie sollen wir denn überhaupt noch reden.
    Er: Reden, reden, reden. / Worte sind eben nicht alles. / Immer dieses Gerede. / Dann geh doch ins Bett, du siehst sowieso müde aus.“[ * ](S. 37/38)


    Raffiniert, niemals langatmig, immer sehr lapidar beschreibt die Autorin den Verfall der Familie; sie konzentriert die Handlung auf einen Tag, den Valentinstag, sowie den darauf folgenden Sommer. Lakonisch reiht sich Beschreibung an Beschreibung; die Autorin selbst lässt ihre Figuren sprechen, sie belehrt nicht, sie reflektiert nicht. Der Roman wirkt dennoch wie eine Gesellschaftskritik; poetische Kraft entwickelt sich so dennoch – Nicht nur, wenn die Protagonistin die Sandburg von Kindern zerstört, weil diese ihre älteste Tochter nicht haben mitspielen lassen; und nicht nur, wenn beide nebeneinander liegen, nur schweigen und das einzige Geräusch das der Bienen im Vorgarten ist.


    Fazit:


    Ausnehmend gut, stilistisch sehr dicht und inhaltlich interessant finde ich diesen Roman der deutschen Autorin. Die Lösung nicht Joachim selbst, sondern seine Ehefrau sprechen zu lassen, um die Ungewissheit und Hilflosigkeit in der Familie darzustellen sowie die starke Veränderung in der Paar-Kommunikation halte ich für sehr gelungen. Ein „schönes“ Leseerlebnis.


    5ratten




    [ * ] Annette Pehnt: Mobbing; Serie Piper; München; Dezember 2008

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    Das Buch beginnt mit der fristlosen Kündigung Joachim Rühlers. Er hatte schon längere Zeit Probleme am Arbeitsplatz. Wie sich diese Probleme gestalten, ist hier aber zweitrangig. Wer Leuten beim Schikanieren eines Arbeitskollegen zuschauen will, wird enttäuscht werden. Die Einzelheiten des Mobbings erspart uns die Autorin, nur kleine Fetzen der Vorfälle kommen nach und nach zur Sprache.


    Interessant auch die Perspektive: nicht der gemobbte Joachim, sondern seine Ehefrau erzählt.


    Die Veränderungen, die in dem ausgegrenzten und gedemütigten Ehemann vorgehen, beeinflussen auch das Ehe- und Familienleben. Durch den veränderten Mann kann auch seine Frau nicht mehr dieselbe bleiben.


    Laut Klappentext geht es um Vertrauen, Achtung und Würde.
    Große Worte - aber ich habe genau diese Themen im Buch gefunden, auf großartige Weise in Worte gefasst.


    Die klare, reduzierte Sprache tat ein Übriges, mich restlos zu begeistern.
    Von mir gibt es 5ratten
    Ein echter :tipp:


    LG
    Mone

    Lach, wenn´s zum Weinen nicht reicht.<br /><br />:lesen:

  • Hallo!


    Danke für die Rezis! Ich habe es mir gleich notiert. Über dieses Thema lest man viel zu wenig.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Annette Pehnt


    Mobbing



    In einer nicht näher definierten deutschen Stadt leben lebt die Familie Rühler: Joachim, ein Angestellter der Stadt, seine Frau, früher Übersetzerin, und seine beiden kleinen Töchter.


    Als Jo eine neue Vorgesetzte bekommt, zeichnen sich erste Probleme ab, die sich immer mehr zuspitzen und in seine fristlosen Kündigung münden. Dieser Schlag trifft umso mehr, als Jo feststellt, dass seine Kollegen ihn getäuscht und sich auf die Seite der Chefin gestellt haben. Jos Selbstbewusstsein ist stark angeschlagen, und da er für den Arbeitsmarkt schon etwas alt ist, steht die finanzielle Zukunft der Familie in Frage. Das Eigenheim, der Lebensstandard, die Ansprüche sind nicht länger gesichert.


    Verunsichert ist auch Jos Frau, die Ich-Erzählerin. Die vorher solide Ehe bekommt Sprünge, die Beziehung kriselt, man zweifelt am anderen und an sich selbst.



    Der Erzählstil des kurzen Buches ist etwas untypisch, man gewinnt Einblicke durch nicht direkt zusammenhängende Momentaufnahmen. Alles wird konsequent einseitig aus Sicht von Jos Frau geschildert. Man schwankt zwischen Verständnis und Unverständnis für die Reaktionen der Beteiligten, während man den Fortgang beobachtet und sich ein wenig beklommen fragt, wohin das wohl führen wird.


    3ratten

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Meine Meinung
    Joachims Frau fragt sich, warum er nicht mehr im Haushalt hilft, wo er doch jetzt daheim ist. Sie kann nicht verstehen, warum er sich nicht mehr um die Kinder kümmert warum er sich an seinem Arbeitsplatz nicht ein bisschen mehr angepasst hat, statt auf stur zu schalten. Hätte er das getan, wäre er vielleicht nicht entlassen worden. Sie kann sich nicht in seine Lage versetzen und irgendwie kann ich das auch verstehen. Auf einmal verliert die Familie jede Sicherheit, die sie eben noch hatte. Die finanzielle, aber auch die Unterstürzung von Freunden und Bekannten.


    Joachims Situation isoliert ihn und seine Frau und mehr und mehr dreht sich alles nur noch um die Frage, wie es weitergeht. Für alles andere ist kein Platz mehr, auch nicht für die Nöte von anderen, denen es zumindest auf den ersten Blick besser geht. Als seine Frau das erkennt, ist es aber schon zu spät und viele Freunde haben sich schon von ihnen abgewendet, weil sie sich nur noch um sich selbst gekümmert haben.


    Auch das ist verständlich. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so, die in diese oder in einer ähnlichen Lage sind. Aber so deutlich gezeigt bekommen, wie schnell sich alles ändern kann und wieviel Schuld man doch selbst daran trägt, ist schon erschreckend.


    Ich habe mich nach der Lektüre bei dem Gedanken ertappt, welche Freunde ich in der letzten Zeit vernachlässigt habe, weil andere Sachen mich mehr beschäftigt haben.
    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich habe das Buch vor ungefähr einem Jahr gelesen und es hat mich stark zum Nachdenken angeregt. Mein Mitgefühl galt vor allem Joachim, da er ja doch in einer ziemlich schwierigen Situation steckt. Mobbing ist eines der grausamsten Dinge, die der Mensch erleben kann – und in unserer Gesellschaft leider viel zu weit verbreitet. Die Hilflosigkeit und Enttäuschung des Protagonisten, gepaart mit dem festen Willen, um den Job zu kämpfen und nicht aufzugeben, wird in dem Buch beeindruckend dargestellt. Ich stellte mir die Frage, was ich an seiner Stelle getan hätte – wäre ich gegangen, hätte ich mich der neuen Chefin angepasst oder hätte ich gehandelt wie Joachim?


    Interessant fand ich auch, dass die Geschichte aus Sicht von Joachims Ehefrau erzählt wird. So wird deutlich, wie tief die Folgen des Mobbings auch in das Private hineinreichen und Familien zerstören können.
    Es wäre schön, wenn das Buch auch den einen oder anderen Mobber zum Nachdenken anregen könnte (aber ich wage zu bezweifeln, dass solche Menschen Bücher lesen...).


    4ratten

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • Es wäre schön, wenn das Buch auch den einen oder anderen Mobber zum Nachdenken anregen könnte (aber ich wage zu bezweifeln, dass solche Menschen Bücher lesen...).


    Vielleicht liest es der eine oder andere Mobber sogar, aber dann erkennt er bestimmt nicht, dass das Buch auch über ihn geschrieben ist.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Vielleicht liest es der eine oder andere Mobber sogar, aber dann erkennt er bestimmt nicht, dass das Buch auch über ihn geschrieben ist.


    Ja, das könnte auch passieren - leider... :sauer:

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen