Wilhelm Genazino - Das Glück in glücksfernen Zeiten

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  • Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten. Hanser Verlag, 157 Seiten, 17,90 EUR.


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    Ich lese solch dünnen Bücher sehr gerne zwischendurch. Das Buch von Genazino erinnert mich an einen Theater- oder Filmabend, man hat es an zwei Abenden ausgelesen und wird dabei intelligent unterhalten, ohne allzu viel Anstrengung vom Leser zu erfordern. Auf der anderen Seite wird man durch die Kürze auch nicht allzu tief berührt. Kommen wir aber zunächst mal zum Buch:


    Genazino stellt seinen ich-erzählenden Protagonisten Gerhard Warlich, 41 Jahre, Promotion in Philosphie, berufstätig als Geschäftsführer einer Wäscherei, in den Mittelpunkt seines Romans. Schon aus diesen biografischen Details gibt es viele Ähnlichkeiten zum eigenen Leben, was den Roman thematisch für mich persönlich interessant macht, wobei nur die Vornamen des Protagonisten sowie seiner Freundin Traudel nicht so recht in diese Zeit passen. Ein promovierter Philosoph, der innerhalb und außerhalb der Universität keinen passende Arbeitsstelle findet, wird aufgrund der Notwendigkeit Geld zu verdienen, erst Ausfahrer in einer Wäscherei, schließlich schafft er es nach kurzer Zeit zum Geschäftsführer, ohne dass er dazu besonderen Ehrgeiz entwickelt hätte. Er lebt in einer Beziehung, wobei auch hier kein besonderer Ehrgeiz von Gerhard entwickelt wird, seine Freundin übt lediglich (oder sollte ich sagen: immerhin) einen große sexuellen Reiz auf ihn aus. Jeder Mensch lebt für sich allein, das ist ein Thema des Buches. Genazino zeigt an kleinen Details das Scheitern des eigenen Lebens auf, das Aufgeben von Träumen, die Suche nach Glück. Stilistisch gelingt ihm die Darstellung der inneren Leere ausgezeichnet, dennoch werde ich von der Lebenseinstellung Gerhards innerlich nicht mitgerissen oder tief berührt, ob das nun am knappen Stil liegt oder der Kürze des Buches sei dahingestellt.


    Insgesamt eine intelligente, melancholische und auch an vielen Stellen amüsante Unterhaltung. Ein Lesetipp.


    4ratten


    Gruß, Thomas



    EDIT: Betreff etwas angepasst. LG Seychella

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Okay, da können wir weiterplaudern... Was hat denn das mit dem Alter zu tun?


  • Okay, da können wir weiterplaudern... Was hat denn das mit dem Alter zu tun?


    Es hat etwas mit meinem _persönlichen_ Alter (oder der Reife) zu tun. Diese bedächtige Beobachten, zudem auf knappen Raum formuliert, mochte ich halt nicht immer, ich liebte es ausschweifender. Mir gefällt das aber inzwischen ganz gut.


    Gruß, Thomas

  • Das ist ja interessant! Mir geht es genauso. Genanzino ist da hervorragend für den bedächtigen Voyourismus!

  • Okay, ich habe das Buch am Samstag gelesen. Wieder, wie bei seinen letzten Büchern liest man eine gestörte Sexualität, gepaart mit Hyperintelligenz und Selbstgesprächen, die KEIN Mensch in so manchen Situationen führt. Anscheinend möchte uns der Autor eine Psychose aufzeigen und scheitert genau an der.
    Von der Geschichte bin ich enttäuscht, mir ist seine Freundin unsympathisch, der Chef ebenso, die Arbeiter sind "faul" (gar kein Klischee) und die flatternde Hose am Balkon macht wirklich traurig und das Thema: "vor der Verantwortung davonlaufen" nervt in allen Zügen.
    Rein Sprachlich ein echter Genazino, ein Traum. Seine Beobachtungen lassen uns mit einer Kamera ins Detail gehen. Großartig!


    So gebe ich diesmal eine doppelte Wertung. Für die Story:


    3ratten


    Für die sprachliche Qualität:


    5ratten

  • Ein großartiges Buch. :smile:


    Auch wenn ich nicht wie Protagonist Gerhard Warlich ständig von Erinnerungen an die großen Brüste meiner Mutter heimgesucht werde, alten Bekannten zur Begrüßung statt meiner Hand eine Scheibe trockenen Brotes entgegenstrecke und schließlich in der Klapsmühle lande, so schildert Genazino im Laufe dieser relativ kurzen Geschichte so manche Beobachtung der Welt um uns herum und formuliert einige Gedanken über das Leben des modernen Menschen in der Großstadt, denen ich bedingungslos zustimme. Tja, das Leben ist nun mal kein Ponyhof, und midlifecrisisgeschüttelte ichbezogene männliche Mittvierziger auf der Suche nach dem Glück, die ihr Leben und ihre Beziehungen immer noch nicht so recht geregelt bekommen und zu allem Überfluss auch noch in anspruchslosen und sie nicht überfordernden Jobs stecken, werden sich ganz bestimmt in diesem Buch wiederfinden. :breitgrins:



    Rein Sprachlich ein echter Genazino, ein Traum. Seine Beobachtungen lassen uns mit einer Kamera ins Detail gehen. Großartig!


    O ja - ein guter Beobachter ist Genazino wirklich, außerdem kann er seine Beobachtungen auch noch mit geschliffenen Formulierungen wiedergeben. Und was mir noch sehr gut gefällt: Er stattet seinen Protagonisten zwar unterm Strich mit einer relativ pessimistischen Weltsicht aus, aber ihm fehlt dabei die z.B. für Thomas Bernhard typische Wut auf die Leute. Genazinos Held hat eher einen ironisch-distanzierten, ja fast schon humorvollen Blick auf die Welt und seine Mitmenschen, auch wenn man gelegentlich den Eindruck bekommt, er würde dabei resignieren, weil er ja doch nichts an ihnen ändern kann...


    Danke für den Tip. :winken:


    5ratten


    [hr]


    Ich habe die Taschenbuchausgabe gelesen:


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    Wilhelm Genazino (geb. 1943)[br]Das Glück in glücksfernen Zeiten[br]Erstveröffentlichung: 2009[br]Verlag: dtv[br]Taschenbuch[br]158 Seiten
  • Gerhard Warlich, ein promovierter Philosoph Anfang vierzig, arbeitet als Organisationsleiter in einer Frankfurter Großwäscherei. Auch seine Freundin Traudel ist beruflich erfolgreich und leitet eine Bankfiliale, so dass das Paar augenscheinlich ein gutes, sicheres Leben ohne materielle Sorgen führt. In diesem Leben hat sich Gerhard eingerichtet; doch als seine Freundin ihren Kinderwunsch äußert, wirft ihn dies derart aus der Bahn, dass er eine Psychose entwickelt und schließlich auf eine Lebenskatastrophe hinsteuert.


    Genazinos Roman ist die Geschichte eines hochsensiblen, hochintelligenten Philosophen, der an den alltäglichen Anforderungen des Lebens zerbricht. Warlich leidet darunter, dass er seine beruflichen Wünsche mangels geeigneter Stellen für Philosophen nicht verwirklichen kann und stattdessen einen intellektuell unbefriedigenden Brotberuf ausüben muss. So ist der Protagonist durch seine Lebenssituation und die damit verbundene Selbstverleugnung vermutlich bereits psychisch angeschlagen und der geäußerte Kinderwunsch seiner Freundin nur noch der Auslöser seiner persönlichen Katastrophe.


    Die Geschichte wird in der ersten Person aus der Perspektive Warlichs erzählt und Genazino beweist mit seinem lakonischen und detailreichen Erzählstil eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe. Anhand kleiner Alltagsbeobachtungen offenbaren sich die psychischen Auffälligkeiten des Protagonisten, seine Überforderung mit dem Alltag und seine teilweise skurrilen Gedankengänge. So lässt er beispielweise symbolträchtig eine Hose auf dem Balkon verwittern, sieht dies als Alltagskunst und wohl auch als Symbol für sein eigenes Leben. Denn Warlich ahnt, dass sich sein Leben zum Negativen hin verändern wird und dass er unaufhaltsam auf den Abgrund zusteuert.
    So konstatiert er: "Gegen meinen Willen beschleicht mich das vertrauteste Unbehagen: Dass mein Leben nicht so bleiben kann, wie es ist."
    Ob es sich nun um eine Vorahnung handelt, oder um eine selbsterfüllende Prophezeiung – Warlich soll Recht behalten. Er zerbricht an der Lebenswirklichkeit und den Anforderungen der modernen Arbeitswelt, in der kein Platz für hochsensible und nachdenkliche Menschen zu sein scheint.


    Genazino greift hier ein hochaktuelles Thema auf, nämlich die Tatsache, dass sich in der heutigen Welt niemand mehr seiner Existenz sicher sein kann. Wer heute noch sicher im Sattel zu sitzen glaubt, kann morgen schon arbeitslos sein und vor den Scherben seiner Existenz stehen. Das ist dem Protagonisten dieses Romans nur allzu klar und er fürchtet seinen eigenen sozialen Abstieg, obwohl er seinen Arbeitsplatz nicht besonders mag.


    Der Erzählton ist melancholisch und ruhig, aber zuweilen blitzt Humor und Heiterkeit auf. Die Szenen wirken wegen der entstehenden Psychose der Hauptfigur teilweise skurril, manche seiner Gedanken und Empfindungen wirken absurd und amüsant auf den Leser, andere wiederum sind sehr scharfsinnig.


    Fazit: „Das Glück in glücksfernen Zeiten“ ist ein intelligenter, kleiner Roman, der in knappem Stil vom persönlichen Untergang eines Mannes erzählt, der wegen seiner Sensibilität an der Welt zerbricht. Schön und berührend.


    4ratten

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • Ich halte den Protagonisten Gerhard Warlich für einen egozentrischen und hochneurotischen, arbeitsscheuen und unsozialen Mann, der (bzw. Genazino) einen solch einfallslosen Wortschatz hat, sodass das Wort "momentweise" nach dem zwanzigsten Lesen zum Dorn in meiner Fußsohle wurde. Auch die Begriffe "Scham" und "Pein" werden überstrapaziert, überhaupt - die sprachliche Gestaltung langweilte mich tödlich.


    Ganz ehrlich, dieser Roman hat mir nichts gegeben und ich habe nun, da ich mich durch die plattitüdenhaften Gedanken und zusammenhangslosen Erinnerungsfetzen Warlichs gequält habe, das Gefühl, wertvolle Lesezeit verschwendet zu haben.
    Eigentlich musste ich während der letzten Zeilen eine große Entnervung überwinden angesichts der Menschenverachtung und Luxusprobleme, die diesen Mann quälen.


    1ratten.gif

  • Man muss einen Protagonisten nicht mögen, kann aber dennoch die Geschichte über ihn interessant finden. Genazino schreibt ja immer über gescheiterte Existenzen. Und man selber verzweifelt ab und zu auch am Leben. Dies zu reflektieren, macht die Qualität des Buches aus.


    Gruss Thomas

  • Du hast Recht, ich habe mich missverständlich ausgedrückt: Man muss einen Protagonisten nicht leiden können; Josef K. aus Kafkas "Der Prozess" oder Heathcliff aus Brontes "Sturmhöhe" konnte ich auch nicht leiden. Trotzdem fand ich diese Romane fesselnd, interessant, kurzweilig und spannend und ich habe aus beiden Geschichten etwas mitgenommen. Die Charaktere sind vielschichtig bzw. in ihrem Versagen tragisch und doch menschlich.


    Und genau das fehlt mir in Genazinos Roman. Der Protagonist ist in meinen Augen einfach nur ein Dummschwätzer, der nichts begriffen hat, nur in unendlichem Selbstmitleid badet und seiner Umwelt auf die Nerven geht.
    Hier wird eben nicht reflektiert, auch der Leser bekommt keine Chance zu reflektieren, da er nur die einge- bzw. beschränkte Wahrnehmung Warlichs mitkriegt. Eine Chance wären Stellungnahmen des Therapeuten gewesen, der aber schweigt meistens, weil ja auch Warlich nichts zu sagen hat und es sehr schwer ist, auf nichts etwas zu erwidern. Und das ist der Punkt: Genazino hat in meinen Augen nichts zu sagen - zumindest nicht in diesem Roman.