Paul Auster - Mann im Dunkel

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 2.991 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Levia.

  • Amerika im Jahr 2007. Owen Brick erwacht in einem dunklen Erdloch. Wie er dort hineingeraten ist, weiß er nicht mehr. Der ihn befreiende Uniformierte erteilt ihm den Auftrag, in die nächste Stadt zu gehen und jenen Mann zu erschießen, der den momentan tobenden amerikanischen Bürgerkrieg verursacht hat. Owen Brick sieht sich in einem Amerika, das er nicht kennt. Es gab kein 9/11, es gibt keinen Irak-Krieg. Stattdessen herrscht innerhalb der Staaten ein zermürbender Bürgerkrieg. Und jener Mann, der als Urheber dieses Bürgerkriegs bezeichnet wird, ist niemand anderer als der Schriftsteller August Brill, der in seinen schlaflosen Nächten die Figur des Owen Brick und die Geschichte jenes utopischen Amerikas erfunden hat. Der Kreis schließt sich, Fiktion und Realität verweben sich immer mehr. August Brill ist 72, verwitweter Literaturkritiker, lebt mit seiner Tochter Miriam und seiner Enkelin Katya im Haus seiner Tochter. Seit seinem Autounfall sitzt er im Rollstuhl bzw. ist er ans Bett gefesselt. Seine Frau Sonia starb vor einigen Jahren an Krebs, seine Tochter wurde nach vielen Jahren Ehe von ihrem Mann Richard verlassen, Katyas Lebensgefährte Titus ist verstorben. Auf welche (grausame) Art erfährt man am Ende des Buches. Alle drei haben Schicksalsschläge zu verarbeiten, Fehltritte zu bereuen und Verluste zu beklagen, jeder der drei macht dies auf seine eigene Art. Während August in seinen schlaflosen Nächten Geschichten wie die obige erfindet, (um die Gedanken an die Vergangenheit zu vertreiben), zieht sich seine Enkeltochter einen Film nach dem anderen rein (um in ihrem Kopf herumgeisternde Bilder zu übertünchen) und investiert seine Tochter ihre ganze Aufmerksamkeit in das Schreiben einer Biografie über die Frau von Nathaniel Hawthorne (um zu beweisen, dass man auch im Alter seinem Leben noch Sinn geben kann).


    Man kann zu den „alten Herren“ Amerikas (ich denke da an Roth, Auster, Updike, Irving, etc.) stehen wie man will: Ihr Handwerk verstehen sie! Genial, wie die Parallelwelten ineinanderfließen, wie sich reale Personen in der von August Brill erfundenen Geschichte wiederfinden, die Vergangenheit und die momentane Situation bewältigt werden und zugleich Kritik an Amerikas Innen- u. Außenpolitik geübt wird. Berührend die Beziehung zu seiner Tochter und seiner Enkelin, die ebenfalls große Verluste zu bewältigen haben und auf ihre Art versuchen, damit fertig zu werden. Das Lesen dieses Buches gleicht einer Achterbahnfahrt der Gefühle, hin- und hergerissen zwischen todtraurig, hoffnungsvoll-tröstend, unheimlich liebevoll, bewegend und dann wieder grausam-schockierend, erzählt mit einer unfassbaren Leichtigkeit. Ein Buch, das mich tief berührt und bewegt hat, ein geniales Buch.



    5ratten:tipp:


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    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Hallo creative,


    danke für die Buchvorstellung. Diesen Roman werde ich auch noch lesen (ich hoffe demnächst :zwinker:), weil ich einige Romane von Auster sehr mag. Übrigens gehört er in die Sparte Weltliteratur.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Wegen des Genres war ich mir nicht sicher ...... danke für den Tipp. Vielleicht kann einer der Mods die Verschiebung vornehmen. Danke!


    Ich habe bisher nur die "Brooklyn-Revue" gelesen und "Timbuktu" gehört, so ganz konnte mich Auster bislang nicht überzeugen. Doch mit "Mann im Dunkel" hat er voll meinen Geschmack getroffen!!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Sehr interessant! Ich hab mir das Buch letztes Jahr gekauft, an dem Tag, als ich zu Paul Auster Lesung im Ronacher ging, weil ich mir eine Signatur holen wollte. (Hab ich dann auch). So ein sympathischer Mann, unglaublich. Nun, ein paar Tage später habe ich das Buch gelesen. Zuerst 0 ausgekannt, wirklich 0.
    Aber, sowas reizt mich ungemein. Allein die Idee des Plots - besonders die, des Tötens - genial. Ich finde, das ist ein sehr anspruchsvolles Büchlein und schwer interessant. Paul Auster Fans müssen es umbedingt lesen!


    Daher: :tipp: 4ratten

  • Klingt gut - kommt auf meine Wunschliste - danke für die Rezi

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Hallöchen!


    Da ich langsam aber sicher immer mehr dem Auster-Wahn verfalle, regnet es wohl in nächster Zeit noch ein paar Rezis von mir. :breitgrins:


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    Meine Meinung:
    Man ist ja daran gewöhnt, auf den Covers englischer Bücher oft Werbesprüche zu finden, Ausschnitte aus Rezensionen berühmter oder einflussreicher Personen oder Empfehlungen aus bekannten Zeitungen. Auf meinem Buchcover steht:


    "With every novel we are used to watching Paul auster breaking new ground. This time he breaks your heart, too."


    Und diesmal muss ich diesem billigen Marketing, das man normalerweise einfach überliest, völlig zustimmen. Die Grundidee des Buches, nämlich dass ein alter Mann schlaflos im Bett liegt und sich Geschichten ausdenkt um die Zeit zu vertreiben, ist schon eine für mich als Leseratte sehr ansprechende. Dass diese Geschichte in der Geschichte dann in eine metafiktionale Richtung driftet, macht das ganze nur noch spannender. Falls das jetzt unverständlich war: Wenn ein Charakter sich seiner selbst und seiner Existenz bewusst wird, passieren die interessantesten Dinge und es ist eine Freude, sowohl den Verlauf der ausgedachten Geschichte zu verfolgen als auch zu überlegen, warum genau dieser alte Mann genau die Dinge passieren lässt, die passieren.


    Noch viel besser waren für mich aber die Sequenzen in der "richtigen Welt", also der Welt des geschichtenerzählenden Mannes. Dass in seiner Familie einige tragische Dinge passiert sind, erfährt man sehr bald. Worum genau es sich handelt kommt jedoch erst am Ende raus und das ist wohl auch der Moment, der mit dem Satz auf dem Cover gemeint hat. Mir sind wirklich die Tränen gekommen bei der Vorstellung, so etwas könnte mir oder meiner Familie zustoßen.


    Was dieses Buch aber zu einer echten kleinen Perle macht, sind diverse kleine Zwischengeschichten, wie zB. die Filme, die sich August (der alte Mann) und seine Enkelin zusammen ansehen und analysieren. Oder die Geschichte seiner Ehe und der Schwierigkeiten, die wohl in jeder Beziehung in irgendeiner Form auftreten. Das Ende des Buches ist sehr offen, nur die Frage nach der Tragödie wird gelüftet. Ein anderes Ende hätte ich mir aber auch nicht vorstellen können. Man bleibt zurück mit einem gewissen Sinn der Melancholie und großer, großer Dankbarkeit dafür, dass das eigene Leben bisher besser verlaufen ist. Und man möchte ganz dringend nach diesem Buch einen lieben Menschen für etwa eine Stunde einfach umarmen. :breitgrins:


    5ratten


    Liebe Grüße,
    Wendy

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

    Einmal editiert, zuletzt von Wendy ()

  • Paul Auster...schwärm.... :daumen:


    DAs Buch ist seltsam gut. Am Anfang dachte ich...langweilig, langweilig...und plötzlich bekam ich vom Autor einen Tritt in den Hintern bekommen, dass ich aufwachen soll und dann war es unendlich gut und fesselnd. Schade nur, dass es dann aus war.


    Ich habe das Buch während der Buchpräsentation von Paul Auster gekauft und gleich signieren lassen. Ich liebe diesen Mann. Er ist e infach nur sympathisch und seine Bücher heben aus der Menge ab.


    Prädikat wertvoll:


    5ratten

  • Paul Auster, Man in the Dark (2008)


    Ein 72-jähriger Mann liegt in seinem Bett und kann nicht schlafen. Um sich die Zeit zu vertreiben denkt er sich eine Geschichte über einen jungen Mann aus, welcher in einem Loch aufwacht, eine Uniform trägt und erfahren muss, dass sich Amerika in einem Bürgerkrieg befindet. Dieses andere Amerika hat niemals 9/11 oder den Krieg im Irak erlebt, stattdessen haben die „Unstimmigkeiten“ der Präsidentschaftswahlen 2000 zu einer Abspaltung einzelner Bundesstaaten und einem blutigen Krieg im eigenen Land geführt. Dem jungen Mann wird gesagt, dass er der einzige sei, der diesen Krieg beenden kann. Wie? Er soll einen alten Mann töten, der in seinem Bett liegt und sich diese Geschichte ausdenkt.


    Die Handlung klang sehr interessant und ich hatte dementsprechend bestimmte Erwartungen an das Buch – doch dann kam es anders und ich wurde auf positive Weise enttäuscht. Zunächst hatte ich erst einmal einige Probleme, mich in die Geschichte hineinzufinden: Die Charaktere wirkten auf mich befremdlich oberflächlich, merkwürdig leer. Auch fand ich Austers Erzählweise recht verwirrend – so bricht er Erzählstränge ab, fängt neue Geschichten an, wechselt die Zeitebenen – und lässt den Leser im Dunkeln darüber, was diese augenscheinlich unterschiedlichen Geschichten miteinander verbinden könnte. Und trotzdem, je weiter ich las, desto mehr wurde ich von Austers vielfältigem Geschichtenreigen gefangen genommen und konnte mich dieser Atmosphäre der vielen offenen Fragen – welche in mir Neugier, Faszination und Sympathie erzeugten – nicht mehr entziehen. Die Antworten, die uns Auster schließlich doch noch gibt, runden diesen Reigen der Geschichten ab und geben uns die oft verblüffenden Verbindungen der Geschichten untereinander, sind aber keineswegs das Ende desselben. Denn Man in the Dark ist die Geschichte einer einzelnen Nacht, welche von Ängsten, Hoffnungen, Erinnerungen dominiert wird, doch ist diese Nacht, mit ihren dunklen Geheimnissen und Enthüllungen, nicht das Ende der Geschichte – the weird world rolls on.


    4ratten

  • Mein erster Auster! :breitgrins:
    Ich habe zwar heute in der Uni erst angefangen, bin aber jetzt schon begeistert. Ich habe die Ausgabe von Wendys Link und finde auch, dass die Geschichten aus der Realität die wahren Schmankerl sind.