Hans Henny Jahnn - Die Nacht aus Blei

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 3.184 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Marlino.

  • Ich stelle mal ein Buch vor, das nicht allzu lang ist, 104 Seiten, also eine Art Kurzroman und daß ich vor ein paar Jahren schon mal las und jetzt wieder gelesen habe.


    Das Buch ist ein phantastisches Buch, aber keine Science Fiction und kein Märchen, sondern eher eine phantastische Verfremdung des Realen. Was mir jetzt beim Wiederlesen aufgefallen ist, ist diese absolute vollkommene Negativität dieses Buchs, daß nur düster, nur dunkel, nur grauenhaft, nur ekelhaft, nur angsterfüllt ist, ein großer Depressionsbrocken - im Vergleich dazu ist Kafka ein lustiger Vogel. Es hat nicht einen Hauch von Humor oder es ist doch ein sehr grimmiger. Trotzdem gibt es phantastische Einzelheiten in diesem Buch, die für es einnehmen, vor allem auch im ersten Teil. Über die ( ohnehin sehr magere ) Handlung kann ich nicht viel erzählen. Es passiert ja auch nicht eigentlich sehr viel und das wenige will ich nicht verraten. Im Grunde handelt alles nur davon, daß jemand in eine Stadt kommt, ohne daß man eigentlich weiß warum und diese Stadt wird von Anfang an als völlig fremdartig, phantastisch geschildert. Er kommt in der Nacht und diese Nacht scheint niemals zu enden. Eigentliche "Beziehungen" zu Personen bauen sich nicht auf, alles ist fremdartig und abweisend, schließlich lernt er einen Jungen kennen, aber der stellt sich als ein früheres Ich heraus - und ist doch irgendwie eine eigene Person.


    Ich gebe 4 von 5 Ratten. Ich könnte auch 5 Ratten geben, weil das Buch schon ein Erlebnis ist. Ich glaube so ein Buch könnte heute nicht mehr geschrieben werden. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß Hans Henny Jahnn 1894 geboren wurde, mithin zwei Weltkriege erlebte, in seinen letzten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg noch verzweifelt gegen die atomare Rüstung kämpfte. Dann aber erscheint in dem Buch auch so eine merkwürdige Dämonisierung des Leiblichen und Sexuellen. Ich glaube so ein Buch könnte heute nicht mehr geschrieben werden, gelegentlich scheint es einem fremd geworden zu sein - so ist es für mich auch eine Art Zeitreise. Übrigens war es wohl auch Jahnns letztes Buch, aber mit der seichten Unterhaltungskultur der 50er Jahre hat es rein gar nichts zu tun. Aber ein "absolutes Meisterwerk" ist es wohl nicht, dazu spiegelt es wohl zu sehr seine eigene Zeit ( einschließlich wohl der Tatsache, daß er an Freud glaubte ) und die "Steigerung des Grauens und der Negativität" am Schluß erscheint mir dann doch zu gewalttätig und nicht völlig überzeugend. Aber ein Erlebnis ist es wiegesagt schon.


    4ratten


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    EDIT: Betreff etwas angepasst und Amazon-Link eingefügt. LG Seychella

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Erschienen ist das Buch bei Bibliothek Suhrkamp. Ich habe das Buch allerdings schon sehr lange. 4. bis 5. Tausend, 1982. Das ist nicht eben eine Millionenauflage. ISBN 3-518-01682-2. Trotz kurzer Seitenzahl habe ich das Buch bei Wikipedia als Roman gefunden. Ich las da erschienen 1956, könnte also Jahnns letztes Werk sein.


    Von Jahnn habe ich auch mal die Erzählungen gelesen, meines Wissens auch von Bibliothek Suhrkamp und die gefielen mir gut, aber ich finde das Buch nicht mehr bei mir, vielleicht leihe ich es mir mal aus, würde es gerne mal wieder lesen. In Fluß ohne Ufer habe ich vor langer Zeit mal rein gelesen, aber dann reichte meine Kondition nicht.


    Gruß Martin

  • Hallo Sandhofer,


    ich muß errötend fest stellen :redface:, daß ich den Wikipediaartikel über Jahnn nicht vernünftig gelesen und nur überflogen habe. Die Nacht aus Blei ist wohl Teil eines unvollendet gebliebenen Romans, der allerdings bei Wikipedia explizit erwähnt wird. Er ist allerdings als Buch heraus gekommen. Vielleicht kennst Du ihn deshalb nicht.


    Gruß Martin

  • Danke!


    Ich kenne Jahnn v.a. als "Grossepiker", habe mich allerdings - von Ausschnitten aus dem Fluß ohne Ufer - bisher immer vor ihm gedrückt ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo Sandhofer,


    ja, vielleicht solltest Du es mal mit kürzerem versuchen, wie mit den wenn ich mich recht erinnere auch bei Bibliothek Suhrkamp erschienenen Erzählungen oder eben dieser "Nacht aus Blei".


    Habe mir wiegesagt noch mal den eigentlich recht informativen Wikipediaartikel durch gelesen und landete dann auch auf der liebevoll gestalteten Seite: www.Hans-Henny-Jahnn.de . Diese gibt noch mehr Informationen.


    Was ich für mich dabei heraus gezogen habe, ist, daß Hans Henny Jahnn schon ein sehr seltsamer Mensch gewesen sein muß, einschließlich der Gründung einer eigenen Religionsgemeinschaft, der Ugrinogemeinschaft, die eigene Bestattungsriten hatte. Hans Henny Jahnn ließ sich ja auch in einem Bleisarg beerdigen, da die Beerdigung in einem Bleisarg sehr im Sinne der von ihm selbst gestifteten Religion war.


    So habe ich insgesamt den Eindruck, daß Hans Henny Jahnn mit den Maßstäben unserer heutigen nüchternen Kultur nicht zu messen ist, sondern daß er sehr in seiner eigenen von ihm selbst geschaffenen Welt lebte - ein eigener Kosmos sozusagen. Und das finde ich schon interessant.


    Gruß Martin