Ich geb's zu: Mit dem Stichwort Klassiker verbinde ich spontan meist immer noch in der Tat "langweilige" Lektüre. Im Nachgang kommt immer erst der Rettungsanker "antesten, wenn mal Zeit dafür ist". Ich stelle aber fest, dass ich eher auf Werke äuge, die noch gar nicht so alt sind und die laut Wikipedia als Moderne Klassiker oder Gegenwartsklassiker gewertet werden: Max Frisch, Klaus Mann, Carl Zuckmayer, Anna Seghers ... zum Beispiel.
Älteres und anderes juckt mich so gar nicht und bei mir liegt das tatsächlich daran, dass ich die Schreibstile nicht sonderlich schätze. Shakespeare und Molière beispielsweise würde ich nicht lesen wollen - das sind für mich Theaterstücke, die ich im Theater sehen möchte. Wenn schon. Abgeneigt bin ich gar nicht, hier ist das Buch einfach eine Form der Darbietung, die ich nicht mag. Andere meide ich, weil sie zu episch sind (z. B. die erwähnten Russen - ich schätze es, wenn ein Autor auf den Punkt kommt).
Werke, die mich in irgendeiner Form berühren, gibt es eben auch von Zeitgenossen und "Fast-"Zeitgenossen und dann tummle ich mich lieber in Gefilden, die mir besser gefallen.
Ich finde es allerdings interessant, daß viele, vor allem Menschen die fast ausschließlich Gegenwartsliteratur lesen, beim Begriff Klassiker als erstes an Romane aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem frühen 20. Jahrhundert denken (warum ist das eigentlich so?) und kann im Zusammenhang damit die Aussage schon nachvollziehen, denn in dieser Periode gab es ja bekanntlich eine gewisse manierierte Gesetztheit und Umständlichkeit, war es modern Langsamkeit in der Literatur an den Tag zu legen, und da ist es für einen ungeübten heutigen Leser, dessen Aufmerksamkeitsspanne für eine Sache zeitlich sehr begrenzt ist (Buchzapping aka Dritt-, Viertlektüre usw.), bis zur Langeweile nicht mehr weit.
Da habe ich eine Passage markiert, die ich sehr interessant finde.
Ich nehme mir zwar Zeit für ein Buch, aber ich will auch nicht auf Umwegen aller Art zum Ziel geführt zu werden.
Sprich: Das weiter oben erwähnte Gänseblümchen am Wegesrand ist sicher einen Blick und einen Satz wert, die Begegnung damit aber drei Seiten lang zu honorieren, verlängert die eigentliche Geschichte für meine Begriffe unnütz. Denn es bleibt nicht bei einem Gänseblümchen als Ablenkung; da kommen sarkastisch gesprochen noch eine Rose, ein Pferd, vier Bäume, ein abgebrochener Ast und ähnliches mehr im Lauf des Buchs dazu. Mich interessiert an der Geschichte aber, wie sich Person X zu etwas entscheidet oder welchen Einflüssen irgendwer ausgesetzt ist. Und das sind Dinge, die in der Regel bei der Begegnung mit Menschen ausgelöst werden. Davon will ich dann auch lesen.
Mich interessiert übrigens, was Du genau mit "ungeübter Leser" meinst. "Ungeübt" im Sinne von "den damaligen Schreibstil nicht gewohnt"? Das vermute ich jedenfalls und empfinde es nicht als Manko. Wir sind heute auch nicht mehr gewohnt, Autos ohne Lenkkraftverstärker zu fahren oder Wäsche per Hand zu waschen. Ich lebe hier und jetzt und Fähigkeiten zu beherrschen, die meine Vorfahren beherrschten, sind für mich ein Kann, aber kein Muss. (Ich glaube aber auch, dass bei vielen Lesern die Art des Schreibens eine Rolle bei der Auswahl der Lektüre spielt.)