Thomas Bernhard - Alte Meister

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  • 1.) das glaube ich nicht.


    Als was sollte er denn ernst genommen werden? Als jemand, der die Zustände anprangert? Bin mir gar nicht sicher, dass es seine Absicht war. Als Schriftsteller nehme ich ihn ernst, aber das bezieht sich mehr auf seine Darstellung menschlicher Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Die Tiraden auf Österreich lassen mich vollkommen kalt. Na klar, bin ich kein Österreicher, aber selbst wenn ich Österreicher wäre, würde mich dieser Aspekt seiner Literatur wenig interessieren. Ich lese das zwar ganz gerne, aber es bewegt mich nicht.


    Gruß, Thomas

  • Auf Seite 46 meiner Ausgabe beginnt der Stifter-Exkurs, eine Tirade auf einen der besten deutschen Schriftsteller, die wir haben (meiner Ansicht nach). Diese ganze Tirade zieht fast 20 Seiten hin und man liest das ausgesprochen gern. Ich glaube, ich will gar nicht der Frage nachgehen, ob er Stifter nun wirklich nicht gemocht hat oder das alles nur vorschiebt, das liest sich ja alles amüsant und in der Prägnanz seiner Worte kann man Bernhard eigentlich nur zustimmen (obwohl ... natürlich hat er nicht recht).


    Ich bin bis Seite 70 vorgedrungen. Einige Zitate, die mir "gefallen":


    Zitat

    Meine Eltern hatten Ohren, aber sie hörten nichts, sie hatten Augen, aber sie sahen nichts, sie hatten wohl ein Herz, aber sie fühlten nichts.


    Kann man auf bessere Weise eine unglückliche Kindheit zumindest in Bezug auf die Eltern in einem Satz beschreiben? Nein, so was kann Bernhard einmalig gut.


    Und wie häufig habe ich den nachfolgenden Satz schon selber gedacht? Unzählige Male.


    Zitat

    Der denkende Mensch ist von Natur aus ein unglücklicher Mensch, sagte er gestern.


    In Sachen Tintoretto findet man im Anhang interessante Informationen. Bernhard hat ein Buch von Frederike Klauner: Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Vier Jahrhunderte europäischer Malerei gelesen und dort Anstreichungen im Tintoretto-Abschnitt vorgenommen. Diese Anstreichungen und der Text sind abgebildet. Wer meine Ausgabe nicht kaufen will, kann das Buch im Österreichischen Literaturarchiv unter der Signatur 1,719.539-B.Lit ausleihen.


    Das Nachwort klärt dann noch über den Begriff im Untertitel "Komödie" auf. Zum einen ist einem der drei erhaltenen Typoskripte ein Blatt aus Bernhards Theaterstück Theatermacher entnommen und als Blatt 22 beigelegt. Der Inhalt ist im Nachwort abgedruckt und passt zum Romantext. Im Theaterstück gibt es eine "Urgroßmutter Irrsiegler". Auch andere Themen klingen an. Bernhard stellt durch den Untertitel eine Nähe zum Drama her, so das Nachwort, das sei beabsichtigt, denn der ganze Text sei sehr gut für Dramatisierungen geeignet.


    Gruß, Thomas

  • guten morgen,
    also die anti-stifter-tiraden haben mich nach einer weile gelangweilt, obwohl ich auch kein stifter-fan bin, allerdings hab ich erst ein buch von ihm gelesen, das war nicht besonders spannend


    ok, mit heideggers theorien hab ich mich noch nicht beschäftigt und zu bruckner fällt mir maximal kirchen-musik ein
    aber etwas ermüdend waren die langen anti-sprüche doch


    wobei zwischendurch natürlich immer wieder witziges steht, ihr habt ja schon reichlich zitate zuvor gebracht :smile:


    lg

  • Zitat

    aber es bewegt mich nicht


    Guten Morgen,


    Mich auch nicht, Thomas. Sollte es auch nicht, denke ich. Ich finde es nur lustig. Schwarzer Humor wird in Wien gerne gesehen.
    Ja, die Stifter Passage... ist doch genauso, wie in "Beton" die Schwester Tirade. In jedem Buch von Bernhard wird lamentiert. Entweder man mag es oder man mag es nicht. Ich gebe aber gern zu, dass ich bei den letzten "nicht - Absätzen" der Tirade eingeschlafen bin. Ich hab trotzdem gut geschlafen.

  • Guten Morgen,


    Mich auch nicht, Thomas. Sollte es auch nicht, denke ich. Ich finde es nur lustig.


    Darauf können wir uns verständigen.


    Gruß, Thomas


  • guten morgen,
    also die anti-stifter-tiraden haben mich nach einer weile gelangweilt, obwohl ich auch kein stifter-fan bin, allerdings hab ich erst ein buch von ihm gelesen, das war nicht besonders spannend


    Stifter schreibt keine spannende Lektüre, das ist ja auch nicht der Vorwurf Bernhards, der Vorwurf ist ja, er schreibe einfach zu "schön" und in gewisser Weise ist Bernhards Literatur genau das Gegenteil Stifters, man könnte ihn ja gar für kitschig halten, aber das ist Stifter eben gerade nicht, ich denke, die heutige Literaturwissenschaft sieht das auch so.


    Bernhard kann mit seinen dauernden Wiederholungen schon auf die Nerven gehen, gelangweilt würde ich das für mich nicht nennen wollen, so manches ist enervierend. Aber ich denke das ist beabsichtigt. Allein die Situation des Buches, der ewige Monolog Regers erzeugt beim Leser eine gewisse Anstrengung. Mehr als 200 Seiten darf so ein Buch daher auch nicht haben, das würde man nicht aushalten. Stifter halten ja viele ebenso nicht aus, keinerlei Handlung, ewig lange Beschreibungen, auch er kann, besonders im Witiko, (ein wenig) enervierend sein. Und da haben Bernhard und Stifter was Gemeinsames. Bernhard weiß das doch alles, vielleicht muss er auch deswegen auf Stifter einschlagen.


    Gruß, Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Hallo Thomas,


    aus Deiner Meinung werde ich nicht schlau... kann es sein, dass Du das Buch überhaupt nicht magst? Es ist eine Frage, weil ich nicht sicher bin.
    Alles Liebe cori

  • hallo,
    bin wieder ein stück weitergekommen und amüsiere mich oft, wenngleich ich es auch etwas anstrengend finde zum lesen


    ich muss auch dazusagen, dass es mein ALLERERSTES buch von Bernhard ist, aber es ist ja nie zu spät :smile:


    als wienerin finde ich die aussagen Regners zum thema schmutzige restaurants und wohnungen hier in Wien nicht lustig und selbstverständlich stimmt das auch nicht
    das werden mir wohl die wien-touristen/innen unter euch bestätigen können.....


    na, ich wusste ja dass Bernhard ein alter Suderant ist, dafür ist er ja bekannt :smile:


    lg
    Joyca

  • Hallo Joyca,


    aber das mit den öffentlichen Toiletten stimmt durchaus. Grins.
    al cori

  • Hallo, ich bin hier heimliche Mitleserin :winken:. Werde mir Alte Meister auch demnächst zu Gemüte führen, aber zunächst ist Holzfällen dran.


    Kurz zum Thema Wien:



    als wienerin finde ich die aussagen Regners zum thema schmutzige restaurants und wohnungen hier in Wien nicht lustig und selbstverständlich stimmt das auch nicht
    das werden mir wohl die wien-touristen/innen unter euch bestätigen können.....


    Ich weiß nicht, was genau Bernhard da schreibt. Aber du musst bedenken, dass Wien in den letzten 30 Jahren ziemlich entstaubt wurde. Ich höre immer wieder die Generation meiner Eltern über das Wien der 70er Jahre jammern. Insofern könnte Bernhard oder Regner durchaus Recht haben.


    LG, kat


  • Hallo Thomas,


    aus Deiner Meinung werde ich nicht schlau... kann es sein, dass Du das Buch überhaupt nicht magst? Es ist eine Frage, weil ich nicht sicher bin.
    Alles Liebe cori


    Ich mag das Buch, versuche aber auch die Schwächen aufzudecken und mal ein wenig generell (in provozierender Weise) über Bernhard nachzudenken. Es ist ein bißchen so, als ob du Bernhard vorwerfen würdest, dass er Österreich nicht mag, nur weil er darüber lamentiert. Das glaube ich nämlich ganz und gar nicht.


    Gruß, Thomas

  • Nie! Bernhard liebte Österreich 100%ig. Ich denke dennoch, es war eine Hass-Liebe. Und ich gebe zu, mich stören auch manche Dinge extrem, zum Beispiel, dass man bei ihm am Platz bleibt. Man kommt kein Stück weiter. Die Übertreibungen mag ich sehr. Das ist lustig. Zum Beispiel das Thema Burgenland. Köstlich! Oder in "Holzfällen" die Burgtheatermenschen, Theatermenschen - alle schlecht, alle, durchweg. Hehehe.


  • Nie! Bernhard liebte Österreich 100%ig. Ich denke dennoch, es war eine Hass-Liebe. Und ich gebe zu, mich stören auch manche Dinge extrem, zum Beispiel, dass man bei ihm am Platz bleibt. Man kommt kein Stück weiter. Die Übertreibungen mag ich sehr. Das ist lustig. Zum Beispiel das Thema Burgenland. Köstlich! Oder in "Holzfällen" die Burgtheatermenschen, Theatermenschen - alle schlecht, alle, durchweg. Hehehe.


    Da sind wir doch wieder eine Meinung, mich stören aber gar nicht so sehr Dinge, aber so länger man sich mit ihm beschäftigt, umso mehr fällt einem auf, was man hier mal einwerfen kann.


    Gruß, Thomas

  • Aber (Finger hochzeig!) ! Es ist schön, wenn man ein Bernhard Buch aufschlägt, weiß man sofort, dass es er geschrieben hat. Niemand schreibt so, bzw. annähernd so, wie er. Interessant, die Wiederholungen und unbedingt notwendig die Übertreibungen in "Das Kalkwerk" - weiß nicht, ob Du es schon gelesen hast, weil es die Monotonie und die Idiotie des Ganzen gut zeigt. Auch den Wahnsinn an sich.
    Bei Bernhard sind die Übertreibungen auch sehr gut bei Dingen, die den Menschen betreffen. Das ist menschlich, das Übertreiben.
    Genau das will er zeigen. Zumindest denke ich das.


  • Aber (Finger hochzeig!) ! Es ist schön, wenn man ein Bernhard Buch aufschlägt, weiß man sofort, dass es er geschrieben hat. Niemand schreibt so, bzw. annähernd so, wie er. Interessant, die Wiederholungen und unbedingt notwendig die Übertreibungen in "Das Kalkwerk" - weiß nicht, ob Du es schon gelesen hast, weil es die Monotonie und die Idiotie des Ganzen gut zeigt. Auch den Wahnsinn an sich.
    Bei Bernhard sind die Übertreibungen auch sehr gut bei Dingen, die den Menschen betreffen. Das ist menschlich, das Übertreiben.
    Genau das will er zeigen. Zumindest denke ich das.


    In allem Zustimmung.


    Ich sag dir: Kauf dir unbedingt die 3 CDs "Briefwechsel". Das ist ebenso amüsant wie "Meine Preise". Es ist ein intellektueller Kampf zwischen Bernhard, der immer mehr Geld vom Verleger will, und Unseld, der natürlich die Interessen des Verlages vertreten muss, aber Bernhard abgöttisch verehrt. Jede Person hat eine eigene Vorlesestimme. Diese Briefe sind ein Vergnügen und sie zeigen wie man auf äußerst charmante und intelligente Weise auch "nein" sagen kann. Diesen intellektuellen Kampf "gewinnt" m.E. Unseld häufiger als Bernhard.


    Gruß, Thomas

  • Puh - Ihr legt ja ein ganz schönes Tempo vor. Ich bin auch noch da, habe aber leider gestern und heute bisher keine Zeit gefunden, um weiterzulesen oder hier zu schreiben. Ich lese mit Interesse Eure Beiträge und freue mich auf das, was da offenbar noch so kommt... :breitgrins:


    Zu Bernhards Schimpfereien: Sie mögen einen großen Teil des Buch einnehmen, und ich finde sie auch sehr unterhaltsam. Aber ich würde nicht sagen, dass ich sie lustig finde. Im Gegenteil, ich glaube, dass aus Bernhard da manchmal eine ganz schöne Wut spricht - Wut worauf auch immer. Ich habe häufig das Gefühl, dass in Bernhard eine ganz bestimmte (oder auch unbestimmte) Unzufriedenheit herrschte, die sich in solchen Momenten Bahn brach, wenn er beim Schreiben war. Ich kenne sowas, dann ist man mit sich und der Welt unzufrieden und findet alle und alles nur noch blöd.


    Insofern kann ich dieses Zitat nur voll und ganz unterschreiben:

    Zitat

    Der denkende Mensch ist von Natur aus ein unglücklicher Mensch, sagte er gestern.


    Ich würde nie von mir behaupten wollen, ein rundum glücklicher Mensch zu sein. Irgend etwas gibt es immer zu verbessern. Ich habe für mich auch immer den Leitsatz formuliert: Zufriedenheit bewirkt Stillstand, Stillstand bewirkt Rückschritt. Wäre ich zufrieden mit mir und der Welt, würde ich nicht mehr vorankommen.


    Und nun folge ich weiter Eurem Ping-Pong-Spiel... :breitgrins:

  • Thomas, jetzt bin ich wirklich baff. Ich warte seit 2 Jahren auf das Buch. Gibt es das schon?????
    Ich freu mich riesig! Jetzt hast Du mir eine Freude gemacht.


    (Vielleicht hab ich zuviel von Bernhard angeeignet. Das mag stimmen. Aber, wenn ich so schreibe, dann finde ich es zumeist lustig.)


    Im Grunde, denken wir doch an die Person Irrsigler. Eine völlig primitiv beschriebene Figur und doch lebt "Alte Meister" von ihm, d.h. Irrsigler ist wichtig. Man glaubt es kaum. Wer denkt an einen Aufpasser, wenn man durch das Museum geht? Oder, wenn Bernhard über Frauen lamentiert. Das ist abstoßend und unheimlich witzig zugleich. Auch über Wien lästern... ich sah ihn selbst noch am Graben sitzen - er liebte die Stadt. Je mehr jemand übertreibt, desto mehr mag er es. Ich denke, das kann schon stimmen.


    Aber, FREUDE! Ich kaufe mir das natürlich!


    Nein, nein, MacOss, ich denke das nicht. Ich denke, wenn man so krank war, wie Bernhard, dann empfindet man für Schönes totalen Ekel. Das klingt übertrieben und egoistisch. Ja, das war er auch, ein EGOIST der Sonderklasse. Seine Meinung. First. Danach, nix.
    Trotzdem, irgendwie sympathisch. Wie ein alter Wiener (obwohl er keiner war), so richtig bissig. Er griff gern das System an. Wien, die Stadt der Oper, des Burgtheaters, der Kaffeehäuser - genau das griff er an. Genau das Klischee.


  • Nein, nein, MacOss, ich denke das nicht. Ich denke, wenn man so krank war, wie Bernhard, dann empfindet man für Schönes totalen Ekel. Das klingt übertrieben und egoistisch. Ja, das war er auch, ein EGOIST der Sonderklasse. Seine Meinung. First. Danach, nix.


    Das halte ich jetzt nicht für einen Widerspruch. Er kann ja auch ein unzufriedener Egoist gewesen sein. :zwinker:



    Trotzdem, irgendwie sympathisch. Wie ein alter Wiener (obwohl er keiner war), so richtig bissig. Er griff gern das System an. Wien, die Stadt der Oper, des Burgtheaters, der Kaffeehäuser - genau das griff er an. Genau das Klischee.


    Mich hat Bernhard ja anfangs etwas irritiert, wenn er so vehement, hemmungslos und undifferenziert losschimpft. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, und ja, ich will nicht verhehlen, dass ich das ebenfalls zunehmend sympathisch finde, weil ich das Gefühl habe: Hier nimmt einer seine Umwelt nicht so hin, wie sie ist, sondern er deckt die Scheußlichkeiten und Widerwärtigkeiten des Systems auf und stellt die Heuchler und Halunken in unserer Gesellschaft bloß, überspitzt zwar, aber manchmal ist so ein drehender Finger in der Wunde auch ganz hilfreich.

  • Bravo! Das freut. Es sei "Gehen" zu lesen. Das ist ja wohl Spitzenklasse und Österreich bekommt zum 40isten Mal sein Fett weg.


    Interessant ist die Aufzeichung von Hennetmayer. Da sieht man den Bernhard ungeschminkt und das witzige ist, er war GLEICH, wie er SCHRIEB. Er war die Zeilen selbst.


    Gut, zurück zum Buch. Die Zeit verschiebt sich (was irritiert), die Klos sind dreckig, die Gasthäuser ekelig, die Frau war (wieder Mal) ein Monstrum. Das Bild bleibt konstant interessant. Habt Ihr schon Mal darüber nachgedacht, warum nur dieses Bild?

  • Kurz zum Thema Wien:



    Ich weiß nicht, was genau Bernhard da schreibt. Aber du musst bedenken, dass Wien in den letzten 30 Jahren ziemlich entstaubt wurde. Ich höre immer wieder die Generation meiner Eltern über das Wien der 70er Jahre jammern. Insofern könnte Bernhard oder Regner durchaus Recht haben.


    Noch'n stiller Mitleser ... Ich habe Mitte der 80er des letzten Jahrhunderts eine Zeitlang in Wien gelebt, Leopoldstadt. Und, ja ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)