Leon de Winter – Hoffmans Hunger

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 2.932 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Inhalt: Freddy Mancini, übergewichtiger Amerikaner, macht eine Europareise und beobachtet bei einem nächtlichen Streifzug auf der Suche nach etwas zu essen die Entführung eines Mitreisenden. Zurück in den USA wird er John Marks, Ostblockspezialist beim Geheimdienst, über seine Beobachtungen befragt, denn es ist gut möglich, daß eine Doppelagentin in Prag Schwierigkeiten hat. John hatte vor Jahren ein Verhältnis mit einer anderen Frau, und diese Marian ist just die Frau des frisch eingesetzten niederländischen Botschafters Hoffman in Prag. Marian und Felix haben sich in ihrer Ehe nach dem Tod der Töchter nicht mehr viel zu sagen, Felix leidet an chronischer Schlaflosigkeit, Freßsucht und ein paar weiteren Störungen. Unter den Hinterlassenschaften eines Vorgängers hat er Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes gefunden, die Beschäftigung damit hält aber seine geistige Zerrüttung nur vorübergehend auf.



    Meine Meinung: Wenn diese Inhaltsangabe den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit, Zerfahrenheit und konstruiertheit erweckt, so ist dies genau der Eindruck, den der Roman bei mir auch hinterlassen hat. Um mehr zu sein versagt er nämlich an allen denkbaren Fronten. Der politische Hintergrund des Zusammenbruchs der politischen Systems Osteuropas 1989 könnte interessant sein, ist dafür aber entschieden zu dünn geraten. Für eine ordentliche Spionagegeschichte gibt es zu wenig geheimnisvolle Geheimdienstler und die, die auftauchen, sind dann auch eher dröge und nihct dramatisch genug. Für ein Familiendrama waren der Abschweifungen in andere Richtungen zu viele, insbesondere in Hoffmans Verdauungstrakt. Hoffman, ein psychisch eher labiler Typ, und seine Verdauungs- und sonstigen körperlichen Probleme sind wirklich nur von eher mäßigem Interesse, erst recht, wenn sie einen derart signifikanten Umfang annehmen wie hier geschehen. Ich habe noch in keinem Buch soviel Zeit auf der Toilette verbracht egal ob zur Erleichterung über den unteren oder oberen Ausgang. Auch über Hoffman hinaus bleiben die Charaktere ausgesprochen blaß und holzschnittartig.


    Das beste an diesem Roman waren daher die Auszüge aus Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Es wirkte zwar ausgesprochen aufgesetzt, denn Hoffman war nun keineswegs der Typ, dem man diese Lektüre ernsthafterweise abnimmt. Und wie Winter hier die Erklärungen in Form von Hoffmans Überlegungen dazu einflicht, war auch recht einfallslos weil immer gleich gelöst. Allerdings hätte man deshalb wohl mehr davon, direkt Spinozas Werk statt dieses Romans zu lesen. Wie die diversen, auf der Rückseite zitierten Zeitungskritiken zu der Einschätzung gelangt sind, der Roman sei „grandios“, „unvergeßlich“ und ein „großer europäischer Gegenwartsroman“ erschließt sich mir jedenfalls nicht, ich fand ihn einfach nur banal.


    2ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ach, ich wundere mich, dass ich dieses Buch seinerzeit nicht rezensiert habe. War ich wohl zu faul dafür. Ja, der Meinung von aldawen stimme ich weitgehend zu. Recht banal, streckenweise dann aber doch unterhaltend. 3ratten kann man geben.


    Gruß, Thomas

  • Freddy Mancini, ein ziemlich schwergewichtiger amerikanischer Tourist, schleicht sich nachts aus dem Hotel, weil er tierischen Hunger hat, und wird unversehens Zeuge, wie ein Mitreisender entführt wird.


    Felix Hoffman, der niederländische Botschafter in Prag, kann seit dem Tod seiner Tochter vor zwanzig Jahren nachts nicht mehr schlafen und kompensiert diese Schlaflosigkeit mit unmäßigen nächtlichen Fressgelagen.


    John Marks schließlich ist Ostblockspezialist der CIA und wird mit der Untersuchung eben jener Geschehnisse betraut, die Mancini beobachtet hat. Und er hatte vor einigen Jahren ein Verhältnis mit Felix Hoffmans Frau.


    Eigentlich kenne ich Leon de Winter als Autoren sehr lesenswerter Romane, häufig mit jüdischen Protagonisten und interessanten Beziehungs- und Familiengeschichten. Vor allem "Malibu" habe ich geliebt und auch "Leo Kaplan".


    Dieses Buch konnte mich allerdings überhaupt nicht überzeugen. Zwar ist zu Beginn die Atmosphäre in Prag kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks schön dargestellt, und Hoffmans tragische Familiengeschichte ging mir sehr ans Herz, aber leider ist es nicht sie, die hier im Mittelpunkt steht.


    Die diplomatisch-politischen Verwirrungen vermochten mich kein bisschen zu fesseln, zwei Hauptfiguren waren mir herzlich unsympathisch und die dritte völlig egal, das philosophische Geschwafel rund um Spinoza, dessen Werk Hoffman gerade während seiner Völlereien liest, ging mir fürchterlich auf die Nerven ... bei alledem hätte ich mich aber womöglich noch durchgebissen, wenn es nicht immer wieder über zwei, drei Seiten in allen unappetitlichen Details um Hoffmans Darmaktivitäten gegangen wäre. Nein, ich möchte bitte keine Einzelheiten über Darmperistaltik, Blähungen und Fäkalienbeschaffenheit wissen, auch wenn sein Verdauungssystem den armen Mann gerade heftig quält.


    Nach gut einem Drittel hatte ich auf weitere 200 Seiten Spionage, Spinoza und Schei... keine Lust mehr und habe das Handtuch geworfen.


    1ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Der Thread bestätigt meinen ersten Leseeindruck. Bis jetzt ist das Buch ein zäher Brocken, aber wenn ich nichts mehr erwarte, kann ich auch nicht enttäuscht werden ;)

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Da bin ich ja mal gespannt aufs Fazit, Kirsten. Fröhliches Durchhalten wünsche ich!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine Danke. Hoffman selbst und seine Geschichte finde ich (bis jetzt) gar nicht mal so schlimm. Freddy dagegen geht mir ziemlich auf die Nerven, auch wenn ich ihn bis jetzt nur kurz kennenlernen durfte. John ist eben erst aufgetaucht und hat noch keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hoffmanns Familiengeschichte fand ich berührend, das ist aber auch das einzige, das mir von diesem Roman im Gedächtnis zurück geblieben ist. Freddys Geschichte habe vollständig vergessen und dass Hoffmann massive Verdauungsprobleme hat, ist mir jetzt erst wieder durch eure Beiträge in Erinnerung gerufen worden.


    Wobei mir die tragischen Familienverhältnisse der Familie Hoffmann zu dick aufgetragen war. Hier wäre weniger mehr gewesen.

  • dodo auf Hoffmans Verdauung könnte ich gut verzichten. Manche Passagen zudem Thema haben bei mir übles Kopfkino ausgelöst:rolleyes:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Wahrscheinlich habe ich seine Darmbeschwerden einfach nur verdrängt. Dunkel kann ich mich jetzt an ein paar unappetitliche Passagen erinnern.

  • Für mich war das ja der Grund, dass ich das Buch abgebrochen habe. Ich bin nicht grundsätzlich zart besaitet, aber das war mir einfach zu viel der Häufchen :rollen:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Meine Meinung

    Hoffman's honger ist eine seltsame Mischung. Da ist zum einen der übergewichtige Amerikaner Freddy, der in eine Entführung verwickelt wird. Wäre er nicht so verfressen und nachts in Prag auf der Suche nach etwas zu essen unterwegs gewesen, hätte er auch nichts gesehen. Die Fressorgien von Felix Hoffman sind ähnlich, aber sie haben einen anderen Grund und auch nicht die gleiche Auswirkung wie bei Freddy. Dann gibt es noch John Marks, der Freddys Beobachtungen untersuchen soll.


    Jede der Geschichten hat etwas an sich, das aus der Kombination der drei ein gutes Buch hätte machen können. Aber was der Autor daraus gemacht hat, war weit davon entfernt.

    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Echt schade, zumal de Winter ja wirklich tolle Bücher schreiben kann!

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