David Grossman - Löwenhonig

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 3.462 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von dodo.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Kurzbeschreibung laut Amazon:
    Es ist ein schreckliches Schicksal, von Gott auserwählt zu sein. Samson, der Held. Der Mythos aus dem Buch der Richter. Vor dem Hintergrund der zweiten Intifada im Winter 2002/2003 liest David Grossman den alten biblischen Text Satz für Satz und Wort für Wort noch einmal und fördert eine Geschichte zu Tage, die gegen Gott und gegen die Mär von der unerschütterlichen Stärke spricht: Wir müssen uns Samson als einen unglücklichen Menschen vorstellen. Samsons Stärke war seine Schwäche - er war ihr nicht gewachsen. Und so wurde er zum ersten Selbstmordattentäter der Geschichte.


    In diesem im Rahmen des Mythenprojektes erschienenen Buch widmet sich der israelische Schriftsteller David Grossman der Erzählung von Samson, so wie sie in der Bibel in Richter Kap. 13-16 nachzulesen ist. Ich habe die englische Übersetzung unter dem Titel "Lion's Honey" gelesen.
    Samson kannte ich bisher nur dem Namen nach, wusste, dass da etwas mit seinen Haaren war und dass er die eine Hälfte des Paares von "Samson und Delila" darstellt. Genaueres war mir nicht bekannt, weswegen ich besonders dankbar darüber war, dass das Buch mit dem Bibeltext beginnt. So konnte ich mich mit Samsons Geschichte vertraut machen, erfuhr, was es mit dem titelgebenden Löwenhonig auf sich hat, was genau zwischen Samson und Delila vorgefallen war und was Samson mit seinen Riesenkräften so alles anstellte.
    Das ist umso wichtiger, als Grossman nicht wie seine "Mythenkollegen" die von ihm gewählte Geschichte neu erzählt, sondern eine Textinterpretation liefert, in der er sich ganz nah am Text entlanghangelt. Grossman zeigt hierbei, wie atemberaubend das aus dem Schulunterricht so verpönte Auseinandernehmen jedes einzelnen Satzes, ja jedes Wortes, sein kann. Grossman hinterfragt jede Formulierung und holt so Dinge aus dem Text heraus, die der flüchtigen Leserin niemals auffallen würden.
    So wird Samson von ihm seiner Heldenglorie beraubt. In Samson sehen wir einen zwar körperlich sehr starken Menschen, dem es jedoch an Halt bei seinen Mitmenschen mangelt. Seine Unsicherheit, sein Gefühl von allen verraten zu werden, treiben ihn zu furchtbaren Handlungen, die eines wirklichen Helden unwürdig sind. Hier wird eine zutiefst tragische Gestalt deutlich, deren Tragik ihren Ursprung nicht zuletzt in der besonderen Rolle, die Gott ihm schon vor seiner Geburt zugewiesen hat, findet.


    Für diese mich fesselnde Textinterpretation vergebe ich
    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Saltanah hat ja schon gesagt, daß Grossman hier keine Nach- oder Neuerzählung des Mythos liefert, sondern eine ausgefeilte Textinterpretation. Und obwohl ich etwas mehr als sie über Samson wußte, war auch ich froh für die Präsentation des Ausgangstextes, zu dem ich auch zwischendurch immer wieder geblättert habe, um einzelne Passagen noch einmal im Lichte von Grossmans Analyse zu lesen.


    Das Ergebnis sowohl als Text an sich als auch im Hinblick auf die Einschätzung von Samson selbst ist beeindruckend und macht mir zumindest Lust, auch noch weitere Heldenerzählungen derartig „gegen den Strich“ zu lesen. Ich bin ziemlich sicher, daß man noch häufiger zu derart desillusionierenden Ergebnissen käme. Bemerkenswert fand ich auch, was Grossman für die „Nebenfiguren“ aus dem Text herausholt, vor allem über Samsons Mutter, wo es mir besonders leicht gefallen ist, seiner Argumentation zu folgen. Und natürlich erhält diese Interpretation vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Situation im Nahen Osten eine von Grossman zwar nicht explizit angesprochene, aber unterschwellig immer mitschwingende weitere Bedeutungsebene, die man gleichwohl kaum überlesen kann.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Es freut mich, dass dir dieses Buch ebenso gut gefallen hat wie mir. Es ist eindeutig eines der Highlights in der Mythenserie.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Das war jetzt mein sechster Band aus der Reihe und bis dahin muß ich zustimmen, definitiv zusammen mit Tokarczuk das Highlight, obwohl man sie sonst in keiner Weise vergleichen kann.

  • Hallo,


    auch ich habe nun dieses Buch als weiteres der Mythenreihe gelesen, direkt nach dem Mythos von Atlas und ich muss sagen, ich fand den Atlas besser, auch wenn man es überhaupt nicht vergleichen kann.


    David Grossmann erzählt hier keine "Neufassung" eines bekannten Mythos, sondern biete seine detaillierte Interpretation des Bibeltextes. Am Anfang des Buches ist der entsprechende Bibelauszug gestellt, was auch ich sehr positiv fand.
    Und dann beginnt die Interpretation, wobei er fast Satz für Satz auseinander nimmt. Am Anfang hat mich das wirklich "genervt" und ich dachte immer wieder, was soll dass bitte, das habe ich nicht erwartet. Aber ich habe bis zum Ende durchgehalten und habe es insgesamt, doch das eine oder andere mitgenommen. Vielleicht lag es auch daran, dass es am Ende nicht mehr so sehr um seine Eltern ging.
    Insgesamt mag ich die Geschichte nicht besonders egal ob man nun Samson als Held oder als bedauernswerten, einsamen jungen Mann.


    Ich vergebe mal 2ratten, weil ich es bis zum Ende durchgehalten habe, aber insgesamt war es einfach nicht meins.


    Viele Grüße
    schokotimmi

  • David Grossman - Löwenhonig

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt: Samson, der Held. Der Mythos aus dem Buch der Richter. Vor dem Hintergrund der zweiten Intifada im Winter 2002/2003 liest David Grossman den alten biblischen Text Satz für Satz und Wort für Wort noch einmal und fördert eine Geschichte zu Tage, die gegen Gott und gegen die Mär von der unerschütterlichen Stärke spricht: Wir müssen uns Samson als einen unglücklichen Menschen vorstellen. Samsons Stärke war seine Schwäche - er war ihr nicht gewachsen. Und so wurde er zum ersten Selbstmordattentäter der Geschichte.


    Es ist interessant, wie David Grossman diese biblische Geschichte sukzessive auseinander nimmt und interpretiert. Zu Beginn wird die Geschichte erzählt, so wie er im Tanach steht. Dann erzählt er die Geschichte aus seiner Sicht in unsere heutigen Sprache. Er beginnt bei der Mutter von Samson und der ungewöhnlichen Empfängnis von Samson. Vor allem gibt er dieser namentlich unbekannten Frau eine Geschichte und ein Gesicht, das sie in einem ganz besonderen Licht dastehen lässt. Schon alleine diese Vorgeschichte zu diesem Drama ist faszinierend und ich bin gespannt, wie Grossman Samson charakterlich untersuchen wird.

  • [size=13pt]David Grossman - Löwenhonig[/size]

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    OT: Dwasch Arjot
    OA: 2006
    128 Seiten
    ISBN:978-3423136143


    Inhalt:
    Samson, der Held. Der Mythos aus dem Buch der Richter. Vor dem Hintergrund der zweiten Intifada im Winter 2002/2003 liest David Grossman den alten biblischen Text Satz für Satz und Wort für Wort noch einmal und fördert eine Geschichte zu Tage, die gegen Gott und gegen die Mär von der unerschütterlichen Stärke spricht: Wir müssen uns Samson als einen unglücklichen Menschen vorstellen. Samsons Stärke war seine Schwäche - er war ihr nicht gewachsen. Und so wurde er zum ersten Selbstmordattentäter der Geschichte.


    Eigene Meinung:
    Ich hatte von diesem Buch an eine völlig andere Vorstellung, als ich begann es zu lesen. Ich ging davon aus, dass es sich hier um eine Nacherzählung der biblischen Geschichte um Samson handelt, in unseren heutigen Worten. Allerdings handelt es sich hier vielmehr um ein Essay, denn Grossman nimmt den Text des Tanach sukzessive auseinander und interpretiert das was zwischen den Zeilen steht. Er versucht auch den Nebendarstellern ein Gesicht und einen Charakter zu geben und vor allem versucht er diese Geschichte, die letztendlich ein einziges Drama ist, zu analysieren und Zusammenhänge und Verbindungen zu unserer heutigen Zeit zu finden.
    In Anbetracht all dessen ist dies David Grossman hier auch hervorragend gelungen.
    Man muss den Text des Tanach nicht kennen, denn dieser wird dem Leser zu Beginn des Buches vorgelegt.
    Ich werde auf alle Fälle, nach der Lektüre dieser Interpretation eine ganz andere detailliertere Vorstellung von Samson haben, als zuvor.


    4ratten

  • Grossmann hat keine Neuinterpretation der biblischen Geschichte geschrieben, wie es andere Autoren der Reihe mit ihren Mythen gemacht haben, sondern er liefert eine Exegese. Diese ist in meiner Wahrnehmung jedoch sehr phantasievoll und wenig wissenschaftlich. Das heißt, ich bekomme als Leserin nicht den erwarteten fiktiven Text, sondern eine ernsthafte Analyse eines aus meiner Sicht fiktiven Textes. Denn Grossmann behandelt die Materie, als lägen zweifelsfreie Fakten vor. Nicht nur die Personen und Geschehnisse, sondern vor allem die Aussagen werden wortwörtlich analysiert und interpretiert. Aus meiner Sicht handelt es sich bei biblischen Geschichten um Mythen, in denen übertriebene Situationen entweder ein Detail verdeutlichen oder die Geschichte aufwerten sollen.


    Ich habe geisteswissenschaftliche Fächer studiert, ich habe also selbst ausgiebig interpretiert und vermutet. Die Vermutungen, die Grossmann hier auf Basis weniger Zeilen anstellt, ausschmückt und weiterspinnt, sind mir jedoch zu weit hergeholt. Er charakterisiert Samsons namenlose Mutter alleine aufgrund der Namenlosigkeit und der Betonung ihrer Unfruchtbarkeit. Was er daraus ableitet, wie sie die Begegnung mit dem “Mann Gottes” wiedergibt, ist wirklich erstaunlich.


    Grossmanns Einschätzung Samsons und verschiedener Situationen ist weit entfernt von meiner Wahrnehmung. Er beschreibt Samson als unsicheres, nach Liebe suchendes Kind. Er sei gelenkt von seiner Aufgabe als Gottes Auserwählter und sich dessen vielleicht gar nicht bewusst. Unsicher? Ja, vermutlich. Und dadurch nur noch rachsüchtiger und brutaler. Ich sehe nichts Poetisches in seinem unlösbaren Rätsel, nur Hinterlist. Grossmann bezeichnet voller Bewunderung das in Brand Setzen der Felder durch Füchse als “prachtvolle, stilvolle, sogar ästhetische Rache”. Am Rande ordnet er es den anderen “brutalen Gewalttaten “ der Bibel zu, bewundert jedoch vor allem die Kreativität der Tat. Ich hingegen sehe Parallelen zu einem Jungen, der einen Weg gefunden hat, nicht nur Ameisen mit einer Lupe zu verbrennen, sondern gleichzeitig auch anderen Menschen Schaden zuzufügen.


    Nach rund 80 Seiten nimmt Grossmann einen Gedanken vom Anfang wieder auf: dass Samson in seinem Verhalten mehr den Philistern gleiche und trotzdem ein Held des jüdischen Volkes sei. Diese Ambivalenz ist spannend, die sehr kurze Ausführung Grossmanns ist für mich jedoch nicht ganz nachvollziehbar. Hier streift er ein Themengebiet, das politisch vielleicht zu aufgeladen ist.


    Insgesamt wiederholt Grossmann manche Gedanken immer wieder. Er referenziert nicht nur auf eine bereits hergeleitete Erkenntnis, sondern wiederholt diese. Wer weiß, wie kurz dieser Essay ansonsten geworden wäre… Zwischendurch wird er pathetisch (“Und so flackert auch in uns, in uns allen, die traurige Gewissheit…”)., ein anderes Mal kokettiert er mit Erotik. Nichts davon hat bei mir gezündet.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Grossman zeigt hierbei, wie atemberaubend das aus dem Schulunterricht so verpönte Auseinandernehmen jedes einzelnen Satzes, ja jedes Wortes, sein kann. Grossman hinterfragt jede Formulierung und holt so Dinge aus dem Text heraus, die der flüchtigen Leserin niemals auffallen würden.

    Schon beim Lesen bin ich an dem Gedanken der Exegese haften geblieben und habe über die Unterschiede zwischen Bibelexegese und (literaturwissenschaftlicher) Textinterpretation nachgedacht.

    Ich glaube, dass das was du beschreibst für mich nicht funktioniert hat, weil die biblischen Texte eine vielschichtige Entstehungs- und Übersetzungsgeschichte haben. Man kann nicht nachvollziehen, wer etwas mit welcher Intention wann verändert hat. Um bei den Schultexten zu bleiben: Man kennt den Autor, meist auch seine Intention und vor allem den historischen Kontext recht gut. Und dennoch formuliert man seine Ergebnisse weniger als Tatsachen, als Grossmann es in meiner Wahrnehmung hier getan hat.


    Und um ehrlich zu bleiben: Grossman hatte einen schweren Start, weil ich komplett andere Erwartungen hatte. ;)

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges