Anne Perry: Ein Mann aus bestem Hause (Inspektor Thomas Pitt)

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  • SLW 2010 Buch 1 (Schwere Brocken-Liste; ältestes Buch auf dem SUB)


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    In der Kanalisation von Bluegate Fields wird die Leiche eines jungen Mannes gefunden, der dort so gar nicht hinzupassen scheint. Denn der Tote stammt aus der Oberschicht und die hält sich in derart armen Stadtteilen nicht auf. Schon bald ist klar: Der junge Mann wurde in einer Badewanne ertränkt und erst später in der Kanalisation „entsorgt“. Besondere Brisanz erhält der Fall aber aus einem anderen Grund: Der Junge hatte die Syphilis und vor seinem Tod offenbar noch Geschlechtsverkehr... mit einem Mann.
    Schnell ist ein Schuldiger gefunden: Der Hauslehrer des Jungen. Nachdem auch der jüngere Bruder des Opfers und ein anderer Schüler Aussagen machen, dass der Mann sie "angefasst" hätte, sind auch schnell weitere Zeugen gefunden, die dem Mann homoerotische Neigungen bescheinigen. Der Hauslehrer wird vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt, doch der Fall lässt Inspektor Thomas Pitt keine Ruhe. Er ist überzeugt davon, den wahren Schuldigen nicht gefunden zu haben. Doch Ermittlungen in der einflussreichen Oberschicht anzustellen, die auf keinen Fall einen Skandal verursachen möchte, ist mit erheblichen Widerständen verbunden, und ihm bleiben nur 10 Tage, bis ein möglicherweise unschuldiger Mann hingerichtet wird...



    Vor gut 10 Jahren habe ich meinen ersten „Charlotte und Thomas Pitt“-Roman gelesen. Das viktorianische Setting gefiel mir und ich mochte den grundsätzlich zerzausten Thomas und seine Frau Charlotte, ein echter Blaustrumpf aus einer besseren Gesellschaftsschicht, die immer wieder an den Ermittlungen ihres Mannes teilnimmt. Dann habe ich den Geschmack an Krimis generell verloren und deshalb stehen seit dieser Zeit 3 ungelesene Romane der Reihe in meinen Regalen. Im Zuge des SWL wurde nun dieser Band wieder ausgegraben und nach dem Ende der Lektüre bin ich mir ziemlich sicher, dass die anderen beiden noch weitere 10 Jahre ein Regaldasein fristen werden (außer ich muss im nächsten Jahr wieder mein ältestes Buch des SUBs lesen ;)).
    Der Grund dafür liegt nicht in den Figuren selbst. Ich fand Thomas und Charlotte nach wie vor sympathisch und charmant. Es war vielmehr die Erzählweise der Autorin, die mich verrückt gemacht hat.
    Zunächst hat dieses Buch ein generelles unangenehmes Ungleichgewicht. Während die zweite Hälfte des Romans Tempo hat und an einigen Stellen fast zu oberflächlich und hastig ist, ist die erste Hälfte bis zur Verurteilung des Hauslehrers sehr handlungsarm und beginnt sich irgendwann unangenehm zu ziehen. Inspektor Pitt ermittelt, gelinde gesagt, mit angezogener Handbremse. Er fragt nicht nach, wo sich dringende Fragen aufdrängen, er bleibt defensiv und scheint viele der Ungereimtheiten nicht zur Kenntnis zu nehmen, beziehungsweise, sie einfach zu ignorieren. Nach der Verurteilung, oh Wunder, wacht er dann doch noch auf und macht sich an die Ermittlungen (die nun natürlich deutlich schwieriger sind). Zweifellos musste die Autorin ihren Helden in diese Situation bringen: der vermeintliche Täter zum Tode verurteilt und nur 10 Tage Zeit, um den wahren Schuldigen zu finden. Aber etwas mehr Mühe hätte sie sich beim Konstruieren dieser Situation schon geben können. So wirkt es fürchterlich plump.
    Und noch etwas anderes war fürchterlich plump: Die ständige Charakterisierung von Figuren. Anne Perry scheint den alten Leitspruch: „Show don't tell“ als „Show AND tell and tell and...“ fehlinterpretiert zu haben. Ja, ich hatte schon beim ersten Auftauchen von Pitts Kollegen begriffen, dass er ein opportunistischer, selbstgerechter Speichellecker ist. Kein Grund, den guten Pitt ständig über die schlechten Charaktereigenschaften des Mannes sinnieren zu lassen. So vielschichtig war diese Nebenfigur nun wirklich nicht. Ebenso der Hauslehrer. Die Beschreibung seiner Haltung allein hätte ausgereicht, mir zu verdeutlichen, dass der Mann kein Sympathieträger ist. Aber sowohl Thomas als auch Charlotte müssen das immer wieder und wieder und wieder selbst in Gedanken noch einmal feststellen.
    Himmel, ich hatte das Gefühl, die Autorin hält ihre Leser für beschränkt!


    Ansonsten war die Geschichte nicht so übel. Pitt hat im Prinzip einen Fall vor sich, in dem er nur gegen größte Widerstände ermitteln kann. Denn nichts fürchten die Leute der Oberschicht mehr als einen Skandal. Und ein homosexuelles Familienmitglied würde einen solchen mit Sicherheit erzeugen. Das ist natürlich für den Leser reizvoll, denn diese Situation voller Widerstände erzuugt eine gewisse Spannung.
    Das Ende enttäuscht dann allerdings wieder etwas, weil man das meiner Meinung nach eleganter hätte lösen können.


    Letztlich bleibt es ein erträglicher Krimi, mit sympathischen Protagonisten. Ich weiß schon, warum ich eigentlich zu einmal geliebten Büchern/Reihen nur ungern zurückkehre...


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hallo!


    Es ist gefühlte 100 Jahre her, daß ich das Buch las. Ich mochte die Thomas-Pitt Reihe sehr gerne, wegen der personen, wergen der Atmosphäre. weil man sich anhand der Beschreibungen immer alles so gut vorstellen konnte und ich fand es eben immer klasse, wie Charlotte ihre Connections spielen ließ um ihrem Mann bei seinen Ermittlungen zu helfen.
    Die Krimis sind meist recht zäh, weil eben damals immer und immer wieder BEfragungen durchgeführt werden mußten, ewig nach Motiv gesucht werden mußte. Es gab ja noch keine Technik, wo man mit Fingeabdrücken, Blutanalysen oder ähnliches den Täter suchen konnte und genau das finde ich macht u.a.den Reiz der Bücher aus.


    Gruß Silkes.

  • SilkeS.: Auch ohne moderne Ermittlungsmethoden muss ein Krimi nicht zäh sein. Und in diesem Buch wurde auch nicht viel befragt. Stattdessen wurden immer und immer wieder in Gedanken die gleichen Personencharakterisierungen durchgespielt (die für die Lösung des Falles übrigens keine Rolle spielten). Das ist für mich einfach eine Schwäche im Erzählen, da tröstet mich auch nicht, dass ich Charlotte und Thomas charmant und das Setting toll finde.