Nach Anfang der Neunziger endlich mal wieder meine literarische Rückkehr nach Russland:
Lev N. Tolstoj: Auferstehung
Inhalt:
Dieser dritte und letzte Roman des alten Tolstoj behandelt die Änderung des Lebenswandels und der inneren Einstellung des Großgrundbesitzers und Fürsten Nechljudow, in den Dreißigern und dem gedankenlosen Wohlleben seines Standes verfallen, sowie der von ihm als junges Mädchen verführten Katja Maslowa, die halb als Dienstbotin, halb als Ziehtochter im Hause seiner Tanten wohnte und nach der Verführung durch Nechljudow schwanger wurde, ihre Arbeit bei den Tanten verlor und zur Prostituierten wurde.
Nechljudow trifft sie ca. 10 Jahre später vor Gericht wieder, er als Geschworener, sie als unschuldig des Giftmordes Angeklagte.
Aufgrund der Unfähigkeit und des Egoismus vieler Beteiligter wird Katja dennoch zur Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Nechljudow, der ihr Schicksal als letztlich von ihm zu verantworten begreift, beschließt, alles für die Kassation des Urteils zu tun, sie im Falle des Nichtgelingens nach Sibirien zu begleiten und dort zu heiraten.
Meinung:
Der Roman weist wenig zielführende Handlung auf: Es passiert außer dem oben Geschilderten nicht viel mehr, was da äußere Schicksal der Protagonisten angeht. Dagegen lebt der Inhalt von der farbigen Schilderung breiter Schichten der russischen Bevölkerung, die Tolstoi aufgrund seiner Empörung gegenüber den unhaltbaren sozialen Gegensätzen im spätzaristischen Russland durchaus parteiisch zugunsten der Schwachen und Unterdrückten und sehr kritisch gegenüber seinem eigenen Stand beschreibt. Man erfährt sehr viel über die Lebensbedingungen der Menschen jener Zeit und kann sich an der Meisterschaft der Personenzeichnung erfreuen.
Das Ende dagegen ist ziemlich verquast und mündet unter abrupter Abschneidung aller Handlungsstränge in einem Plädoyer für die Lebensweise nach der Bergpredigt, gut gemeint, aber wenig realistisch.
Fazit: Nicht der beste Tolstoi, aber über weite Strecken von der gewohnten Meisterschaft der Schilderung beherrscht und ein guter und oft erschütternder Einblick in die damalige Lebensweise der Entrechteten.
finsbury