Kaufen* bei
Amazon
Bücher.de
Buch24.de
* Werbe/Affiliate-Links
Inhalt: Als es heißt, Milo Striga sei tot, schließt sich Esnal für Monate in seinem Zimmer ein und verläßt das Haus zum Leidwesen seiner Mutter nicht. Er kommt erst wieder heraus, als die Nachricht die Runde macht, Milo lebe noch. Als dann aber Milos Frau mit einem Amerikaner durchbrennt und die kleine Tochter bei der Großmutter, Milos Mutter, zurückläßt, fühlt auch Esnal sich seines Freundes zuliebe gefordert, sich um sie zu kümmern. In Mosquitos wird nämlich sowieso über die Familie Striga getuschelt und gelästert, was viel mit Milos längst verstorbenen Vater Arpad und dessen Verhalten zu tun hat, und Esnal will dem zu Merceditas Besten etwas entgegensetzen. Bei Oberst Valerio erwirkt er die Erlaubnis, im Kulturhaus des Provinznestes Vorträge über die Menschheitsgeschichte zu halten, aber nur bis zur Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Der Oberst will so vermeiden, daß Esnal „kommunistische Propaganda“ verbreitet und schickt auch seine Frau und deren Freundinnen zur Kontrolle in Esnals Vorträge. Aber Esnals Zuhöhrer erliegen bald seiner Vortragskunst, und dabei entwirft er für die Strigas auch gleich noch einen Stammbaum bis zurück in die Steinzeit. Denn alle Strigas haben ein unverwechselbares Merkmal: ein blaues Kreuz auf dem linken Schulterblatt. Als der Jahrestag der Entdeckung Amerikas ansteht, will Oberst Valerio Esnal bei den Feierlichkeiten benutzen, und dieser überlegt nun verzweifelt, wie er sich der erwarteten Hymne auf Kolumbus entziehen kann ...
Meine Meinung: Einerseits ist das der Inhalt des Romans, andererseits auch wieder nicht. Vordergründig passiert in diesem uruguayischen Provinznest nicht viel mehr, auch nicht nach Abdankung der Militärs und der Freilassung der politischen Gefangenen, mithin auch Milo Stregas. Oberst Valerio geht in den Ruhestand und konzentriert sich auf die Karriere seines Sohnes und das war es dann auch wirklich. Fast. Diese Geschichte im Vordergrund erzählt Mario Delgado Aparaín durchaus mit viel Humor, der immer auch eine leichte Spur Traurigkeit enthält, und darin erinnerte es mich sehr an Die Ballade von Johnny Sosa des gleichen Autors.
Interessanter war für mich aber das, was nicht ausdrücklich gesagt wird. Der Klappentext spricht davon, daß es „ein witziger und poetischer Roman über die Kunst, in schwierigen Zeiten die eigene Würde zu bewahren“ sei. Das ist zwar nicht falsch, blendet aber m. E. einen wichtigen Aspekt aus, nämlich die Verwendung von Geschichte für bestimmte Zwecke, die Frage der Deutungshoheit darüber. Esnal verteilt über alle Epochen hinweg Strigas in seiner Menschheitsgeschichte, und er tut das ohne schlechtes Gewissen, selbst noch in dem Vortrag zum Jahrestag der Entdeckung, wo er wegen der anwesenden Militärs unter besonderer Beobachtung steht und trotzdem sein Konzept unbeirrt weiterverfolgt. Charakteristisch und zentral in diesem Zusammenhang sind diese Absätze:
[quote author="S. 126"]Esnal hingegen war der Ansicht, die wahrheitgetreue Rekonstruktion der Vergangenheit werde nie und nimmer gelingen. Deshalb ging er davon aus, daß die Geschichte den Besiegten sichere Zufluchtsorte bot, Freiräume für barmherzige Spinnereien, an die sie sich klammern konnten, um wieder aufzuerstehen wie der Kater Felix aus seiner Asche.
Oder, fragte er sich, die letzten Bedenken überwindend, war das, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen, etwa nicht der Maßstab, den die Sieger beim Schreiben der Geschichte anlegten? Rühmten sie nicht mit grenzenlosem Zynismus Kühnheit und Beharrlichkeit der Caudillos oder die tragischen und blutigen Schlachten ihrer Feldzüge, nur um eine imaginäre Vergangenheit zu schaffen, die lediglich in ihren Köpfen vorhanden war, trotzdem aber ausreichte, die Stellung zu legitimieren, die sie gerade innehatten?
Natürlich taten sie das. Und da er seine Haut bei dem waghalsigen Vorstoß ohnehin riskieren mußte, hatte es keinen Sinn mehr, sich schamhaften Gedanken hinzugeben, ob er die Geschichte der Strigas, diese seltsame Sage über ein Geschlecht, das alle Ängste und Hoffnungen auf sich vereinte, unzulässig »bearbeitete«. Am Ende, so schien es ihm, sah er, wohin er auch offenen Auges blickte: das Theater des Lebens. Wohin er auch schaute, überall erhob sich jene prophetische und überaus leicht in Erinnerung zu rufende Vergangenheit, die von den Toten für die Lebenden gezimmert worden war (...) [/quote]
+
Schönen Gruß,
Aldawen