[Uruguay] Mario Delgado Aparaín – Februarmond

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    Inhalt: Als es heißt, Milo Striga sei tot, schließt sich Esnal für Monate in seinem Zimmer ein und verläßt das Haus zum Leidwesen seiner Mutter nicht. Er kommt erst wieder heraus, als die Nachricht die Runde macht, Milo lebe noch. Als dann aber Milos Frau mit einem Amerikaner durchbrennt und die kleine Tochter bei der Großmutter, Milos Mutter, zurückläßt, fühlt auch Esnal sich seines Freundes zuliebe gefordert, sich um sie zu kümmern. In Mosquitos wird nämlich sowieso über die Familie Striga getuschelt und gelästert, was viel mit Milos längst verstorbenen Vater Arpad und dessen Verhalten zu tun hat, und Esnal will dem zu Merceditas Besten etwas entgegensetzen. Bei Oberst Valerio erwirkt er die Erlaubnis, im Kulturhaus des Provinznestes Vorträge über die Menschheitsgeschichte zu halten, aber nur bis zur Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Der Oberst will so vermeiden, daß Esnal „kommunistische Propaganda“ verbreitet und schickt auch seine Frau und deren Freundinnen zur Kontrolle in Esnals Vorträge. Aber Esnals Zuhöhrer erliegen bald seiner Vortragskunst, und dabei entwirft er für die Strigas auch gleich noch einen Stammbaum bis zurück in die Steinzeit. Denn alle Strigas haben ein unverwechselbares Merkmal: ein blaues Kreuz auf dem linken Schulterblatt. Als der Jahrestag der Entdeckung Amerikas ansteht, will Oberst Valerio Esnal bei den Feierlichkeiten benutzen, und dieser überlegt nun verzweifelt, wie er sich der erwarteten Hymne auf Kolumbus entziehen kann ...



    Meine Meinung: Einerseits ist das der Inhalt des Romans, andererseits auch wieder nicht. Vordergründig passiert in diesem uruguayischen Provinznest nicht viel mehr, auch nicht nach Abdankung der Militärs und der Freilassung der politischen Gefangenen, mithin auch Milo Stregas. Oberst Valerio geht in den Ruhestand und konzentriert sich auf die Karriere seines Sohnes und das war es dann auch wirklich. Fast. Diese Geschichte im Vordergrund erzählt Mario Delgado Aparaín durchaus mit viel Humor, der immer auch eine leichte Spur Traurigkeit enthält, und darin erinnerte es mich sehr an Die Ballade von Johnny Sosa des gleichen Autors.


    Interessanter war für mich aber das, was nicht ausdrücklich gesagt wird. Der Klappentext spricht davon, daß es „ein witziger und poetischer Roman über die Kunst, in schwierigen Zeiten die eigene Würde zu bewahren“ sei. Das ist zwar nicht falsch, blendet aber m. E. einen wichtigen Aspekt aus, nämlich die Verwendung von Geschichte für bestimmte Zwecke, die Frage der Deutungshoheit darüber. Esnal verteilt über alle Epochen hinweg Strigas in seiner Menschheitsgeschichte, und er tut das ohne schlechtes Gewissen, selbst noch in dem Vortrag zum Jahrestag der Entdeckung, wo er wegen der anwesenden Militärs unter besonderer Beobachtung steht und trotzdem sein Konzept unbeirrt weiterverfolgt. Charakteristisch und zentral in diesem Zusammenhang sind diese Absätze:


    [quote author="S. 126"]Esnal hingegen war der Ansicht, die wahrheitgetreue Rekonstruktion der Vergangenheit werde nie und nimmer gelingen. Deshalb ging er davon aus, daß die Geschichte den Besiegten sichere Zufluchtsorte bot, Freiräume für barmherzige Spinnereien, an die sie sich klammern konnten, um wieder aufzuerstehen wie der Kater Felix aus seiner Asche.
    Oder, fragte er sich, die letzten Bedenken überwindend, war das, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen, etwa nicht der Maßstab, den die Sieger beim Schreiben der Geschichte anlegten? Rühmten sie nicht mit grenzenlosem Zynismus Kühnheit und Beharrlichkeit der Caudillos oder die tragischen und blutigen Schlachten ihrer Feldzüge, nur um eine imaginäre Vergangenheit zu schaffen, die lediglich in ihren Köpfen vorhanden war, trotzdem aber ausreichte, die Stellung zu legitimieren, die sie gerade innehatten?
    Natürlich taten sie das. Und da er seine Haut bei dem waghalsigen Vorstoß ohnehin riskieren mußte, hatte es keinen Sinn mehr, sich schamhaften Gedanken hinzugeben, ob er die Geschichte der Strigas, diese seltsame Sage über ein Geschlecht, das alle Ängste und Hoffnungen auf sich vereinte, unzulässig »bearbeitete«. Am Ende, so schien es ihm, sah er, wohin er auch offenen Auges blickte: das Theater des Lebens. Wohin er auch schaute, überall erhob sich jene prophetische und überaus leicht in Erinnerung zu rufende Vergangenheit, die von den Toten für die Lebenden gezimmert worden war (...) [/quote]



    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Zugegeben, es war bei mir nicht die beste Woche für anspruchsvollere Bücher, aber das allein kann keine Erklärung dafür sein, dass mein Urteil diesmal ungewöhnlich weit von Aldawens abweicht. Allerdings hinterlässt dieser Roman einen irgendwie unaufgeräumten Einruck bei mir. Das Tempo, mit dem Delgado Aparaín mal ein halbes Jahr, mal eine einzige Nacht beschreibt, erscheint mir ruckelig, er lässt immer mal wieder einen Erzählfaden los, um sich einem anderen zuzuwenden und mich als Leserin damit in der Luft hängen. Manchmal greifen Andeutungen vor, manchmal tappt man im Dunkeln. Ja, ich konnte mich nur schwer aufs Lesen konzentrieren, aber auch nach wiederholtem Lesen mancher Kapitel fügte sich die Geschichte nicht besser zusammen. Mit dem Stil wurde ich bis zum Ende nicht warm, er war mir oft zu geschwollen, zu verwinkelt. Und manche Sprachbilder waren "schief", mich würde interessieren, ob das der Übersetzung geschuldet ist (leider habe ich mir keine Beispiele rausgeschrieben, sorry).


    Dabei pendelt die Stimmung ganz wunderbar zwischen melancholisch-düster und schelmenhaft-heiter. Übrigens heißt der Roman im Original Alivio de luto, Halbtrauer, was es meiner Meinung nach besser trifft als der deutsche Titel Februarmond.


    Der Grundgedanke hat mir sehr gut gefallen, dieser Blick auf das Leben in einer südamerikanischen Diktatur, der ganz ohne Gewalt und Gefängniseinblicke auskommt und nur den nervenaufreibenden Alltag in einem kleinen Dorf beschreibt. Wo es das Beste ist, unsichtbar zu bleiben und sich im Zweifel mit schwammigen Aussagen aus der Affäre zu ziehen, den Mund kann man sich dann über die altbewährten Sündenböcke zerreißen. Und mitten in dieser vergifteten Atmosphäre Esnal, der für die Würde eines heranwachsenden Mädchens eintritt. Die Idee, die Geschichte umzuschreiben oder besser: um wesentliche Details zu ergänzen, finde ich toll. Wie Esnal es schafft, Vorfahren der Familie Striga in der Menschheitsgeschichte zu platzieren und dabei der verhassten und gemiedenen Familie fast schon einen heldenhaften Glanz verleiht, ist großartig. Und alles nur, um Milos Tochter Mercedita das Leben zu erleichtern. Wie er dann auch noch während der Feierlichkeiten mehr oder minder offen gegen die Machthaber antritt, lässt die Guerillas dagegen blass aussehen. Ganz klar, das Spiel mit der Deutung und dem Einsatz von Geschichte ist die große Stärke dieses Buches.


    In der Nachbetrachtung spendiere ich dem Buch ein Mäuschen mehr, als ich es während des Lesens getan hätte, und komme auf 3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • In einer Rezi der Lateinamerika Nachrichten habe ich etwas zur Übersetzung gefunden, das ich euch nicht vorenthalten möchte.


    Zitat von http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/1580.html

    Ein Wort zur Übersetzung: Sie dürfte nicht leicht gefallen sein bei einem Autor, der die Möglichkeiten des spanischen Satzbaus umfassend ausschöpft. Delgado Aparaín gelingt es in langen Sätzen mit Partizipien, Pronomen und Gerundialformen wunderbar, dynamisch zu erzählen – nur ist das im Deutschen verteufelt schwer nachzuahmen, weil man dauernd in Nebensätze ausweichen muss oder weil sich die Partizipialkonstruktionen, die im Spanischen locker fließen, nur holperig lesen lassen. Enno Petermann hat sich meist für eine wortnahe Übertragung entschieden, was gelegentlich auf Kosten der Lesefreundlichkeit geht. Wer kann, sollte das Buch auf Spanisch lesen (es erschien unter dem Titel Alivio de luto 1998 im Verlag Alfaguara, Montevideo).


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Danke für die beiden Rezis. Ich habe das Buch für Uruguay ebenfalls auf der Liste und lasse mich überraschen. Die Info zur Übersetzung behalte ich auf alle Fälle im Hinterkopf.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Mario Delgado Aparain


    Februarmond


    Alivio de luto


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    Dieses Buch werde ich im Rahmen der Monatsrunde sowie des SLW lesen. Es gehört nicht so zu meinem üblichen Beuteschema, ich bin also ein bisschen skeptisch - und auch neugierig.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

    Einmal editiert, zuletzt von Kiba ()

  • Bisher bin ich bis zum 2. Kapitel gekommen. Die Sprache ist ein bisschen schnörkelig und erfordert mehr Aufmerksamkeit, als ich diese Woche aufbringen kann (Stress).


    Die Handlung spielt in Mosquitos, irgendwo in Südamerika in einem putschgeplagten Land. Man muss seinen Nächsten wohl mit Misstrauen betrachten.


    Nachdem Ensal erfahren hat, dass das Militär seinen Freund Milo einkassiert und vermutlich getötet hat, verkriecht er sich in seinem Zimmer. Er wohnt noch bei seiner Mutter, schert sich aber keinen Deut um sie. Er vernagelt sein Fenster, liegt rum und trinkt Bier. Gelegentlich wichst er.


    Tja, hoffen wir auf baldigen Fortschritt der Geschichte oder einen anderen Handlungsfaden...

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Es ist schwieriger mit diesem Buch und mir, als ich dachte. In der Woche bin ich immer nach max. 5 Seiten eingeschlafen. Ob es am Stress liegt oder auch am Buch, scheint mir nicht ganz sicher.


    Esnal ist mir auf den ersten 50 Seiten so gar nicht sympathisch. Er lebt mit über 35 Jahren bei seiner Mutter, arbeitet nicht, lässt sich von Mama bekochen, hängt rum. Als seine Mutter stirbt, muss er sich endlich aufraffen und selbst irgendwas arbeiten. Aber im letzten Kapitel, das ich heute gelesen habe, wird beschrieben, wie er mit der 13jährigen Mercedita umgeht, und das war gut.


    Merceditas Vater Milo sitzt wohl irgnedwo im Gefängnis, man konnte nichts herausfinden. Die Mutter ist mit einem neuen Mann weg, das Mädchen lebt bei der Oma. Im Dorf wird getratscht, und Mercedita ist in einem schwierigen Alter... Sie ist stinksauer auf alle und alles.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Mario Delgado Aparaín


    Februarmond


    Alivio de luto (Halbtrauer)



    Mosquitos, ein Provinznest in Uruguay Anfang der 80er Jahre. Das Militär hat die Macht, die Bevölkerung duckt sich. Man jagt Kommunisten, mit Verratsvorwürfen ist man schnell zur Hand.


    Milo Stragi wird verhaftet und bleibt verschwunden, sein Schicksal ist ungewiss. Seine Frau setzt sich mit einem neuen Mann in Richtung USA ab, die Tochter Mercedita bleibt in Obhut der Großmutter. Das Dorf fängt an, über die Strigas zu tratschen.


    Milos Freund Esnal, der sich nach Milos Verhaftung für mehrere Monate in seinem Schlafzimmer (im Hotel Mama) verbarrikadiert hatte, musste seiner Mutter versprechen, Mercedita zu schützen. Zeitgleich sieht er sich nach dem Tod seiner Mutter gezwungen, selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Und so verbindet er beide Aufgaben: Er hält Vorträge über die Geschichte der Menschheit, und diese Geschichte türkt er ein wenig zugunsten der Strigas…



    Bei diesem Roman muss man vermutlich viel zwischen den Zeilen lesen, und das liegt mir so gar nicht. Der Böse in dieser Geschichte, ein uruguayischer Oberst namens Werner Valerio, der Gartenzwerge sammelt, kommt mir irgendwie sehr deutsch vor. Den Helden der Geschichte Esnal muss man erst genauer kennenlernen, um seine Vorzüge schätzen zu können.


    Die Sprache des Romans ist etwas zu schnörkelig, und dass Esnals „gelbe Mähne“ etwa zwanzigmal erwähnt wurde, ging mir zunehmend auf die Nerven.


    Hier ein Textbeispiel, warum ich mich mit dem Buch nicht anfreunden konnte:

    Zitat


    Aus einem rätselhaften Grund kam er zu dem Ergebnis, dass der Baske eines Tages sterben würde, stolz und gewaltig.




    Und hier der beste Satz des gesamten Textes:

    Zitat


    Hier stehe ich nun und muss feststellen, dass der Krieg sich in ein Museum verwandelt hat, in eine Touristenattraktion, eine Heimstatt für Gespenster mit verstümmelten Seelen.




    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

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