Kazuo Ishiguro - Nocturnes / Bei Anbruch der Nacht

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.823 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von tom leo.

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    Ishiguro, Kazuo: "Nocturnes: Five Stories of Music and Nightfall" (Faber&Faber, London, 2009)

    [size=1]Rezensiert für den SLW 2010[/size]


    Ishiguro versammelt in seiner neuesten Veröffentlichung fünf Kurzgeschichten, die sich alle irgendwie um Musik und irgendwie um die Nacht drehen. Ein alternder Schnulzensänger sereniert ein letztes Mal seine Frau, ehe sie sich scheiden lassen, damit er sich neu erfinden kann; ein Ehepaar lädt einen alten Freund ein, damit sie sich an dessen Versagen laben und die eigenen Probleme vergessen können; ein junger Mann versucht, bei seiner Schwester auf dem Land Ordnung in sein Leben zu bringen, ehe er sich der Musik widmen kann; ein talentierter Jazzmusiker lässt sich vom neuen Mann seiner Ex-Frau eine Schönheitsoperation bezahlen, damit es endlich mit der Karriere klappen kann; und ein osteuropäischer Straßenmusiker lässt sich von einer Frau beim Cellospielen helfen, die gar nicht Cello spielen kann. Das Ganze spielt mal in Venedig, mal in Amerika, mal in England, mal in den USA, einige Geschichten sind miteinander verbunden, andere nicht - aber wenn, dann so locker, dass nur ein Name oder ein Ort die Verbindung darstellt.
    Das ganze ist wenig aufsehenerregend. Die Geschichten bieten nichts Neues, nichts Spannendes, nichts Fesselndes, sie plätschern dahin wie die Musik, um die es meistens geht: Hintergrundmusik, Fahrstuhlmusik, weichgespülter Sinatra. Es kann also durchaus Absicht sein, dass die Geschichten nicht aufregen oder fesseln, aber Spaß macht das beim Lesen genau so wenig wie beim Hören. Nach so großartigen Romanen wie "The Remains of the Day / Was vom Tage übrig bleibt" und "When We Where Orphans / Als wir Waisen waren" kann so eine kleine, leise Sammlung eigentlich nur enttäuschen. Wer Ishiguro mit etwas Kurzem kennenlernen möchte, ist mit seinen frühen Werken (ich mochte "A Pale View of Hills / Damals in Nagasaki") sicher besser bedient als mit dieser Sammlung. Überzeugt hat mich allein und wie immer Ishiguros Schreibstil, klar und leise, ohne dabei langweilig zu sein.
    3ratten
    weil ich zugebe, Kurzgeschichten haben es bei mir immer schwer.

    "A book is to me like a hat or a coat - a very uncomfortable thing until the newness has been worn off." (Charles B. Fairbanks)

  • Ich hole Machandels Thread mal aus der Versenkung und bin gleichzeitig dankbar, dass sie in ihrer Rezension bereits so manchen Eindruck zu Papier brachte, den auch ich teile - obwohl ich jetzt eigentlich zum Sport wollte, kann ich somit doch eben die Gelegenheit nutzen, meine Eindrücke zu Nocturnes. Five Stories of Music and Nightfall abgeben, deren letzte zwei von insgesamt fünf Geschichten ich gestern beendet habe.


    Ob Kurzgeschichten es bei mir auch prinzipiell schwierig haben, vermag ich kaum zu sagen, tatsächlich ist es wohl so, dass ich bisher nie ein großer Leser solcher gewesen bin, das kann jetzt als Bestätigung dafür dienen, dass ich sie nicht sonderlich mag oder als Beleg dafür, dass ich einer Ab- oder Zuneigung noch gar nicht sicher sein kann.
    Auf alle Fälle ist es bei diesen doch insgesamt so gewesen, wie Machandel schon sagte: Die Stories plätschern eher so dahin, der Schreibstil ist, ich beziehe mich hier also auf die englische Originalausgabe, eignet sich aufgrund seiner Zugänglichkeit auch sehr dafür, man ist stellenweise fast so schnell darin versunken wie bei einem Paul Auster, dessen Romane ich auch in den Originalfassungen u.a. darum sehr schätzen gelernt habe - jedoch ist es bei Auster eher die Faszination, zumindest meistens, die einen, um mal einen musikalischen Vergleich zu bemühen, wie bei einem Beethovenkonzert, welchem man aus der ersten Reihe beiwohnt, oder manchmal auch wie ein schier geheimnisvolles Crescendo, die einen hineinsaugt. Bei diesen Kurzgeschichten ist es wahrlich eher die gravitätische Kraft von Fahrstuhlmusik, der man sich aufgrund ihrer nicht vorhandenen Bedeutsamkeit und weil man eben gerade nichts Besseres zu tun hat - im Fahrstuhl wartet man eben aufs gewünschte Stockwerk, bei diesem Buch auf das nächste Umblättern, um es mal minimal überspitzt auszudrücken - nicht entzieht/entziehen möchte.


    Da ich beinahe unmittelbar vor diesem Werk Alles, was wir geben mussten und einige Wochen oder eher Monate zuvor The Remains of the Day gelesen habe, muss ich sagen, dass die Seichtheit und das Unvermögen, den Leser in einem Fluss angenehm mitströmen zu lassen wie bei The Remains of the Day oder in einer Mischung aus Erschütterung und (Konträr-)Faszination wie bei Alles, was wir geben mussten, bei diesem Buch wirklich allerhand Spekulationen über Ishiguros Motivation zulassen, warum, wie er diese Geschichten verfasst hat.


    Unkompliziert und leicht zu lesen sind sie also, allerdings nicht im positiven Sinne, d. h. kurzweilig und spannend, sondern wirklich nur einfach und schnell vergessen.


    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Zweifelsohne hat uns Ishiguro mal was anderes vorgesetzt, und allein das, nach den bewährteren "Rezepten" der anderen Bücher, ließ mich hier bei den "Nocturnes" aufhorchen. Es stimmt, dass diese Geschichten eher plätschern und dahinrieseln. Doch was mir besonders auffiel war ein gewisser Humor in manchen Geschichten. Eine gewisse Leichtigkeit auch, die den Autor nach den eher existenziell auf mich schwermütigeren Werken in einem anderen Licht zeigt.
    Die Sprache (ich las das Buch ebenfalls auf Englisch) ist zugänglich und eignet sich also zum Lesen im Original. Vielleicht sogar empfehlenswert, dann meines Erachtens klingt Ishiguro auf Englisch ganz eigen: er hat seine eigene Musik dabei.


    3ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka