Mich wundert es ehrlich gesagt sehr, daß ich keinen Thread zu diesem großartigen Roman Iwan A. Gontscharows finden kann.
Da ich hier den Thread eröffne, sollte ich einiges zu diesem Roman schreiben. Natürlich ohne Einzelheiten zur Handlung zu verraten.
Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen, wobei dieses ein Wiederlesen war, aber meine erste Leseerfahrung lag solange zurück, daß ich eigentlich gar keine Erinnerungen mehr daran hatte. Es ist ein langes, dickes, aber großartiges Buch.
Das Thema des Buches ist die Auseinandersetzung um Passivität und Aktivität, wobei diese Dualität durch zwei Personen verkörpert wird, den trägen, passivischen Antihelden Oblomov und seinen Freund, den aktiven, "lebenstüchtigen" Stolz.
Ich habe die Ausgabe von DTV. Dieses enthält ein Nachwort, das interessant zu lesen ist. Natürlich geht es um die Deutung und Bewertung der Hauptfigur Oblomov und seines Antagonisten Stolz. Dabei ist es klar und soweit kann ich diesem Nachwort auch folgen, daß man sich von der platten Auslegung des Werkes, wie sie wohl oft erfolgt ist, als einer Kritik an der trägen Lebensform Oblomovs, frei macht. Nur daß das dann im Nachwort ins Gegenteil umschlägt, so daß der Antiheld Oblomov zum eigentlichen Helden umgedeutet wird und sein Antagonist Stolz zur eigentlich negativen, problematischen Figur.
In der Tat sollte man das Werk lesen ohne irgendeine platte Moral im Hinterkopf. Ein großes Werk zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß es sich irgendeiner allzu platten Deutung entzieht. Beide Positionen, die von Stolz wie die Oblomovs sind letztenendes problematisch. Trotz ihrer vollkommenen Gegensätzlichkeit der beiden Freunde muß man allerdings auch das Verbindende sehen: Beide Positionen sind menschlich integer, die eigentliche moralische Gegenpostition findet sich im Schurken Tarantiev. Diese Figur ist allerdings menschlich völlig uninteressant.
Natürlich darf man auch nicht übersehen, daß diese Auseinandersetzung um passivisches und aktivisches Leben vor dem Hintergrund des russischen Feudalismus statt findet. Oblomov ist ein Adliger. Er ist damit jemand, der sich die träge, manchmal aber auch geradezu ängstlich um seine Ruhe besorgte Lebensform auch leisten kann. Die Position des Autors zu diesem Feudalismus ist mir unklar - nur ein Sozialrevolutionär ist er ganz sicher nicht und es gehört zu den fragwürdigen Dingen dieses Buchs, daß die Herrschafts-, Knechtschaftsverhältnisse ein bißchen idealisiert erscheinen.
Trotz allem muß ich sagen, daß mir die Figur des Oblomow im Vergleich zu Stolz letztenendes die Sympathischere zu sein scheint. Man mag diesen furchtbar trägen, faulen, ständig um seine Ruhe besorgten, in Bezug auf das Leben etwas ängstlichen Oblomov irgendwie. Dagegen hat mich Stolz Tatsachensinn, diese aus einer positivistischen Weltanschauung gespeiste Energie offen gesagt kalt gelassen. Allerdings ist Oblomov in gewisser Hinsicht eine extreme Figur ( wie Stolz allerdings auch). Oblomovs Existenz ist im Grunde nicht einmal kontemplativ. Selbst für das Kontemplative ist Oblomov zu träge; er liest keine Bücher ( in seiner Jugend allerdings sehr wohl), er hat der Lebensform Stolz so eigentlich gar nichts entgegenzusetzen als eine beschauliche, verträumte Trägheit.
Damit allerdings gehört Oblomov zu den großen, klassischen, sprichwörtlich gewordenen Figuren der Weltliteratur. Und obwohl Oblomov auch für die Kontemplation eigentlich zu faul ist und wirklich nur "irgendwie dahin lebt", hat er doch ein reiches Innenleben und eben dieses Innenleben, diese Verträumtheit und Güte ist es, was diese Figur so anziehend macht.
Ich kann dieses Buch sehr empfehlen, es hat in der Figur des Oblomov eine eigenartige Poesie.
Gruß Martin