Harriet Köhler - Und dann diese Stille

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    Inhalt:


    Der ganze Schrecken und der ganze Trost, den Familie bedeuten kann. Wie ist es, wenn man in hohem Alter seine Frau verliert und auf einmal merkt, dass man nie mit ihr geredet hat - zumindest nicht über das, was einem seit sechzig Jahren das Herz zuschnürt? Wie ist es, wenn man als Rentner wieder bei seinem Vater einzieht - und einen Mann pflegt, der einem ein Leben lang fremd geblieben ist? Und wie ist es, wenn man immer sicher war, anders zu sein als die Eltern - und nun, da man zum ersten Mal liebt, erkennen muss, dass man genauso verstockt und unfähig ist wie sie?
    Walther sitzt an Grethes Krankenbett und sieht hilflos die letzte Chance verstreichen, ihr alles zu erzählen. Jürgen will seinem Vater zur Seite stehen, aber der wehrt seine Hilfe ab. Dennoch entsteht zwischen den beiden Männern eine Nähe, die neu für sie ist. Als Walther damals aus dem Krieg und der Gefangenschaft kam, war Jürgen bereits zehn, er hat seinen Sohn nicht aufwachsen sehen. Diese Jahre haben sie immer getrennt, Jahre, in denen viel geschehen ist, Erlebnisse, für die es keine Worte gibt. Doch nun wird Walther zum Pflegefall und Jürgen zum Pfleger, und Vater und Sohn entkommen sich nicht mehr. Als dann auch noch Jürgens Sohn Nicki sie besucht, der mit Ruth gerade zum ersten Mal erfährt, wie schön und schwer es ist zu lieben, wird die Mauer des Schweigens rissig und die Vergangenheit blitzt hervor. Alte, bislang nie ausgesprochene Konflikte bahnen sich wütend ihren Weg an die Oberfläche und führen zu einer vorsichtigen und zarten Annäherung.
    Quelle: AMAZON


    Meine Meinung:


    Eine Sensation dieses Buch! Ich habe so oft geweint, als ich es gelesen habe, ich kann es euch gar nicht beschreiben, wie traurig und berührend das Buch ist. Wie sensibel die Autorin mit dem Thema "sterben" und "Aufarbeitung"umgeht, das ist phänomenal und habe ich so, noch nie gelesen. Viele Dinge bringt sie ungeschminkt, zeigt uns, wie stur und bockig alte Männer sein können und gleichzeitig zerbrechlich. Trauer bei 3 Generationen - der Älteste verliert seine Frau, der Sohn seine Mutter und der Enkel seine Grossmutter und wie sie damit umgehen ist hier zu lesen. Ich habe mich an das Sterben meines eigenen Grossvaters und Grossmutter erinnert und es war fast gleich und deshalb hat es mich umso mehr berührt. Auch die Randfigur "Hentschel" war realistisch dargestellt und in Gedanken saß ich mit am Tisch. Ein ganz ganz großer Roman!!!!


    Fazit: Großer Verlust bringt Liebe, Sterben wird in die Länge gezogen mit großem Drama, der Krieg ist nie vorbei, wenn man ihn erlebt hat und ein Sohn beginnt mit der Gartenarbeit und es wächst Nähe, wo vorher unüberbrückbare Distanz war.
    Ich wünschte, ganz viele Menschen würden dieses Buch lesen. Ein großer Wunsch!


    Ich gebe: 5ratten und wenn ich könnte, wären es 10.



    EDIT: Betreff leicht angepasst. LG Seychella

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Ich habe vor kurzem "Ostersonntag", der Debütroman von Harriet Köhler, gelesen und war auch sehr, sehr beeindruckt von der Sprachgewandtheit und Stilsicherheit dieser doch so jungen Schriftstellerin (geb. 1977). Jetzt bin ich schon sehr gespannt auf "Und dann diese Stille" und erwarte mir sehr viel!Die Rezi ist jedenfalls vielversprechend!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Hallo creative, Uii! Danke dir, für diesen Tipp. Eine unglaubliche Schriftstellerin! Normalerweise lese ich Bücher, die ein bisserl mehr Seiten haben nicht so schnell durch. Dieses hab ich 'gefressen', ich war in dieser Männergesellschaft gefangen, es war derart faszinierend und traurig, es ist enorm. Keine Szene war daneben, kein Wort am falschen Platz- eine grosse Schriftstellerin, eine tolle Entdeckung, eine einfühlsame Person. Grosses Kino! Liebe Grüsse Cori

  • Jürgen, Ende 60, kehrt in das Örtchen zurück, in dem seine Eltern leben, weil seine Mutter mit schlechter Prognose im Krankenhaus liegt. Der Abschied kommt dann auch bald, und Jürgen bleibt vorerst in dem öden Kaff, um das Begräbnis zu organisieren und sich um seinen Vater Walther zu kümmern, der ohne die tatkräftige Unterstützung, die seine Frau ihm die ganze Zeit noch geleistet hat, nicht mehr alleine leben kann. Oder zumindest sollte - das mit dem "Können" sieht Walther definitiv anders.


    Es ist für beide Männer eine ungewohnte und auch oft unangenehme Situation. Jürgen findet sich in einer seltsamen Doppelrolle wieder - einerseits ist er wieder zum Kind geworden im Haus der Eltern, reduziert auf sein kleines Zimmerchen, wenn er nicht ständig im Fokus des Vaters stehen will, doch andererseits ist er nun derjenige, der auf den Vater aufpasst, damit der nicht stürzt, genug isst und trinkt und sich regelmäßig wäscht. Glücklich sind beide nicht mit dem Zustand. Walther fühlt sich gegängelt, Jürgen ist überfordert mit der Betreuung des Vaters und mit der Trauer um die Mutter, der er keinen rechten Ausdruck zu verleihen weiß und die vieles aus der Vergangenheit wieder nach oben spült.


    Jürgens Sohn Nicki steht gerade an einem ganz anderen Wendepunkt in seinem Leben, seine Beziehung zu Ruth wird fester und ernster, der Gedanke an Heirat steht im Raum, er fühlt sich ziemlich glücklich und kann gerade gar nicht brauchen, dass der plötzliche Tod der Großmutter, zu der er keine sonderlich enge Bindung hatte, die Familiendynamik durcheinanderbringt.


    Mir fällt nicht ein, von wem der Ausspruch stammt, es gebe zwischen Eltern und Kindern kein schlimmeres Ungeheuer als das Schweigen, aber er bringt dieses Buch hervorragend auf den Punkt. Schweigen, das Unvermögen, Gefühle zu zeigen oder gar im Gespräch zu thematisieren, das jahrzehntelange Mit-sich-Herumtragen von traumatischen Erfahrungen beherrschen nicht nur die Beziehung zwischen Jürgen und Walther, sondern haben auch die Ehe zwischen seinen Eltern geprägt. Was Walther und Grethe jeweils in den Kriegsjahren erlebten, haben sie einander stets verschwiegen und sich in diesem Schweigen letztendlich ganz gut eingerichtet. Gutgetan hat es ihrer Ehe und Familie nicht.


    Die deutsch-deutsche Geschichte und die verbreitete Schweigekultur der Nachkriegszeit bilden den Nährboden dieses ziemlich trübsinnigen, aber gut beobachteten Romans, der deutlich zeigt, wie stark sich das damals Erlebte und die Nicht-Auseinandersetzung damit auch auf die folgenden Generationen auswirken.


    Leider hat das Buch aber auch ein Manko, das man gerade bei deutschen Autoren häufig findet. Es liest sich sehr ernst, sehr getragen, es gibt kaum einen Moment, in dem so etwas wie Leichtigkeit aufkommt, und auch die Liebesbeziehung zwischen Ruth und Nicki fühlt sich irgendwie nüchtern an, als hätten die beiden Angst, das geringste Fünkchen Romantik könne gleich in schmalzige Sentimentalität abkippen. Ein bisschen emotionaler hätte es hier und da für mich gerne sein dürfen, das hätte der Ernsthaftigkeit des Themas sicherlich keinen Abbruch getan.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen