Erik Fosnes Hansen - Choral am Ende der Reise

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    Erik Fosnes Hansen - Choral am Ende der Reise
    Originaltitel: Salme ved reisens slutt


    Inhalt:


    Am 10. April 1912 startet die R.M.S. Titanic zu Ihrer Jungfernfahrt nach New York. Mit an Bord zur Unterhaltung der Passagiere der gehobenen Klassen eine Orchester aus 7 Musikern. Während der fünftägigen Überfahrt bis zur Katastrophe wird die jeweilige Lebensgeschichte von fünf Mitgliedern dieser bunt zusammengewürfelten Kapelle erzählt.


    Meine Meinung:


    Wer mit „Choral am Ende der Reise“ ein Abenteuer bzw. eine Tragödie zum Untergang der Titanic erwartet liegt falsch. Die Katastrophe an sich bildet nur die Rahmenhandlung für den endgültigen Showdown, in dem die einzelnen Schicksale der fünf vorgestellten Musiker gipfeln. Den Ausgang der berühmtesteten Schiffskatastrophe des 20. Jahrhunderts kenne ich und so hatte ich beim Lesen das Ende immer bereits vor Augen. Dieses Wissen nimmt mir etwas die Spannung und hat in gewisser Weise die Wirkung eines Vorschlaghammers. Die einzelnen Musikerbiografien sind allesamt düster, traurig und erzählen vom Scheitern. Jeder Hoffnungsschimmer wird durch das blose Wissen um die nahende Katasrophe im Keim erstickt, so dass diesem Buch eine apokalyptische Atmosphäre zugrunde liegt.


    Die Lebensgeschichten der fünf Musiker sind exemplarische Einzelschicksale, die sich über ganz Europa und auch durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Man hat das Gefühl, dass der „Weltschmerz“ zu Anfang des 20. Jahrhunderts in diese fünf Personen gelegt wurde. Sie alle fliehen vor ihrer Vergangeheit aus Gesellschaftszwang, Armut, Hoffnungslosgkeit. Während die ersten vier Schicksale noch realistisch und nachvollziehbar sind, werden mit der letzten beleuchteten Person Petronius Witt auch noch Geister heraufbeschworen. Aus den vorhergehenden Portraits bleibt ein bitterer Beigeschmack und so führt die Familiengeschichte des Kontrabassspielers die Handlung teilweise ins Lächerliche bis ins Abstruse und wirkt wenig glaubhaft.

    Fazit:
    Ein Buch voller Tragik, voller Antihelden, voller Trostlosigkeit, das dadurch in seiner Gesamtheit unendlich melancholisch erscheint. So wie die Titanic in der Tiefe versank, so zieht die Stimmung dieses Buches meinen Gemütszustand in den Abgrund.
    Daher bietet mir „Choral am Ende der Reise“ außer einer Überdosis Wehmütigkeit wenig Reizvolles.


    3ratten

  • Dieses Buch haben wir damals im Deutschunterricht der Oberstufe durchgenommen, ich erinnere mich noch sehr gern daran. Wir hatten einen neuen Lehrer, und "Choral am Ende der Reise" war das erste Buch seit Ewigkeiten, das ich wieder richtig annehmbar und interessant fand.


    An die von Dir, jääkaappirunous, beschriebene oder sogar unglaubwürdige Stimmung kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern (wohl aber an einige, ziemlich niedergeschlagene Atmosphären in verschiedenen Szenen, das stimmt) - es ist schon gut zwölf Jahre her - aber ich weiß noch, dass ich den Roman sogar mit in den Urlaub nahm und ihn dort in einer Nachtschicht zu Ende lesen musste, weil ich ihn damals derart fesselnd fand. Im Gegensatz zu den klassischen Werken längst verstorbener Schriftsteller, die unser erster Deutschlehrer so liebte :rollen: , war Hansens Roman eben eine erfrischende Abwechslung. Als Reißer und Buchtip würde ich ihn aber auch nicht bezeichnen.


    Guten Gewissens gebe ich ebenfalls


    3ratten (& vielleicht noch :marypipeshalbeprivatmaus: dazu :zwinker: )

    "Verzicht bedeutet für Frauen die kurze Pause zwischen zwei Wünschen."

    ~ Mario Adorf

  • Gebundene Ausgabe: 512 Seiten

    Verlag: Kiepenheuer&Witsch (1. Januar 1995)

    ISBN-13: 978-3462024005

    Originaltitel: Salme ved reisens slutt

    Übersetzung: Jörg Scherzer

    Preis: als HC vergriffen

    als E-Book und als Taschenbuch erhältlich


    Anders als erwartet, aber ziemlich fesselnd


    Inhalt:

    Sieben Musiker begleiten die Passagiere der Titanic, als sie am 10. April 1912 zu ihrer Jungfernfahrt in Southampton in See sticht. Fünf von ihnen lernen wir näher kennen, erfahren etwas über ihre Vergangenheit, über ihre Träume und Wünsche.


    Meine Meinung:

    Eigentlich ging ich davon aus, dass die Titanic bzw. ihr Untergang in diesem Roman eine große Rolle spielt. Dies ist jedoch nur die Rahmenhandlung, mittels derer die einzelnen Musiker eingeführt werden. Im Verlauf des Romans werden dann zusammenhanglos die Geschichten von fünf der Musiker erzählt. Diese Geschichten sind so unterschiedlich wie die Personen, um die es geht. Die Männer sind verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft, verschiedenen Glaubens. Auf jeweils ca. dreißig bis hundert Seiten entsteht das Bild eines kompletten Lebens, atmosphärisch dicht und fesselnd erzählt.


    Auch wenn sich dieser Roman als anders entpuppte, als ich angenommen hatte, gefiel er mir recht gut. Ich konnte mich gut in die beschriebenen Charaktere hineinversetzen und tief in ihr Leben eintauchen.


    Erwähnenswert ist sicher noch, dass Erik Fosnes Hansen sich hier einiger künstlerischer Freiheiten bedient hat. So sind die Protagonisten frei erfunden und nicht mit den realen Musikern der Titanic identisch. Auch vieles, was das Schiff und die Reise angeht, sollte man vielleicht nicht für bare Münze nehmen.


    Ein wenig irritierend fand ich die spontanen Wechsel in der Erzählzeit. Von Satz zu Satz gibt es häufig Sprünge zwischen Präsens und Präteritum, deren Sinn sich mir nicht erschlossen hat.


    Trotzdem fand ich die Lektüre sehr angenehm und interessant.


    ★★★★☆

  • Seit fast 23 Jahren subt dieser Roman bei mir, und nun habe ich ihn endlich gelesen. Über den Inhalt brauche ich nichts zu schreiben, das haben die vorherigen Rezensentinnen schon gut getan.
    Und auch ihrer Meinung kann ich mich größtenteils anschließen. Vor uns entstehen Einzelschicksale des Fin de Siècle, die gemeinsam eine Melancholie und gewisse Weltverachtung in sich tragen. Ich finde aber keinen wirklichen Zusammenhang in diesen Erzählungen vom Leben der fünf Musiker. Außer dass es Lebensläufe mit Brüchen und Krisen sind, wird eigentlich wenig Gemeinsames deutlich.

    Sie sind auch meiner Meinung nach wenig symptomatisch für die Epoche des Jahrhundertwechsels, denn es geht um fehlende Elternliebe, Verführung durch falsche Vorbilder, Hineingleiten in die Sucht, verschmähte Liebe und exzessive Persönlichkeit. Die einzelnen Teile fand ich interessant, aber der Sinn der Gesamtkomposition, und warum der Autor diese Menschen zum Titanic-Orchester machte, erschließt sich mir nur peripher.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Ich habe das Buch in guter Erinnerung, kann mich aber an so gut wie nichts mehr erinnern. Die Lektüre liegt auch schon über 20 Jahre zurück. Vielleicht sollte ich das zum Anlass nehmen, das Buch mal wieder zu lesen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Geht mir genauso, ich mochte das Buch damals auch sehr, als ich es gelesen habe - das muss 1997 gewesen sein, in der freien Zeit nach dem Abitur. Der Gedanke, es mal wieder zu lesen, kam mir da auch - zumal ich es mir irgendwann sogar mal auf den Kindle geladen habe, als es im Angebot war.

  • Wenn man die Geschichten einzeln nimmt, ist das Buch auch lesenswert und spannend, nur warum diese Figuren auf der untergehenden Titanic ihr Ende finden und ob das irgendwie aus ihren Geschichten ableitbar ist, da finde ich keinen inneren Zusammenhang.

  • Ich überlege gerade, ob ich finde, dass es diesen Zusammenhang geben muss :gruebel:


    Mir hat es, wenn ich mich recht entsinne, damals beim Lesen gereicht, dass die Zufälle des Lebens diese Menschen an dieser Stelle zusammengeführt haben, die außer dem Orchester und dem nassen Grab eben wenig bis nichts gemeinsam haben.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Vielleicht habe ich mich da von dem hohen Lob auf dem Waschzettel beeinflussen lassen, das die Schicksale der Musiker als paradigmatisch für jene Zeitenwende sah, die dann ja auch mit dem Untergang der Titanic sehr oft symbolisch verbunden wurde. Wahrscheinlich wird deine Sichtweise, Valentine, dem Buch gerechter und holt es von dem übertriebenen Sockel der Rezensenten.

  • Vielleicht habe ich mich da von dem hohen Lob auf dem Waschzettel beeinflussen lassen, das die Schicksale der Musiker als paradigmatisch für jene Zeitenwende sah, die dann ja auch mit dem Untergang der Titanic sehr oft symbolisch verbunden wurde.

    Das kann gut sein. Mal wieder viel Marketing-Blabla :breitgrins:

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    Leonard Cohen