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Daniel Woodrell, Winters Knochen
(Liebeskind Verlag, Januar 2011)
224 Seiten; € 18.90 (HC)
ISBN 978-3-93580-76-2
Originaltitel: Winter's Bone
Jessup Dollys Familie wohnt in Missouri, in einer winzig kleinen Ansammlung von windschiefen Häusern in den Ozark Mountains. Jessup ist in der Gegend für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zum Kochen von Meth berühmt und fast fortwährend auf der Reise oder mit Rumhängen beschäftigt, seine Frau ist schon vor Jahren in eine stille Art von Wahnsinn geflüchtet und seine älteste Tochter Ree versucht ihr Bestes, um ihre zwei jüngeren Brüder und die Mutter durchzubringen.
Eines Tages taucht ein Polizist vor der Tür auf und erklärt der 16jährigen Ree, dass ihr Vater demnächst zu einer Verhandlung vor Gericht zu erscheinen hat - ansonsten wird das Haus, das er für seine Kaution verpfändet hat, verkauft wird und die Familie würde somit alles verlieren, was sie überhaupt noch besitzt. Ree hat relativ wenig Hoffnung, den Vater zu finden und macht sich dennoch auf die Suche: in einem Kleid und dem uralten Mantel der Großmutter stiefelt sich durch den einbrechenden Winter und erfriert halb im immer heftig fallenderen Schnee...
Doch die ungeschriebenen Gesetze der Gegend sind brutal. Kaum ein Mensch hilft Ree bei der Suche, die, die es gut mit ihr meinen, warnen sie davor, überhaupt Fragen zu stellen. Doch Ree weiß, dass ihr nur diese Chance bleibt - sie muss den Vater finden, tot oder lebendig. Doch die zahlreiche nahe und entfernte Verwandschaft hat wahrlich nichts Gutes im Sinn und das spürt das Mädchen relativ früh am eigenen Körper...
Unfassbar, wie hart und menschlich die junge Ree zugleich ist: sie ist liebevoll zu ihren Brüdern und hat doch das richtige Auge für die Wahrheit. Ihr größter Wunsch war es all die Zeit, den gewalttätigen Regeln dieser finsteren Welt zu entkommen und zum Militär zu gehen - doch dem kommt ihr egoistischer Vater zuvor, der - bereits vorbestraft - weiter illegalen Geschäften fröhnt und sich einen Dreck um seine Familie schert. Und so übernimmt Ree diese Aufgabe, eine Aufgabe, die mit wenig Essen und kaum Feuerholz vor allem im Winter zu einer heftigen Bewährungsprobe wird. Doch Ree schafft es, ihre Würde zu behalten und zum Glück auch, ihren Sturkopf immer wieder durchzuboxen...
Das Leben ist bei diesen Hinterwäldlern, die man getrost als "White Trash" bezeichnen könnte, mehr als bitter und brutal: es gibt klare, eiserne Regeln - wer gegen sie verstößt, hat nicht selten sein Leben verwirkt. Und Ree begibt sich mit der Suche nach ihrem Vater auf einen sehr schmalen Grat - sie stellt Fragen und alleine das kann böse enden. Anfangs habe ich mich gefragt, wann dieser Roman spielt und habe dank der archaischen Welt deutlich daneben gelegen: zuerst war ich überrascht, dass die kleinen Brüder einen alten Fernseher haben, denn das bedeutete ja, dass es gar nicht so weit weg von uns sein kann... Dass der Vater Methkocher ist (und Meth ja noch eine relativ neue Droge ist), habe ich bis dahin glatt verdrängt! Daniel Woodrells Buch erschien Mitte der 1990er und in dieser Zeit dürfte die Geschichte auch spielen - umso heftiger, wie fernab von jeglichem Gesetz die meisten Personen, auf die Ree trifft, agieren und das weitestgehend unbehelligt.
Winters Knochen ist beinahe ein poetisches Werk: Woodrell erzählt von diesen Menschen, die wirklich am Rande des Existenzminimums leben, in einer ganz klaren Sprache - er wertet niemals, sondern überlässt dies komplett seinen LeserInnen. Er blickt auf verkrachte Existenzen, die in zugigen, völlig heruntergekommenen Behausungen leben und sich mit mehr oder weniger illegalen Geschäften über Wasser halten. Und natürlich von den Familienclans, die mit Drogen und Brutalität regieren und so gewinnbringend vor sich hin wirtschaften. Die Frauen sind oft die Verliererinnen, die das Wenige, was geblieben ist, zusammenhalten sollen und so wundert es einen nicht, dass sich Rees Mutter schon vor Jahren in ihre eigene Welt geflüchtet hat. Aber auch die Kinder sind nicht besser dran: ihr Weg wird häufig mit ihrem Vornamen vorherbestimmt.
Daniel Woodrell ist ein Buch von atemberaubender Klarheit gelungen - düster, schwarz, brutal. Dennoch gibt es in Winters Knochen Hoffnung und Licht - in Gestalt von Ree Dolly. Mit ihr ist dem Autoren eine äußerst bemerkenswerte Figur gelungen, eine Figur, die einem Respekt einflößt, die einen beeindruckt und mit der man stets mitfühlt. Dazu die wenigen Worte, mit denen Woodrell die Landschaft des Ozark Mountains während des Wintereinbruchs und die teilweise wirklich trostlose Atmosphäre beschreibt - das ist große Literatur.
und ein glasklarer [size=7pt]
(Und ohne den Mund zu voll nehmen zu wollen: ich kann mir schon jetzt sehr gut vorstellen, dass dieses Buch auch ein echtes Highlight des Jahres 2011 wird)
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Edit: Übrigens wurde dieser Roman bereits verfilmt und beim Sundance Film Festival 2010 mit einem Preis geehrt. Auch für die diesjährigen Golden Globe und Oscar-Verleihungen wurde er mehrfach nominiert (und das, obwohl es ein Independentfilm ist!)...