Steven Heighton - Letzte Welten

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    Steven Heighton


    Klappentext:
    Nordpol 1872: Als schweres Packeis das Expeditionsschiff Polaris in die Zange nimmt, wird ein Teil der Besatzung vom Schiff getrennt und treibt auf einer Eisscholle in Richtung Süden. Unter den Schiffbrüchigen kommt es zur Meuterei, und so weht bald auf der einen Hälfte der Scholle die Reichsflagge, auf der anderen das US-Banner. Als das Eis zu schmelzen beginnt, entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod …


    Ich habe bisher die ersten 90 Seiten gelesen und bin noch nicht allzu begeistert. Am Anfang spielen einige Kapitel nach den im Klappentext genannten Ereignissen und einer der Schiffbrüchigen (der ranghöchste Offizier) hat wohl ein Buch geschrieben, in dem er natürlich als Einziger gut wegkommt. Nachdem sich die Wege einiger der Beteiligten gekreuzt haben, springt die Handlung plötzlich in die Vergangenheit und beginnt damit, dass erklärt wird, wie die Schiffbrüchigen überhaupt auf der Eisscholle gestrandet sind.


    Im Folgenden wird immer wieder zwischen zwei Perspektiven hin- und hergesprungen. Einerseits werden Passagen aus dem Buch des Offiziers Tyson wiedergegeben, die stellenweise total schwülstig geschrieben sind und wirklich kein gutes Haar an den anderen Schiffbrüchigen lassen. Abwechselnd dazu werden von einem Erzähler die anscheinend wahren Ereignisse geschildert, in denen Tyson natürlich nicht annähernd so gut wegkommt wie in seinem Buch. Dieser Gegensatz an sich ist spannend, aber bisher habe ich noch keinen Draht zu einer der Personen gefunden und die kleine Schrift lässt das Lesen schneller anstrengend werden.

  • Hallo Myriel,


    der Klappentext hört sich an wie die Geschichte aus Herr der Fliegen, nur eben im Packeis. Hoffentlich packt dich die Begeisterung noch und wir bekommen noch mehr von dir zu hören. Hat sich aus dem Text ergeben, ob es sich bei den Ereignissen um eine wahre Begebenheit handelt? Nicht, dass mir davon schon mal etwas zu Ohren gekommen wäre.


    Grüße
    Doris

  • Hallo Doris,


    ich hoffe doch sehr, dass sich das Buch noch steigern wird und mich die Begeisterung einholt. Immerhin sind dafür noch fast 400 Seiten Zeit.



    Hat sich aus dem Text ergeben, ob es sich bei den Ereignissen um eine wahre Begebenheit handelt? Nicht, dass mir davon schon mal etwas zu Ohren gekommen wäre.


    Bisher gab es noch keinen Hinweis darauf, aber aufgrund deiner Frage habe ich mal ins Nachwort gelinst und dort einen Hinweis gefunden. Und zwar gibt es das von Tyson verfasste Buch tatsächlich, hier in einer Neuauflage von 2002:


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    Es scheint also tatsächlich auf einer wahren Begebenheit zu beruhen. Unter dem Gesichtspunkt werde ich das Buch wohl etwas anders weiterlesen. :winken:

  • Hallo Myriel,


    da ich das Buch auch noch auf meinem SUB habe, und eigentlich schon längst gelesen haben wollte, verfolge ich deine Beiträge mit Interesse.
    Jetzt habe ich mal etwas reingelesen und dabei fiel mir der Name Tukulito auf. Dieser Name in etwas anderer Schreibweise ist mir bei der Suche nach der Polaris-Expedition schon einmal aufgefallen. Vielleicht interessiert es dich ja auch.


    Tookoolito



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    Gruß
    yanni

  • Hallo yanni,


    danke für den Hinweis auf Tukulito. :winken:
    Damit hätten wir noch eine Sichtweise mehr auf das, was sich damals auf der Eisscholle zugetragen haben muss. Fragt sich nur, wer sich am dichtesten an die Wahrheit hält. :rollen:


    Mittlerweile bin ich übrigens bis auf Seite 200 vorgedrungen und so langsam hat mich das Buch gepackt. Zwischendurch ist es immer wieder ermüdend zu lesen, wie dreckig und hungrig die Männer sind (gefühlt auf jeder dritten Seite), aber dafür entschädigt das gekonnte Spiel mit den verschiedenen Perspektiven. Tyson, der arme Offizier, der von seinen Männern so gebeutelt wird und dennoch nur ihr bestes will, kommt aus der Sicht des Außenseiters Krüger, der weder richtig zu Tyson noch zu den meuternden Deutschen oder gar den Inuit gehört, gar nicht so gut weg. Und in den seltenen Zitate aus den noch existierenden Originalaufzeichnungen Tysons, die eine ganz andere Sprache sprechen als sein Buch, kompromittiert er sich sogar selber. :boahnee:


    Als heimliche Helden empfinde ich Krüger, der mir sympathisch ist, da er sich keiner Seite blind unterordnen will und auf seine Art und Weise versucht, das Richtige zu tun, und die Inuit-Frau Tukulito, genannt Hannah. Sie dürfte es wohl von allen "Bewohnern" der Eisscholle am schwersten haben: einerseits ist sie eine geborene Inuit und mit deren Traditionen aufgewachsen. Andererseits aber ist sie konvertierte Christin und hat sich viel von der Lebensweise der weißen Amerikaner angeeignet. Damit sitzt sie sowieso zwischen den Stühlen, weil sie es niemals allen Recht machen kann. Und dann kommt noch erschwerend ihre Position als Frau und damit quasi als Untergebene, Kinderhüterin und Objekt für sexuelle Fantasien hinzu. Sie hat einen echt starken Charakter, dass sie die Situation bisher so gut erträgt. :daumen:


    Im Übrigen dauert die Odyssee auf der Eisscholle nun schon über 100 Tage an. Es ist Februar und laut den Kapiteln zu Beginn des Buches sollen die Schiffbrüchigen wohl im April gerettet werden. Ich frage mich, was danach noch passiert, denn ich habe noch nicht einmal die Hälfte des Buches geschafft. :schulterzuck:

  • Was lange währt (oder so ähnlich) ... hier meine Rezi:


    Als das amerikanische Forschungsschiff „Polaris“ auf dem Weg zum Nordpol im Packeis stecken bleibt, wird ein Teil der Besatzung vom Schiff getrennt, als sich das Eis plötzlich wieder löst. Neben den Seeleuten sind auch zwei Inuit-Familien auf der Eisscholle gefangen, die in den nächsten Monaten zu ihrem zu Hause werden soll. Als eine Meuterei unter Führung des deutschen Adligen Meyer ausbricht, trennt bald darauf eine in den Schnee gekratzte Linie die Scholle in zwei Teile. Durch den einsetzenden Frühling beginnt das Richtung Süden treibende Eisstück zu schmelzen und die Lage darauf spitzt sich zu.


    Was sich im Detail auf der Scholle abgespielt hat, wird rückblickend aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Einerseits hat Lieutenant Tyson, der ranghöchste Offizier an Bord der Eisscholle, Tagebuch geführt und seine Einträge nach ihrer Rettung in einem Buch verarbeitet, aus dem des Öfteren zitiert wird. Aus seiner Sicht ist der Deutsche Kruger der schlimmste Unruhestifter und für die meisten Missstände und negativen Entwicklungen verantwortlich. Auf der anderen Seite werden die Erlebnisse auf der Scholle von einem auktorialien Erzähler wiedergegeben, bei denen Kruger weitaus besser wegkommt. Statt als auserkorener Bösewicht wird er als prinzipientreuer Einzelgänger geschildert, der versucht das Richtige zu tun und sich damit zwischen alle Fronten manövriert. Eine dritte Sichtweise bietet Tukulito, eine Inuit-Frau, die als junges Mädchen nach England gereist ist, viel von der Lebensweise der „zivilisierten“ Weißen gelernt hat, aber durch den Schiffbruch wieder zurück zu ihren Wurzeln getrieben wird.


    Einen Großteil des Reizes des Buches macht der Gegensatz zwischen diesen drei Blickwinkeln aus: Tyson vs. Kruger vs. Tukulito (alias Hannah). Aus der Kombination dieser verschiedenen Darstellungen ergibt sich ein ziemlich realistisches Bild von den Geschehnissen auf der Eisscholle. Leider machen diese vom Umfang her nur gut die Hälfte des Buches aus. Die restlichen Seiten enthalten das Schicksal der drei genannten Personen, nachdem sie nach über einem halben Jahr von der Scholle gerettet wurden. Dieser Part war zwar nicht uninteressant, in meinen Augen ist er aber zu umfangreich geraten. Dadurch wird das eigentliche Thema des Buches zu sehr in den Hintergrund gerückt.


    Etwas unglücklich finde ich, dass man erst in den Nachbemerkungen des Autors erfährt, dass die in diesem Buch geschilderten Vorkommnisse auf wahren Ereignissen beruhen. Inspirationsquelle für den Autor war das Buch von Lieutenant Tyson „Arctic Experiences“ und die Diskrepanzen zu seinen überlieferten Tagebucheinträgen. Mit diesem Wissen liest man das Buch anders und wertet es auch anders, vor allem in Hinblick auf den Spannungsbogen, auf den Heighton entsprechend der Natur der Sache kaum Einfluss hatte.


    3ratten

  • Das Buch besteht aus verschiedenen Teilen, nach einer Art Einführung kommt der Mittelteil, der von den zentralen Geschehnissen des Buches handelt, danach geht es um das Weiterleben von drei zentralen Überlebenden.


    Bei einer Polarexpedition wird ein Teil der Schiffsbesatzung vom Schiff getrennt und strandet auf einer Eisscholle. Obwohl sie aufgrund eingeschränkter Vorräte alle von den wenigen begleitenden Eskimos abhängig sind, kommt es zu Ressentiments zwischen verschiedenen Gruppierungen unter den Schiffbrüchigen, die deutschen Besatzungsmitglieder finden sich unter einem ihrer Landsmänner zusammen und lehnen den eigentlich ranghöchsten (amerikanischen) Offizier ab. Als Nahrungsmittel verschwinden und der Hunger die Vernunft immer weiter außer Kraft setzt, steigt das Misstrauen und die Lage spitzt sich bedrohlich zu. Der zweite Teil des Buches spielt Jahre später und begleitet größtenteils Kruger durch das amerikanisch-mexikanische Grenzland auf der Suche nach… ja was eigentlich? Wärme jedenfalls, aber auch Frieden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl.


    Es war schon recht interessant, auch wenn ich nicht ganz so häufig hätte lesen müssen, wie kalt es war („Das Quecksilber ist immer noch gefroren“). Bei einem reinen Roman würde ich sagen, dass der Autor die Spannungskurve nicht gut hinbekommen hat, aber da es größtenteils eine Nacherzählung realer Ereignisse ist, konnte er daran nicht viel machen. Aber dadurch, dass der Autor sich bei der Beschreibung der Nach-Zeit so sehr auf Kruger konzentriert, der auf dem Eis nur eine der Hauptfiguren und nicht ganz zentrale Figur war, kommt es für mich zu einem Ungleichgewicht sowohl zwischen den einzelnen Personen wie auch im Hinblick auf den Gesamtaufbau des Buches. Es wurde für mich nicht klar, was der Autor denn nun eigentlich erzählen wollte und gut erzählt hat er dadurch halt nicht.


    3ratten