Sofi Oksanen - Stalins Kühe

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    EDIT: Eine deutsche Übersetzung ist nun erschienen! :klatschen:


    Leider ist Oksanens Erstling bisher weder in deutscher noch englischer Übersetzung erschienen, aber falls ihr neuster Roman "Fegefeuer" ein Erfolg nicht nur bei den Rezensenten sondern auch im Handel wird, könnte eine Übersetzung durchaus folgen. Ich habe das Buch auf Schwedisch unter dem Titel "Stalins kossor" (=Stalins Kühe) gelesen.


    Das Leben dreier Frauen wird in diesem Roman parallel erzählt. Da ist erst einmal Sofia, eine estnische Bäuerin, deren Mann während des Zweiten Weltkriegs für die estnische Unabhängigkeit kämpfte und deswegen später von dem Sowjetregime unter Stalin befürchten musste, mitsamt seiner Familie nach Sibirien deportiert zu werden.
    Dann ist da Sofias Tochter Katariina, die 1971 einen finnischen Mann kennen lernt, ihn später heiratet und nach Finnland zieht. Die Übersiedlung wird ihr nicht leicht gemacht. So wird ihr zum Beispiel verboten, ihre Schul- und Universitätszeugnisse mitzunehmen, was es ihr ganz abgesehen von Sprachproblemen und der finnischen Ausländerfeindlichkeit natürlich unmöglich macht, je eine Arbeit als Ingenieurin zu bekommen.


    Und schließlich ist da die Hauptperson Anna, Katariinas Tochter, deren Geschichte als einzige in der Ich-Form erzählt wird. Anna wurde von ihrer Mutter eingebläut, nie jemandem zu verraten, dass sie eine Halbestnin ist, denn alle Estinnen werden in Finnland als "Russenhuren" beschimpft und verachtet. Ebenso wurde ihr verboten, jemals Estnisch zu sprechen, wenn sie es auch durch die vielen Besuche in Estland einigermaßen versteht. Einen wichtigen Teil ihres Lebens, ihrer Identität muss sie also geheim halten und das hinterlässt seine psychischen Spuren in Form einer schweren Essstörung. Anorektisch und bulimisch ist sei seit ihrer frühen Adoleszenz und wenn sie es anfangs auch verleugnet, so wird im Laufe des Romans klar, wie schwerwiegend dessen Folgen auch für ihre körperliche Gesundheit sind. Glaubt sie anfangs, alles im Griff zu haben, so wird Essen später zu ihrem Herrscher, der ihr gesamtes Leben bestimmt und dem sie sich widerstandslos ergeben muss.


    Wow - Oksanen kann schreiben! Sie schildert Annas Leben und Leiden sehr eindringlich und für ihre Leserinnen nachvollziehbar und konnte mich trotz der kurzen Abschnitte immer wieder in ihren Bann ziehen. Das gleiche gilt in etwas geringerem Ausmaß auch für die Geschichten von Katariina und Sofia. Sowohl die Grauen der Stalinzeit, die Sofia hautnah erlebt, als auch Katariinas Probleme als isoliert in einem fremden Land lebende und immer wieder vom finnischen wie sowjetischen Geheimdienst befragte Grenzgängerin zwischen den beiden Ländern werden lebendig und greifbar.


    Dabei wurde es mir allerdings manchmal etwas zu viel Herumgespringe in den Geschichten und mir erschien über lange Strecken hinweg der Roman überlastet mit diesen 3 großen Themenkomplexen, die jeder für sich ein Buch verdient hätten. Gegen Ende werden allerdings die Parallelen zwischen den Erzählsträngen und damit verbunden das "Erbe" das sich von Großmutter auf Mutter, von Mutter auf Tochter überträgt, sichtbar.


    Ob der Roman nun gut durchkomponiert, die Komposition von mir aber erst zu spät durchschaut wurde, oder ob er an einer vielleicht erstlingsbedingt thematischen Überfrachtung leidet, kann ich nicht ganz entscheiden. Lesenswert ist er allemal; ich hoffe auf eine baldige Übersetzung und freue mich auf Oksanens andere Werke.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()