Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz

Es gibt 38 Antworten in diesem Thema, welches 17.214 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Michaela.

  • Alfred Döblin
    Berlin Alexanderplatz
    Die Geschichte vom Franz Biberkopf

    (1929)


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    Auf den Klappentext verzichte ich an dieser Stelle, weil er schon sehr viel verrät.


    Zur besseren Übersicht und da wir auf Spoiler weitgehend verzichten wollen, wäre es hilfreich, wenn ihr zwischendurch angebt, bei welchem Kapitel ihr seid.


    Trotz unguter Vorahnungen haben wir beschlossen, dieses Werk gemeinsam zu bewältigen. Ich wünsche uns allen viel Spaß und Durchhaltevermögen :zwinker:


    Teilnehmer:
    Babsi
    stefanie_j_h
    bibliomonster
    Wickie ?
    finsbury
    Avila
    Doris


    Wer sich der Leserunde spontan noch anschließen oder seine Erfahrungen mit diesem Buch beitragen möchte, ist natürlich herzlich willkommen!

  • Guten Morgen allerseits!



    Zur besseren Übersicht und da wir auf Spoiler weitgehend verzichten wollen, wäre es hilfreich, wenn ihr zwischendurch angebt, bei welchem Kapitel ihr seid.


    Da Döblin selbst die Geschichte in seiner kleinen Einleitung von Anfang bis Ende zusammenfasst, brauchen wir definitiv keine Angst vor Spoilern haben. Durch die auktoriale Erzählweise, das Hin- und Herspringen in den Zeiten, weiß ich auch schon nach dem 1. Buch (und obwohl ich noch 500 Seiten zu lesen habe), wieso der Protagonist am Ende "geläutert" wird.


    Dennoch finde ich Döblins auktorialen Erzählstil nicht hinderlich oder "spannungsabbauend", im Gegenteil eher interessant und faszinierend.
    Die Sprache selbst finde ich angenehm zu lesen (ich hatte befürchtet, es könnte sperrig o.ä. werden). Ich habe aber den Eindruck, dass Döblin den Leser "zwingt" (auffordert, herausfordert...) über das Gelesene nachzudenken. Das beginnt bereits mit den ersten Zeilen, in denen Biberkopf Angst hat sich vom Gefägnis zu entfernen. Es werden keine Gründe genannt, warum Franz Angst hat (Sicherheit des Gefägnisses vs. unsichere, unbekannte Stadt etc.), sondern nur angedeutet und es wird quasi dem Leser überlassen, sich darüber ein eigenes Bild zu machen.


    Sehr gut gefällt mir auch die verwendete Montagetechnik. Mir scheint es auch, dass dieses aus Einzelteilen zusammengesetzte Bild vom Berlin der zwanziger Jahre der "Hauptakteur", die eigentliche Haupthandlung des Romans ist und die Geschichte vom Franz Biberkopf sich der Stadt unterordnet, sich der Mensch der Stadt unterordnen muss, ein kleiner Teil des Ganzen ist. Das ist wohl auch der Grund, warum ich die Handlung nicht sehen kann (à la Kopfkino), sondern die Stadt (mit ihrem Stimmengewirr, den Bahnen etc.) "nur" höre, rieche, schmecke.


    Wie schon mal erwähnt, ick finde det Buch voll dufte und freue mich, bald von euch zu lesen! :winken:


    P.S. Durch die Montagetechnik gibt Döblin aber auch eindeutige, bereits erklärende Hinweise. So finde ich die kleine Abhandlung über die sexuelle Potenz des Mannes höchlichst interessant und weiß sofort, Franzen hat kleines Problem.

  • Hallo,


    so weit wie du, bibliomonster bin ich noch nicht, sondern erst im vorletzten Kapitel des ersten Buches. Ansonsten teile ich deine Einschätzung: Der Roman ist trotz Montagetechnik, Bewusstseinsstrom und Zitatepatchwork gut zu lesen und distanziert auch nicht von seinem Helden. Im Gegenteil, von Anfang fühle ich mit Bieberkopf, mit diesem Auftauchen aus einer restriktiven und abschirmenden Institution zurück ins volle und unübersichtliche, auch bedrohlich wirkende Großstadtleben.
    Interessant, dass Franz als erstes dem rotbärtigen Juden und seinen Glaubensgenossen begegnet und durch sie wieder Lebensmut schöpft: Zollt hier Döblin seiner Herkunftskultur Respekt? Berührend fand ich auch die Szene im Kino, als Franz sich als Teil eines Ganzen fühlen kann, wo alle ihren Gefühlen freien Lauf lassen.
    Nun bin ich bei der Szene, in der Franz die Schwester seiner totgeschagenen Geliebten aufsucht: Im Weiteren wird man wohl Aufschluss über die genaueren Hintergründe der Tat erhalten.
    Die Parallelen zum Ulysses sind sehr deutlich, dennoch ein Roman ganz eigenen Charakters und in erster Linie wirklich, wie auch du schreibst, ein Berlinroman.


    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich habe bis zum vorletzten Kapitel des ersten Buches gelesen und freunde mich langsam an mit dem Stil. Er ist zwar interessant, aber auch gewöhnungsbedürftig.


    Gleich nach dem ersten Blick ins Buch stellte ich fest, dass auf der ersten Seiten, die den Kapiteln vorangestellt ist, die wesentlichen Punkte der Handlung schon vorab enthüllt werden, aber der Weg dorthin wird bestimmt spannend. Schon vor dem Gefängnistor stellt man fest, dass Franz keinesfalls froh ist, wieder in Freiheit zu sein. Scheinbar hat er Angst vor der fehlenden Struktur, die er nun selbst für sich finden muss, und ist völlig orientierungslos. Er sieht sich nicht als Individuum, sondern als kleines Rädchen, das nur mit dem Ganzen funkioniert.


    Die optische Einteilung meines Buches, einer alten dtv-Ausgabe, gefällt mir überhaupt nicht. Rund 430 Seiten, die eng bedruckt sind, fast ohne Absätze - das mag ich überhaupt nicht, weil es mich fast erschlägt.

  • Hallo Doris,


    Die optische Einteilung meines Buches, einer alten dtv-Ausgabe, gefällt mir überhaupt nicht. Rund 430 Seiten, die eng bedruckt sind, fast ohne Absätze - das mag ich überhaupt nicht, weil es mich fast erschlägt.


    Diese Ausgabe lese ich wohl auch (41. Auflage von 2001 der Ausgabe von 1965), aber wenn auch eng gedruckt, hat das Textbild doch genügend Absätze und ist außerdem durch die Kapitelüberschriften in den Büchern recht kleinschrittig untergliedert.
    Ich bin nun fertig mit Bieberkopfs Ausflug in den Bereich des Handels mit Erotikmagazinen im II. Buch. Hier stellt sich schon heraus, dass Franz Bieberkopf sich vor alle möglichen Karren spannen lässt, aber gerne dann von anderen den Karren aus dem Dreck ziehen lässt. Schön wie hier Linas und Franzens Handeln "überhöht" wird durch die Zitate aus Kleist "Friedrich von Homburg".
    Wie modern dieses Berlin der 20er Jahre aus Döblins auktorialer Perspektive wirkt! Wie er Themen aufgreift wie den §175 oder zu Beginn des II. Buches die Aufzählungen von Behörden und in Behördendeutsch verfassten Bekanntmachungen, das könnte, nur wenig anders formuliert, auch heute genauso heißen. Wenn man diesem Roman einen aus den 60er Jahren, z.B. von Böll oder Walser entgegenhält, wirkt der Döblin viel moderner. Dass das soziale Netz immerhin doch schon recht differenziert gespannt war, ist mir vorher nie so klar gewesen: Sogar eine Beratungsstelle für Eltern und Jugendliche gab es schon, wenn auch mit diskriminierenden Bezeichnungen.
    Einen schönen Sonntag noch!


    finsbury


  • Ich bin nun fertig mit Bieberkopfs Ausflug in den Bereich des Handels mit Erotikmagazinen im II. Buch. Hier stellt sich schon heraus, dass Franz Bieberkopf sich vor alle möglichen Karren spannen lässt, aber gerne dann von anderen den Karren aus dem Dreck ziehen lässt.


    Richtig einschätzen kann ich Biberkopf noch immer nicht. Im ersten Buch wirkte er noch "normal". Wie jemand, der gerade aus der Haft entlassen wurde und sich erst einmal neu orientieren muss. Im zweiten Buch bin ich etwas ratlos geworden. Er ist leicht beeinflussbar, v.a. durch begabte Redner, scheint aber in seiner (kriminellen) Vergangenheit seine eigenen Wege gegangen zu sein. Er hat sich mit zwei Juden angefreundet und wirbt für Krawattenhalter mit einer recht "arisch" angehauchten Rede ("Ich bin ein arischer Mann." 2. Buch, 2. Kap.). Er betont, dass auch Homosexuelle Rechte haben, möchte aber lieber nichts mit ihnen zu tun haben. Ehrlich gesagt, hat Franzen im zweiten Buch einige meiner Sympathiezusagen verloren. Wenn er sich diesbezüglich nicht fängt, ist der nächste große Redner, dem er wahrscheinlich folgen würde, leicht vorherzusehen...


    Oder möchte Döblin mit dem Handeln Franzens, das mich verwirrt, einfach die wirre/chaotische/nach Orientierung suchende Zeit verdeutlichen? Wenn ja, ist ihm das bei mir gelungen.



    Schön wie hier Linas und Franzens Handeln "überhöht" wird durch die Zitate aus Kleist "Friedrich von Homburg".


    Hat mir auch gefallen. So wie die Ratlosigkeit Franzens durch das amtliche Schreiben und den Paragraphenbewurf am Ende des 1. Buches auch mich befiel. Gefällt mir, wie Döblin die Gefühle u. Handlungen seiner Protagonisten durch solche authentischen Einschübe vermittelt und somit betont überhöht.


    Täusche ich mich, oder wurden bis jetzt nur "Randgruppen" vorgestellt? Kriminelle, Homosexuelle, Fixer, Prostituierte etc.


    Schönen Gruß,
    bimo


  • Richtig einschätzen kann ich Biberkopf noch immer nicht.


    Einschätzen kann ich Biberkopf auch nicht, und was noch schlimmer ist: Ich kann das ganze Buch bisher noch nicht einschätzen. Derzeit stehe ich vor dem 3. Kapitel im 2. Buch und bin ganz konfus. Franz ist mir nicht besonders sympathisch, muss er aber auch nicht sein. Nach seinem Lebenslauf zu urteilen ist er kein Mensch, für den man sich ohne weiteres erwärmt. Die Einschübe, die das Berliner Leben illustrieren, aber mit Franz offenbar wenig zu tun haben, sind teilweise etwas befremdend. Auf das 1. Kapitel im 2. Buch etwa kann ich mir gar keinen Reim machen.


    Ich bin froh, dass ich hinter euch beiden herlese. So geht mir manches Licht auf, das ansonsten dunkel bliebe.


  • Die Einschübe, die das Berliner Leben illustrieren, aber mit Franz offenbar wenig zu tun haben, sind teilweise etwas befremdend. Auf das 1. Kapitel im 2. Buch etwa kann ich mir gar keinen Reim machen.


    Ich finde die ganzen Einschübe unglaublich interessant. Die Zeitungsartikel, der Paragraphenbewurf auf Franzen, aber auch die Geschichten, die Geschichtsfetzen, die nichts mit Biberkopf zu tun haben, vermitteln mir ein authentisches, v.a. aber ein sehr lebendiges Berlin dieser Zeit. Und ich denke, mit dieser "chaotischen" Zusammenstellung möchte Döblin vielleicht auch die chaotische Zeit verdeutlichen...


    :winken:

  • Und ich denke, mit dieser "chaotischen" Zusammenstellung möchte Döblin vielleicht auch die chaotische Zeit verdeutlichen...


    Was ihm gut gelingt.



    Ich habe mich heute weitergekämpft, stecke nun mitten im Kapitel "Hasenheide, Neue Welt..." im 2. Buch fest und überlege, ob ich das Handtuch werfen soll. Leider kann ich mich weder mit dem Inhalt noch dem Stil anfreunden. Die Einschübe beschreiben zwar das Berliner Lokalkolorit sehr passend, aber sie nehmen zu viel Raum ein. Franzens Geschichte erscheint mir fast als Nebensache. Ich finde keine Struktur in der Handlung, es ist einfach zu wirr.


    Ich will das Gelesene nochmal sacken lassen und überlegen, ob mir dieses Buch die Zeit wert ist.

  • Ich habe die Leserunde nicht vergessen und bin auch dabei.


    Ich habe allerdings noch nicht mal das erste Buch gelesen. Ich brauche sehr viel Konzentration für das Buch und die habe ich momentan nicht so oft. Bisher gefällt es mir aber gut, auch wenn alles recht gewöhnungsbedürftig ist. Es erinnert mich auch ein bisschen an Ulysses, den ich ja sehr gern mochte.


    Sonst habe ich bisher nichts beizutragen, ich werde mal versuchen, heute Abend ein Stück weiterzulesen.

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Der Vergleich mit Ulysses passt, wobei ich letzteres ganz gelesen habe, was mir mit Döblins Buch nicht gelingen wird. Ich komme einfach nicht voran, weil mir der Stil absolut nicht liegt. Deshalb wird das Experiment von meiner Seite aus beendet, auch wenn mich ein kleines bisschen das schlechte Gewissen plagt, weil ich ja eine der Initiatorinnen für diese Leserunde war. Aber ich könnte wenig Konstruktives beitragen.


    Euch anderen wünsche ich noch viel Spaß bei der Lektüre und notfalls gutes Durchhaltevermögen. Mit einem Auge werde ich auf jeden Fall hier noch mitlesen.


    Liebe Grüße
    Doris

  • Hallo,


    schade, Doris, dass du nicht weiterlesen willst. Aber ich kann das gut verstehen: Wenn einem der Stil eines Autors /Buches nicht zusagt, sollte man sich auch nicht dazu zwingen, egal wie wichtig das Werk auch ist. Wir lesen ja nicht für die Uni oder ansonsten berufsmäßig, sondern zu unserer Freude und Bereicherung.


    Auch ich komme nur langsam voran, da ich momentan auch beruflich (sic!) viel lesen muss. Ich bin jetzt in den Kapiteln bei Henschke im 2. Buch, wo sich Biberkopf mit seinem Kumpel Georg Dreske, dem ausgesperrten Schleifer, der wohl bei den Kommunisten /Sozialisten mitmacht, trifft. Franz dagegen ist in den braunen Sumpf geraten, indem er völkische Zeitungen verkauft. Allerdings ist er kein Ideologe, er lässt sich wohl eher mitreißen. Dieser Charakterzug scheint ja auch im weiteren Verlauf des Romans wichtig zu werden.
    Gar nicht so einfach zu verstehen:Wenn man eine unkommentierte Ausgabe hat, sind diese Unterhaltungen zwischen Georg und Franz eine echte Herausforderung! Anscheinend waren beide Waffenbrüder im 1. Weltkrieg und haben vor dem belgischen Ort Arras gekämpft, wo irgend etwas Entscheidendes passiert ist, was ich aber gestern Nacht nicht mehr verstanden habe, weil ich zu müde war. Vielleicht kann ja das @bimo näheren Aufschluss geben?! :zwinker:
    Witzig fand ich das Hasenheide-Kapitel, denn bei der Lektüre lief ein richtiger Film im Hirn ab. Döblin wäre auch ein toller Drehbuchschreiber, ja Regisseur gewesen!


    Bis hoffentlich bald


    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Doris
    Ich schließe mich finsbury an: Es ist zwar schade, aber es hat bei dir einfach nicht 'Klick' gemacht. Dass das Weiterlesen dann keinen Sinn mehr macht, ist verständlich. :winken:



    Franz dagegen ist in den braunen Suumpf geraten, indem er völkische Zeitungen verkauft. Allerdings ist er kein Ideologe, er lässt sich wohl eher mitreißen. Dieser Charakterzug scheint ja auch im weiteren Verlauf des Romans wichtig zu werden.


    Franz möchte ja ein ruhiges und geordnetes Leben führen (nach seinen Erfahrungen im Krieg u. Gefängnis verständlich). Und diese Ruhe und Ordnung hofft er bei den Faschisten zu finden. Seine Wahl ist zwar unglücklich, ich verstehe aber seine Beweggründe. Nun weiß ich aber nicht, ob Franzen einfach nur leichtgläubig ist, oder ob die Faschisten, Ende der 20er, ihre (gewaltbereite) Ideologie nicht so offensichtlich zeigten.



    Gar nicht so einfach zu verstehen: Wenn man eine unkommentierte Ausgabe hat, sind diese Unterhaltungen zwischen Georg und Franz eine echte Herausforderung! Anscheinend waren beide Waffenbrüder im 1. Weltkrieg und haben vor dem belgischen Ort Arras gekämpft, wo irgend etwas Entscheidendes passiert ist, was ich aber gestern Nacht nicht mehr verstanden habe, weil ich zu müde war. Vielleicht kann ja das @bimo näheren Aufschluss geben?! :zwinker:


    Meine Ausgabe ist leider auch unkommentiert. Das Meiste kann ich mir zusammenreimen, bei Notfällen hilft die "google-Familie". Und so weiß ich nun, dass die Schlacht von Arras (1917), eine Offensive der Alliierten, zu hohen Verlusten auf beiden Seiten führte, für die Franzosen ein Debakel wurde und wieder im Stellungskrieg endete.


    Und das zeigt mir wieder einmal, dass Berlin Alexanderplatz auch ein beeindruckend lebendiges und informatives Geschichtsbuch ist. Mir gefällt es, wie Döblin an Franzens Beispiel die Wirkung/(gesellschaftliche) Auseinandersetzung mit der "neuen Zeit" portraitiert. Biberkopf ist aus dem Gefängnis (wie das Volk aus dem Kaiserreich) in eine ihm unbekannte Welt geworfen worden: die Weimarer Republik. Er ist am Anfang unsicher und orientierungslos, wird von den vielen Sinneseindrücken dieser bunten, lauten und vollen Stadt überrannt. Und während im ersten Buch alles neu und aufregend ist, werden im zweiten allmählich auch die Schattenseiten der damaligen Zeit sichtbar: Hunger, Arbeitslosigkeit, Versailler Vertrag, politische Unruhen etc.


    Am Ende des 2. Buches erfahren wir dann auch die Hintergründe von Biberkopfs Verbrechen. Die Assoziation mit Orestes finde ich (unfreiwillig?) komisch, die Tat selbst wird sachlich, unpersönlich geschildert. Und dann schafft es Döblin wieder, mit nur wenigen Sätzen, das Geschehen plötzlich wieder persönlich zu machen, Mitgefühl zu erzeugen:


    Zitat

    Da liegt sie unten, schon fünf Jahre [...], sie, die einmal in Treptow im Paradiesgarten mit Franz getanzt hat in weißen Segelschuhen, die geliebt und sich herumgetrieben hat, sie hält ganz still und ist nicht mehr da. [...] Der sie getötet hat, geht herum, lebt, blüht, säuft, frißt [...].

    (S. 112)


    Lieben Gruß,
    bimo

  • Hallo,


    drittes Buch beendet, was nicht viel heißen will, denn es ist ganz kurz.
    Danke @bimo für di Aufklärung bezüglich Arras. :blume:
    Im dritten Buch geschieht nicht viel, nur dass Biberkopf sein Vertrauen verliert, dass Betrug und Unverlässlichkeit wieder seinen Horizont bestimmen. Inwieweit es ehrenheaft ist, seinem Straßenhändlerkumpel gegenüber mit seinen amourösen Abenteurern großzutun, lassen wir einmal dahingestellt: Die eigentlich Geschädigte ist jedenfalls die Witwe, nicht Biberkopf. Und dass Lüders, der natürlich ein "Schwein" ist, die Situation ausnutzen kann, liegt an Franzens Redseligkeit.
    Dennoch, der Bruch in der neu erfahrenen Nachknast- Alltagsrealität ist da und hat Franz schwer getroffen.


    Was mich nebenbei auch erfreut, sind die altmodischen Bänkelsang-Kommentare zu den einzelnen Büchern: Das Ganze bekommt dadurch den Charakter eines auf breitester Basis überlieferten Volksbuches und das ist stimmig mit dem Ton des Romans.


    Auch wenn ich nur langsam vorankomme (auch dieses Wochenende muss ich arbeiten), der Roman macht mir viel Freude.


    Schönes Wochenende


    finsbury

  • Hallo,


    heute Nacht habe ich das vierte Buch beendet und heute beim Frühstück mit dem fünften angefangen.
    Das vierte Buch ist starker Tobak und z.T. musste ich mich überwinden weiterzulesen. Nicht weil es schlecht ist, sondern im Gegenteil.
    Hier verfällt Franz dem Suff, weil er von seinem Häuslerkollegen betrogen wurde. Das verstehe ich allerdings nicht ganz, dass ihn das so von den Füßen holt. Schließlich ist das nicht sein bester Freund, sondern nur ein unsympathischer Onkel von Lina und die Frau, die die eigentlich Betrogene ist, die Kundin, die ihm 20 Mark und ein Schäferstündchen gab, steht ihm auch nicht nahe. Vielleicht ist es einfach so, dass er sich bloßgestellt fühlt, weil sein Kollege das, was die Frau Franz freiwillig gab, in den Schmutz zerrte und ihn damit zum Mitschuldigen machte, weil er es ihm gegenüber ausgeplaudert hatte.
    Nun, das eigentlich Besondere am vierten Buch ist aber die Beschreibung des Schlachthofs, und das ist schon starker Tobak, besonders zwischen drei und vier Uhr nachts. Ein Wunder, dass ich danach nicht gealbt habe!
    Warum dieser Exkurs an dieser Stelle? Es soll wohl andeuten, dass auch Franz jetzt auf die Schlachtbank geführt wird, ausgeliefert seinen Gefühlenund Trieben sowie den gesellschaftlichen Bedingungen, die um ihn herum herrschen. In die gleiche Richtung geht ja auch die Hiob-Passage.
    Nun, am Ende des Buches rafft sich Biberkopf zunächst wieder auf und begibt sich unter die Leute. Vorher erfahren wir noch von dem Hausverwalter, einem Zimmerer, der zusammen mit seiner Frau auf die schiefe Bahn kommt und von der Polizei abgeführt wird. Wohl eine Vorausdeutung auf das, was mit Franz passieren wird.


    Nebenbei lese ich von Volker Kutscher: Der nasse Fisch, einen historischen Krimi, der 1929 in Berlin spielt und sich viele Schauplätze und Themen mit "Berlin Alexanderplatz" teilt, den Kutscher sicherlich vor Abfassung seines Krimis aufmerksamst gelesen hat.


    Einen schönen Restsonntag noch


    finsbury

  • Durch meine Erkältung und die dadurch mangelnde Konzentration hänge ich hier gnadenlos hinterher und bin daher auch noch mitten im 1. Buch. Hoffe das wird bald besser, sonst sehe ich "schwarz" für das Buch, bei dem ich gewaltig viel Konzentration brauche


    Bisher gefällt mir das Gelesene recht gut, auch wenn ich die Sprache zwar sehr schön, aber irgendwie als schwerfällig empfinde. Aber vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich Franz Bieberkopf als so schwerfällig empfinde und das dadurch auf das Buch projiziere. Bereits jetzt würde ich Franz Bieberkopf am liebsten anschieben und ihn vorantreiben.

    Liebe Grüße von Babsi

  • Babsi
    Gute Besserung! Und hoffentlich klappt es bald mit der Konzentration. :winken:



    Ich habe heute auch das 4. Buch beendet.



    Hier verfällt Franz dem Suff, weil er von seinem Häuslerkollegen betrogen wurde. Das verstehe ich allerdings nicht ganz, dass ihn das so von den Füßen holt.


    Ich denke, diese Episode hat sein "geordnetes Leben" aus der Bahn geworfen, weil er einfach Angst bekommen hat, wieder ins Gefängnis zu müssen. In dem Brief, den er von der Frau bekommen hat, wird sicherlich soetwas gestanden haben (Diebstahl, Anstiftung dazu etc.)



    Nun, das eigentlich Besondere am vierten Buch ist aber die Beschreibung des Schlachthofs, und das ist schon starker Tobak, besonders zwischen drei und vier Uhr nachts. Ein Wunder, dass ich danach nicht gealbt habe! Warum dieser Exkurs an dieser Stelle?


    Ich habe das gestern Abend gelesen und musste mich teilweise zwingen weiterzulesen. Die präzise Beschreibung des Schlachtens, die unpersönliche Rohheit der Arbeiter, die Tiere, für die Döblin sanfte, beinahe zärtliche Worte findet. Aber für mich ist nicht Franz das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, sondern es sind die Menschen, die Unterschicht, die Arbeiter selbst. Sie werden im Krieg verheizt. Sie müssen die Auswirkungen der neuen Republik (er-)tragen, ob sie diese wollten oder nicht. Auch sie sind Opfer, über deren Schicksal bestimmt wird. In diese Richtung deutet ja auch die einleitende Kommentierung zum 4. Buch: Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt er auch, und haben alle einerlei Odem, und der Mensch hat nichts mehr als das Vieh; denn es ist alles eitel. (Prediger 3:19)


    Die Hiob-Szene sehe ich auch wieder im direkten Zusammenhang mit Biberkopf. So wie Hiob nicht sieht, dass andere ihm helfen wollen, so ist auch Franz blind für die Bedeutung einer Gemeinschaft. Darum grenzt er sich am Ende des Buches ab und Hiobs 'Stimme' ist zu hören.


    Ich habe mir auch eine Zweitlektüre besorgt: Peter Hoeres, Die Kultur von Weimar. Ein überteuerter, aber gut geschriebener Überblick zur Weimarer Republik.


    Bis bald,
    bimo

  • Nachtrag:



    Nun, am Ende des Buches rafft sich Biberkopf zunächst wieder auf und begibt sich unter die Leute. Vorher erfahren wir noch von dem Hausverwalter, einem Zimmerer, der zusammen mit seiner Frau auf die schiefe Bahn kommt und von der Polizei abgeführt wird. Wohl eine Vorausdeutung auf das, was mit Franz passieren wird.


    Die Szene kann ich noch nicht richtig einschätzen. Vielleicht hat Franz sich plötzlich aufgerafft, weil es einen anderen erwischt hat (das Ehepaar) und nicht ihn. Er sieht, er hat noch einmal Glück gehabt, jemand anderes wurde zur Schlachtbank geführt und er kann "weiterleben".

  • Hallo,


    unter der Woche hatte ich keine Zeit und Ruhe für Döblin. Nun lese ich im 5. Buch weiter.Hier lernt Franz Reinhold kennen, der laut Sekundärliteratur sein Vorbild und Verhängnis wird. Das kann man im Moment noch gar nicht glauben: Reinhold ist mit Anfang 30 verlebt, stottert stark und kann keine der Frauen, in deren Vielfalt er sich immer neu verliebt, länger als vier Wochen ertragen. Franz nimmt ihm daher seine Abgelegten ab. Wie das nun alles ins Kriminelle, ins Ludenmilieu führen soll, darauf bin ich gespannt. Reinhold jedenfalls ist ein richtig interessanter Charakter und ganz anders, als ich ihn mir vorstellte.


    Ein schönes Wochenende


    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Hallo,


    das fünfte Buch habe ich jetzt beendet und mit dem sechsten angefangen.
    Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass Reinhold keineswegs der linkische Typ ist, als der er im vierten Buch Biberkopf erscheint, sondern im Gegenteil ein skrupelloser Gewaltverbrecher.
    Immer wieder ist das fünfte Buch mit Bibelstellen und einer Naturmetapher- dunkler Teich und absterbende Bäume - durchsetzt, ebenso wird auch wieder die Schlachthof-Symbolik aufgenommen: Franz wird jetzt verschlungen von den Gegebenheiten, sein Versuch, ein ehrlicher Mann zu sein, scheitert zunächst gegen seinen Willen an seiner Naivität und wird durch den Mordversuch und den Verlust seines Armes hart bestraft. Aber schon zu Beginn des sechsten Buches hat er sich mit Hilfe seines Kumpels Wischow (den ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte) und dessen Freundin Eva wieder einigermaßen berappelt. Ich mache unter der Woche zunächst mal wieder Lesepause und hoffe, von euch wieder zu hören.
    Wie weit seid ihr?


    Schönen Sonntag noch


    finsbury