Brigitte Riebe - Die Hüterin der Quelle

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  • Bamberg im Jahr 1626: Weihbischof Friedrich Förner schürt mit seinen flammenden Hexenpredigten Hass und Misstrauen unter den Stadtbewohnern. Nach einer schlechten Ernte und einem harten Winter, in einer Zeit des Hungers und der Existenznöte, hat Förner hierbei leichtes Spiel. Die Menschen suchen einen Sündenbock und flüchten sich in den Aberglauben an Hexen und Zauberer, im Fränkischen Druten genannt. Das kommt dem frommen Weihbischof sehr gelegen, denn er fiebert darauf hin, Hexen auf dem Scheiterhaufen brennen zu sehen. Doch hat er in der Stadt noch immer einige Widersacher, die sich noch lebhaft an die letzte Periode der Hexenverfolgung erinnern und dem Wahnsinn diesmal Einhalt gebieten wollen.


    Der Leser verfolgt die verwobenen Schicksale verschiedener Charaktere, die alle mehr oder weniger stark vom neu ausbrechenden Hexenwahn betroffen sind. Im Zentrum steht die Familie des Krippenschnitzers Veit Sternen. Dessen junge Ehefrau Marie ist die Tochter des angesehenen Braumeisters und Ratsherren Pankratz Haller. Veit hat seinen fast erwachsenen Sohn Simon, ebenfalls ein angehender Krippenschnitzer, und seine vierzehnjährige Tochter Selina mit in die Ehe gebracht, wobei Marie insbesondere mit ihrer Stieftochter Selina eine schwierige Beziehung hat. Diese ist seit einer schweren Krankheit taub und leidet überdies noch immer unter dem Tod ihrer leiblichen Mutter und den Verlust ihrer früheren Heimat Italien.


    Veit Sternen nimmt es nicht so genau mit der Treue und so ist seine Frau Marie immer wieder mit Nebenbuhlerinnen konfrontiert. Darunter ist seit Neuestem auch die abgeschieden lebende Otterfrau Ava, die ihrerseits neben Veit noch zwei hartnäckige Verehrer hat und sich als Fischverkäuferin und Kräuterfrau verdingt. In der Stadt wird über Ava geredet und es herrscht allgemeines Misstrauen, obwohl sie schon vielen Frauen mit ihren Kenntnissen aus misslichen Lagen geholfen hat. Obwohl Ava eine Eigenbrötlerin ist, kümmert sie sich um eine Bande von Bettlerkindern, die allesamt Waisen sind.


    Außerdem ist da noch Agnes, die zwar einen Ehemann und drei Kinder hat, die aber dennoch von Veit Sternen besessen ist, obwohl sie ihn nur ein einziges Mal verführen konnte. Agnes verfolgt Veit eifersüchtig und ist fest entschlossen, ihn sich zurückzuerobern, notfalls auch, indem sie eine Widersacherin an Förner verrät…


    Brigitte Riebes Schreibstil vermochte es einmal mehr, mich sofort in den Sog der Geschichte hineinzuziehen. Der Roman hat mich ungemein gut unterhalten. Das barocke Bamberg, gebeutelt vom Hexenwahn, wird sehr atmosphärisch zum Leben erweckt und ich konnte die angespannte Stimmung in der Stadt förmlich spüren. Der Schreibstil ist angenehm unaufgeregt und ruhig, aber dennoch sehr packend.


    Trotz der zahlreichen Figuren hatte ich keine Probleme mit der Zuordnung, denn die Autorin versteht es, den Charakteren Leben einzuhauchen und aus ihnen unverwechselbare und facettenreiche Menschen zu machen. Der Leser bekommt die Geschichte aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erzählt, so dass er sich vom Innenleben jedes Protagonisten ein umfassendes Bild machen kann.
    So blicken wir etwa hinter die kalte und bösartige Fassade des Weihbischofs Friedrich Förner – übrigens eine historische Figur – und erfahren viel über seine Denkweise und über das, was ihn antreibt, so dass sich an manchen Stellen in meine Abscheu auch etwas Mitleid mischte.


    „Die Hüterin der Quelle“ ist ein sehr kurzweiliger historischer Roman, der sich durch eine sehr gründliche Recherche auszeichnet und mir daher auch interessante Erkenntnisse eingebracht hat. So war mir beispielsweise nicht klar, dass die Hinterbliebenen eines Opfers der Hexenverbrennungen auch noch finanziell für die Hinrichtung aufkommen mussten.
    Ausgestattet ist der Roman mit einem historischen Nachwort sowie einer Karte von der Stadt Bamberg zur Zeit der Handlung.


    Alles in allem hat mich der Roman sehr gut unterhalten und ich kann ihn guten Gewissens allen Lesern historischer Romane (und nicht nur diesen) weiterempfehlen.


    5ratten


    Noch kurz zum Bechdel-Test: Auch dieser wird bestanden. Es gibt ein paar interessante Frauen im Roman (die natürlich auch einen Namen haben) und es finden öfter Gespräche zwischen Frauen statt. Es kommt zwar relativ selten vor, dass sie sich über etwas anderes als Männer unterhalten, aber es kommt vor. Zum Beispiel über ein magisches Ritual. Oder über Kinder.

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen