William Shakespeare - König Lear/The Tragedy of King Lear

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  • William Shakespeare
    König Lear
    Eine Tragödie in fünf Akten


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    König Lear (The Tragedy of King Lear) entstand um 1605 und gilt als eine der herausragenden Tragödien William Shakespeares.


    Shakespeares gewaltigste und gewalttätigste Tragödie: König Lear will abdanken und das Reich unter seinen Töchtern aufteilen: Wer ihn am meisten liebt, soll am meisten bekommen. Die beiden älteren, Goneril und Regan, bekunden wortreich ihre Liebe, während die jüngste, Cordelia, schweigt, weil Sprache ihre Gefühle nicht ausdrücken kann. Lear erkennt die wahre Liebe seiner jüngsten Tochter nicht, Eitelkeit und Machtverliebtheit machen ihn blind, so daß er sein Reich den beiden älteren zuspricht, die Jüngste aber enterbt. Doch schon bald muß er erfahren, wie sehr er sich getäuscht hat. Goneril und Regan, die ihrem Vater Schutz und Unterhalt versprochen haben, verstoßen ihn bald. Begleitet von einem Getreuen und einem Narren irrt Lear durchs wüste Land und verfällt dem Wahnsinn. (Quelle: Amazon)



    Teilnehmer:
    Mrs Dalloway als Shakespeare-Expertin des Forums
    und alle, die Lust dazu haben :smile:


    Viel Spaß und spannende Diskussionen!

    Einmal editiert, zuletzt von Doris ()

  • Noch niemand hier? Na dann mache ich eben den Anfang. Ich habe mir vorhin, da mein Reclam nicht auffindbar ist, aus der Bib The New Penguin Shakespeare geholt. Die 45 Seiten Einführung habe ich mir geschenkt, und auch die Anmerkungen werde ich nur vereinzelt lesen. Ganz so schlimm ist es zwar nicht, aber es macht den Eindruck, dass jede einzelne Zeile kommentiert wurde. :ohnmacht:


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    King Lear habe ich vor Jahren schon mal gelesen, erinnere mich aber nur bruchstückhaft daran. Außerdem habe ich vor noch mehr Jahren Jane Smiley - A Thousand Acres (Tausend Morgen) gelesen, das eine moderne Umsetzung des Lear-Stoffs ist. Damals war mir das wegen mangelnder Vorkenntnisse nicht klar, aber im Nachhinein (also mit der Shakespearelektüre) wurde mir einiges deutlich.


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    Aber nun zum Drama:
    Ich habe Akt I, Szene I gelesen. Hier geht es gleich in die Vollen: Der alte König will sein Reich an die nächste Generation weitergeben und zettelt dazu einen Wettbewerb zwischen seinen Töchtern an. Die, die ihn am meisten liebt (bzw. ihre Liebe am besten in Worte zu fassen versteht), bekommt das beste Stück des Reiches.
    Meine Meinung dazu drückt dieser Smiley gut aus: :vogelzeigen: . Und erst recht gilt das für Lears Reaktion, als seine bisher am meisten geliebte jüngste Tochter sich weigert, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Sie liebt ihn, so wie eine Tochter eben ihren Vater liebt, aber er ist eben nicht ihr Ein und Alles. Die absolute, uneingeschränkte Liebe, die ihre Schwestern vorgeben, gibt es nicht, sie wäre unnatïrlich.
    Das kann Lear nicht verknusen. Sofort vergisst er alles, was bisher war und verstößt Cordelia, was diese erstaunlich gelassen hinnimmt. Es wird schon von verschiedenen Personen im Drama angedeutet, und auch ich habe den Eindruck, dass der König allmählich dement wird und sich nicht mehr von Argumenten leiten lässt. Was ihm in den Sinn kommt, muss geschehen, und das unverzüglich. Jeder Widerspruch ist nicht nur sinnlos, sondern wird auch sofort drakonisch bestraft, was der arme Kent auch zu spüren bekommt.


    Für die größte Überraschung in dieser Szene sorgt aber der König von Frankreich. Ich war davon ausgegangen, dass er ebenso wie der Herzog von Burgund reagieren würde, also Cordelia als arme Frau nicht mehr haben wollen würde (und nahm an, es würde sich was zwischen ihr und Kent entwickeln). Aber nein; er scheint tatsächlich mehr an ihr als am Besitz ihres Vaters interessiert zu sein.


    Welche Stellung Gloucester und noch mehr sein unehelicher Sohn Edmund haben werden, ist mir noch ein Rätsel. Gut oder böse, das ist hier die Frage.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Auch ich habe den 1. Akt erste Szene gelesen und auf Grund ihrer Antwort war mir Cordelia gleich sympathisch. Sie ist eine ehrliche Haut und ich kann nur hoffen, dass sie es auch gelohnt bekommt. Beim guten William ist man da ja nie so sicher, so schnell wie er immer seine Reihen lichtet. :breitgrins: Na, wenigsten geht den beiden Schwestern jetzt die Muffe. Geschieht ihnen Recht, nach ihren "Abschiedsworten" für Cordelia.


    Welche Stellung Gloucester und noch mehr sein unehelicher Sohn Edmund haben werden, ist mir noch ein Rätsel. Gut oder böse, das ist hier die Frage.


    Ich weiß nicht welche Rolle er in diesem Stück noch spielt, aber ich meine mich zu erinnern, dass er, Gloster, in einem später folgenden Stück, Richard der III. wird und wenn er derjenige ist, dann verspricht es noch sehr interessant zu werden. Richard the III. habe ich mit sehr viel Genuß gelesen.


    Viele Grüße Tina


    Edit: wenn ich es mir so überlege, bin ich mir doch nicht mehr so sicher. Es gab so viele Glosters..., aber Mrs. Dalloway weiß das bestimmt. Auf die Gute ist immer verlaß. :breitgrins:


  • auf Grund ihrer Antwort war mir Cordelia gleich sympathisch. Sie ist eine ehrliche Haut und ich kann nur hoffen, dass sie es auch gelohnt bekommt.


    Ja, sympathisch schon, aber auch ein bisschen doof. Meine Güte, wieso sülzt sie nicht einfach ein bisschen rum, so wie ihre Schwestern auch? Kostet sie doch nichts, oder? Prinzipien sind ja schön und gut, aber man kann's auch übertreiben, finde ich. Irgendwie finde ich ihre Weigerung schon ein wenig überzogen. Klar, der Vater hat sie nicht mehr alle, aber wieso spielt sie nicht einfach mit?


    Wobei ich sagen muss, dass ich ihr Verhalten jetzt besser nachvollziehen kann als bei der Erstlektüre vor vielleicht 15 Jahren. Damals fand ich sie nur doof. Ich habe die Fragen oben gestellt, um ein wenig zu provozieren.


    War König Lear eigentlich eine historische Person?

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo zusammen,


    ich bin genauso weit wie ihr.


    Cordelia tut mir Leid. Gut, sie liebt ihren Vater wohl nicht über die Maßen, aber sie hegt offensichtlich mehr Gefühle für ihn als ihre Schwestern, weil sie es nicht übers Herz bringt, ihn zu belügen. Große Worte zu machen liegt ihr nicht, das zeigt die spontane Reaktion, als ihre Schwester ihre Lobhudelei von sich gibt und Cordelia sich abwendet und denkt/flüstert: "Was sagt Cordelia nun? Sie liebt und schweigt."


    Ihr Vater scheint wirklich nicht mehr ganz klar zu sein. Allein der Gedanke, das Erbe entsprechend der verbalen Liebeserklärung zu verteilen, ist schon seltsam, aber die Tochter zu verstoßen, weil sie sich nicht ausdrücken kann, ist abartig. Zum Glück gibt es noch Menschen, die Cordelia richtig einschätzen, denn Kent zögert nicht, sich für sie einzusetzen und der französische König möchte sie zur Frau nehmen, obwohl sie nun mittellos ist.

  • 1. Akt, zweite Szene

    Ha, da ist er, der Schurke, auf den ich mich bei Shakespeare immer so freue. Edmund schmiedet Intrigen um an Macht zu gelangen. Ich bin gespannt, ob es ihm gelingt, oder der Schuss nach hinten losgeht. Das ist allerdings auch etwas, was mich ganz oft in den Shakespearestücken stört, bzw, was mich verwundert. Es gibt immer so viele Personen, die auf solche Intrigen hereinfallen, Dramen damit auslösen, die vermieden werden könnten, wenn man einfach miteinenander reden würde, aber das würde natürlich dem Stück den Kick nehmen.


    Ja, sympathisch schon, aber auch ein bisschen doof. Meine Güte, wieso sülzt sie nicht einfach ein bisschen rum, so wie ihre Schwestern auch? Kostet sie doch nichts, oder? Prinzipien sind ja schön und gut, aber man kann's auch übertreiben, finde ich. Irgendwie finde ich ihre Weigerung schon ein wenig überzogen. Klar, der Vater hat sie nicht mehr alle, aber wieso spielt sie nicht einfach mit?



    Ich weiß nicht, natürlich hätte sie keinem geschadet, aber wenn sie wirklich eine so ehrliche Haut sein soll wie dargestellt, dann hätte wohl sich selbst. Sie hat anscheinend wirklich Glück gehabt, dass der französische König an ihrem Verhalten gefallen fand.


    Viele Grüße Tina


  • Welche Stellung Gloucester und noch mehr sein unehelicher Sohn Edmund haben werden, ist mir noch ein Rätsel. Gut oder böse, das ist hier die Frage.


    Na, diese Frage wurde ja in Akt I, Szene II deutlich beantwortet. Allerdings musste ich den Brief mehrfach lesen, bis ich ihn annähernd verstand. Könntest du ihn mir auf Deutsch zitieren, tina? (Du liest doch auf Deutsch?)


    Ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass Edmund den Brief gefälscht hat. Aber wieso hat Gloucester die Handschrift nicht erkannt, bzw. Edmund gefragt, ob es Edgars Handschrift sei? Kennt er die Handschrift seines Sohnes nicht?

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah, hier meine Übersetzung des gefälschten Briefes:



    ich musste allerdings diesen Brief auch zwei Mal lesen um ihn zu begreifen.


    Viele Grüße Tina

  • Danke, tina!
    Aber das ist nicht der Brief, sondern Edmunds Eingangsmonolog. Ich meine den Brief, den Gloucester mit Beginn von Zeile 42 liest:

    Zitat

    This policy and reverence of age makes the world bitter to the best of our times...

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Uups, Sorry, Du hast Recht, das war der Monolog. Kein Wunder dass ich den Brief nicht verstanden habe. :redface: Irgendetwas verleitete mich zu der Annahme, dass Edmund in diesem Monolog den Breif zitiert. Nun denn, hier nun der richtige Brief:


    Zitat

    Dieses Herkommen, diese Ehrfurcht vor dem Alter verbittert uns die Welt für unsre besten Jahre; entzieht uns unser Vermögen, bis unsre Hinfälligkeit es nicht mehr genießen kann. Ich fange an, eine alberne, thörichte Sklaverei in diesem Druck bejahrter Tyrannei zu finden, die da herrscht, nicht weil sie Macht hat, sondern weil man sie duldet. Komm zu mir, dass ich weiter darüber rede. Wenn unser Vater schlafen wollte, bis ich ihn weckte, solltest du für immer die Hälfte seiner Einkünfte genießen und der Liebling sein Deines Bruders Edgar.


    Viele GrüßeTina

  • Danke :winken: .


    Auf Deutsch wirkt der Brief dann doch ein wenig (viel) böser auf mich. Kein Wunder, dass der Vater entsetzt ist.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo. Jetzt bin ich auch am Start. :winken:


    Also: Der Gloucester aus King Lear ist nicht der Gloucester aus Richard III. Duke of Gloucester ist einfach ein Titel und oft wird dann eher dieser als der eigentliche Name verwendet, wenn es sich um Historien handelt.


    King Lear ist auch keine historische Person, sondern ein Legendenkönig wie König Artus.


    Was man bei der Anfangsszene von Lear noch bedenken muss, ist dass Lear eigentlich das größte Verbrechen überhaupt begeht: er gibt die Königswürde her. Zu Shakespeares Zeit war es so, dass diese Würde von Gott gegeben war und man nicht einfach abdanken konnte. Jetzt kommt Lear daher und will nicht einfach nur abdanken, sondern das Reich sogar noch zerstückeln und dadurch vermutlich schwächen. Das dürfte damals im Theater großes Entsetzen beschert haben.


    Interessant finde ich, wie unterschiedlich ihr Cordelia wahrnimmt. Ich fand sie auch immer recht sympatisch, aber mein Dozent in London hat sie als "spoiled brat" bezeichnet, die doch einfach nur den Mund hätte aufmachen müssen. Genauso ambivalent ist auch Lear als Charakter. Ich hab das Stück in London zweimal gesehen und einmal war es ein alter, zerbrechlicher Lear, mit dem man einfach nur Mitleid empfinden konnte. Und einmal war es ein tyrannischer, machtgieriger Lear, bei dem sogar Kindesmissbrauch angedeutet wurde.

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • 1. Akt bis 5. Szene


    Kent flieht nicht, wie es ihm angeraten wurde, sondern schleicht sich verkleidet wieder in die Dienste des Königs. Warum? Hat er Hoffnung ihn letztendlich doch eines besseren zu bekehren, ihm sein Unrecht vor Augen zu führen. So erschien es mir, als er sich dem König vorstellte.


    Zitat

    [...]Mein Beruf ist, nicht weniger zu sein, als ich scheine; dem treu zu dienen, der's mit mir versuchen will; den zu lieben, der ehrlich ist; mit dem zu verkehren, der Verstand hat und wenig spricht; den guten Leumund zu achten; zu fechten, wenn ich's nicht ändern kann und keine Fische zu essen.[...]


    Letztendlich ist dies genau das, was in meinen Augen Cordelia ausmacht und hier scheint es dem König zu gefallen. Er sieht nicht die Parallelen. Will er nicht, oder ist er wirklich so senil, dass er es nicht mehr begreifen kann. Wäre dem so, dann täte er mich auch Leid. Das wäre quasi die Version, welche Mrs. Dalloway aus ihrer Lear-Aufführung schilderte.


    Der Narr dagegen hat anscheinend im wahrsten Sinne des Wortes die reinste "Narrenfreiheit". Kent wurde schließlich wegen weniger schlimmen Aussagen verstoßen. Der Narr gefällt mir. Seine Worte sind durch aus wahr.
    Auch Goneril zeigt ihrem Vater nun die kalte Schulter, allerdings erst, nachdem sie hatte was sie wollte.


    Verstehe ich das Richtig, dass Lear keinerlei Macht mehr besitzt und wirklich nicht mehr ist als sein Narr?


    Und wieder stelle ich fest, dass mich ein Shakespearestück immer wieder packt und ich es gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Eines Tages verwirkliche ich mir den Wunsch und werde mir ein Stück von ihm in London in diesem originalgetreuen Shakespear-Theater ansehen. Ich denke, dass das ein unglaubliches Erlebnis sein muss, wenn man diesen Schriftsteller liebt.


    Viele Grüße Tina

  • Ich habe jetzt auch mal die ersten Szene gelesen. Allerdings musste ich einige Stellen zweimal lesen und dann auch noch den Anfang der Inhaltszusammenfassung bei Wikipedia, weil ich mich wohl erst wieder an dieses Englisch gewöhnen muss. Die letzten Stücke habe ich ja auch immer im Original gelesen, aber so schwer ist mir das noch nie gefallen. Kann es sein, dass "King Lear" sprachlich etwas anspruchsvoller oder schwieriger ist? Nehmt ihr das auch so wahr oder liegt das nur daran, dass mir aktuell vielleicht die Konzentration fehlt.


    Cordelia hat mich auch etwas geärgert. Ich finde sie zwar sympathisch, aber eigentlich hätte sie doch einfach ihrem Vater was von großer Liebe erzählen können und sich das größte und beste Stück des Reiches sichern. Wie Saltanah schon sagt, Prinzipien schön und gut, aber in solchen Fällen muss man doch mal davon abweichen können.



    Was man bei der Anfangsszene von Lear noch bedenken muss, ist dass Lear eigentlich das größte Verbrechen überhaupt begeht: er gibt die Königswürde her. Zu Shakespeares Zeit war es so, dass diese Würde von Gott gegeben war und man nicht einfach abdanken konnte. Jetzt kommt Lear daher und will nicht einfach nur abdanken, sondern das Reich sogar noch zerstückeln und dadurch vermutlich schwächen. Das dürfte damals im Theater großes Entsetzen beschert haben.


    Das ist ein interessanter Aspekt, den ich so gar nicht bedacht habe. Natürlich gab man die Königswürde damals nicht so einfach her. Ich bin mal gespannt, ob man noch was über Lears Motive erfährt oder ob er einfach keine Lust mehr hat. So ganz klar wurde mir das nämlich noch nicht.

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Akt I, Szene 4 + 5:


    Mein Mitgefühl mit Lear hält sich arg in Grenzen. Zwar könnte er einem schon leid tun, wie er da von seiner Tochter die kalte Schulter gezeigt bekommt und er überhaupt plötzlich nicht mehr der große König, sondern ein "Normalsterblicher" ist. Das hat er sich zwar selbst eingebrockt - seine Macht hat er ja freiwillig abgegeben - aber wahrhaben will er das nicht, und so führt er sich auf wie ein richtiges A***loch.


    Ich denke dabei z. B. an sein Verhalten Gonerills Steward gegenüber: "Wer bin ich?", fragt er und bekommt die korrekte Antwort: "Der Vater meiner Herrin", was er aber absolut nicht verknusen kann und daraufhin anfängt, den Steward zu beschimpfen und zu misshandeln. "You whoreson dog! You slave! You cur!" - Das ist nicht gerade die feine englische Art. Und vermutlich ist das nicht die erste Entgleisung dieser Art und ganz sicher nicht die letzte. Dass er hinterher auch noch zuschlägt, passt zu seinem Verhalten.


    Richtig schockiert hat mich in dieser Szene aber Kent, den ich bisher hoch achtete. Statt zu versuchen, Lear ein wenig zu zügeln, geht er auch noch auf den Steward los und stellt ihm ein Bein. Für ihn gilt wohl "Einmal König - immer König". Ein König ist eben was Besseres als andere und auch wenn er der Krone entsagt hat, darf er sich verhalten, wie er will und dafür auch noch tiefste Ergebenheit und Dankbarkeit erwarten. Bäh - mag sein, dass das zu Shakespeares Zeiten die gängige Vorstellung war, aber mich treibt das zur Weißglut. Lear jedenfalls denkt weiterhin so und verschwendet keinerlei Gedanken darauf, er könne sich seine weniger gute Behandlung vielleicht selbst zuzuschreiben haben.


    Ich denke mal, dass Lear sich zu früheren Zeiten auch nicht besser verhalten hat und sehe ihn (vorläufig zumindest) als


    tyrannischer, machtgieriger Lear


    Wobei ich mir allerdings auch gut vorstellen kann, dass man ihn in einer entsprechenden Inszenierung als mitleiderregend darstellen könnte.


    Der Narr - ja, der gefällt mir auch sehr gut. Der hat die Lage voll durchschaut und versucht, Lear einige Wahrheiten zu sagen. Schön, wie er mit der Bedeutung von "Narr" spielt. Nicht nur er ist von Berufs wegen einer, sondern auch andere Menschen können sich wie ein Narr aufführen. Dass das auf Lear zutrifft, hat der ja schon gleich zu Anfang des Dramas gezeigt, als er den bescheuerten Liebeswettbewerb anzettelte.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Kann es sein, dass "King Lear" sprachlich etwas anspruchsvoller oder schwieriger ist? Nehmt ihr das auch so wahr


    Den Eindruck hatte ich nicht. Mir geht es mit Shakespeare immer so, dass ich mich erst mal "einlesen" muss, also zu Beginn eines Dramas immer am Kämpfen bin, es mir im Verlauf aber immer leichter fällt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • In I. Akt/4 wird deutlich, dass sich Lear und Goneril gegenseitig nicht viel nehmen. Die Tochter hat ihr Ziel erreicht und keine Lust mehr, das Spiel weiterzuführen und der König erkennt, dass sie ihm etwas vorgemacht hat und wünscht ihr Schlechtes. Wenn er immer so war, braucht er sich nicht zu wundern, dass zumindest zwei seiner Töchter nach ihm schlagen. Gleichzeitig wird ihm klar, dass er Cordelia Nicht-Äußerungen viel zu viel Bedeutung beigemessen hat. Emotional geht es bei ihm ganz schon rauf und runter.


    Den Narr mag ich gerne. Er facht die heiklen Momente mit seinen Bemerkungen noch zusätzlich an. Ein "normaler" Narr ist er auf keinen Fall, dazu hat er viel zu viel Einfühlungsvermögen und weiß genau, wo er seine Spitzen ansetzen muss.


    Und Kent - ja, das ist eine seltsame Art von Loyalität. Einerseits setzt er sich für Cordelia ein und nimmt in Kauf, dass er in die Verbannung geschickt wird, andererseits führt sein erster Weg zu Lear zurück. Vielleicht hat er ja eigene Interessen?


  • Und Kent - ja, das ist eine seltsame Art von Loyalität. Einerseits setzt er sich für Cordelia ein und nimmt in Kauf, dass er in die Verbannung geschickt wird, andererseits führt sein erster Weg zu Lear zurück. Vielleicht hat er ja eigene Interessen?


    Das er eigene Interessen hat, glaube ich nicht. Für ich ist er der "ideale" Untertan: Er macht zwar den König auf seine Fehler aufmerksam, auch wenn er selbst dafür bezahlen muss, ist ihm aber trotz alledem bedingungslos und treu ergeben. Sein König ist und bleibt eben unter allen Umständen sein König! Und dem dient er selbstlos bis zu seinem Tode. :vogelzeigen:

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Für Lear ist das allerdings das Beste, was ihm passieren kann. Wenn er mehr solche Gefolgsleute hätte, wäre er vielleicht gar nicht erst regierungsmüde geworden.

  • 2. Akt


    Nun erhofft sich Lear Unterstützung von seiner Tochter Regan, aber auch diese scheint ihm ja nicht wirklich gut gesonnen zu sein. Das hat Lear nun davon, dass er zu hören bekam was er wollte und dabei so bereitwillig auf die Wahrheit verzichtete. Kent wurde erst einmal Dingfest gemacht und ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob er wirklich ein so bedingungslos untergebener Diener seines Königs ist, denn dann hätte er sich doch auch nicht zu Anfang gegen ihn gewandt, als Lear Cordelia verstieß, sondern stattdessen seine Klappe gehalten. Eher glaube ich immer noch, dass er insgeheim hofft den König "bekehren" zu können, aber dazu musste er ersteinmal sein Vertrauen gewinnen, darum ging er wohl auch auf den Hofmeister los. Ich hoffe ja immer auf das Gute im Menschen. :breitgrins:
    Der arme Edgar tut mir von Herzen Leid. Er ist das Opfer eines gemeinen Ränkespiels geworden und sitzt nun bar jeglichen Besitzes in einer trostlosen Heide.
    In der letzten Szene dieses Aktes, kann nun Lear nicht mehr umhin zu erkennen, dass er auf keine seiner beiden Töchter zählen kann. Er ist fassungslos, wütend, verzweifelt. Ja, vielleicht mag er wirklich ein Despot sein, aber er tut trotzdem irgendwie Leid, weil er sich so sehr durch seine Senilität selbst im Wege steht, für die er vielleicht gar nichts kann. Für ihn ist es Fakt, dass alle, die er geliebt hat, ihm den Rücken zukehren und ihn im Stich lassen. Für ihn ist das die Wahrheit, weil er selbst gar nichts anderes glauben kann und ich stelle mir das fruchtbar vor. Ich muss dabei immer wieder an senile, desorientierte Menschen denken, welche ich so oft in der Klinik sehe, die sich ebenfalls von allen Seiten bedroht fühlen. Das muss der reinste Horror sein und für sie ist es die einzige Realität, die sich nicht wegreden lässt.


    Ob es wohl wirklich zum Krieg zwischen Cornwall und Albanien kommt?


    Das werde ich wohl nur erfahren, wenn ich jetzt weiterlese. In diesem Sinne, wünsche ich Euch ein schönes Lesewochenende, denn was sonst kann man bei diesem Wetter tun, :regen: außer es sich auf der Couch mit heißem Kaffee und einem guten Buch gemütlich machen. Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich dieses Wetter mag. :breitgrins: Ich weiß ich bin total verrückt.


    Liebe Grüße Tina