06 - 26. bis 31. Kapitel (Ende Seite 406)

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 8.437 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Llyren.

  • Ja, das habe ich auch so wie du interpretiert. In dem Zusammenhang ist mir auch die Geschichte von Boo aufgefallen. Wird jahrzehntelang von seinem Vater eingesperrt und (vermutlich-wahrscheinlich) misshandelt, aber das ist nicht weiter wichtig. Bzw sagt Atticus sogar explizit, es ginge niemanden etwas an, was hinter den Mauern zwischen Boo und seinem Vater passiert....


    Ich kann in beiden Punkten (Boo und Mayella) keine positive Absicht der Autorin erkennen....??? Aber ich wollte nicht noch mehr herumkritisieren.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie


  • Ein Punkt wurde noch gar nicht angesprochen:


    Bei der Gerichtsverhandlung erfährt man praktisch zwischen den Zeilen, dass Mayella vermutlich jahrelang von ihrem Vater missbraucht wurde - so ist es zumindest bei mir angekommen. Und ganz Maycomb einschließlich Gutmensch Atticus und Richter Taylor gehen darüber hinweg, als sei das mehr oder weniger normal.


    Wie seht ihr das?


    Wenn man alles ansprechen wollte, was in dem Buch zur Sprache kommt, könnte man endlos schreiben. Ja, es wird kurz erwähnt, daß Bob Ewell Mayella mißbraucht. Ob jahrelang, läßt sich daraus meiner Meinung nach nicht ableiten, und auch nicht, in welchem Maße. Und es ist die Aussage von Tom Robinson, und die zählt außer für Atticus ja sowieso nicht.


    Atticus geht durchaus nicht darüber hinweg, sondern hat schon vorher, in seinem Verhör, Mayella die Möglichkeit gegeben, den Mißbrauch zur Sprache zu bringen ("Ist er je hinter Ihnen hergewesen?", in meiner Ausgabe S. 248). Darauf geht sie nicht ein, also kann er nichts für sie tun. Ich schätze mal, Atticus und Richter Taylor und auch Sheriff Tate wären durchaus bereit, Mayella aus ihren Familienverhältnissen herauszuhelfen. Aber sie will nicht, im Gegenteil, sie hilft noch mit, einen unschuldigen Menschen zu Tode zu bringen, der noch dazu barmherzig und freundlich zu ihr war. Und das ist das Thema des Buches. Das kann man nicht mit den Maßstäben heutiger politischer Korrektheit messen.



    In dem Zusammenhang ist mir auch die Geschichte von Boo aufgefallen. Wird jahrzehntelang von seinem Vater eingesperrt und (vermutlich-wahrscheinlich) misshandelt, aber das ist nicht weiter wichtig. Bzw sagt Atticus sogar explizit, es ginge niemanden etwas an, was hinter den Mauern zwischen Boo und seinem Vater passiert....


    Wieso ist das nicht wichtig? Bei mir kam es durchaus so an, als fände niemand in Maycomb das gut. Als Leser kannst du dir ja auch eine Meinung dazu bilden.


    Ich kann in beiden Punkten (Boo und Mayella) keine positive Absicht der Autorin erkennen....???


    Weiter oben schriebst du noch, daß du in dem Buch zuviel positive Absicht findest...



    Mich hat seltsamerweise gestört, dass die Ewells (und ihresgleichen = Menschen, die von der Wohlfahrt leben) ausnahmslos als „Pack“ dargestellt werden. Warum findet Atticus an ihnen nichts Gutes, wenn er schon bei jedem kleinkarierten Rassisten der Stadt inkl. den gewalttätigen Cunninghams auf einen guten Kern verweist?


    Für mich liegt der wesentliche Unterschied zwischen den Ewells und den Cunninghams dieses Buches in ihren Taten. Die Ewells sind es, die (zu allem übrigen) maßgeblich dazu beitragen, einen Unschuldigen zum Tode zu verurteilen. Das ist unverzeihlich.
    Ein Cunningham war es, der zwar zunächst in dem Mob war, der Atticus und Tom Robinson bedrohte, sich dann aber besann und den Argumenten/der Wahrheit gegenüber offen zeigte (als Geschworener).

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • kaluma: Ich muss dir in allen Punkten recht geben. Eine große Stärke des Buches liegt für mich darin, dass es einen nicht loslässt. Ich denke immer noch über die Geschichte nach und zerpflücke dieses und jenes Ereignis... Ich glaube, ich werde das Buch noch einmal lesen. Da steckt so viel drin, auf relativ wenig Seiten, noch dazu aus der kindlichen Perspektive und deshalb in relativ einfachen Worten. Und noch mehr steckt zwischen den Zeilen.


    Vor allem mit den "Maßstäben heutiger politischer Korrektheit" triffst du bei mir einen Nerv. Ich werde noch viel über dieses Buch nachdenken und das alleine macht es schon zu einem wirklich guten Buch.


    Trotzdem wünschte ich, ich hätte es vor 20 Jahren gelesen.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie


  • Eine große Stärke des Buches liegt für mich darin, dass es einen nicht loslässt. Ich denke immer noch über die Geschichte nach und zerpflücke dieses und jenes Ereignis... Ich glaube, ich werde das Buch noch einmal lesen. Da steckt so viel drin, auf relativ wenig Seiten, noch dazu aus der kindlichen Perspektive und deshalb in relativ einfachen Worten. Und noch mehr steckt zwischen den Zeilen.


    Volle Zustimmung. So geht es mir auch.
    Und das ist der Vorteil einer Leserunde, da wird man von anderen auf die Aspekte hingewiesen, die einem selber vielleicht gar nicht so aufgefallen sind.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Soo, es ist vollbracht.


    Ich kann mich nur kaluma anschließen, die Atmosphäre vor dem Anschlag auf Jem und Scout war richtig gruselig. Ich hab mich gefühlt wie früher, wenn ich abends vor dem Einschlafen 5 Freunde gehört habe. Jem versucht seine Schwester zu verteidigen. Generell hatte ich schon in den vorigen Kapiteln das Gefühl, dass sie wieder eine bessere, wenn auch andere, Beziehung zueinander hatten.
    Zum Glück war Boo da. Ich empfinde ihn fast wie einen Schutzengel für Jem und Scout. Er hat sie ja schon vorher beobachtet, weiß, wo sie langlaufen und scheint sie gern zu haben.
    Ich denke Jem sieht es schon richtig, wenn er sagt, dass Boo vielleicht einfach nicht raus kommen WILL. Er scheint ja sehr Menschenscheu zu sein. Allerdings hat er zu Jem und Scout auf irgendeine Weise Vertrauen gefasst. Die Schlußszene hat mir gut gefallen, wie Scout instinktiv begreift, was Boo will und er sogar zu ihr spricht.


    Insgesamt war es ein tolles Buch. Besonders die Beziehung zwischen Jem und Scout und auch die der beiden zu Atticus hat mich sehr berührt. Egal was passiert, die Finks haben immer zusammen gehalten und selbst Tante Alexandra hatte am Ende einige Sympathipunkte erhalten. Es scheint fast, als hätte sie sich daran gewöhnt, wie es bei Atticus zuhause zugeht.


    Es hat mir viel Spaß gemacht das Buch mit euch zu lesen. Danke für die schöne Leserunde.

    &quot;Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat&quot;<br />Carlos Ruiz Zafón<br />:lesen:

  • [quote author=kaluma]
    Die nächtliche Verfolgung von Jem und Scout ist sehr atmosphärisch und so richtig zum Gruseln, gerade weil Scout durch das Kostüm so wenig mitbekommt. Daß Atticus will, daß Jem für seine Tat geradesteht (solange er dachte, es wäre Jem gewesen, der Bob Ewell erstochen hat) paßt zu ihm. Etwas anderes hätte ich nicht erwartet.
    [/quote]
    Das ist etwas, was mir nicht so ganz klar war: Für mich war Jem ganz klar nicht beteiligt, schließlich ist er ja auch schon niedergeschlagen gewesen. Ich dachte, dass er entweder ein Unfall oder Boo selbst war... Aber danach wurde so deutlich erwähnt bzw. abgestritten, dass es Jem war. Da schien es mir so, als wäre er es sehr wohl gewesen, aber der Sheriff wolle nur nicht, dass er Probleme bekommt.
    Die Beschreibung des Überfalls fand ich auch sehr gut, auch wenn der eigentlich Hergang damit etwas unklar bleibt.

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.


  • [quote author=kaluma]


    Das ist etwas, was mir nicht so ganz klar war: Für mich war Jem ganz klar nicht beteiligt, schließlich ist er ja auch schon niedergeschlagen gewesen. Ich dachte, dass er entweder ein Unfall oder Boo selbst war... Aber danach wurde so deutlich erwähnt bzw. abgestritten, dass es Jem war. Da schien es mir so, als wäre er es sehr wohl gewesen, aber der Sheriff wolle nur nicht, dass er Probleme bekommt.


    Ich habe das am Ende der Debatte zwischen Atticus und dem Sheriff so verstanden, dass er Boo schützen möchte. Vor dem Trubel und dem Rampenlicht, in das er durch eine Verhandlung geraten würde. Atticus war ja weder dabei, noch hat er die Leiche gesehen. Und darum nimmt er die ganze Zeit an, Jem hätte ihn getötet. (Und Boo wäre danach hinzugekommen...)

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie


  • [quote author=kaluma]
    Die nächtliche Verfolgung von Jem und Scout ist sehr atmosphärisch und so richtig zum Gruseln, gerade weil Scout durch das Kostüm so wenig mitbekommt. Daß Atticus will, daß Jem für seine Tat geradesteht (solange er dachte, es wäre Jem gewesen, der Bob Ewell erstochen hat) paßt zu ihm. Etwas anderes hätte ich nicht erwartet.


    Das ist etwas, was mir nicht so ganz klar war: Für mich war Jem ganz klar nicht beteiligt, schließlich ist er ja auch schon niedergeschlagen gewesen. Ich dachte, dass er entweder ein Unfall oder Boo selbst war... Aber danach wurde so deutlich erwähnt bzw. abgestritten, dass es Jem war. Da schien es mir so, als wäre er es sehr wohl gewesen, aber der Sheriff wolle nur nicht, dass er Probleme bekommt.
    [/quote]


    Ich sehe es wie roulade. Atticus war ja nicht dabei und dachte deshalb zunächst, Jem hätte ihn erstochen, denn Boo hat er glaube ich zuerst gar nicht recht als Beteiligten wahrgenommen bzw. so etwas von ihm nicht erwartet. Und Jem war es ja, der angegriffen wurde.


    Und Scout hatte ja nichts gesehen und dachte deshalb, Jem sei wieder aufgestanden - daß das Geräusch, was sie gehört hat, Jems brechender Knochen war, hat sie erst hinterher verstanden. Die Argumentation des Sheriffs, daß Jem mit einer solchen Verletzung nicht wieder aufstehen konnte, scheint mir schlüssig. Mit Sicherheit war er nach dem Armbruch bewußtlos.


    Langer Rede kurzer Sinn: ich glaube, daß Boo es war. Und der Sheriff ihn davor bewahren will, durch eine Gerichtsverhandlung in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden und für das Beschützen der Kinder praktisch bestraft zu werden.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.


  • Langer Rede kurzer Sinn: ich glaube, daß Boo es war. Und der Sheriff ihn davor bewahren will, durch eine Gerichtsverhandlung in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden und für das Beschützen der Kinder praktisch bestraft zu werden.


    Ich habe das genauso verstanden.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe das genauso verstanden.


    Das leuchtet mir ein. :winken:

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.