Lew Tolstoi - Anna Karenina: Teil 5

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  • Ich habe bis Kapitel 18 gelesen und hier in diesem Abschnitt, war ich geradezu begeistert von Tolstoi.


    Allein in diesen Kapiteln behandelt er so viele Themen mit solch treffenden Worten. Einmal die Bedeutung der Ehe, die Schwierigkeiten, welche Kitty und Lewin in den ersten drei Monaten ihrer Ehe hatten. Das ist übrigens eine Erfahrung, um die ich unsere Mitmenschen dieser Zeit nicht beneide. Heute haben wir ausreichend Möglichkeit, den Partner im alltäglichen Umfeld kennenzulernen, bevor wir heiraten. Das war damals nicht möglich. Man war verliebt (so denn die Ehe nicht von Eltern vorgeschrieben war), schwebte in rosaroten Wolken und von einer herabstürzenden Lawine gleich, wurden die Frischvermählten von den Sorgen oder Unstimmigkeiten des Alltags überrannt, ohne sich jemals darauf einstellen zu können.


    Ich fand es sehr schön beschrieben, wie Lewin merkte, dass er sein Leben, ohne es zu wollen, völlig umstellte, um Kitty ein angenehmes zu Hause zu schaffen und dass er sich fast als Unterhalter für seine Frau fühlte und sich sorgte, dass sie sich langweilen könne. Wie sehr er sein eigenes Leben aus den Augen verlor und sich als Mensch in etwas verwandelte, dass er eigentlich nicht ist. Auch das ist heute nicht mehr von Belang, denn die meisten der Frauen haben ihren Job und genug um die Ohren, so dass für uns Langeweile zu Hause schon fast ein Luxus ist.


    Aber Tolstoi stellte auch ganz klar heraus, wie wichtig eine Ehe ist und vor allem wann es darauf ankommt eine gut funktionierende Partnerschaft zu haben und was diese zu geben im Stande ist. Als Lewin mit Kitty zu seinem, im Sterben liegenden, Bruder fuhr, da erkannte Lewin, dass Ehe nicht nur Vergnügen bedeutet, sondern auch Unterstützung, Trost, Halt und Selbstlosigkeit. Kitty wuchs hier über sich hinaus und mein Bild von dieser Frau hat ganz viele Pluspunkte erhalten. Als Lewin hilflos war und am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt hätte, da war Kitty diejenige die Initiative ergriff und die Sache, besser als jeder andere, in die Hand nahm und schon verblasste das Bild der kleinen, dummen, stickenden Hausfrau und an seine Stelle trat das Bild einer starken und sehr empathischen Frau, die uneingeschränkte Bewunderung verdient.


    Auch wie dramatisch Tolstoi das ringen gegen den Tod und die furchtbare Angst vor dem Sterben beschreibt, war unglaublich beeindruckend, bewegend und deutlich in seiner Grausamkeit. Auch als Leser litt und atmete ich auf, um danach wieder entmutigt mit dem Sterbenden zu verzweifeln und seine Angst zu spüren, die kein Mensch imstande ist, dem anderen zu nehmen. Hier wird, wenn auch sehr unterschwellig, ganz klar darauf hingewiesen, dass der Tod in seiner Grausamkeit keine Ausnahme macht, egal welchen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stand ein Sterbender inne hat.
    Gerade dieser Abschnitt vom Sterben Nikolajs, war ein Beispiel für eine überragende Erzählkunst. So zumindest sehe ich es.


    Dieser alte Russe wird mir immer sympathischer. Je mehr ich von ihm lese, desto mehr wächst der Gedanke in mir, dass es bestimmt eine Bereicherung gewesen wäre, sich mit diesem Mann zu unterhalten. Tja, jetzt müsste nur noch jemand die Zeitreise erfinden. :zwinker:

  • Da habe ich doch noch etwas Wichtiges vergessen zu schreiben:
    Anna hat sich nun doch dazu entschlossen mit Wronskij fortzugehen und sie lässt tatsächlich ihren Sohn zurück. Am schlimmsten fand ich den Satz:


    Zitat

    Das kleine Mädchen, sein Kind, war so reizend und hatte Annas Herz so sehr gewonnen, seitdem es ihr allein geblieben war, dass Anna nur selten an den Jungen dachte.


    Das ist eine der wenigen Stellen, an welchen ich denke, dass Tolstoi vielleicht doch nicht annähernd erahnen kann, was in einer Mutter vorgeht. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass man nicht mehr an sein Kind denkt. Gerade wenn noch ein kleines Kind hinzukommt, dann erinnert man sich doch daran, wie es war, als das erst Kind in diesem Alter war, wie es ausgesehen hat, wie seine Mimik war. Das ist für mich unvorstellbar, das man sich so leichten Herzens von seinem Kind trennen kann.
    Nach wie vor habe ich auch meine Probleme mit Anna. Wenn ich wüsste, weswegen sie ihren Mann nicht liebt, was vorgefallen ist, dass diese Liebe zerstört hat, dann hätte ich bestimmt Verständnis für sie, aber dies wird hier einfach nicht erwähnt und das macht es mir sehr schwer für Anna positive Gefühle zu hegen. Da fehlt mir einfach etwas.

  • Das mit Annas Sohn fand ich auch entsetzlich. Zuerst will sie ihn um jeden Preis bei sich haben - dann reist sie einfach so davon. Wie muss sich der Kleine wohl fühlen? Das Baby nimmt sie mit auf Reisen, während er, ohne zu verstehen, was geschieht, zurück bleibt. Zwar gibt es ein tränenreiches Wiedersehen, aber trotzdem ist Annas Verhalten diesbezüglich sehr widersprüchlich.


    Bezüglich ihres Mannes wird ja erwähnt,

    Aber auch mir ist Anna noch immer fremd. Kitty dagegen finde ich toll. Vor allem ihr Verhalten dem Sterbenden gegenüber ist sehr herzlich.

    //Grösser ist doof//

  • Ich bin in diesem Teil bis zu den ersten Beschreibungen in Italien.


    Die Hochzeit von Kitty und Lewin fand ich wieder toll beschrieben, die Nervosität des Brautpaares, das fehlende Hemd und die Hochzeitsgäste, die sich zum Teil mitfreuen und zum Teil am Lästern sind :breitgrins:


    Und die Situation um Anna wird immer verworrener :rollen: Jetzt ist auch klar, daß Anna und Alexej eine Vernunftehe miteinander führen. Habe ich das eigentlich richtig verstanden, daß Alexej jetzt sogar bereit wäre, in die Scheidung einzuwilligen und die Schuld des Ehebruchs auf sich zu nehmen?
    Gut, Anna will das nicht - was ich auch gut finde, denn das wäre ja schon ziemlich fies ihrem Mann gegenüber.


    In Italien scheint sie sich vorerst mal ziemlich wohl zu fühlen - aber Wronskij beginnt sich zu langweilen? :rollen:

    Liebe Grüße

    Karin

  • Die Hochzeit von Kitty und Lewin fand ich wieder toll beschrieben, die Nervosität des Brautpaares, das fehlende Hemd und die Hochzeitsgäste, die sich zum Teil mitfreuen und zum Teil am Lästern sind :breitgrins:


    Oh ja, das fand ich auch herrlich, das ist ja mal so typisch menschlich, immer diese Lästereien, es wird wohl nie ohne gehen. :fluester:

  • Jetzt muß ich mal einiges nachtragen, ich bin doch fast durch mit dem Buch :redface::



    Das ist übrigens eine Erfahrung, um die ich unsere Mitmenschen dieser Zeit nicht beneide. Heute haben wir ausreichend Möglichkeit, den Partner im alltäglichen Umfeld kennenzulernen, bevor wir heiraten. Das war damals nicht möglich. Man war verliebt (so denn die Ehe nicht von Eltern vorgeschrieben war), schwebte in rosaroten Wolken und von einer herabstürzenden Lawine gleich, wurden die Frischvermählten von den Sorgen oder Unstimmigkeiten des Alltags überrannt, ohne sich jemals darauf einstellen zu können.


    Da hast du absolut recht. Und Lewin war ja bis dato eingefleischter Junggeselle und hat zurückgezogen gelebt - da ist die Ehe und der ganze Trubel mit den Besuchern danach schon ein ziemlicher Einschnitt. Aber er und Kitty raufen sich immer wieder zusammen.


    Mir hat es auch sehr gut gefallen, wie Kitty sich um den todkranken Bruder gekümmert hat: wie Lewin zuerst glaubte, seine Frau wäre alleine schon mit der Begegnung mit Nikolaj völlig überfordert und würde ihm dann nur im Weg stehen. Und dann kommt es genau andersrum: Kitty krempelt die Ärmel hoch und übernimmt die Krankenpflege, während Lewin hilflos ist. Kitty hat überhaupt eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht, die mir sehr gut gefällt.



    Gerade dieser Abschnitt vom Sterben Nikolajs, war ein Beispiel für eine überragende Erzählkunst. So zumindest sehe ich es.


    Sehe ich auch so - dieser Abschnitt ist hervorragend und sehr einfühlsam beschrieben.


    Daß Anna so gar nicht mehr an ihre Sohn denkt, finde ich auch unverständlich, nachdem sie zuvor so wegen ihm gelitten hat. Diese Einstellung spiegelt aber ganz gut ihre beginnende innere Zerrissenheit wider.
    Die Szene, in der sie heimlich ihren Sohn an dessen Geburtstag besucht, fand ich sehr rührend und traurig. Dazu noch die Demütigung im Theater.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Mir hat dieser Abschnitt auch sehr gut gefallen, auch wenn es mir gerade ein bisschen schwer fällt das alles zu lesen. Ich kann mich manchmal doch etwas in Anna, aber auch in Kitty wiedererkennen, und da ich ja gerade eine Trennung hinter mir habe, ist das mit vielen Gedanken verbunden...


    Ich finde auch, dass man erst in diesem Abschnitt, vor allem gegen Ende, Anna mal näher kennenlernt.


    Die Szene, in der sie heimlich ihren Sohn an dessen Geburtstag besucht, fand ich sehr rührend und traurig. Dazu noch die Demütigung im Theater.


    Diese Szene hat mich auch sehr berührt. Der Kleine tut mir schon richtig Leid, kein Wunder, dass er sich nicht auf die Hausaufgaben konzentrieren kann.


    Trotzdem finde ich, dass es sich sehr zieht. Und langsam mag ich nicht mehr :redface:


  • Trotzdem finde ich, dass es sich sehr zieht. Und langsam mag ich nicht mehr :redface:


    Vielleicht kann ich dir etwas Mut machen: ungefähr an der gleichen Stelle hatte ich auch einen ziemlichen Durchhänger und irgendwie wollte ich dann gar nicht mehr ... habe mich dann aber doch wieder aufgerafft - und es hat sich gelohnt :bussi:

    Liebe Grüße

    Karin

  • Hallo!


    In Italien scheint sie sich vorerst mal ziemlich wohl zu fühlen - aber Wronskij beginnt sich zu langweilen? :rollen:


    Ich musste schmunzeln als er auf einmal als großer Kunstliebhaber daherkam. Bis jetzt kam er mir eher wie der typische Junggeselle in der Armee vor, der sich nur für sein Vergnügen interessierte. Deshalb kaufe ich ihm diesen Wandel nicht ganz ab, aber ich bin Wronskij gegenüber sowieso immer sehr misstrauisch.


    Annas Gefühle ihren Kindern gegenüber finde ich ein bisschen befremdlich. Ihren Sohn, den sie vom ungeliebten Ehemann hat liebt sie über alles während ihre Tochter, deren Vater sie liebt keine tiefen Gefühle in ihr hervorbringt :rollen: Das kann ich nicht verstehen. Oder ist es eher so dass sie ihren Sohn mehr liebt weil er weit weg ist?


    Kitty wird erwachsen und kann richtig schön streiten. Das hat sich Lewin wohl nicht so vorgestellt :zwinker: Ich mag die Beschreibung ihrer Ehe sehr, das ist so schön lebendig. Auch dass sie sich gegen ihren Mann in wichtigen Dingen durchsetzt und ihn zu seinem sterbenden Bruder begleitet zeigt meiner Meinung nach nur, dass sie sich wirklich lieben und einander wichtig sind. Hoffentlich bleibt das so!


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Mit diesem Teil bin ich jetzt auch fertig.
    Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass ich mit Anna noch warm werde. Für mich bleibt sie nach wie vor merkwürdig, nicht nachvollziehbar. Und Karenin wächst so langsam ein Heiligenschein.


    Wovon Wronski und Anna jetzt wohl leben? Schon vorher hatte Wronski Geldsorgen, und jetzt ist er quasi arbeitslos und hat dazu noch die hohen Ausgaben von der Italienreise. Und sparsam sind sie ja auch kein bisschen. Wo seine Mutter ihm doch den Geldhahn zugedreht hatte... Wird das später noch aufgeklärt?

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Anna ist ja eine derartige Zimperliese. Jedesmal, wenn sie mal 30 Minuten auf ihren Lover warten muss, jammert sie direkt, sie würde sich "hier ja zu Tode quälen..." :rollen:

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.