1 - Miss Brooke (inkl. "Prelude")

Es gibt 22 Antworten in diesem Thema, welches 5.327 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • So, hier kommen nun unsere Leserundenthreads :smile:


    Ich denke, eine Einteilung nach den 8 Büchern, in die "Middlemarch" aufgegliedert ist, dürfte in unser aller Sinne sein.


    Was super wäre: wenn mir jemand noch die deutschen Titel mitteilen könnte, da ich ja auf englisch lese. (Liest noch jemand im Original?)


    Ansonsten gelten die üblichen Regeln: bitte spart Euch Postings à la "Ich fange gleich zu lesen an", damit die Threads sich nicht so in die Länge ziehen. Davon abgesehen diskutiert fröhlich drauflos und schildert Eure Eindrücke. Ich bin gespannt!


    :winken:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Super, dann mach ich direkt mal den Anfang. Ich lese auch auf Englisch, Valentine. :winken:


    Ich habe bis einschließlich Kapitel 8 gelesen:


    Wir lernen also die Geschwister Brooke kennen und da ich erst letztens The Mill on the Floss von George Eliot gelesen habe, hat mich Dorothea auch sofort an Maggie erinnert. Beide sind wissbegierig und sind sich aber auch darüber bewusst, dass es ihre Zeit ihnen nicht wirklich erlaubt, etwas aus ihrem Wissen zu machen. In The Mill on the Floss erwägt es Maggie dann kurz, Gouvernante zu werden, um wenigstens ein wenig Bildung weiter zu geben. In Middlemarch scheint dies jedoch nicht der Fall, denn Dorothea erhofft sich durch ihre Ehe mit Casaubon, ihm bei seiner wissenschaftlichen Arbeit behilflich zu sein. Ob das gut gehen wird?


    Ich bin gleichzeitig noch in der Leserunde zu Jane Austens Emma und finde den direkten Vergleich sehr spannend: Während es bei Emma darum geht, den richtigen Mann zu finden und alles mit der Ehe endet (wie heutige Romantic Comedies), steht bei Middlemarch die Eheschließung schon ganz am Anfang, weshalb es mich gerade leicht an Effi Briest erinnert.


    Mein Liebingszitat bisher:


    Zitat

    "He has got no good red blood in his body," said Sir James.
    "No. Somebody put a drop under a magnifying-glass and it was all semicolons and parentheses," said Mrs. Cadwallader.

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Ah, super, Mrs. Dalloway :klatschen: Ich habe gestern die ersten 3 Kapitel gelesen.


    Die Einführung ("Prelude") fand ich ein bisschen verwirrend und gewöhnungsbedürftig und hatte schon Bedenken, dass das so weitergehen könnte. Die Parallele, die die Autorin hier zwischen der heiligen Theresa von Avila und einer ihrer Figuren zieht, fand ich aber dennoch nicht so schlecht ...


    Kapitel 1


    Wir lernen die Schwestern Dorothea und Celia Brooke kennen, aus gutem Hause stammend und nach dem Tod ihrer Eltern nun im Herrenhaus ihres Onkels zu Hause. Dorothea könnte man wohl als intellektuell bezeichnen, sie liest sehr viel, insbesondere zu philosophischen und religiösen Themen, während ihre Schwester eher bodenständig und mädchenhaft ist und in ihrem Umfeld beliebter ist als die ruhige Dorothea, die sich lieber in ihre Bücher vertieft, als sich um einen aussichtsreichen Heiratskandidaten zu kümmern. So kommt sie auch gar nicht auf die Idee, dass Sir James, der häufig zu Besuch ist, es nicht auf ihre Schwester abgesehen haben könnte. Sie hat eher Interesse an dem Gelehrten und Pfarrer Casaubon, der als Gast ihres Onkels angekündigt ist.


    Auch Schmuck und schöne Kleider sind ihr nicht wichtig, wie sich in der Szene zeigt, in der Celia sie drängt, doch endlich den Schmuck ihrer verstorbenen Mutter zu sichten und aufzuteilen. Sie wirkt ein bisschen puritanisch, hat aber auch durchaus einen teils recht beißenden Humor, so dass sie Gott sei Dank nicht wie die Beinahe-Heilige daherkommt, die ich bei dem Vergleich mit der heiligen Theresa befürchtet hatte.


    Kapitel 2


    Beim Abendessen mit Sir James und Reverend Casaubon sehen wir auch erstmals Mr. Brooke, den Onkel, in Aktion, der den Eindruck eines leutseligen Schwätzers auf mich macht, während Casaubon sich als streng und ernst entpuppt. Dorothea ist fasziniert, Celia wenig beeindruckt von ihm. Und Dorotheas Abneigung gegen Sir James verstärkt sich noch, was den aber nicht zu stören scheint.


    Interessant fand ich den kleinen Seitenhieb auf die Einstellung zu Frauen, insbesondere klugen Frauen: "A man's mind - what there is of it - has always the advantage of being masculine - as the smallest birch-tree is of a higher kind than the most soaring palm - and even his ignorance is of a sounder quality." (Ich frage mich, ob die Leser, die ja schätzungsweise nicht wussten, dass sich hinter dem Namen George Eliot eine Frau verbirgt, das seinerzeit wohl richtig verstanden ...)


    Kapitel 3


    Dorothea bekommt den Gedanken nicht mehr aus dem Kopf, Casaubon heiraten zu wollen. (Mir ist ja schleierhaft, was sie an dem verknöchert wirkenden Menschen findet, aber sie stellt das Geistige, Intellektuelle wohl weit über vieles andere.) Und gleichzeitig analysiert sie ihre eigenen Überlegungen und fragt sich, ob sie nicht zuviel hineininterpretiert in kleine Zeichen, die er sendet.


    Die Sprache gefällt mir gut, besonders Perlen wie "... and in girls of sweet, ardent nature, every sign is apt to conjure up wonder, hope, belief, vast as a sky, and coloured by a diffused thimbleful of matter in the shape of knowledge." Das musste ich zwar zweimal lesen, um es zu verstehen, aber wow, ist das schön ausgedrückt ...


    Doch so ganz falsch scheint sie nicht zu liegen, spricht Casaubon doch ihr gegenüber von seiner Einsamkeit. Während sie noch nachdenkt, ob er sie zur Frau nehmen würde oder nicht, taucht wieder der ungeliebte Sir James auf, mit einem kleinen Hündchen als Geschenk ... und Dorothea lässt ihn eiskalt abfahren, und wie! Irgendwie musste ich da ein wenig schmunzeln.


    Ein bisschen punkten kann er dann aber doch noch bei ihr, weil er sich für ihre Pläne interessiert, vernünftige Behausungen für die Ärmsten im Dorf zu bauen, wofür sich wiederum Casaubon nicht besonders erwärmen zu können scheint.


    Dorothea ist offenbar einer der Menschen, die nie aufhören können, ständig die eigenen Beweggründe zu hinterfragen, vielleicht weil ihr zu viele widersprüchliche Theorien und Leitsätze im Kopf herumschwirren ...



    Ein "Problem" habe ich allerdings beim Lesen: ich kriege die Filmbilder der Personen nicht aus dem Kopf. Wobei das meines Erachtens hier auch dafür spricht, dass gerade Dorothea, Brooke und Casaubon sehr gut besetzt sind. Mal sehen, ob das auch für den Rest des Casts gilt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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  • Hallo Ihr Lieben,


    ich bin jetzt auch dabei und auch bei Emma :winken: und ich freue mich schon sehr auf's weiterlesen. Bis jetzt bin ich beim 9. Kapitel


    Es ist das erste Buch, welches ich von George Elliot lese (den Film kenne ich zum Glück nicht, so bleibt es spannend) und ich muss gestehen, dass sich mir zu Beginn nicht so sicher war, ob es mir gefällt. Ich kann noch nicht einmal sagen, woran diese genau lag, aber mittlerweile bin ich neugierig geworden.


    Die beiden Schwestern können unterschiedlicher nicht sein und ich muss sagen, dass mir Celia wesentlich sympathischer ist als Dorothea. Um genau zu sein, finde ich Dorothea einfach nur grässlich. Ich hatte jedoch schon immer meine Probleme mit solchen übertrieben religiösen Menschen, die meinen, dass jegliche Form von Freude im Leben, die zu nichts anderem Nütze ist, als sich eben zu erfreuen, eine Sünde ist. Über diese selbstauferlegte Freudlosigkeit kann ich nur den Kopf schütteln. Nun ja, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und wenn es sie befriedigt, dann soll es recht sein. Dass sie sich damit selbst kasteit sieht man sehr gut an der Szene mit dem Schmuck, an welchem sie auf einmal doch Gefallen fand, aber sie musste zu ihrer eigenen Rechtfertigung erst eine religiöse Begründung haben.


    Abgesehen von ihrer Religiosität habe ich bei Dorothea das Gefühl, dass sie dummerweise in einer falschen Zeit geboren wurde und schon habe ich Mitleid mit ihr. Sie kann nicht studieren und ein eigenständiges Leben ohne Partner führen, denn sie muss an ihre Zukunft und ihr Auskommen denken. Das war das Problem der Frauen von damals. Heute hätte sich studieren und sich selbst finanzieren können, in dem sie einen Beruf ausübt. Ich denke damit hätte sie wirklich ihren inneren Frieden gefunden, aber da sie ja noch sehr jung ist, bleibt noch zu hoffen, dass sie Zugang zu den schönen Seiten des Lebens findet. Wenn von Dorothea die Rede ist, dann sehe ich sie fast immer als ältere Frau vor mir und muss mir erst wieder ihr Alter ins Gedächtnis rufen.
    Ich fand es schlimm, dass sie das Wort „liebhaben“ als etwas Abscheuliches sieht. Ich befürchte ein Mann hat mir ihr im Bett nicht viel Freude. Sie sprach ja schon davon, als sie sagte:


    Zitat

    "Die Ehe ist ein Stand, der uns höhere Pflichten auferlegt. Ich habe mir darunter nie eine rein persönliche Annehmlichkeit vorgestellt.“


    Oh weh, der arme Ehemann. Sir James kann froh sein, dass sie ihn nicht will.


    Viele Grüße Tina


  • Abgesehen von ihrer Religiosität habe ich bei Dorothea das Gefühl, dass sie dummerweise in einer falschen Zeit geboren wurde und schon habe ich Mitleid mit ihr. Sie kann nicht studieren und ein eigenständiges Leben ohne Partner führen, denn sie muss an ihre Zukunft und ihr Auskommen denken. Das war das Problem der Frauen von damals. Heute hätte sich studieren und sich selbst finanzieren können, in dem sie einen Beruf ausübt. Ich denke damit hätte sie wirklich ihren inneren Frieden gefunden, aber da sie ja noch sehr jung ist, bleibt noch zu hoffen, dass sie Zugang zu den schönen Seiten des Lebens findet.


    Da bin ich völlig bei Dir! Ihren Hang zu Verzicht und Religiosität finde ich schwierig zu verstehen, aber ich denke, sie ist da auch ein Stück weit ein Kind ihrer Zeit, da sie wenig Möglichkeiten hat, sich anderweitig von ihren Geschlechts-/Altersgenossinnen abzuheben. Ich glaube, sie spürt, dass sie anders ist und sucht dafür die richtige Ausdrucksmöglichkeit. Heute würde sie vielleicht wirklich einfach Single bleiben und voll in einem (sozialen?) Beruf aufgehen. Ab und an hinterfragt sie ja selbst ihre Beweggründe. Ich bin gespannt, ob wir da im Laufe des Romans eine Weiterentwicklung sehen werden.


    Ich fürchte, mein Bild der Buch-Dorothea ist von ihrer sympathischen Darstellerin im Film "getrübt". Ohne dieses Bild vor Augen fände ich sie wohl auch deutlich unsympathischer, so wie sie bisher beschrieben wurde.


    Bei der Szene mit dem "liebhaben" ("to be fond of" im Original) habe ich mich gefragt, ob das damals eine explizit sexuelle Konnotation hatte oder ob sie da überempfindlich ist.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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  • Kapitel 4


    Außer Dorothea selbst scheint keiner so richtig begeistert von dem gelehrten Casaubon zu sein. Und auch ich finde ihn nicht sonderlich sympathisch in seiner weltabgewandten Studiererei.


    Bei Mr. Brooke muss ich immer grinsen, wenn er mit seinem "up to a certain point" anfängt. Er quatscht ja gerne und viel, aber so richtig redegewandt ist er nicht ...


    Kapitel 5


    Das Zitat am Kapitelanfang über die gesundheitlichen Gefahren des Studierstubenhockens fasst Casaubon ganz gut zusammen. "lean, dry, ill-coloured", genauso stelle ich ihn mir vor (und genauso ist er auch im Film dargestellt).


    Sein Brief, in dem er Dorothea die Ehre anträgt, klingt reichlich staubig und gedrechselt. Total verkopft. Ob Dorothea sich bewusst ist, worauf sie sich da einlässt? Bei aller Selbstkasteiung und Beherrschung wirkt sie mir doch nicht wie jemand, der nicht im tiefsten Inneren etwas menschliche Wärme braucht. Auch wenn sie ziemlich seltsame, vergeistigte Ansichten über die Ehe hat, sie eher als Eintritt zu den höheren Weihen des Geistes betrachtet und ihren Zukünftigen als ehrfurchtgebietenden Lehrmeister. (Gruuuuselig!)


    Für Celia ist es sicher manchmal nicht leicht, mit ihrer Schwester auszukommen, die ihr ganz normale Regungen wie ein bisschen vertrauliches Lästern verbietet und diese für "gewöhnlich" erklärt. Dabei hat sie wohl wirklich den besseren Riecher in Sachen Menschenkenntnis ... ist es nicht grauslich, wie Casaubon mit Dorothea spricht? "The great charm of your sex is its capability of an ardent self-sacrificing affection, and herein we see its fitness to round and complete the existence of our own." Wie furchtbar!


    Kapitel 6


    Auftritt Mrs. Cadwallader. Für eine Pfarrersfrau kommt sie mir ziemlich schillernd daher - aber sie ist ja auch eine Adelige, die unter ihrem Stand geheiratet hat. Vielleicht darf sie sich daher so einige scharfe Bemerkungen herausnehmen. Und auch sie ist nicht erbaut über Dorotheas Heiratspläne (nicht nur, weil ihr schöner Plan, sie mit James Chettam zu verkuppeln, dadurch geplatzt ist).


    Onkel Brooke hat offenbar politische Ambitionen. Mal sehen, was da noch kommt.



    Kapitel 7


    Puh, dieser Casaubon hat ja wirklich keinen Funken Romantik im Leibe! Die Verlobungszeit ist für ihn nur ein notwendiges Übel, auf dessen Ende er sich freut, um dann wieder seinen Studien nachgehen zu können. Was ist das eigentlich für ein Typ?


    Und ich glaube, Dorothea hat sich deutlich mehr von ihm zu lernen erhofft, als er ihr zugestehen will :sauer:



    Kapitel 9


    Dorothea sieht erstmals ihr neues Zuhause, das ganz gut zu Casaubon passt, düster und verstaubt.


    Es gibt offenbar einen dunklen Fleck in Casaubons Familiengeschichte, seine Tante, die eine Mesalliance mit einem Polen eingegangen ist. Obwohl er diese Tante nie kennengelernt hat, unterstützt er deren Enkelsohn, Will Ladislaw, finanziell, der sich derzeit als Künstler versucht, auch wenn er ihn für einen ziellosen Luftikus hält, der sich nicht mit Ernsthaftem dauerhaft beschäftigen möchte.


    Brooke setzt sich mal wieder hübsch in die Nesseln mit seinen Kommentaren zu Wills Zeichnungen ...



    Kapitel 10


    Und schon ist Ladislaw wieder verschwunden, aufgebrochen nach Kontinentaleuropa, wo er, wie Casaubon sich sicher ist, auch wieder nichts Vernünftiges anstellen wird.


    Die Hochzeitsreise wird geplant, es geht nach Rom. Und Casaubon ist enttäuscht, dass Dorothea nicht ihre Schwester mitnehmen will, damit sie nicht so alleine ist, wenn er die Zeit vor Ort zugunsten seines Buchprojektes nutzen will. Tolle Hochzeitsreise.


    Bei der Dinnergesellschaft am gleichen Abend lernen wir dann einige weitere wichtige Mitglieder der Gesellschaft von Middlemarch kennen - den Bürgermeister und seine kokette Tochter, den Bankier und den jungen, ehrgeizigen, aber mit Geld nicht gerade gesegneten Arzt, während wir über Dorotheas Hochzeit nicht mehr erfahren als die lapidare Bemerkung, dass man sie nicht mehr als Miss Brooke zu Gesicht bekam, weil schon bald die Hochzeitsglocken läuteten. Das wird schon eine recht trostlose Angelegenheit gewesen sein ...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo :winken:


    Ich bin jetzt auch dabei und habe jetzt bis zum 5. Kapitel gelesen (und lese auch auf Englisch).
    Middlemarch ist auch mein erstes Buch von George Eliot - The Mill on the Floss liegt noch auf dem SuB - und nachdem die Verfilmung hier schon ein paar mal erwähnt wurde, habe ich mir vorgenommen, sie nach dem Lesen auch mal anzuschauen.


    Mir geht es auch so, dass ich mir Dorothea als viel älter vorstelle - darauf scheint ihre Beschreibung ja aus zu sein: erst wird beschrieben, dass sie schmucklose Kleidung trägt, dann wird sie mit Bibelversen oder älteren Gedichten verglichen und dann wird erst erklärt, dass sie noch keine 20 sei...


    Dem Gedanken, dass Dorothea einfach in der falschen Zeit geboren wurde, wollte ich auch erst mal zustimmen - wenn ihrem Bildungshunger andere Richtungen als Religion und Philosophie offen gestanden hätten, wäre sie vielleicht etwas erträglicher :zwinker:. Andererseits könnte ich mir bei ihr aber gut vorstellen, dass sie sich auch heute in irgendetwas verrennt...
    Ich hatte mir noch überlegt, dass sie heute mehr Zeit gehabt hätte, sich zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben machen möchte - aber sie hat sich Casaubon ja selbst als Wunschkandidaten ausgesucht und unterlag keinen äußeren Zwängen in dem Alter schon zu heiraten. Mr Brooke hat ja auf seine umständliche und abschweifende Weise sogar noch versucht sie ein bisschen zu bremsen.


    [quote author=Valentine]
    Sein Brief, in dem er Dorothea die Ehre anträgt, klingt reichlich staubig und gedrechselt. Total verkopft. Ob Dorothea sich bewusst ist, worauf sie sich da einlässt? Bei aller Selbstkasteiung und Beherrschung wirkt sie mir doch nicht wie jemand, der nicht im tiefsten Inneren etwas menschliche Wärme braucht. Auch wenn sie ziemlich seltsame, vergeistigte Ansichten über die Ehe hat, sie eher als Eintritt zu den höheren Weihen des Geistes betrachtet und ihren Zukünftigen als ehrfurchtgebietenden Lehrmeister. (Gruuuuselig!)[/quote]
    Der Brief war wirklich unglaublich verschachtelt - ich musste jeden Satz mindestens zweimal lesen, um da durchzublicken :gruebel:


    Ich denke mir, dass Dorothea sich diese Rolle als Frau an der Seite eines Philosophen ausgesucht hat, und beschlossen hat mit einem (wenn möglich dankbaren) Lehrmeister zufrieden zu sein - da zeigt sich denke ich mal ihr noch sehr junges Alter...
    Sie beschreibt eine ideale Ehe ja schon ganz am Anfang so: "The really delightful marriage must be that where your husband was a sort of father, and could teach you even Hebrew, if you wished it."
    Dazu passt denke ich auch ihre Reaktion auf das "to be fond of": sie reserviert das "liebhaben" für Celia und vielleicht noch Mr Brooke, und sieht Casaubon als jemanden zu dem sie aufblickt (den sie aber nicht notwendigerweise liebt.) Außerdem habe ich das Gefühl, dass "to be fond of" das Objekt ein bisschen verniedlichen könnte, womit sie bei Casaubon bestimmt nicht einverstanden wäre :breitgrins:


    [quote author=Valentine]Bei Mr. Brooke muss ich immer grinsen, wenn er mit seinem "up to a certain point" anfängt. Er quatscht ja gerne und viel, aber so richtig redegewandt ist er nicht ...
    [/quote]
    "Up to a certain point" und "that sort of thing" - ich finde ihn irgendwie süß :rollen:

    :lesewetter:<br />Tad Williams - To Green Angel Tower - Storm<br />Caitlín R. Kiernan - The Red Tree

    Einmal editiert, zuletzt von UlrikeW ()


  • Das kann gut sein!


    Zitat

    Ich denke mir, dass Dorothea sich diese Rolle als Frau an der Seite eines Philosophen ausgesucht hat, und beschlossen hat mit einem (wenn möglich dankbaren) Lehrmeister zufrieden zu sein - da zeigt sich denke ich mal ihr noch sehr junges Alter...
    Sie beschreibt eine ideale Ehe ja schon ganz am Anfang so: "The really delightful marriage must be that where your husband was a sort of father, and could teach you even Hebrew, if you wished it."


    Das stimmt. Sie schwebt da irgendwie in höheren Sphären und strebt nach einem sehr abgehobenen Ideal von Partnerschaft, ohne sich im klaren zu sein, was eine Ehe wirklich bedeutet. Ob sie so denkt, weil ihr der körperliche Aspekt zuwider ist? Oder hat sie darüber überhaupt noch nicht nachgedacht? (Könnte ich mir durchaus vorstellen, sie ist ja schon etwas weltfremd.)


    Zitat

    Dazu passt denke ich auch ihre Reaktion auf das "to be fond of": sie reserviert das "liebhaben" für Celia und vielleicht noch Mr Brooke, und sieht Casaubon als jemanden zu dem sie aufblickt (den sie aber nicht notwendigerweise liebt.) Außerdem habe ich das Gefühl, dass "to be fond of" das Objekt ein bisschen verniedlichen könnte, womit sie bei Casaubon bestimmt nicht einverstanden wäre :breitgrins:


    Kann gut sein. "Liebhaben" ist für sie wahrscheinlich viel zu weltlich-kindlich gedacht, etwas, das ihrer hehren Vorstellung von Liebe schätzungsweise ziemlich zuwiderläuft.


    Zitat

    "Up to a certain point" und "that sort of thing" - ich finde ihn irgendwie süß :rollen:


    Ich finde ihn auch nicht unsympathisch, nur manchmal ein bisschen ungeschickt, und er hört sich für meine Begriffe schon recht gerne reden. Er meint es sicher gut, vor allem mit seinen Nichten, auch wenn er manchmal etwas komische Ansichten hat.

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    Leonard Cohen





  • Ich verteidige Dorothea mal ein bisschen. Ich finde sie gar nicht so weltfremd und meine, dass man sie auch auf eine andere Art lesen kann: Sie ist sich darüber bewusst, dass eine Ehe aus Liebe ausgeschlossen ist und ich glaube auch, dass sie selbst meint, dass so etwas wie "Liebe" gar nicht für sie vorgesehen ist. Sie hat also die Wahl zwischen unverheiratet bleiben und ein Leben in Abhängigkeit führen, oder eben Casaubon zu heiraten, bei dem es eventuell sein könnte, dass sie bei seinem akademischen Wirken hilfreich sein kann.


    Ich überlege die ganze Zeit, wie man "Liebe" damals eigentlich definiert hat: Wir sind ja heute überall damit konfrontiert und uns wird erzählt, dass es einer der großen menschlichen Werte ist, nach dem man streben sollte, aber damals? Klar gab es Romane á la Jane Austen, aber ich schätze Dorothea nicht so ein, so etwas zu lesen. Ich glaube, "Liebe" wie wir sie heute sehen, sind der viktorianischen Gesellschaft und Dorothea mit ihren hohen Werten besonders, einfach fremd.

    &quot;This was another of our fears: that Life wouldn&#039;t turn out to be like Literature&quot; (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Hmmm ... bedenkenswert! Danke für die Anregungen.


    Vielleicht gab es damals wirklich nur die Wahl zwischen alter Jungfer, einer reinen "Versorgungsehe" und eben diesem "Lehrer-Schüler-Modell". Ich habe ja das dumpfe Gefühl, dass Dorothea sich ziemliche Illusionen macht, was ihren Beitrag zu Casaubons Arbeit angeht. Ich fürchte, dass er sie da ziemlich außen vor lassen wird. Was sie nicht verdient hat. Dass sie ihren Bildungshunger höchstens durchs Lesen stillen kann, tut mir leid für sie, ich halte sie für ziemlich intelligent.


    Sie ist mir nach wie vor nicht unsympathisch, auch wenn ich nicht alle ihre Charakterzüge mag.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Ich habe ja das dumpfe Gefühl, dass Dorothea sich ziemliche Illusionen macht, was ihren Beitrag zu Casaubons Arbeit angeht. Ich fürchte, dass er sie da ziemlich außen vor lassen wird.


    Das dachte ich auch. Als sie nämlich darum bat in griechisch unterrichtet zu werden erschien mir der gute Casaubons eher unwillig und tat es letztendlich nur, um es sich nicht schon zu Anfang zu verscherzen.
    Ich habe bei diesem Buch unglaublich große Probleme zu den Protagonisten ein Verhältnis aufzubauen; positiv wie auch negativ. Ich weiß aber nicht woran das liegt.


    Viele Grüße Tina

  • Mein Problem sind eher diese verflixten Filmbilder, die sich ständig dazwischenschieben (wobei sowohl Ladislaw als auch Lydgate ganz anders beschrieben sind, als sie im Film aussehen - was aber nichts macht, weil sie charakterlich gut getroffen sind).


    Wobei auch mir auffällt, dass sich die ersten 100-150 Seiten eher wie eine lange Einführung lesen. Bin gespannt, wie und wann die "Action" :breitgrins: richtig losgeht.


    Wie weit bist Du denn, Tina?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Bis Kapitel 12:


    So langsam werden ein paar mehr Bewohner von Middlemarch vorgestellt und es fällt mir etwas schwer, den Überblick zu behalten.


    Am Interessantesten ist wohl der junge Arzt Lydgate, an dem man sehr gut sehen kann, wie sich die englische Gesellschaft im 19. Jahrhundert langsam wandelt. Es gibt neue Aufstiegsmöglichkeiten und der gesellschaftliche Stand ist nicht mehr ganz so stabil, was man ja auch an dem Anwalt im Dorf sieht, der mittlerweile genauso vermögend ist, wie seine Klienten oder an Rosamond Vincy, der alles missfällt, was sie daran erinnert, dass ihr Großvater nur ein Hotelbesitzer war.


    Sehr schön poetisch fand ich übrigens den Satz:


    Zitat

    Destiny stands by sarcastic with our dramatis personae folded in her hand. (S. 114)



    Und eine weitere neue Person ist vermutlich von Bedeutung: Ladislaw. Er scheint das genaue Gegenteil von seinem Onkel zu sein und beurteilt Dorothea zunächst einmal als langweilig, wenn sie schon seinen langweiligen Onkel heiratet.

    &quot;This was another of our fears: that Life wouldn&#039;t turn out to be like Literature&quot; (Julian Barnes - The Sense of an Ending)


  • Wie weit bist Du denn, Tina?


    Ich habe gerade diesen Teil beendet und ich habe das Glück, dass ich völlig unvoreingenommen bin, da ich den Film nicht kenne. Ich dachte allerdings, dass ich ihn hätte, musste aber eben feststellen, dass dem nicht so ist. Wenn ich das Buch beendet habe, dann muss er aber her. :breitgrins:


    Die Geschichte mit den Geschwistern Fred und Rosamond hat mich etwas verwirrt, weil die so urplötzlich auftauchten. Ich musste dann ersteinmal ein paar Seiten zurückblättern um die Verbindung herzustellen. Ich habe nach wie vor etwas Probleme, in diese Geschichte hineinzukommen. Es ist so ganz anders als Jane Austen, welche ich momentan parallel lese, aber die Erwähnung von noch aufkommender "Action" lässt mich jetzt natürlich schnell weiterlesen. :breitgrins:


    Ich finde den Onkel von Rosamond und Fred herzerfrischend ehrlich und auch die Pfarrersfrau macht auf mich einen angenehmen Eindruck, aber das sind bis jetzt die einzigen Personen, die mir wirklich zusagen.


    Viele Grüße Tina

  • Zitat

    Onkel Brooke hat offenbar politische Ambitionen. Mal sehen, was da noch kommt.


    Ich finde ihn - bis auf seine Ansichten über Frauen und Bildung :grmpf: - auch immer sympathischer, aber als Politker kann ich ihn mir gar nicht vorstellen. Das passt so gar nicht zu seinem bisherigen Verhalten und der wunderbaren Einschätzung des Rektors: "Brooke is a good fellow, but pulpy; he will run into any mould, but he won't keep shape".
    Wenn er als Politiker zugleich sein Fähnchen nach jedem Wind richtet und sich in seinen Begründungen verirrt, wird daraus wahrscheinlich wenig...

    Zitat

    Und ich glaube, Dorothea hat sich deutlich mehr von ihm zu lernen erhofft, als er ihr zugestehen will :sauer:


    Da hätte er sich wirklich ein bisschen offener zeigen können, schließlich hat sie ihre Wissbegierde schön in ein Hilfsangebot gepackt :zwinker:
    Es wird ja jetzt schon angedeutet, dass er sich denkt, dass sein Mangel an tieferen Gefühlen an Fehlern Dorotheas liegen könnte - also wirklich :grmpf:
    Celia gefällt mir im 9. Kapitel immer besser - ihre Kommentare und Gedanken sind so eine schöne Mischung aus brav und beißend.

    Zitat

    Obwohl er diese Tante nie kennengelernt hat, unterstützt er deren Enkelsohn, Will Ladislaw, finanziell, der sich derzeit als Künstler versucht, auch wenn er ihn für einen ziellosen Luftikus hält, der sich nicht mit Ernsthaftem dauerhaft beschäftigen möchte.


    Als das zum ersten Mal erwähnt wurde, war mein erster Gedanke etwas in Richtung "Na hoffentlich - wenn die Tante diese Ehe nicht eingegangen wäre, hätte er ja nicht geerbt...". Ich mag ihm einfach keine rein uneigennützige Motivation zu schreiben :zwinker:
    Ich bin jetzt bis Kapitel 10 gekommen. Bei der Dinnerparty fand die Unterhaltung zwischen Mrs Cadwallader und Lady Chettam toll... vor allem über Casaubons Trockenheit und Geranien als Bewertungsmaßstab :zwinker:

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  • Rosamond Vincy scheint mir ein bisschen zu sehr das Mustermädchen zu sein, so hübsch und gebildet sie auch ist, kommt sie mir ein wenig hohl und von sich eingenommen vor ... wie zum Beispiel, als sie sich gar nichts anderes vorstellen kann, als dass Lydgate sich in sie verliebt haben muss.


    Mary Garth (was macht die eigentlich genau bei Onkel Featherstone? Gesellschafterin?) finde ich bisher recht sympathisch auf eine stille Weise. Ihre Freundschaft mit Rosamond wirkt auf mich ein wenig unausgeglichen, ich habe den Eindruck, dass sie für Rosamond eher die "arme Verwandte" ist, der sie sich überlegen fühlt.


    Featherstone gefällt mir übrigens auch. Der nimmt ja wirklich kein Blatt vor den Mund :breitgrins:



    Wenn er als Politiker zugleich sein Fähnchen nach jedem Wind richtet und sich in seinen Begründungen verirrt, wird daraus wahrscheinlich wenig...


    Das befürchte ich auch!


    Zitat

    Celia gefällt mir im 9. Kapitel immer besser - ihre Kommentare und Gedanken sind so eine schöne Mischung aus brav und beißend.


    Von ihr würde ich gerne noch mehr lesen.


    Zitat

    vor allem über Casaubons Trockenheit und Geranien als Bewertungsmaßstab :zwinker:


    :lachen: Den ab und zu durchblitzenden Humor der Autorin mag ich sehr gerne.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • So, ich bin jetzt auch fertig mit dem ersten Teil.


    Rosamond Vincy ist ja das genaue Gegenstück von Dorothea Brooke. Während letztere sich nicht einmal vorstellen konnte, dass Sir James an ihr interessiert sein könne, denkt Rosamond, dass der neu zugezogene Arzt Lydgate sich sofort in sie verlieben würde und scheint damit vielleicht sogar recht zu haben.


    Rosamonds Vorstellung von der Liebe hat mich sehr an einen Jane Austen Roman erinnert: ein Unbekannter zieht ins Dorf, alle reden über ihn, man trifft sich dann und schon ist es Liebe auf den ersten Blick. Ich bin sehr gespannt, ob sich ihre Vorstellungen erfüllen oder ob sowohl die eher naive Dorothea als auch die selbstbewusste Parade-Viktorianerin Rosamond letztlich doch enttäuscht werden.

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  • (Wobei - ist 1829 eigentlich schon viktorianisch?)


    Streng historisch gesehen nicht, da Queen Victoria 1837 das Zepter übernommen hat. Allerdings wird der Begriff in der Literaturwissenschaft ein wenig freier verwendet, da die Übergänge hier ja fließend sind und Middlemarch definitiv besser in den Viktorianismus als in die Romantik einzuordnen ist. Große Unterschiede werden dann (wieder: in der Literaturwissenschaft) ab den 1880ern gemacht, da es z. B. einen rapiden Anstieg an lesefähigen Bürgern gab und das die Gesellschaft eigentlich einschneidender geprägt hat als beispielsweise die Thronbesteigung Viktorias.

    &quot;This was another of our fears: that Life wouldn&#039;t turn out to be like Literature&quot; (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Ich habe den ersten Teil jetzt auch ausgelesen.


    Bei Rosamond habe ich das Gefühl, dass ihre Verliebtheit teilweise eingeredet ist, und eher den nebulösen Verwandten höheren Rangs von Lydgate gilt, als ihm selbst - eigentlich ähnlich wie bei Dorothea, nur dass es bei der eben die Hebräischkenntnisse waren :breitgrins:
    Für mich klingt es auch als wäre Mary Garth Featherstones Gesellschafterin, die beiden Mädchen vergleichen ihre Situation ja auch mit der der Gouvernante der Vincys. Allerdings scheint sie sich Hoffnungen auf Fred Vincy zu machen, und er scheint sie ja auch zu mögen - nur kann ich mir angesichts dessen, dass er schon Geldprobleme hat und etwas, das sehr nach einem abgebrochenen Studium klingt, nicht vorstellen, dass da etwas draus wird.

    Zitat

    Ihre Freundschaft mit Rosamond wirkt auf mich ein wenig unausgeglichen, ich habe den Eindruck, dass sie für Rosamond eher die "arme Verwandte" ist, der sie sich überlegen fühlt.


    Ich frage mich gerade, ob sie wirklich irgendwie verwandt sind, oder ich mir das nur eingebildet habe, weil erwähnt wird, dass Mrs Waule sowohl auf die Vincys als auch auf Mary Garth eifersüchtig ist :gruebel:

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