Diane Broeckhoven - Ein Tag mit Herrn Jules

Es gibt 19 Antworten in diesem Thema, welches 5.368 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Desdemona.

  • Alice und Jules, ein altes Ehepaar, leben in einem Mietshaus. Jeden Morgen zelebrieren sie ihr Ritual: Jules steht als erster auf, Alice bleibt noch ein bisschen liegen, bis der Kaffeeduft durch die Wohnung zieht.


    Eines Tages riecht Alice den Kaffee, steht auf, geht zu Jules ins Wohnzimmer, der am gedeckten Frühstückstisch sitzt - doch er reagiert nicht. Jules ist zwischen Kaffeekochen und Alices Aufstehen gestorben.


    Es schneit stark, ein ruhiger, stiller Wintertag, genau der richtige Tag für Jules' leisen Abschied von der Welt.


    Alice bringt es noch nicht über sich, den Arzt oder den Bestatter anzurufen. Sie lässt Jules auf dem Sofa sitzen, zieht ihm die Pantoffeln an, verabschiedet sich langsam von ihm.


    Um zehn kommt wie immer David, der autistische Nachbarsjunge, zum Schachspielen. Weil seine Oma nach einem Sturz ins Krankenhaus musste, kann seine Mutter ihn nicht wie üblich um halb elf abholen und bittet Alice telefonisch, ihn länger bei sich zu behalten.


    Gemeinsam verbringen Alice und David einen letzten Tag mit Herrn Jules.


    Eine ganz unsentimentale Geschichte über den Tod eines langjährigen Ehepartners, über die Erinnerungen an glückliche gemeinsame Zeiten, aber auch an die weniger schönen Erlebnisse. Man fühlt mit Alice mit, die Jules nicht gleich gehen lassen kann und will. Auch wenn sich die Geschichte etwas befremdlich anhört, ist sie doch gleichzeitig sehr schön.


    4ratten


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Tirah: kleiner Tip: das Buch soll demnächst als TB für 6,90 rauskommen.


    Es ist nämlich ziemlich dünn (nur 92 Seiten) und als HC dafür ganz schön teuer.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Zitat von "Valentine"

    Tirah: kleiner Tip: das Buch soll demnächst als TB für 6,90 rauskommen.


    Es ist nämlich ziemlich dünn (nur 92 Seiten) und als HC dafür ganz schön teuer.


    Ja, das habe ich auch schon gesehen. Die TB-Ausgabe kommt laut Amazon erst im Februar - mal sehen. Mein SuB ist ja eigentlich hoch genug... vielleicht lasse ich es mir zu Weihnachten schenken? :breitgrins:

    viele Grüße<br />Tirah

  • Ein sehr anrührendes Buch, welches in wenigen Stunden gelesen, aber viele Gedanken für einen langen Zeitraum gebracht hat.


    Mir wurde dabei bewusst wie wenig Zeit uns nur geschenkt wird, bei einem normalen Ablauf, uns von unseren Lieben zu verabschieden (Sarg und weg). Und denke mir, dass frühere Zeiten ein ganz anderes Ritual innehatten, Leben und Tod gehörten gleichsam zum Alltag

  • Zitat von "Heidi Hof"

    Mir wurde dabei bewusst wie wenig Zeit uns nur geschenkt wird, bei einem normalen Ablauf, uns von unseren Lieben zu verabschieden (Sarg und weg). Und denke mir, dass frühere Zeiten ein ganz anderes Ritual innehatten, Leben und Tod gehörten gleichsam zum Alltag


    Das stimmt, in unserer scheinbar so tabulosen Zeit ist der Tod ein ziemlich großes Tabu,über das viele nicht gerne nachdenken oder sprechen.


    Andererseits finde ich es auch krass, dass man früher z.B. kleine Kinder gezwungen hat, tote Familienangehörige noch einmal anzuschauen oder gar zu berühren. Dafür sollte ein Kind aus freiem Willen bereit sein.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das ist ein ganz wundervolles Buch! Aufgrund extrem knapper Lesezeit in den letzten Tagen konnte ich es gezwungenermaßen nur in "Happen" lesen - nach einem turbulenten Tag dann vor dem Einschlafen 15-20 Seiten, und dann versöhnt und friedlich einschlafen - das war die genau richtige Dosis für diese schöne Geschichte! - Denn obwohl das Buch nur 92 Seiten umfasst ist es kein Buch dass man schnell so nebenbei liest.


    Eine in sich harmonische, tröstliche Geschichte, ohne Sentimentalitäten, ohne Herzschmerz, wunderschön in Worten gefasst.


    Die Ehe der beiden war ja wohl nicht immer nur Sonnenschein, und Alice hat wohl viel in sich hineingefressen, viel "nicht gesagt" aber es scheint eine total tiefe Liebe gegeben haben, und das zeigt sich auch an diesem letzten Tag. Einfach wunderbar, wie sie Jules noch einmal mit längst vergangenen Dingen konfrontiert und wie sie aus diesem letzten Tag Mut schöpft für die nächsten starken Tage und ihr Leben alleine.


    Die Rolle des austistischen Jungen passt sehr gut ins Buch, wie der - vorerst unterschätzte - Bub die Dinge in die Hand nimmt und Alice in seiner Naivität (im positiven Sinn) und Unkompliziertheit über den Tag hilft.


    Einfach schön. Dieses besonere Buch wird mir noch lange in Erinnerung bleiben! :tipp:


    Diane Brockhoven


    Diane Broeckhoven, 1946 in Antwerpen geboren, lebt nach 30 Jahren in den Niederlanden wieder in ihrer Geburtsstadt. Sie hat rund zwanzig Jugendbücher veröffentlicht, für die sie mit bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. "Ein Tag mit Herrn Jules" ist ihr zweites Buch für Erwachsene.

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Nachdem das Buch jetzt als TB raus ist, habe ich es mir gegönnt :smile:
    Mein Liebster meinte: "Was, so viel Geld für so ein dünnes Buch? Das hast Du ja in höchstens einer Stunde durch!" Damit hatte er recht, aber er hat nicht die Stunden gezählt, die ich noch über dieses Buch nachgedacht habe.


    Eigentlich hat dieses Buch mit seinem 92 Seiten ja eher den Umfang einer Kurzgeschichte. Aber auf diesen wenigen Seiten wird alles gesagt. Nichts wird unnötig ausgedehnt, die Erzählung ist kurz und prägnant. Sie macht deutlich, wie wichtig das Abschiednehmen in einer Welt ist, die den Tod verdrängt.
    Meine Wertung deshalb:
    5ratten

    viele Grüße<br />Tirah

  • Einfach schön!
    Leider währt das Vergnügen nicht lange, da geringe Seitenzahl.
    Hab es jetzt nochmal als Hörbuch.
    Warte sehnsüchtig aufs nächste (Ich weiss, es ist schon da, aber warte auf das Erscheinen in der Bücherei meines Vertrauens)


    Gruss, :rollen:

  • Ich habe mir den Roman auch als Hörbuch angehört, nachdem ich den Tipp des Lesen! im ZDF gesehen habe.


    Mir hat die Geschichte auch gut gefallen und musste zwischnedurch fast mal ein paar Tränchen verdrücken, obwohl sie wie gesagt nicht zu sentimental erzählt ist.


    Den Ansatz, das Menschen länger als nur ein paar hektische Minuten zwischen Feststellen des Todes und Wegzerren durch den Bestatter brauchen, um sich voneinander zu verabschieden, kann ich voll und ganz nachvollziehen.


    Die Essgelüste der Frau fand ich aber nebenbei etwas befremdlich, das war zumindest im Hörbuch irgendwie komisch beschrieben.

  • Zitat von "Marlen"

    Die Essgelüste der Frau fand ich aber nebenbei etwas befremdlich, das war zumindest im Hörbuch irgendwie komisch beschrieben.


    Das ist mir gar nicht so aufgefallen, für mich war es eher ein Symbol dafür, daß das Leben trotz aller Trauer weitergeht.

    viele Grüße<br />Tirah

  • Zitat von "Tirah"

    Das ist mir gar nicht so aufgefallen, für mich war es eher ein Symbol dafür, daß das Leben trotz aller Trauer weitergeht.


    Das war es sicher auch, aber ich fand's komisch, in einer Phase tiefer Trauer so eine Freude an Shrimps mit Mayo zu haben ;) Aber sooo massiv schlimm fand ich's dann auch nicht.

  • Ich habe das Buch anlässlich der "Lesenacht der kurzen Bücher" gelesen und bin absolut positiv überrascht. Normalerweise geht es mir bei so kurzen Büchern ja so, dass ich mit den Personen nicht so richtig warm werde. Anders hier. Alice Verhalten war einfühlsam und nachvollziehbar geschildert und dennoch war die Geschichte nicht zu sentimental erzählt. Ich finde es gut, wie sie reagiert hat - sich noch mal ein bisschen Zeit zu nehmen, um in Ruhe Abschied zu nehmen, bevor die ganze Beisetzungsmaschinerie anläuft. Ich fand es auch sehr rührend, wie Alice die ganze Zeit noch mit ihrem Mann redet ( "Ach Jules", sagte sie kopfschüttelnd. "Wo sind deine Pantoffeln? Du holst dir noch eiskalte Füße, und das schlägt dir auf die Blase.") oder sich an ihn kuscheln will.


    Während der Erzählung musste ich übrigens an einen Rentner hier in Dresden denken, der ein Jahr lang neben seiner verstorbenen Frau geschlafen hat. Er hat es einfach niemandem gesagt, dass sie nicht mehr lebt. Als die Polizei dann schließlich aufmerksam wurde und die Wohnung durchsuchte, fand sie die inzwischen mumifizierte und extrem riechende Frau in seinem Ehebett. Der Mann war am Boden zerstört. Er hatte seine Frau so sehr geliebt, dass er sie einfach nicht hergeben wollte. :sauer: :sauer: :sauer:

  • Ich habe das Buch "eben mal schnell" gelesen. Also wirklich gut fand ich es nicht... Sehr kurz und sehr traurig. Das Thema ist natürlich bewegend aber da das Buch so kurz ist, konnte ich keine Beziehung zu den Personen aufbauen. Dass Ganze hätte ein längerer Zeitungsartikel in einer Frauenzeitschrift sein können. Und ganz ehrlich, mit einer Leiche in der Wohnung 24 Std. verbringen, naja. Vielleicht bin ich durch meinen Beruf vorbelastet, ich habe sowieso ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Tod. Keine Ahnung was ich erwartet habe aber gefallen hat mir diese Geschichte nicht ! :sauer:

  • Ich habe das Buch kuerzlich gelesen und mir hat es richtig gut gefallen. :smile: Die geringe Seitenzahl hat mich nicht gestoert, im Gegenteil.
    Ich fand es sehr schoen, dass sich Alice Zeit genommen hat, um sich von ihrem Mann zu verabschieden und sich schon einmal an den Gedanken gewoehnen konnte, wie das Leben ohne ihn weitergehen wird.
    Dadurch, dass Herr Jules ja doch unerwartet gestorben ist, hatte sie dazu vorher keine Gelegenheit und hat es jetzt eben nachgeholt. Auch wenn es eine sehr unuebliche Praxis ist, war es fuer Alice einfach notwendig.
    Mir hat auch sehr gut gefallen, dass es ergreifend war, aber trotzdem nicht ins Kitschige uebergegangen ist.

  • Obwohl der Anlass eher traurig ist, hat das Buch m. E. eine sehr positive und hoffnungsvolle Grundstimmung. Alice hat die Möglichkeit, sich von Jules zu verabschieden, ohne dass es eine dramatische Szene am Sterbebett gibt bzw. ohne die Anwesenheit von Notarzt, Bestatter und Angehörigen („Bestattungsmaschinerie“ haben es einige genannt, sehr passend). Sie durchlebt dabei innerhalb eines Tages verschiedene Stationen der Trauer - sie redet mit Jules, fühlt ihrer Liebe nach, verhält sich unangemessen um ihn zu verärgern, rechnet mit ihm ab. Der Leser wird Zeuge, wie die kleinen Rituale, die das Ehepaar sich angeeignet hat, durchbrochen werden, wie Alice langsam realisiert, dass sie nach einem Leben mit Jules an ihre Seite ohne in auskommen muss, aber auch seine Einschränkungen überwinden kann. Und schließlich auch, wie sie mit David, dem autistischen Nachbarsjungen, einen Menschen findet, mit dem sie neuen Rituale schaffen kann.
    Ein wunderbares Buch, keine Seite zu lang oder zu kurz, lebensbejahend und hoffnungsvoll.


    Von mir eindeutig ein
    :tipp:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Inhalt:Herr Jules ist tot. Aber vorher hat er seiner Frau den täglichen Morgenkaffee noch bereitet. Sie deckt die "Hülle", die im Fernsehsessel sitzt zu, sonst erkältet er sich ja noch und auch der autistische Junge aus dem dritten Stock kommt um Punkt 10 zur täglichen Schachpartie vorbei . Meine Meinung: Ein Buch, das unter die Haut geht und sich tief ins Herz gräbt. Absolut unsentimental erzählt hier eine grossartige Autorin über Liebe, Alltag und Geheimnisse. Meiner Ansicht nach eine Sensation.

  • Habe Dich an den bestehenden Strang angehängt. Bitte an die Suchfunktion denken!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Sorry, Valentine! War gestern zu überwältigt...

  • Archivierung einer Rezension aus dem Jahr 2008:


    Ich habe dieses Buch für einen Euro als Mängelexemplar gekauft. Warum? Der Klappentext hat mich einfach angesprochen; der Umgang mit den Tod ist nicht zuletzt in unserer Wohlstandsgesellschaft mit ihrem Wunsch nach der eigenen "Unsterblichkeit" ein eher tabuisiertes Thema. Die Autorin Diana Broeckhoven hat einen offenen, und dennoch stillen Umgang mit diesem Thema gesucht.


    Alice steht, wie jeden Morgen, erst auf, als der Kaffeegeruch ihr Bett erreicht. Es ist ihr Morgenritual - Jules macht das Frühstück, die einzige Aufgabe, die er im Haushalt übernimmt, und weckt sie erst dann, wenn der Kaffee fertig ist. An diesem Morgen ist es anders. Sie steht auf und sieht ihren Mann auf der Couch sitzend... Er ist tot. Sie reagiert nicht hysterisch bzw. hochemotional, sondern sie überlegt, ob sie Notare, Bestatter und ihren gemeinsamen Sohn informieren soll, entscheidet sich aber dagegen. In Ruhe will sie Abschied nehmen, in Ruhe ihm erzählen, dass trotz seiner Verfehlungen es immer eine Liebe zwischen ihnen gab.
    Dieses Unterfangen sich zu verabschieden, wird vom Nachbarsjungen, dem autistischen David, vermeintlich gestört. Dabei ist dieser genauso an feste Rituale gebunden wie Jules und Alice.


    Ein kurzes, aber ein schönes Buch über das Leben und das Sterben, über das Altern, über feste Rituale und vor allem über die Liebe. Ja, Jules hatte eine Geliebte, Olga, aber sie, Alice, verzeiht ihm; sie sagt ihm das nicht im Leben, dass sie es weiß, sondern erst, als er in Ruhe gegangen ist. Erst dann bricht sie ihr Schweigen.


    Wenn auch stilistisch nicht sonderlich anspruchsvoll, ist diese Geschichte dennoch schön flüssig zu lesen; es lässt einem nicht mehr los, stimmt einem nachdenklich und das ist es, was dieses Büchlein ausmacht: Kurz, aber gut.